Der „Rosinenbomber“ auf dem Dach des
Deutschen Technikmuseums in
Berlin zählt zu den Wahrzeichen der Stadt. Er erinnert an die
Zeit des Kalten Krieges, an die Blockade der Westsektoren durch die
Sowjets 1948/49, als die Berliner*innen von den Westalliierten mit
Flugzeugen wie diesem aus der Luft versorgt werden mussten.
Natürlich hat die Douglas C-47 Skytrain (so der offizielle
Flugzeugtyp) auch ihren Auftritt in der Wikipedia – von unten
fotografiert in der Abendsonne. Ein majestätisches Bild.
„Hurra, wir leben noch”, stand auf vielen Plakaten der Menschen,
die sich am 12. Mai 1949 vor dem Rathaus Schöneberg versammelt
hatten, um das Ende der Berlin-Blockade zu feiern. Dieses Jubiläum
wird nun auch in der Wikipedia durch die neuen Aufnahmen noch
greifbarer werden: Wenn der „Rosinenbomber“ aus einem noch viel
spektakuläreren Blickwinkel als bisher zu sehen ist. Von oben, aus
der Vogelperspektive fotografiert.
Ein Blick aus 100 Metern
Höhe
Zu verdanken ist das einer außergewöhnlichen Drohnenflugaktion
über das Museum und die Umgebung. Und nicht nur Bilder des
Flugzeugs werden unter freier Lizenz in Wikimedia Commons und der
Wikipedia zur Verfügung stehen – mit Unterstützung von Wikimedia
Deutschland konnte auch ein Indoor-Flug mit einer Drohne im
Deutschen Technikmuseum unternommen werden. Das Museum hat dafür
seine Lokschuppen geöffnet, wo die Dauerausstellung Eisenbahn zu
sehen ist – mit vielen historischen Lokomotiven und anderen
Großobjekten.
Der Wikipedianer Benutzer:Raymond ist Spezialist für
Drohnenfotografie. Er hat aus der Luft unter anderem schon die
Liegenschaften der Stiftung
Preußische Schlösser und Gärten für die Wikimedia-Projekte
abgelichtet, auch in Weimar bei der Klassik
Stiftung und im Archäologischen Park in Xanten
war er schon aktiv. Im vergangenen Jahr ließ er die Drohne über dem
Museum Barberini in Potsdam aufsteigen, wobei auch ein sehenswerter
Film entstanden ist. Jetzt steht er an einem sonnigen Morgen auf
dem Platz vor dem Deutschen Technikmuseum und schaut konzentriert
auf das Display seines Controllers. Die Drohne ist nur noch als
winziger Punkt am Himmel zu sehen. „Ich fliege in 100 Metern Höhe
erst über die Ladestraße und das Hauptgebäude des Deutschen
Technikmuseums, dann über den Rosinenbomber und die U-Bahnstrecke
am Gleisdreieck in Richtung Tempodrom und zurück“, beschreibt
Benutzer:Raymond die Luftroute.
Eine Auswahl der entstandenen Bilder finden Sie hier:
Damit er diesen Flug überhaupt unternehmen kann, haben Holger
Plickert und Christoph Jackel viel Zeit und Arbeit investiert. Die
beiden Projektmanager von Wikimedia Deutschland kümmern sich um
GLAM-Projekte, also Kooperationen verschiedenster Art mit Kultur-
und Gedächtnisinstitutionen wie Museen, Archiven oder Bibliotheken.
„Ein GLAM-Projekt unterstützt Kultur- und Gedächtnisinstitutionen
dabei, ihrem Auftrag nachzukommen, Objekte für kommende
Generationen in digitaler Form zu bewahren. Durch gemeinsame
Projekte mit erfahrenen Wikimedianer*innen können sie mit der
gesamten Welt geteilt und unabhängig erkundet und erforscht
werden”, so Jackel.
Nicht nur haben die Hauptamtlichen von Wikimedia Deutschland
jetzt das Deutsche Technikmuseum für den Drohnenflug gewonnen, sie
mussten auch alle dafür erforderlichen Genehmigungen einholen. „Das
Museum grenzt an eine Bundesstraße, der benachbarte Landwehrkanal
ist eine Bundeswasserstraße, dazu verläuft dort die Hochbahn der
U1/U3 – bei all dem ist Überflug eigentlich verboten“,
erklärt Benutzer:Raymond.
Beantragt werden mussten eine Reihe von Sondergenehmigungen bei
der Luftfahrtbehörde. Entsprechend hat der Wikipedianer neben einem
Ersatzakku für die Drohne und allerlei anderem technischen
Equipment auch eine dicke Mappe mit Dokumenten dabei – nur für den
Fall, dass die Polizei vorbeikommt und nach den Genehmigungen
fragt.
Strategie der
Öffnung
Auch für die Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin ist die
Aktion reizvoll: „Auf diese Weise bekommen wir eine Perspektive auf
unser Haus, die wir sonst nicht hätten“, so Matthias Stier, Leiter
Digitale Strategie im Museum. Der „Rosinenbomber“ – der in
regelmäßigen Abständen von Industriekletterern gereinigt wird, sei
selbst vom Dach des Museums aus nicht in so spektakulärer
Draufsicht zu erleben.
Das Deutsche Technikmuseum will die Bilder von Benutzer:Raymond
auch über die eigenen Kanäle zugänglich machen – und freut sich
über die Verbreitung in der Wikipedia und auf Wikimedia Commons.
„Die Wikimedia-Projekte sind ein wichtiger Anlaufort“, so
Stier.
Generell verfolgt die landeseigene Institution eine Strategie
der Offenheit: „Wir wollen so viele unserer Sammlungsdaten frei
zugänglich machen wie möglich“, beschreibt Stier, „das Thema
CC-Lizenzierung wird bei uns am Haus groß geschrieben.“
Geglückter Flug durch den
Lokschuppen
Mit der Achtsamkeit eines Wünschelrutengängers bewegt sich
Benutzer:Raymond mit seiner Drohne durch den Lokschuppen 1 des
Deutschen Technikmuseums. Er lässt sie durch das historische
Fürstenportal des Anhalter Bahnhofs an deren Eingang fliegen,
navigiert sie sicher über eine Preußische Tenderlok T3 von 1901 und
eine Güterzug-Dampflok der Graz-Köflacher Bahn aus dem Jahr 1860.
Begleitet von einem steten Piepsen: „Ich schalte selbstverständlich
die Annäherungssensoren der Drohne nicht aus“, erklärt der Pilot.
Schließlich will er mit dem Fluggerät nirgendwo anstoßen. Diese
Indoor-Aktion ist auch für Benutzer:Raymond eine Premiere – die
ohne Probleme glückt.
Am Ende dieses Vormittags sind rund 100 Bilder entstanden, aus
denen der Wikipedianer eine Auswahl trifft, die nach
und nach bei Wikimedia Commons zur Verfügung gestellt wird –
darunter auch die Drohnenfotos der Loks. Er ist zuversichtlich,
dass die fotografierten Objekte „sehr bald ihren Auftritt in der
Wikipedia bekommen.“
Lust bekommen, bei Wikimedia-Projekten
mitzumachen?
Schau doch mal auf unserer Mitmachseite vorbei. Dort findest Du
viele spannende Angebote für den Einstieg in die Wiki-Welt. Alle
Infos gibt es hier:
Die Bundesregierung gibt in ihrer Datenstrategie vom letzten
Jahr die Marschrichtung vor: Mehr Fortschritt durch mehr und
bessere Daten. Die Ausgangslage ist dabei schwierig. Überall fehlt
es an strukturierten Daten in hoher Qualität, um politische
Entscheidungen zu flankieren oder auch umzusetzen. Das Klimageld
konnte nicht ausgezahlt werden, es gibt keinen Überblick über alle
Sozialleistungen und oftmals fehlt es auch am Verständnis darüber,
was eigentlich Daten sind und wer diese pflegt. Die Datenlabore,
die in allen Bundesministerien ab 2021 eingerichtet wurden, sollten
den Ressorts ganz praktisch im Datenmanagement an die Hand gehen.
Leider steht die Finanzierung schon wieder auf der Kippe, kaum dass
sie ihre Arbeit aufgenommen haben. Dabei zeigen erste Erkenntnisse, dass die
Arbeit durchaus sinnvoll ist. Es braucht also dringend mehr
Datenexpertise und mehr Akteure, die mit guten Ideen in diesem Feld
vorangehen. Kann das geplante Dateninstitut diese Hoffnung
erfüllen? In der Entwicklungsphase des Dateninstituts wurde von
politischer Seite immer wieder betont und in Aussicht
gestellt, dass zivilgesellschaftliche Organisationen das
Dateninstitut mit ihrer Expertise und Perspektive mit aufbauen
sollen, zumindest als Teil eines Konsortiums. Wie gut ist das im
Prozess bislang integriert?
Datenpolitik ist
Gesellschaftspolitik. Die Gemeinwohlorientierung muss stark
verankert sein
In den bisher ausformulierten Grobanforderungen für das
Dateninstitut findet eine Gemeinwohlorientierung keine Erwähnung
mehr. Auch wenn es verschiedenen beteiligten
Politikschaffenden weiterhin ein Anliegen sein wird, eine
Gemeinwohlorientierung einzubringen, ist es schwierig, diesen
Auftrag aus der Ausschreibung konkret herzuleiten. Das bedeutet,
dass wir viele Ressourcen einbringen müssten, um uns innerhalb
eines großen Konsortiums mit ressourcenmäßig überlegenen
Beteiligten, die wenig Fokus auf das Gemeinwohl
haben, durchzusetzen. Eine stärkere Gemeinwohlorientierung
geht nämlich oft zulasten der Profitabilität, die für viele sich
beteiligende Unternehmen relevant ist.
Zudem sind wichtige Spielräume schon vorher eingeschränkt, zum
Beispiel ist eine Vorgabe, dass das Dateninstitut spätestens in
fünf Jahren eigene Einnahmen von mindestens 10 Prozent generieren
muss. Entsprechende Geschäftsmodelle sind üblicherweise nicht mit
freiem Wissen vereinbar, denn wo sollen solche Einnahmen herkommen
wenn nicht aus Lizenzierung oder anderen Datenservices?
