Der jährliche Safer Internet Day in Berlin, organisiert vom deutschen Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und dem Verband Bitkom e.V. (Branchenverband der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche), stand dieses Jahr zum ersten Mal im Zeichen von Nachhaltigkeit.

Unter dem Titel "Digitalisierung im Dienste der Nachhaltigkeit: Innovationen für Klimaschutz, gesellschaftlichen Zusammenhalt und Sicherheit" sprachen und diskutierten Vertreter unterschiedlicher Organisationen.

So stellte zum Beispiel Prof. Dr. Maja Göpel, Generalsekretärin des WBGU (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen) die Kernaussagen des kürzlich erschienenen Hauptgutachten "Unsere gemeinsame digitale Zukunft“ vor.

Im Laufe der Veranstaltung wurden unterschiedliche Perspektiven für eine nachhaltige Digitalisierung diskutiert. Unter anderem die Rolle disruptiver Innovationen und welche Chancen und Entwicklungen aus Konsumentensicht, für Klima- und Umweltschutz und die Produktentwicklung sich ergeben können.

Aus meiner Sicht wurden die meisten Redebeiträge und Diskussionen aus einer zu sehr technikgläubigen und stark ökonomiegetriebenen Sicht mit den alten Paradigmen gespeist. Während nicht in Abrede steht, dass Digitalisierung ein wichtiges und aktuelles Thema ist und selbstverständlich auch Chancen für Nachhaltigkeit eröffnen kann, fehlte mir die grundsätzliche Prioritätenerschiebung, die für eine noch rechtzeitige nachhaltige Transformation unserer Gesellschaften notwendig ist.

Eigenartig fand ich, dass selbst Maja Göpel nicht auf den von ihrer eigenen Organisation vor inzwischen schon 11 (!) Jahren vorgestellten Budgetansatz für eine zielführende Dekarbonisierung einging und selbst die ebenfalls vom WGBU schon im Jahr 2011 geforderte "Große Transformation" nur am Rande erwähnt hat.

Der Bitkom Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder sprach von einem Tag des Lernens, gleichzeitig legte er seinem Grußwort das veraltete Drei-Säulen-Modell zugrunde, das umweltbezogene Nachhaltigkeit in dieselbe Prioritätenebene wie soziale und vor allem ökonomische Nachhaltigkeit stellt. Es wird so nach wie vor verschleiert, wo die Gründe liegen für die massiven und bislang nicht eingehegten globalen Missentwicklungen. Das ist keine Basis für ein Lernen, das diesen Namen verdient: das (schnelle) Lernen, wie eine derartige auch strukturelle und systemische Transformation unserer noch Welt gelingen kann.

Man hätte die Veranstaltung nutzen können um echte Ansatzpunkte für eine Veränderung zu identifizieren, indem z.B. die Verursacherseite in die Argumente mit einbezogen worden wäre.

Das ist nicht geschehen.
Stattdessen wurden viel zu oft die altbekannten immergleichen Phrasen vorgestellt: Wir brauchen mehr Informationen, bessere Berechnungen, wir tun eh schon alles, was wir können, wir brauchen noch mehr Technologie, um das Problem zu verstehen, nachhaltig leben bedeutet Verzicht, die nichtnachhaltigen Tendenzen werden durch den Verbraucher erzeugt, sind halt irgendwie so geworden und unumkehrbar etc.

Kein Wort davon mit welch massivem Druck, unter welcher massiven Ausbeutung von Umwelt und Menschen und mit welch massiven Gewinnspannen für einige wenige diese Konsumtendenzen absichtlich in den Markt gedrückt worden sind und aus reiner Profitgier immer noch weiter befeuert werden.

Bis hin zu der unfassbaren Behauptung von Prof. Dr. Nick Lin-Hi, Professur für Wirtschaft und Ethik, Universität Vechta in vitro Fleisch sei die einzige und zugleich kostengünstigste Lösung für weltweite Ernährungssicherheit unter Klimawandel und mit Bockchaintechnologie könne man bald die Textilproduktion für jedes einzelne Kleidungsstück zurück verfolgen und das würde die Produktion nachhaltig und gut machen. Fast fashion besteht zu nahezu 100% aus Plastikfasern und erzeugt jährlich mehr CO2 als alle internationalen Flüge und Schifffahrten zusammen. Während die Klamotten oft ungetragen weggeworfen werden, die Kleidersammelstellen überquellen und die Flüsse in Indien und Bangladesh die jeweiligen Trendfarben der wöchentlich neuen „Kollektionen“ haben (vgl. ZDF-Dokumentation).
Kein Wort davon, wer von den heutigen Zuständen profitiert.

Positiv fiel mir sowohl die Eingangsrede von Christine Lambrecht, Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz auf, die sehr schön darstellte, wie Nachhaltigkeit die Verzahntheit unterschiedlicher Thematiken auch in den Lösungsansätzen erfordert.
Wie auch der Beitrag von Dr. Jan Schlüter, Geschäftsführer Reise und Gesamtverantwortlicher Green Initiative, Nachhaltigkeit & CO2-Neutralität, CHECK24 GmbH, der darstellte, wie ein angemessenes Framing in den Benutzeroberflächen dazu führt, dass über CHECK24 mehr als doppelt so oft Ökostromverträge abgeschlossen werden als im deutschen Durchschnitt.
Sowie der Input von Dr. Nico Bauer, Wissenschaftler, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, der u.a. darlegte, dass Menschen, die mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren glücklicher sind, dass sie genau deshalb radfahren, weil sie radfahren wollen, während Autofahrer sich am liebsten teleportieren lassen würden.
So viel zum Thema Verzicht.

Immerhin scheint eine Tür geöffnet zu sein auch zu den wirtschaftlichen und industriellen Vertretern der Branche. Es waren Teilnehmer anwesend von vielen großen Firmen, von adidas über Zalando, Vodafone, Dropbox, KPMG, Dell, IBM, Deutsche Telekom, Twitter und viele mehr.

Dennoch - möchte man diese Tür nutzen und eine ernstgemeinte Debatte voranbringen, die vielleicht dann auch mal echte Resultate bringt, möchte man digitale Technologien tatsächlich in den Dienst der Nachhaltigkeit stellen und die hier brachliegenden Potenziale schöpfen, wird man um grundsätzlichere und ehrlicher Diskussionen nicht herumkommen.

Die Zeit läuft: https://www.mcc-berlin.net/en/research/CO2-budget.html