Rechtssicherheit des
Betreibermodells sticht Ausprobieren von Ideen
Die Ausschreibung macht deutlich, was den beteiligten
Ministerien am wichtigsten ist: Expertise in Gründungsfragen, bei
juristischen Organisationsformen, beim Datenschutz sowie bei der
Entwicklung von Geschäftsfeldern ist hauptsächlich gefragt. Eine
der Überraschungen bei den Ausschreibungsunterlagen ist zudem, dass
die Ministerien nicht nur – wie ursprünglich geplant – eine
Konzeption für ein gutes Dateninstitut suchen, sondern einen
Partner für das praktische Betreiben des Instituts, inklusive
Gründung, Aufbau, Personalrekrutierung. Diese Aussicht ist der
„Hauptgewinn“ für die teilnehmenden Konsortien. Für uns als
zivilgesellschaftliche Organisationen ist das wenig attraktiv:
Aufbau einer Institution als Dienstleistungsauftrag für den
Staat?
Wenig freie Ressourcen, wenig
Planbarkeit
Konzeptionierung, Gründung und Betrieb des Dateninstituts sind
umfangreiche Aufgaben, die viele Personen aus unterschiedlichen
Organisationen binden werden. Für zivilgesellschaftliche
Organisationen wie unsere ist das eine große Herausforderung, da
wir (anders als z.B. Beratungsunternehmen) keine freien Kapazitäten
vorhalten (können). Dies betrifft die zeitintensive Teilnahme
an der Ausschreibung, aber auch den auf fünf Jahre ausgelegten
Betrieb. Die gleichzeitige Ausschreibung von Konzeption, Gründung
und Betrieb ist unseres Erachtens daher nicht
zielführend. Auch der immer wieder verschobene Zeitplan hat
nicht dazu beigetragen, zivilgesellschaftliche Akteur:innen
einzubinden. Beispielsweise wurde nach dem Marktdialog Anfang Juli
2023 eine Ausschreibung „nach der Sommerpause“ angekündigt, die nun
im Mai 2024 kam. Die Anzahl der Menschen mit passender Expertise in
unseren Organisationen ist begrenzt, und wir haben viele laufende
Projekte und Themen, um die wir uns jeweils oft als einzige
zivilgesellschaftliche Organisation kümmern.
Wettbewerbsverfahren kaum
kompatibel mit zivilgesellschaftlicher Kooperation
Die beteiligten Ministerien wünschen sich möglichst
intersektional aufgestellte Konsortien, um vielfältige Perspektiven
der Datenbereitstellung und Datennutzung abzubilden. Das ist sehr
begrüßenswert. Allerdings sind wir eher skeptisch, ob dies durch
die Zusammensetzung der Konsortien zu schaffen ist, oder ob nicht
eher später im laufenden Betrieb des Dateninstituts Partnerschaften
mit unterschiedlichen Akteursgruppen geschlossen werden sollten.
Unsere Erfahrung während der Anbahnung der Ausschreibung war es,
dass insbesondere wirtschaftliche Akteure (z.B.
Beratungsunternehmen) sehr klare Partikularinteressen vertreten
(z.B. Monetarisierung von Services) und für die Antragstellung nur
noch irgendeine zivilgesellschaftliche Organisation suchten. Dass
die Ausschreibung zudem das Vorliegen von ähnlichen Erfahrungen
verlangt, begünstigt zudem größere Unternehmen. Für eine
Beteiligung am Verfahren müssten wir uns entscheiden, in welchem
Konsortium wir uns einbringen, und über Non-Disclosure Agreements
oder Ähnliches zusichern, unser Wissen nur für dieses Konsortium
einzusetzen. Das widerspricht unseren Prinzipien als
Zivilgesellschaft für ein transparentes Verfahren und offene
Diskussion über diese wichtige Phase der Gründung des
Dateninstituts. Deshalb werden wir unsere Expertise öffentlich
allen zur Verfügung stellen, um eine gemeinwohlorientierte
Ausgestaltung des Dateninstituts zu unterstützen. Auch an einem
Austausch mit den Politikschaffenden sind wir weiterhin
interessiert.
Unser Anliegen: Ein
Dateninstitut für die Gesellschaft
Es ist uns ein Anliegen, dass das Dateninstitut die
Bereitstellung und Nutzung von Daten für das Gemeinwohl fördert.
Wir stehen für ein starkes, kompetentes und unabhängiges
Dateninstitut, das Datenpolitik als Gesellschaftspolitik für Alle
verständlich macht; es stellt Strukturen, Prozesse und
Infrastrukturen in den Mittelpunkt, anstatt auf Einzelprodukte und
kurzfristige Lösungen zu setzen; es ergänzt die bestehenden
Organisationen und Strukturen sinnvoll und schärft damit das
Daten-Ökosystem. Wir wünschen uns, dass der weitere Prozess
möglichst transparent ist, damit auch zivilgesellschaftliche
Akteure, die nicht in Konsortien beteiligt sind, eine
gemeinwohlorientierte Ausgestaltung des Dateninstituts begleiten
und unterstützen können.
Der Südwestrundfunk (SWR) und Spiegel berichteten zunächst über die
Neuigkeiten aus Stuttgart. Demzufolge plant man dort nun,
zunächst Abituraufgaben aus Vorjahren und dann auch die alten
Prüfungsaufgaben anderer Schulformen digital und frei zugänglich zu
machen. Alle Schüler*innen können damit unkompliziert auf die
Aufgaben zugreifen. Sie sind nicht darauf angewiesen, dass Schulen
oder Lehrkräfte sie ihnen zur Verfügung stellen und können somit
selbsständig lernen. Zuvor hatte der SWR bereits über unsere Kampagne und
die dazugehörige Petition zur Veröffentlichung
von Prüfungsaufgaben berichtet.
Hat über 54.000 Unterstützer und
Unterstüterinnen – die Petition von FragDenStaat und Wikimedia
Deutschland zur Freigabe von alten Prüfungsaufgaben. Foto:
Screenshot Franziska Kelch (WMDE) CC BY-SA 4.0
Die Entscheidung, die Aufgaben nun zu veröffentlichen, habe
nichts mit unserer Kampagne zu tun, sagt das Ministerium. Oder mit
der Petition zur Veröffentlichung von Aufgaben, die weit über
50.000 Unterschriften erhalten hat. Oder mit der
Medienberichterstattung zur Kampagne und zur Petition in diesem und
im letzten Jahr. Die auch thematisiert hat, dass FragdenStaat und
Wikimedia Deutschland aufgedeckt haben, dass auch das
Kultusministerium in Baden-Württemberg Prüfungsaufgaben an Verlage
verkauft, statt sie Schüler*innen einfach digital zur Verfügung zu
stellen. Verlage nutzen diese Aufgaben dann in Übungsheften – die
sich nicht alle Prüflinge leisten können oder wollen.
Aber wir schweifen ab. Zurück zu den guten Nachrichten für
künftige Prüflingsgenerationen in Baden-Württemberg!
Wir begrüßen, dass im Kultusministerium offenbar ein Umdenken
stattgefunden hat und Aufgaben digital und öffentlich zur Verfügung
gestellt werden. Das ist ein Schritt zu mehr Bildungsgerechtigkeit
in Baden-Württemberg. Auch den Umstand, das nicht nur junge
Menschen, die das Abitur machen, sondern Schüler*innen aller
Schulformen Zugang zu Prüfungsaufgaben bekommen sollen, sehen wir
als Fortschritt. Aber es gibt zwei offene Fragen und damit
potenzielle Kritikpunkte.
Was sagt das Ministerium zum
Verkauf der Aufgaben?
Kurz gesagt: Nichts. Zumindest ist der Berichterstattung nichts
dazu zu entnehmen. Das führt uns zu der Frage: Betrifft das
Umdenken im Kultusministerium in Baden-Württemberg auch den Verkauf
der Aufgaben und wird dieser eingestellt?
Aktuell erteilt das Kultusministerium in Baden-Württemberg
mindestens einem Verlag gegen eine Gebühr die Erlaubnis, die
Abschlussaufgaben aller Schulformen zu veröffentlichen. Das ist
leider nicht ungewöhnlich, mindestens neun weitere Bundesländer
verfahren so. Das Kultusministerium in Baden-Württemberg aber
erhält zusätzlich 10% vom Netto-Buchpreis von Lehr- und
Übungsbüchern, die der Verlag verkauft. Nach unserem Wissen ist
Baden-Württemberg damit das einzige Bundesland, das in diesem
Umfang am Verkauf der Hefte beteiligt ist. Wir kritisieren diese
Praxis, denn wir sind der Ansicht, dass mit öffentlichen Mitteln
erstellte Aufgaben nicht monetarisiert, sondern der Öffentlichkeit
zur Verfügung gestellt werden sollten.
Mit Prüfungsaufgaben alleine ist
es nicht getan
Darüber hinaus stellen wir uns die Frage, in welchem Umfang
Prüfungsaufgaben veröffentlicht werden. Denn der Mehrwert von
Prüfungen aus Vorjahren entsteht für Schüler*innen vor allem dann,
wenn sie auch die Lösungen erhalten – oder zumindest die
sogenannten Erwartungshorizonte zu den einzelnen Prüfungen. Denn
nur so wissen sie auch, was von ihnen erwartet wird. Wenn etwa
Schüler*innen aus Niedersachsen sich Abituraufgaben aus den Vorjahren herunterladen, dann
erhalten sie nicht nur die Aufgaben, sondern auch die
Erwartungshorizonte.
Ein weiterer Faktor dafür, wie nützlich die Aufgaben für
Prüflinge sind, ist die Verfügbarkeit von Texten, Statistiken,
Fotos oder Karten, die in der Aufgabe verwendet wurden.
Baden-Württemberg kündigt an, dass solche Drittmaterialien
teilweise aus urheberrechtlichen Gründen geschwärzt und durch
Quellenangaben ersetzt werden. Schleswig-Holstein macht das ähnlich
und schwärzt leider auch Gedichte von
Goethe, die schon seit über hundert Jahren gemeinfrei sind.
In Niedersachsen ist man stärker darum bemüht, die Aufgaben, die
entsprechenden Erwartungshorizonte und
Drittmaterialien zu veröffentlichen. Dafür werden teilweise Texte,
Statistiken oder Bilder genutzt, die gemeinfrei oder frei
lizenziert sind. Oder bei der Entwicklung der Aufgaben werden
digital verfügbare Drittmaterialien genutzt, deren URL dann bei der
Veröffentlichung angegeben wird. So können Schüler*innen häufig
Aufgaben für die Vorbereitung nutzen, die einen großen Mehrwert
haben, weil sie zusätzlich Erwartungshorizonte und Drittmaterialien
enthalten.
Wir sind gespannt, ob sich Baden-Württemberg daran ein Beispiel
nehmen wird. Die Veröffentlichung der Aufgaben ist laut
Berichterstattung für den Oktober geplant.
Gemeinwohl oder auch das öffentliche Interesse sind
wohlklingende Konzepte – und doch abstrakt und
interpretationsoffen. Was es konkret braucht, um Daten für mehr
Gemeinwohl zu nutzen, klärte Aline Blankertz, Referentin für
Politik und öffentlicher Sektor, zu Beginn ihrer Stellungnahme
gegenüber den Digitalpolitiker*innen in Berlin.
Grafik: Franziska Kelch (WMDE),
CC BY-SA 4.0
Weniger Innovationshype und mehr
gesellschaftlicher Nutzen
„Innovative Datenpolitik: Potenziale und Herausforderungen“, so
lautete das Thema der Anhörung im Digitalausschuss des Bundestages.
Und auch zahlreiche Fragen aus dem Katalog, der an die
Sachverständigen geschickt wurde, machten deutlich: Auf politischer
Ebene herrscht die Vorstellung, dass Daten ein oder sogar der Motor
für Innovationen sein sollen und können. Es gibt aktuell geradezu
einen Innovationshype, also einen übersteigerten Glauben an
Innovation. Dabei braucht es an vielen Stellen gar keine
technologischen Neuerungen, um gesellschaftliche Probleme zu
adressieren. Wir brauchen vielmehr eine konsequente Nutzung von
bekannten und bewährten Konzepten und Prozesse. Das zeigt sich am
Beispiel der öffentlichen Verwaltung. Der mangelt es aktuell an
einer soliden Datenarchitektur und -infrastruktur. Die brauchen
Behörden, um effizienter zu werden – und nicht etwa “Künstliche
Intelligenz”. Beim Reden über Innovationen wird gerne vergessen,
dass wir den zweiten Schritt nicht vor dem ersten machen sollten.
Und der erste Schritt, nämlich die technischen und personellen
Grundlagen der Verwaltungsdigitalisierung zu schaffen, ist noch
nicht einmal vollzogen.
Wenn wir Innovation schaffen, sollte wir uns daran orientieren,
was gesellschaftlich nützlich ist. Das ist oft nicht das, was
wirtschaftlich besonders profitabel ist. Das ist eine
Herausforderung. Denn digitale Infrastrukturen liegen überwiegend
in der Hand weniger, mächtiger Digitalkonzerne. Diese verfolgen
nicht das Gemeinwohl als Ziel. Oft schaden sie der Gesellschaft
sogar, zum Beispiel indem sie Desinformationen verbreiten, sich die
Wertschöpfung von Kreativen und Journalist*innen aneignen, oder
durch schlechte Arbeitsbedingungen und Überwachung. Wir müssen die
Gemeinwohlorientierung von Plattformen, digitalen Dienstleistungen
oder KI-Anwendungen stärken, indem die Politik gesellschaftlichen
Interessen mehr Gewicht gibt. Das kann durch Zerschlagung oder
Regulierung geschehen. Aber auch, indem die öffentliche Hand selbst
in digitale Strukturen investiert und diese aufbaut und dauerhaft
pflegt.
Für mehr Datenzugang und weniger
Geschäftsgeheimnisse
Wenn wir mehr Daten besser für Innovationen nutzen wollen, die
in erster Linie einen gesellschaftlichen Nutzen haben, dann ist der
Zugang zu Daten entscheidend. Und ein wesentlicher Teil von Daten
zu A wie Automobilität bis Z wie Zahlungsverkehr liegt in den
Händen von Unternehmen. Eine der größten Hürden für einen breiten
Zugang und eine Nutzung dieser Daten im öffentlichen Interesse ist
der Geschäftsgeheimnisschutz.
Wenn es darum geht, den Geschäftsgeheimnisschutz zu verteidigen,
hört man oft ein vermeintliches Argument: Wenn Unternehmen Daten
nicht exklusiv nutzen können, dann ginge der Anreiz verloren, diese
überhaupt zu erheben. Was dabei ignoriert wird: Das
Geschäftsgeheimnis verlangsamt die Verbreitung von Wissen – oder
unterbindet sie komplett. Denn es gilt zeitlich unbegrenzt. In
einer Wissensgesellschaft können Geschäftsgeheimnisse damit zum
Hemmschuh von Innovation und Wettbewerb werden. Dementsprechend
sollte der Gesetzgeber beim Ausmaß des Geschäftsgeheimnisschutzes
abwägen zwischen Anreizen auf der einen und Wissensverbreitung auf
der anderen Seite.
Außerdem sollten Gemeinwohlaspekte in die Abwägung einbezogen
werden. Besonders deutlich wird dies bei einem Gemeingut, das in
unser aller Interesse liegt: Die Umwelt. Mehr Datenzugang kann
dabei helfen, Produkte ökologisch verträglicher herzustellen, zu
nutzen und wiederzuverwerten. Ein Beispiel dafür, wie das in der
Praxis funktionieren kann, ist die Ecodesign for Sustainable
Product Regulation (ESPR) auf EU-Ebene. Sie führt digitale
Produktpässe ein, um die Kreislaufwirtschaft zu stärken. Der neue
Produktpass wird Informationen über die ökologische Nachhaltigkeit
durch Einscannen eines Datenträgers leicht zugänglich machen. Die
enthaltenen Daten sollen Auskunft geben über die Haltbarkeit und
Reparierbarkeit, den Recyclinganteil oder die Verfügbarkeit von
Ersatzteilen eines Produkts. So sollen Verbraucher und Unternehmen
besser fundierte Kaufentscheidungen treffen können. Produktpässe
sollen zudem Behörden helfen, Kontrollen und Prüfungen besser
durchzuführen. Hersteller müssen also möglichst viele Daten für
diese Zwecke bereitstellen, auch wenn manche Datenpunkte für
Hersteller betriebswirtschaftlich wertvoll sind. Die Pässe können
perspektivisch auch nützlich sein, wenn es darum geht, höhere
Umweltstandards festzuschreiben und zu überprüfen. Denn über die
Pässe würden Daten darüber vorliegen, inwiefern Produkte gerade
umweltverträglich sind – oder nicht. Das kann politischen
Akteur*innen als Grundlage dafür dienen zu entscheiden, welche
Vorgaben oder Standards sinnvoll und effektiv sind.
Bei der Ausgestaltung von Datengesetzen und in neuen
Gesetzgebungsverfahren müssen wir klarstellen, dass
Geschäftsgeheimnisse keine Trumpfkarte sein dürfen, sondern
abgewogen werden müssen. Das gilt etwa für das
Forschungsdatengesetz, die nachgelagerten Verordnungen zur ESPR,
das Mobilitätsdatengesetz und so weiter. Zweitens, wir brauchen
ausdrücklich Pflichten, um mehr Datenzugang zu ermöglichen. Dass
Anreize nicht funktionieren, zeigt die aktuelle Situation.
Bundestransparenzgesetz: Das
wichtigste datenpolitische Vorhaben fehlt bisher
Man fühlt sich ein bisschen wie der Wetteransager Phil Connors,
der in „Und täglich grüßt das Murmeltier“ in einer Zeitschleife
gefangen ist und immer und immer wieder den gleichen Tag erlebt.
Denn immer und immer wieder betonen Wikimedia Deutschland,
zahlreiche andere Organisationen und Akteur*innen: Wir brauchen
dringend ein Transparenzgesetz. Das ist breiter Konsens. Das
Transparenzgesetz und das Recht auf Open Data sind die wichtigsten
Datenvorhaben für diese Legislaturperiode. Doch sie stecken
irgendwo im BMI fest.
Im Bündnis Transparenzgesetz
engagieren wir uns mit neun weiteren Organisationen seit Jahren
dafür, dass die Bundesregierung endlich ein Bundestransparenzgesetz
verabschiedet. Zuletzt haben wir eine Petition gestartet, um
Politikschaffenden zu verdeutlichen, dass viele Menschen diese
Forderung unterstützen. Übergeben haben wir die Petition dann an
Akteur*innen aus dem verantwortlichen Ministerium und aus
Bundestagsausschüssen – hier etwa an Misbah Khan (Bündnis90/Die
Grünen und Mitglied im Digitalausschuss und im Ausschuss für
Inneres und Heimat, 2.v.l.) und Konstantin von Notz (Bündnis90/Die
Grünen, Mitglied im Ausschuss für Inneres und Heimat, 2.v.r.) Beide
befürworten ein Bundestransparenzgesetz. Foto: Mehr Demokratie e.V.
CC BY-SA 2.0
Dabei ist Transparenz nötig, damit staatliche Stellen
rechenschaftspflichtig bleiben. Sie ist eine notwendige
Voraussetzung, um Politik und Verwaltung in ihrem Handeln für die
breite Gesellschaft transparenter zu machen. Transparenz ist
außerdem ein Grundstein für eine effektive Verwaltung und eine
solide Dateninfrastruktur.
Bundesbehörden und Ministerien erheben und besitzen
Emissionsdaten, Geodaten, Haushaltsdaten, soziodemographische
Daten. Mobilitätsdaten und viele weitere mehr. Diese als Open Data
zur Nachnutzung verfügbar zu machen, hätte zwar auch einen
wirtschaftlichen Mehrwert. Offene Daten aus den Behörden und
Ministerien können aber vor allem eine Grundlage für eine
effizientere Verwaltung sein. Die bestehenden Transparenzgesetze
und Transparenzportale in Hamburg oder Rheinland-Pfalz
beispielsweise werden zu einem großen Teil von Behörden selbst
genutzt. Denn sie selbst gehören zu den größten Nutznießern der
Daten von anderen Verwaltungsteilen. Die Bereitstellung offener
Daten durch die Verwaltung nützt also auch den jeweils anderen
Behörden innerhalb der Verwaltung. Sie trägt dazu bei, dass
Prozesse effizienter werden. Die automatische Bereitstellung von
Linked Open Data sollte dabei das Zielbild sein, damit die Daten
möglichst verknüpft und barrierearm genutzt werden können. Eine
konsequent nach den anerkannten Regeln der Technik digitalisierte
Verwaltung schafft nicht nur die Grundlage für Vorhaben wie den
Onlinezugang zu Dienstleistungen, sondern sorgt dabei auch für
Transparenz und verknüpfbare Register.
Herzlichen Glückwunsch an Alice Wiegand! Sie wurde auf der
heutigen Mitgliederversammlung in Berlin mit 379 Stimmen in ihrem
Amt als Präsidiumsvorsitzende bestätigt. Alice Wiegand ist bereits
seit 2004 in der Wikipedia aktiv und hatte in den vergangenen zwei
Jahrzehnten unterschiedliche Wikimedia-Ämter inne, unter anderem im
Vorstand des Vereins sowie als Mitglied im Board of Trustees der
Wikimedia Foundation. Vor zwei Jahren wurde sie von den Mitgliedern
zur Vorsitzenden des Präsidiums ernannt.
Zur neuen Schatzmeisterin wählten die Mitglieder Friederike von
Borries. Die Beisitzer*innen des 9. Präsidiums sind Larissa Borck,
Valerie Mocker, Nora Circosta, Kamran Salimi und Jens Ohlig.
Außerdem wurden mit Axel Zehrfeld und Andreas Ettwig zwei der vier
Kassenprüfer*innen des Vereins neu gewählt.
Mitglieder diskutieren über
Zukunft von Wikimedia und Wikipedia
Vor der offiziellen Mitgliederversammlung fand in Berlin ein
offenes Austauschformat zur Zukunft von Wikimedia und den
Projekten, allen voran Wikipedia, statt. Rund 80 Mitglieder nahmen
daran teil. Dabei wurden insbesondere die Grundfragen des ersten
Wikipedia-Zukunftskongresses aufgegriffen, der vor zwei Wochen
in Nürnberg stattfand: Was soll sich verändern, was soll bleiben
und warum wollen wir weitermachen?
Bei dem Austausch kristallisierten sich mehrere Schwerpunkte
heraus. Einer davon ist der Wunsch, den Einstieg in die
Wikipedia-Arbeit für neue Freiwillige noch attraktiver zu
gestalten, beispielsweise durch niedrigschwellige und leichter
verständliche Onboarding-Angebote und eine offenere
Willkommenskultur.
Wie schon in Nürnberg spielte auch in Berlin die Frage nach dem
Umgang mit Künstlicher Intelligenz eine große Rolle. Unter den
Mitgliedern gab es bei diesem Thema von “gesunder Skepsis” bis hin
zu “Wir müssen viel verändern, um relevant zu bleiben” eine ganze
Bandbreite an Meinungen. Alle Ideen und Anregungen, wie
beispielsweise für ein eigenes KI-Programm, das ausschließlich mit
Daten aus Wikipedia und Wikidata arbeitet, wurden gesammelt und
werden jetzt aufbereitet. Auch auf der WikiCon im Oktober steht die
Frage nach der Zukunft der Wikipedia noch einmal im Fokus. Mitte
Oktober werden dann in einem Online-Format nächste Schritte
identifiziert, danach geht es an die konkrete Umsetzung der
Ideen.
Großes Fest zum 20.
Jubiläum
Am Vorabend der Mitgliederversammlung wurde das 20. Jubiläum von
Wikimedia Deutschland gebührend gefeiert. In der Geschäftsstelle
des Verein in Berlin kamen Mitarbeitende, Mitglieder, Spendende und
zahlreiche Wegbegleiter*innen zusammen. Einen Rückblick gibt es in
Kürze auf unserer Geburtstagsseite unter wikimedia.de/20jahre. Ein Besuch lohnt sich, die Seite
bietet viele Highlights, unter anderem eine Zeitreise durch die
vergangenen 20 Jahre mit spannenden Meilensteinen, Fotos und
Audioaufnahmen von Menschen, die live mit dabei waren. Außerdem
sind viele Glückwünschvideos zu sehen, unter anderem von
Wikipedia-Gründer Jimmy Wales.
Liebe Anwesende, wir haben uns heute hier versammelt, um Abschied
zu nehmen von einem Projekt, das die Welt des Wissens
revolutioniert hat. Abschied von einer Idee, die Millionen Menschen
inspiriert und zusammengebracht hat. Abschied von der
Wikipedia.
Elisabeth Mandl,
Kommunikationsmanagerin Neue Ehrenamtliche
Mit dieser Trauerrede eröffnet Moderatorin Elisabeth Mandl den
Wikipedia-Zukunftskongress. Natürlich eine satirische Zuspitzung –
Totgesagte leben bekanntlich länger! Wobei den Teilnehmenden des
ersten Wikipedia-Zukunftskongresses bewusst ist, dass sich die
Online-Enzyklopädie weiterentwickeln muss, um relevant zu bleiben.
Wie genau – das wurde drei Tage lang vor Ort in Nürnberg und online
diskutiert.
Post-enzyklopädischer
Schwanengesang: Der veränderte Umgang mit Wissen
Das Programm des Zukunftskongresses beschrieb drei zentrale
Herausforderungen für die Wikipedia: den veränderten Umgang mit
Wissen, den technischen Wandel sowie die Veränderung der
Community.
Zur Frage, wie sich unser Umgang mit Wissen verändert, hält
Chris Tedjasukmana, Professor für Alltagsmedien der Universität
Mainz, einen Vortrag unter dem Titel „Unordentliche
Wissenspraktiken“. Seine Kernthese: Wissen erscheint heute
fragmentiert und in allen möglichen Kontexten im digitalen Raum.
Tedjasukmana spricht von „post-enzyklopädischen Wissens-Kulturen“.
Das Konzept der Wikipedia, Wissen an einem festen Ort zu bündeln,
könnte dadurch überholt werden. Wikipedia-Inhalte stecken zwar
überall – sie sind Grundlage von KI-Anwendungen, Sprachassistenten
und TikTok-Videos – aber die Plattform selbst wird immer weniger
wahrgenommen.
Eine Prognose, die der Medientheoretiker Christian Pentzold auf
dem anschließenden Panel etwas entschärft: „Wenn neue Arten von
Medien auf der Bildfläche erscheinen und sich durchsetzen, heißt
das nicht zwangsläufig, dass alte Medienformen verschwinden. Ihnen
wird nur ein neuer Platz zugewiesen.“ Wikipedianerin
CaroFraTyskland gibt zu bedenken, dass mit sinkenden
Leser*innen-Zahlen auch die Motivation der Community sinken könnte,
sich weiter zu engagieren. Pentzold bleibt optimistisch: „Die
Wikipedia lebt und atmet – und bleibt allein dadurch relevant.“
Grüße aus dem Silicon Valley:
Der gegenwärtige technologische Wandel
Ein omnipräsentes Thema auf dem Kongress waren die
technologischen Entwicklungen rund um Künstliche Intelligenz (KI) –
auch im Eröffnungsvortrag des deutschen Informatikers Richard
Socher, der als KI-Koryphäe live aus dem Silicon Valley
zugeschaltet war. Socher, CEO von you.com, einem neuen
Chat-Suchassistenten, sprach über die Möglichkeiten moderner
Large Langue Models (LLMs), die
Antworten in Form von Texten, aber auch von Graphen oder Diagrammen
liefern können. Sein Vorschlag: ein LLM ausschließlich mit
Wikipedia-Daten zu programmieren, um möglichst präzise KI-Antworten
zu erhalten. Socher dankte abschließend den versammelten
Community-Mitgliedern für ihren großartigen Dienst „im Namen der
Menschheit“.
Theresa Züger, Leiterin der Nachwuchsforscher*innengruppe Public
Interest AI, gab einen Einblick in die Hintergründe von Künstlicher
Intelligenz und beleuchtete die Herausforderungen, die damit
einhergehen. Zum Beispiel Datenschutzprobleme, mangelnde
Transparenz oder die fehlende Trennschärfe zwischen KIs, die neues
Wissen generieren – und solchen, die lediglich vorhandenes Wissen
replizieren. Ihre Schlussfolgerung: Die Wikipedia werde eine
wichtige, vertrauenswürdige Wissensbasis bleiben, die von KI nicht
ersetzt werden kann.
Welche Rolle die Wikipedia selbst bei der Entwicklung von KI
spielt, darüber wurde auf dem Panel „Handschrift, Buchdruck, WWW –
und was kommt dann?“ diskutiert. Theresa Züger betont den Wert von
Wikipedia-Daten, die oft von großen Unternehmen genutzt würden,
ohne sich dafür erkenntlich zu zeigen. In welcher Form so eine
Gegenleistung erbracht werden könne, darüber werde gegenwärtig viel
diskutiert, so Franziska Heine, Vorständin von Wikimedia
Deutschland.
Einig waren sich die Panelist*innen darin, dass es
interdisziplinäre Teams braucht, die Bias in KI-generierten Daten
erkennen. Und dass Tools zur Unterstützung der Wikipedia-Community
entwickelt werden müssten, die beispielsweise beim Faktencheck und
der Bekämpfung von Vandalismus unterstützen.
Spread more WikiLove: Community
quo vadis?
Für Online-Communitys und ihre Dynamiken ist der
Kulturwissenschaftler Daniel Sigge ein Experte. Auf dem
Zukunftskongress gibt er Einblicke in die Entstehungsgeschichte
dieses sozial-digitalen Phänomens und stellt ein
Lebenszyklus-Modell von Communitys in verschiedenen Phasen ihres
Bestehens vor. Sigges konkrete Empfehlungen für eine neue Strategie
der Wikipedia-Community: sich von der Vergangenheit zu lösen, an
der Gegenwart zu orientieren und spielerisch auf das zu
konzentrieren, was kommt.
Jan Krewer, Senior Policy Analyst bei Open Future, rät der
Wikipedia-Community auf dem anschließenden Panel ebenfalls, sich
von den Anfängen als sozial-politische Bewegung zu emanzipieren und
über die Online-Enzyklopädie aktuelle Themen zu besetzen,
beispielsweise mehr Expert*innenwissen zur Klimakrise einzubinden.
Wikipedianerin DomenikaBo regt an, sich auch auf technischem Gebiet
neuen Trends zu öffnen. Zum Beispiel könne die Wikipedia-App so
weiterentwickelt werden, dass sich Bearbeitungen leichter auf dem
Smartphone durchführen lassen.
Zur Frage, wie sich Wachstum und Diversität der Community
fördern ließen, gibt Sigge zu bedenken, vielen Lesenden sei noch
immer nicht klar, dass Wikipedia ein Mitmach-Projekt ist. Aus dem
Publikum wird angemerkt, die deutsche Wikipedia-Community sei
tendenziell streng gegenüber Wandel und Neulingen und tendiere dazu
„Burgen zu bauen“. Deshalb wären eine offene Willkommenskultur und
das Motto „Spread more Wikilove“ ein guter Ansatz für die Zukunft,
findet DomenikaBo.
To-do-Liste für die Zukunft der
Wikipedia
Alice Wiegand, Vorsitzende des deutschen Wikimedia-Präsidiums,
ermuntert die Community nach intensiver dreitägiger Diskussion
schließlich, die vielen Impulse auch wirklich zu nutzen.
Entsprechend wurden in drei Online- und vier Präsenz-Workshops
konkrete Fragen ausgehandelt. Zum Beispiel: Welche Veränderungen
sind gewünscht – und was an der Wikipedia soll beim Alten
bleiben?
Einigkeit besteht darin, dass die deutschsprachige Wikipedia im
Kern genau die hochwertige freie Enzyklopädie mit einer
leidenschaftlichen Community bleiben soll, die sie ist.
Demgegenüber stehen viele Ideen für Veränderungen, die in
verschiedenen Workshops am letzten Tag des Zukunftskongresses
gesammelt wurden – und die viele Impulse aus den Keynotes und
Panels wieder aufgriffen: KI-Tools etwa könnten gerade
Neu-Autor*innen den Einstieg in die Wikipedia-Arbeit erleichtern,
Übersetzungen von Texten in andere Sprachversionen erstellen,
Schaubilder erzeugen oder auch helfen, Wikipedia-Versionen in
einfacher Sprache zu erstellen, ohne dabei den Menschen überflüssig
zu machen, der die Informationen verlässlich aufbereitet.
Viele der Teilnehmenden wünschen sich auch, dass mehr
marginalisiertes Wissen und diversere Perspektiven Eingang in die
Wikipedia finden. Die Wikipedia stärker mit der Gesellschaft zu
verbinden, sich stärker mit Menschen und Organisationen zu
vernetzen, die als Expert*innen Wissen zu den verschiedensten
Feldern beitragen können, ist ein weiterer Punkt, der unter der
Leitfrage „Was wollen wir unbedingt ändern?“ mehrfach genannt
wurde. Außerdem sollen Lesende der Wikipedia in alle Überlegungen
stärker mit einbezogen werden und das Vertrauen innerhalb der
Community, aber auch zwischen der Wikipedia-Community und Wikimedia
soll gestärkt werden.
All diese Punkte werden von der Community und Wikimedia
Deutschland in den kommenden Monaten weiter diskutiert, unter
anderem bei der Wikimedia-Mitgliederversammlung im Juni und auf der
WikiCon im Oktober. Mitte Oktober werden dann in einem
Online-Format nächste Schritte identifiziert. Danach geht es an die
konkrete Umsetzung der Ideen.
Klar wird bei all dem: Die Wikipedia lebt – und sämtliche ihrer
Mitstreiter*innen sind bereit für den Aufbruch in die Zukunft!
Im Vorfeld des Zukunftskongresses haben wir Menschen aus der
Netzwelt nach ihrer Vision für die Wikipedia der Zukunft
gefragt:
Wer den Zukunftskongress in voller Länge oder einzelne Beiträge
und Panels komplett nachverfolgen möchte, findet ab dem 21.6. die
Ergebnisse und die Aufzeichnungen hier:
Verantwortlich für die Ausarbeitung des Gesetzes ist das
Bundesinnenministerium. Das hat bisher jedoch keinen
Referentenentwurf vorgelegt. Doch wenn es vor dem Ende der
Legislatur noch etwas werden soll mit dem Gesetz, dann ist jetzt
Eile geboten. Und 51.582 Unterschriften, die bis zum
Ende der Petition im Juni zusammen kamen, sprechen eine klare
Sprache: Neben den Partnerorganisationen im „Bündnis Transparenzgesetz“ fordern viele Menschen,
dass die Bundesregierung endlich das im Koalitionsvertrag
angekündigte Bundestransprenzgesetz realisiert. Alleine in der
ersten Woche nach Veröffentlichung unterzeichneten über 20.000
Menschen unseren Aufruf bei openPetition.
Die Petition haben wir nun an Abgeordnete von SPD, Grünen und
FDP übergeben. Das Ziel: Sie sollen uns dabei unterstützen, den
Druck auf das zuständige Ministerium zu erhöhen.
Auch Anna Kassautzki (SPD,
Stellvertretende Vorsitzende im Ausschuss für Digitales, 3.v.l.)
und Carmen Wegge (SPD, Mitglied im Ausschuss für Inneres und im
Rechtsausschuss, 3.v.r.) nahmen unsere Petition für ein
Bundestransparenzgesetz entgegen. Foto: Mehr Demokratie e.V. CC
BY-SA 2.0
Was bringt ein
Transparenzgesetz?
Für Bürger und Bürgerinnen, die an dem Wissen teilhaben wollen,
das Ministerien beauftragen oder selbst erstellen, erleichtert ein
solches Gesetz den Zugang. Sofern geregelt ist, dass diese
Informationen proaktiv und digital zur Verfügung gestellt werden
müssen. Dazu gehört auch, dass möglichst wenige Ausnahmen im Gesetz
definiert werden. Dort, wo Informationen nicht frei und digital
zugänglich sind, muss zumindest deren Beantragung einfach und
kostenfrei möglich sein und die Beantwortung schnell erfolgen.
Im Bündnis setzen wir uns daher dafür ein,
dass Verträge über 100.000 EUR, Gutachten und Studien sowie
Subventionszahlungen aktiv offengelegt werden. Dabei mögen nicht
alle Gutachten für alle Bürger und Bürgerinnen relevant sein. Doch
in den über 700 Studien und Gutachten,
die nur in den ersten zwei Jahren der aktuellen Legislatur von
Bundesbehörden und Ministerien in Auftrag gegeben wurden,
schlummert viel Wissen.
Für Journalistinnen und Journalisten bedeutet ein
Transparenzgesetz, dass sie leichter Zugang zu Informationen über
ministerielle Vorgänge, Abstimmungen in Behörden oder Verträge mit
externen Dienstleistenden erhalten. Das erleichtert journalistische
Recherchen, die das Handeln von Behörden für die Öffentlichkeit
nachvollziehbar machen, aber auch die Kontrolle staatlichen
Handelns durch die vierte Gewalt.
Erste Auswertungen von Transparenzgesetzen
in einzelnen Bundesländern zeigen auch: Das Vertrauen in
staatliche Instanzen steigt dort, wo diese offenlegen, wie sie
arbeiten und ihr Wissen teilen. Und auch die Verwaltungen selbst –
die oft behaupten, Transparenzgesetze bedeuten für sie einfach nur
mehr Arbeit – können profitieren. Die Evaluation des
Transparenzgesetzes in Hamburg hat gezeigt, dass ein großer Teil
der Anfragen auf dem Transparenzportal von Behörden selbst stammt.
Der Informationsfluss zwischen öffentlichen Stellen wird also
besser. Die Erhebungen aus Hamburg und auch aus Rheinland-Pfalz
weisen darauf hin, dass mehr Transparenz Behörden keinesfalls
hemmt, sondern sogar effizienter machen kann.
Und auch freie Wissensprojekte wie die Wikipedia können von
einem Bundestransparenzgesetz profitieren. Denn immer wieder geben
Bundesbehörden oder Ministerien Studien oder Gutachten in Auftrag.
Sie produzieren also Wissen. Sofern dies öffentlich zugänglich ist,
kann es auch Eingang in enzyklopädische Artikel finden.
Nun ist es am Bundesinnenministerium, endlich einen Entwurf
vorzulegen, damit dieser auch öffentlich diskutiert werden kann.
Einen eigenen Entwurf hat das Bündnis Transparenzgesetz bereits
2022 vorgelegt. Wie dringend eine Umsetzung des Vorhabens ist, hat
die gemeinsame Petition noch einmal verdeutlicht.
Wir stellen uns das Internet als einen vernetzten öffentlichen
Raum vor, in dem Menschen aus aller Welt miteinander kommunizieren,
Informationen und Wissen austauschen und gemeinsam Entscheidungen
treffen können. Wir sind davon überzeugt, dass die Vision eines
offenen, freien, verlässlichen und sicheren Internets mit
innovativen Entwicklungen, die reale gesellschaftliche Bedürfnisse
befriedigen, nur gelingen kann, wenn sich der politische Fokus dem
Gemeinwohl widmet. Daher muss die EU zwingend demokratische
Strukturen, digitale Gemeingüter und die Rechte der
Internetnutzenden fördern und bewahren.
Gesetze gut umsetzen
Die Europäische Union hat in den letzten fünf Jahren wichtige
Regelsetzungen in der Digitalpolitik verabschiedet. Der Macht von
Big Tech und schrankenlosen profitorientierten Interessen wurden
mit dem Digital Services Act (DSA), dem AI Act und dem Digital
Markets Act wichtige Grenzen gesetzt. Diese Gesetze gilt es nun
konsequent umzusetzen. Mit dem DSA wollen die europäischen
Gesetzgebenden dafür sorgen, dass sich jeder Mensch im Netz freier
und ohne von Hass bedroht zu sein, bewegen kann. Dafür müssen
Plattformen den Nutzenden bessere Beschwerdemöglichkeiten geben,
wenn die ihre Recht auf einer Plattform verletzt sehen. In jedem
Mitgliedsland der EU muss nun ein nationaler Koordinator für solche
Beschwerden benannt sein – der sogenannte Digital Services
Coordinator. Wir möchten sicherstellen, dass dieser Koordinator
nicht nur auf dem Papier existiert, sondern auch ausreichend viele
Mittel und personelle Ressourcen erhält, um Beschwerden auch
wirksam entgegennehmen und bearbeiten zu können.
Gemeinwohlorientierte Projekte
fördern
Digitale Gemeingüter, eine öffentliche digitale Infrastruktur
und frei zugängliche und nutzbare Daten sollten als Grundpfeiler
eines europäischen gemeinwohlorientierten öffentlichen digitalen
Raumes substantiell gestärkt werden. Denn dezentralisierte,
durch Gemeinschaften getragene und nicht-kommerzielle Projekte wie
Wikipedia, Open Access, OpenStreetMap, Blender.org, die
Programmiersprache Python und unzählige freie Software-Projekte
vermehren Wissen oder stellen Anwendungen bereit, die der
Gemeinschaft zur Verfügung stehen. Diese digitalen Gemeingüter
tragen dazu bei, dass Internetnutzende nicht vollkommen von
kommerziellen Produkten abhängig sind. Da diese Projekte nicht auf
Profitorientierung angelegt sind, können sie den realen Nutzen in
den Vordergrund stellen – statt beispielsweise die Verweildauer von
Nutzenden zu verlängern, indem sie Algorithmen einsetzen, die
besonders polarisierende Inhalte bevorzugen. Darüber hinaus
basieren diese Gemeinschaftsprojekte auf internen
Aushandlungsprozessen, die in der Regel demokratisch ausgestaltet
sind. Dadurch tragen sie dazu bei, Menschen zusammenzubringen und
eine gesunde Gemeinschaft zu stiften. Wikimedia Deutschland als
eine Bewegung, die erfolgreich gemeinschaftsgetragene Projekte
unterstützt, bietet an, zukünftige Gesetzesvorhaben mit einem
„Wikipedia-Test“ daraufhin zu prüfen, welchen Effekt sie auf
solche Projekte haben werden .
Öffentliche digitale
Infrastruktur fördern
Viele der genannten Initiativen und andere ehrenamtliche
Digitalprojekte die ihren Quellcode offenlegen, also Open Source
sind, und die teilweise als Freizeitbeschäftigung begannen, sind
inzwischen unersetzlich in digitalen, öffentlichen und
privatwirtschaftliche Anwendungen. In einer Statista Umfrage von
2024 gaben 69% der befragten Unternehmen an, dass sie Open Source
Software verwenden. Sie sind deswegen Teil einer digitalen
Infrastruktur, zu der auch Rechenkapazitäten, Übertragungstechnik
und Daten gehören.
Die Europäische Union sollte vermehrt darauf achten, dass
zentrale digitale Strukturen und Plattformen nicht von wenigen
kommerziellen Monopolen dominiert werden, die mit Suchmaschinen,
App Stores oder elektronischen Zahlungssystemen ihre Dienste
verkaufen. Investitionen in eine öffentliche digitale
Infrastruktur unterstützen den Zugang zu Freiem Wissen. Der
Zugang zu Mobilitätsdaten verschiedener Anbieter ermöglicht es
Menschen, die ehrenamtlich kostenlose Mobilitäsanwendungen
entwickeln, Fahrpläne für alle Verkehrsträger bereitzustellen. Die
EU sollte eine derartige öffentliche Infrastruktur unterstützen,
indem sie öffentlichen Einrichtungen die Arbeit mit offener
Software und offenen Daten vorschreibt – oder zumindest selbst
damit arbeitet und so auch selbst zu einem Teil der Community wird,
die sich an der Pflege und Weiterentwicklung beteiligt. Weiterhin
sollte sie Anreize zur Beteiligung zu setzen und Hindernisse wie
langsame Rechenkapazitäten zu vermeiden. Das Design solcher
Infrastrukturen in Open Source erlaubt transparente, dezentrale
Verwaltung und Aufsicht. Eine solche Transparenz unterstützt das
Vertrauen in Netze und Anwendungen und damit die Beteiligung auch
an Projekten des Freien Wissens.
Eine wichtige Maßnahme ist zudem, die Hürden für den Zugang zu
Daten und Information zu beseitigen. Konkret sollte beispielsweise
das öffentliche Interesse in der Richtlinie über audiovisuelle
Mediendienste (AVMD Richtlinie) stärker beachtet werden.
Millionen Europäer betrachten Inhalte online auf verschiedenen
mobilen Geräten. Je nach Herkunftsland können Inhalte gesehen oder
nicht gesehen oder abgerufen werden. Denn während die EU in
vielerlei Hinsicht einen digitalen Binnenmarkt hat, gibt es im
Bereich der audiovisuellen und urheberrechtlich geschützten Inhalte
Ausnahmen. Diese machen es oft unmöglich, Inhalte von
öffentlich-rechtlichen Sendern in anderen EU-Ländern anzusehen oder
zu teilen, auch für Wissensprojekte wie Wikipedia. Dieser
Flickenteppich schadet der Informationsfreiheit und dem Austausch
von Wissen auf europäischer Ebene. Das Geoblocking
öffentlich-rechtlicher Inhalte sollte daher innerhalb der EU so
weit wie möglich aufgehoben werden.
Digitales Ehrenamt ist ein
gesamt-europäisches Phänomen. Bei diesem Edit-a-thon in Warschau
tragen polnische Wikipedianer*innen zu mehr Wissen über das Thema
„Art + Feminism“ in der polnischsprachigen Wikipedia bei. Foto:
Laura Jerzak, Edyton Art+Feminism 15, CC BY-SA 4.0
Ehrenamtliche
Fördern
Digitale Gemeingüter und nichtkommerzielle Gemeinschaften werden
überwiegend von Ehrenamtlichen getragen. Diese Menschen widmen ihre
Zeit, Energie und Kreativität dem Ziel, Probleme zu lösen und
Leerstellen zu füllen, die sie sehen, und so effektiv die Welt
besser zu machen. Die Videokonferenzanwendung BigBlueButton etwa
entstand während Corona aus dem Wunsch, für Schulkinder eine
einfach nutzbare, aber gleichzeitig datensparsame Möglichkeit für
Unterricht zu Hause anzubieten.
Allerdings brauchen auch Ehrenamtliche ab einem gewissen Punkt
finanzielle Förderung, damit sie sich angemessen um die Pflege der
Software oder einen ausreichend großen Server kümmern können. Denn
genau so wie kommerzielle, lizenzpflichtige Software regelmäßige
Sicherheitsupdates braucht oder eine verbesserte
Nutzendenoberfläche, muss auch eine Open Source Software
kontinuierlich gepflegt und angepasst werden – auch, um im
Wettbewerb gegen gut designte proprietäre Lösungen bestehen zu
können.
Darüber hinaus sollten ehrenamtliche gemeinwohlorientierte
Communitys durch aktiven Austausch mit EU Ebenen gefördert werden.
Eine verbindliche Zivilgesellschaft-Quote in Beratungsgremien und
bei der Ausarbeitung von Gesetzesvorschlägen sollte eingeführt
und damit echte Mitgestaltung ermöglicht werden. Dabei braucht es
ausreichend lange Fristen für Konsultationen für
zivilgesellschaftliche Akteure, da diese in der Regel ihre
Expertise neben einer hauptberuflichen Beschäftigung einbringen.
Arbeitsaufwände etwa für Anhörungs- und Beratungsverfahren sollten
finanziell angemessen kompensiert werden. Kooperationen, aber auch
die finanzielle Unterstützung von Netzwerken und Initiativen etwa
durch Steuererleichterungen oder die Ermöglichung regulärer Treffen
durch finanzielle Unterstützung von Community-Konferenzen gehören
dazu.
Letztlich muss sich die EU konsequent für das Recht auf
Anonymität und Verschlüsselung einsetzen. Damit das Internet
ein Raum bleibt, in dem sich jede Person frei bewegen kann und
keine Angst haben muss, für die Mitarbeit an einem
Community-Projekt, eine Meinung oder Publikation bestraft zu
werden, fordern wir schon lange das Recht auf Anonymität und
Verschlüsselung. Gerade angesichts der menschenrechtsfeindlichen
Tendenzen überall in Europa erhalten diese Forderungen neues
Gewicht.
Eine neue Ära des freien
Wissens
Zugang zu Wissen ist eine zentrale Bedingung für einen
demokratische Diskurs, denn dieser lebt von informierten Menschen.
Öffentliche Büchereien, Museen oder Universitäten – die ihre
Bestände und Forschungsergebnisse zunehmend digitalisieren –
pflegen und bewahren Wissen. Wir brauchen aber auch freien Zugang
zu diesem Wissen – im Digitalen wie im Analogen. Davon profitieren
wir als Bürger und Bürgerinnen, aber auch Wissensprojekte wie die
Wikipedia. Damit freie Wissensprojekte, aber auch die
Bibliotheksnutzenden, Museumsbesuchende oder Forschenden in Europa,
Zugang zu mehr Wissen erhalten, fordern wir die EU auf, einen
Digital Knowledge Act zu erlassen.
Welche Hürden hindern traditionelle Institutionen des Wissens
daran, ihren öffentlichen Auftrag zu erfüllen und noch mehr
Menschen digital Zugang zu Bildung und Wissen zu gewähren?
Wissenschaftliche Forschung, die mit EU-Fördergeld aus den
Horizon Europe Programmen finanziert wurde, verschwindet hinter
Bezahlschranken, anstatt für alle und ohne Hürden zur Verfügung zu
stehen. Öffentliche Büchereien würden gerne ihre E-Bücher zu
denselben Bedingungen verleihen wie ihre gedruckten Materialien.
Aber Verlage stellen oft nur Teile Ihrer Neuerscheinungen als
E-Ausgaben zur Verfügung, nicht zur Veröffentlichungszeit oder
stellen andere Bedingungen der Restriktion.Wikipedianer*innen, die
Artikel auf einen neuen Wissensstand bringen wollen, können dadurch
nicht zeitnah auf alle verfügbaren Wissensquellen zugreifen.
Offizielle Werke, öffentlich in Auftrag gegebene Studien und
anonymisierte Gerichtsurteile müssen endlich öffentlich und digital
zugänglich werden: Derzeit sind diese Dokumente kaum oder gar nicht
zugänglich, obwohl sie mit öffentlichen Geldern finanziert
wurden.
Und auch Hürden, die sich aus Teilen des Urheberrechts oder des
Datenbankrechts ergeben, sollten die europäischen Gesetzgebenden
einreißen.
1⃣ Stand mit den 4⃣ Partnerorganisationen aus dem Bündnis F5⃣
und 1⃣2⃣ Meetups und Talks sowie 7⃣ Sessions im
Hauptprogramm und viele Gespräche mit den Menschen, die uns auf der
re:publica am Stand besucht oder zu unseren Sessions
gekommen sind. Das ist der kurze und knackige Rückblick auf
die re:publica vom 27. bis 29. Mai 2024. Danke für Ihre
Aufmerksamkeit! Ob es ausführlicher geht? Aber klar!
Der F5 Stand: Coole Menschen,
coole Sticker und viel Austausch
Einen Ort für den Austausch zu aktuellen digitalpolitischen
Themen mit einem klaren Fokus auf die Frage: Wie können wir
gemeinwohlorientiert ein sicheres, freies und offenes Internet für
alle gestalten? Das sollte der gemeinsame Stand mit Reporter ohne
Grenzen, der Open Knowledge Foundation Deutschland, AlgorithmWatch
und der Gesellschaft für Freiheitsrechte bei der re:publica 2024
bieten. Die vier Organisationen bilden mit uns das
zivilgesellschaftliche Digital-Bündnis F5. Dass der Plan
aufging, haben die vielen Besuche von und Diskussionen mit
digitalen Akteur*innen aus Politik und Zivilgesellschaft deutlich
gezeigt.
Zahlreiche
Digitalpolitiker*innen haben uns am Stand besucht, um sich zu den
Themen auszutauschen, die die Partnerorganisationen im Büdnis F5
bearbeiten: Von Freiheitsrechten im Netz über algorithmische
Diskriminierung bis hin zu offenen Daten und communitygetriebenen
Plattformen. Sabine Grützmacher, Bildungsinformatikerin und für die
Grünen im Bundestag, diskutiert hier mit Mitgliedern aus dem
Bündnis F5.
Ebenso gut
gelaunt wie seine Parteikollegin: Tobias Bacherle,
Bundestagsabgeordneter und Mitglied im Digitalausschuss des
Bundestages, zu Besuch am Stand.
Die
Digitalpolitikerin Anna Kassautzki (SPD), die sich für die
Förderung eines Open Source Ökosystems einsetzt, im Gespräch mit
Malte Spitz und Kai Dittmann von der Gesellschaft für
Freiheitsrechte.
Die
Bundesvorsitzende der SPD, Saskia Esken (2.v.r.), nimmt die
gemeinsamen Forderungen des Bündnis F5 für eine
gemeinwohlorientierte Digitalpolitik entgegen. Die Parteien und
Kandidaten, die sich dieses Jahr zur Wahl für Europa stellen, haben
die Publikation bereits vor der re:publica erhalten.
Ebenfalls
für einen Austausch vorbeigeschaut hat die ehemalige
Justizministerin und heutige Antisemitismusbeauftragte des Landes
Nordrhein-Westfalen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (r.), hier
im Gespräch mit Franziska Heine, der Geschäftsführenden Vorstädin
von Wikimedia Deutschland, die außerdem …
… Steffi
Lemke, die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare
Sicherheit und Verbraucherschutz am Stand willkommen heißen
konnte.
Ilja Braun
von Reporter ohne Grenzen mit der Juristin und
Menschenrechtsaktivistin Stella Assange. Die Frau von Julian
Assange kämpft seit Jahren für die Freilassung des
WikiLeaks-Gründers.
Die
ehemalige Digitalministerin Taiwans und Hackerin Audrey Tang (r.)
und Glen Weyl (Mitte), Ökonom und Forscher bei Microsoft Research,
haben gemeinsam das Buch „Plurality: The Future of Collaborative
Technology and Democracy“ geschrieben. Zu diesem Thema haben die
beiden mit Besucher*innen an unserem Stand diskutiert.
Alle
Partnerorganisationen des Bündnis F5 haben verschiedene
Publikationen mitgebracht, in denen sie über ihre Arbeit
informieren. – wie das Forderungspapier zur Förderung des digitalen
Ehrenamts von Wikimedia Deutschland. Außerdem gab es natürlich
Sticker, Jutebeutel und andere Kleinigkeiten am gemeinsamen
Stand.
Weil die
zahlreichen Sticker („Wikipedia, das erklärt einiges“ oder
„Knowledge ist human“) und Publikationen bei vielen Besucher*innen
auf Interesse stießen …
… mussten
wir am Stand immer wieder Publikationen nachfüllen…
Besonders
beliebt war der Sticker mit der Aufschrift „Wikipedia – das erklärt
einiges“
Worüber
Stefan Kaufmann (l.), Referent für Politik und öffentlicher Sektor,
und John Hendrik Weitzmann, ehemaliger Justiziar von Wikimedia
Deutschland, sich hier unterhalten, kann nur gemutmaßt werden.
Vermutlich irgendwas mit offenen Daten und freien Lizenzen. Denn
dazu konnte man Stefan bei einem Meetup am letzten Tag der
re:publica am Stand befragen.
Lillie Iliev
(mit Mikro), Leiterin des Teams Politik und öffentlicher Sektor,
und Friederike von Franqué, (links davon) Referentin für EU und
internationale Regelsetzung, sprachen am Stand darüber, warum die
Wikipedia wenig Probleme mit Desinformationen hat – anders als die
Plattformen der Tech Giganten.
Unsere Sessions: Von KI in der
Bildung bis Care-Work für Software
Zum ersten Mal seit 2019 fand die re:publica in diesem Jahr
wieder in der Station Berlin statt. Mit dem ehemaligen Postbahnhof
in Berlin-Kreuzberg sind besonders viele re:publica Erinnerungen
verbunden. Denn seit 2012 hatte das Festival dort
stattgefunden. Auf neun Bühnen, in vier Workshopräumen sowie
zwei Lightning-Boxen und im Atrium fand das Hauptprogramm statt.
Wikimedia Deutschland war mit sieben Sessions dabei. Alle unsere
Sessions im Überblick
finden Sie hier
Bei der
Session „Warum wir eine offene KI für die Bildung fordern“
lieferten sich die offene KI (links im Bild) und die geschlossene
KI (rechts im Bild) einen Schlagaubtausch – und bezogen das
Publikum in die Debatte mit ein. Gewonnen hat am Ende die offene
KI. Mit den zehn Handlungsempfehlungen zum Einsatz von KI in der
Bildung hat Wikimedia Deutschland eine Debatte zum Thema
angestoßen.
Um das
Förderprogramm re*shape ging es bei der Session „Opening up with
care: Wie marginalisiertes Wissen frei und sicher geöffnet werden
kann“ Riham Abed-Ali, die Projektmanagerin des Programms von
Wikimedia Deutschland, diskutierte mit Teilnehmenden des Programms:
Llanquiray Painemal (r.) ist eine chilenische
Menschenrechtsaktivistin in Deutschland und Christopher A. Nixon
(2. v.r.) ist Professor für Soziale Ungleichheit und Sozialpolitik
an der Hochschule RheinMain. Hajdi Barz wiederum ist
Gründungsmitglied des feministischen Romnja* Archiv, RomaniPhen
e.V.
Careless
whisper or voice of the future: Europäische Digitalpolitik: Unter
diesem Titel diskutierte unsere Geschäftsführende Vorständin
Franziska Heine (r.) mit dem Ex-Europaabgeordneter Felix Reda
(Mitte) und dem Europa-Abgeordneten Sergey Lagodinsky. (l.) Sie
spannten den Bogen von der digitalen Bubble bis nach Brüssel und
sprachen über die heißen Digitalthemen zur anstehenden
Europawahl.
Mit dem
Global Digital Compact will die UN Leitlinien für ein sicheres,
freies Internet festlegen. Weil Wikimedia Deutschland sich mit
zivilgesellschaftlichen Akteur*innen in den Prozess eingebracht
hat, haben wir auf der re:publica zur Diskussion gestellt „Who
cares about international digital policy? What do we expect from
the UN Global Digital Compact 2024“
Re:publica verpasst? Zahlreiche Sessions, so auch die Diskussion
über europäische Digitialpolitik mit Franziska Heine, wurden per
Video oder Audio aufgezeichnet. Zu finden sind sie hier.
Erstmals konnten Wählende den Digital-O-Mat zur Landtagswahl
2017 in Nordrhein-Westfalen nutzen. Die Menschen in Deutschlands
bevölkerungsreichstem Bundesland konnten damit Abweichungen und
Übereinstimmungen zwischen den eigenen Positionen und denen der
Parteien überprüfen. Im Gegensatz zum Wahl-O-Mat liegt der Fokus
auf Fragen rund um Digitales und Freies Wissen.
Jeder Digital-O-Mat ist
anders
Zu welchen Fragen Wählende im jeweiligen Digital-O-Mat die
Positionen der Parteien mit den eigenen abgleichen können, hängt
von mehreren Faktoren ab: Welche Aspekte rund um Freiheit und
Sicherheit im Digitalen, freien Zugang zu Wissen sowie digitale
Bildung oder Infrastruktur werden in der kommenden Legislatur
wahrscheinlich geregelt – oder sollten aus Sicht der am Wahl-O-Mat
beteiligten Organisationen geregelt werden? Und welche
Regelungskompetenzen und -bedarfe bestehen auf der Ebene von
Ländern, Bund und EU. Vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen
2017 haben wir die Parteipositionen zu acht Themen mit Digitalbezug
erhoben. Dazu gehörten unter anderem Bildung und offene
Lernmaterialien, Sicherheit und digitale Überwachung, freier
Internetzugang oder die offene, digitale Nutzung von Daten aus
Kommunal- und Landesverwaltungen. Auch 2018 zu den
Landtagswahlen in Hessen und Bayern und zur Bundestagswahl 2021 gab es
Digital-O-Maten.
Auch vor 2017 hat Wikimedia Deutschland Parteien vor Wahlen zu
ihren netzpolitischen Positionen und Vorhaben befragt.
2011 etwa haben wir alle Parteien, die zur Berliner
Abgeordnetenhauswahl angetreten sind, mit 30 Fragen rund um
offene Verwaltungsdaten, freie Lizenzen, Internetzugang und Open
Source Software konfrontiert. Die Antworten konnten Wählende
im Wiki nachlesen und so mit den eigenen Positionen abgleichen.
Vor der anstehenden Europawahl in diesem Jahr sind hingegen ganz
andere Themen relevant. Mit dem aktuellen Wahl-O-Mat kann man überprüfen, wie es mit
den Positionen der Parteien zu Themen wie KI-basierter
biometrischer Erfassung von Menschen im öffentlichen Raum,
Chatkontrolle, elektronische Identitäten und die Frage, ob Europol
künftig Daten mit Unternehmen und nicht-europäischen Drittstaaten
austauschen dürfen soll.
„Auf EU-Ebene werden die wichtigsten gesetzlichen
Weichenstellungen vorgenommen, die dann auf nationaler Ebene
umgesetzt werden. Gesetzgebung zu digitalen Themen aus Brüssel
betrifft ehrenamtliche Projekte wie die Wikipedia ebenso wie den
digitalen Alltag von uns allen. Denn auf EU-Ebene werden Gesetze
zur Plattformregulierung, zum Umgang mit Gesundheitsdaten oder zur
Nutzung sogenannter Künstlicher Intelligenz gemacht.“ Lilli
Iliev, Leiterin des Teams Politik und öffentlicher Sektor bei
Wikimedia Deutschland.
Vorgänger des Wahl-O-Mat: Die
Wahlprüfsteine
Auch vor 2017 hat Wikimedia Deutschland Parteien vor Wahlen zu
ihren netzpolitischen Positionen und Vorhaben befragt.
2011 etwa haben wir alle Parteien, die zur Berliner
Abgeordnetenhauswahl angetreten sind, mit 30 Fragen rund um
offene Verwaltungsdaten, freie Lizenzen, Internetzugang und Open
Source Software konfrontiert. Die Antworten konnten Wählende
im Wiki nachlesen und so mit den eigenen Positionen abgleichen.
Sogenannte Wahlprüfsteine haben in Deutschland eine lange Tradition.
Interessenverbände haben sie häufig vor Wahlen erstellt, um ihre
Mitglieder darüber zu informieren, wie Parteien sich zu Fragen
positionieren, die für sie besonders relevant sind. Der Deutsche
Geerkschaftsbund (DGB) hat die Wahlprüfsteine bereits in den 50er
Jahren eingeführt. Vom Bundesverband für Motorradfahrer über den
Deutschen Familien-Verband, den Bund der Steuerzahler bis hin zum
Lesben- und Schwulenverband gibt es zahlreiche Interessengruppe,
die dieses Instrument genutzt haben, um Wahlempfehlungen für die
Mitglieder oder Anhängerschaft zu erstellen.
So kommen die Positionen der
Parteien in den Digital-O-Mat
Nach der Auswahl der Themen ging es an die Recherche zu den
Positionen der Parteien. Dafür haben die Organisationen, die den
Digital-O-Mat gemeinsam entwickelt haben, zunächst bei den Parteien
nachgefragt. Und zwar bei denen, deren Einzug in das jeweilige
Parlament sicher oder sehr wahrscheinlich war. Wer zunächst nicht
geantwortet hat, wurde freundlich erinnert! Die Aussagen zu
verschiedenen Themen sollten die Parteien belegen: mit
Parteibeschlüssen, vergangenem Abstimmungsbehalten, Wahlprogrammen
oder Ähnlichem.
Blieben Antworten ganz aus und konnten wir auch keine Belege für
eindeutige Positionen finden, haben wir bei dem jeweiligen Thema
eine neutrale Haltung angenommen. Menschen, die den Digital-O-Mat
nutzen, können in der Auswertung dann detaillierte Informationen zu
den Parteipositionen finden. Der Digital-O-Mat spuckt also nicht
nur Ergebnisse aus, er legt auch offen, welche Inhalte dahinter
stehen.
Wer hat’s erfunden – und
warum?
Über die Jahre haben sich verschiedene Vereine aus der digitalen
Zivilgesellschaft als “Koalition Freies Wissen” daran beteiligt, zu
verschiedenen Wahlen Digital-O-Maten zu erstellen. Die
Ursprungsversion haben neben Wikimedia Deutschland sechs weitere
Vereine erarbeitet:
die Bewegung für freie Infrastrukturen und offene
Funkfrequenzen Freifunk,
Sie alle verbindet das Engagement für netzpolitische Themen. Sie
eint dabei, dass sie sich für die Durchsetzung von Freiheits- und
Bürgerrechten im digitalen Raum und für den freien Zugang zu
Wissen, Daten und Software einsetzen – mit unterschiedlichen
Schwerpunkten und Mitteln. Wir alle haben uns in unterschiedlicher
Form an dem Projekt Digital-O-Mat beteiligt: Mit Zeit, finanzieller
Unterstützung, Programmierexpertise und Code sowie mit Input dazu,
zu welchen digitalpolitischen Themen die Parteien jeweils nach
Positionen gefragt werden sollten – welche Themen aktuell sind und
welche uns als Internetnutzende besonders betreffen.
Bei der Auswahl der Themen für den Digital-O-Mat haben die sehr
unterschiedlichen Expertisen der Vereine und Bündnisse geholfen,
die an dem Projekt beteiligt waren und sind. Sie haben vor den
Landtags-, Bundestags-,und Europawahlen analysiert, in welchen
Politikfeldern und bei welchen anstehenden Gesetzesvorhaben ein
Digitalbezug da ist.
Die Software hat der Datenjournalist Sebastian Vollnhals entwickelt.
Sie steht auf GitHub unter freier Lizenz zur Verfügung. Zur
Europawahl 2024 hat sich die Ortsgruppe Braunschweig des Vereins
Digitalcourage den Code geschnappt, den Digital-O-Mat
wiederbelebt und mit Inhalten gefüttert. Der Digital-O-Mat ist
damit eins von vielen Digitalprojekten in Deutschland, in dem viel
ehrenamtliches Engagement steckt – und das gleichzeitig vielen
Menschen nützt.
Wir engagieren uns seit 20 Jahren für die vielen digitalen
Ehrenamtlichen, die in der Wikipedia Wissen frei zur Verfügung
stellen. Aber auch im politischen Bereich machen wir uns dafür
stark, dass sich die rechtlichen Rahmenbedingungen für alle
Freiwilligen im digitalen Raum verbessern. Eine unserer Forderungen
lautet zum Beispiel, dass die gemeinwohlorientierte Entwicklung von
Software, Apps oder Plattformen auch als gemeinnützig anerkannt
werden muss. Mehr zum digitalen Ehrenamt und unserem Engagement
dafür lesen Sie hier.
Mehr aus 20 Jahren Engagement
für ein besseres Internet
Mit Kaffeefiltern gegen
Upload-Filter
Heute vor
fünf Jahren war die deutschsprachige Wikipedia für einen Tag nicht
nutzbar. Wer in der Online-Enzyklopädie Wissen suchte, fand statt
der vertrauten Startseite einen schwarzen Bildschirm und einen
Text, der erklärte, warum das so ist. Was das ganze mit
Kaffeefiltern und unserer politischen Arbeit zu tun hat, berichten
wir heute. Wir werden in diesem Jahr 20. Daher erzählen wir an
besonderen Tagen Geschichten aus 20 Jahren Engagement für Freies
Wissen und ein besseres Internet.
Engagement für freie CC
Lizenzen: Terra X Videos in der Wikipedia
Das
Ehrenamtlichen-Projekt Wiki Loves Broadcast ist seit Jahren Dreh-
und Angelpunkt des Engagements für freie Lizenzierung im
öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Ein Baustein ist die Kooperation
mit der Redaktion von Terra X (ZDF). Die Zusammenarbeit wurde bei
einem Workshop in Mainz noch einmal vertieft.
re*shape Programm: „Wir
wollen marginalisierte Perspektiven in Deutschland sichtbar
machen“
Mit dem
Programm re·shape fördert Wikimedia Deutschland zehn Projekte, die
dem Wissen von marginalisierten Communitys Raum und Sichtbarkeit
geben. Eines der Projekte ist Social Media und Freie Lizenzen von
KARAKAYA TALKS. Das Team von KARAKAYA TALKS untersucht gemeinsam
mit ihrer Mentorin aus der Wikipedia-Community, wie ihr Content in
der Wikipedia Verwendung finden kann.
Die rapide Verbreitung von Künstlicher Intelligenz, eine
wachsende Flut an Desinformation, zunehmend veränderte
Mediennutzung – unsere digitale Welt steht vor großen
Herausforderungen. So auch die Wikipedia. Trends wie diese
erfordern neue Strategien, um die Online-Enzyklopädie als
verlässliche Quelle für Freies Wissen auch für die kommenden
Generationen zu erhalten.
Gemeinsam mit Wikipedia-Autor*innen, Wikipedia-Interessierten,
Expert*innen, Partner*innen der Vereine Wikimedia Deutschland,
Österreich und der Schweiz findet daher vom 7. bis 9.
Juni der erste Wikipedia-Zukunftskongress statt. Er bietet
Raum für inspirierende Diskussionen, gemeinsames Brainstorming und
erste Ansätze, um die Zukunft der Wikipedia aktiv
mitzugestalten.
Eröffnungsvortrag vom
KI-Pionier
Den Eröffnungsvortrag am Freitag, 7. Juni, hält der deutsche
Informatiker und Silicon Valley-Visionär Richard Socher – ein Pionier in den Bereichen
Künstliche Intelligenz, Neuronale Netze und Deep Learning sowie CEO
und Gründer von you.com, dem ersten Chat-Suchassistenten.
Der Zukunftskongress ist mit drei Leitfragen überschrieben: Was
braucht die Welt von Wikipedia? Wie gestalten wir den
technologischen Wandel? Wie verändert sich die Community? Zu all
diesen Schwerpunkten gibt es am Samstag, 8. Juni, Vorträge und
Podiumsdiskussionen.
Frisst die Wissensrevolution
ihre Kinder?
Chris Tedjasukmana, Professor
für Alltagsmedien und Digitale Kulturen an der Johannes
Gutenberg-Universität Mainz, geht unter dem Titel „Unordentliche
Wissenspraktiken – Wie verändert sich der Umgang mit Wissen?“ der
Frage nach, wie wir unser bestehendes Wissensverständnis durch neue
Wissensformen erweitern können.
Und was bedeutet das für die Wikipedia? Wie bleiben ihre Inhalte
relevant? Für wen sind sie überhaupt eine wichtige
Informationsquelle und für wen nicht (mehr)? Darüber diskutiert
Tedjasukmana im Anschluss mit Christian Pentzold (Universität
Leipzig & Center for Digital Participation), der langjährigen Wikipedianerin
CaroFraTyskland– und Sinthujan Varatharajah, freie*r
Wissenschaftler*in und Essayist*in.
Buchdruck, WWW – und
dann?
Mit dem Wandel durch KI beschäftigt sich auch Theresa Züger, Leiterin der vom Bundesministerium für
Bildung und Forschung (BMBF) geförderten
Nachwuchsforscher*innengruppe Public Interest AI.
Nach ihrem Vortrag über Chancen für gemeinwohlorientierte
Initiativen, KI für sich zu nutzen, ist Züger auch Teilnehmerin des
Podiums „Handschrift, Buchdruck, WWW– und was kommt dann?“. In der
Diskussion mit Carina Zehetmaier (Präsidentin
der Vereinigung „Women in AI“), Hannah Monderkamp (Mitglied der
Chefredaktion von Heise Medien), Kurt Jansson (Wikipedianer und
Leiter der Dokumentation des Spiegel-Verlags) sowie Franziska Heine (Vorständin von Wikimedia
Deutschland) geht es um die Frage: Wie können wir im Zeitalter von
Smartphone, Social Media und KI dafür sorgen, dass die
Wikipedia-Idee nicht irgendwann so gestrig wirkt wie das gedruckte
Lexikon?
Wohin entwickelt sich die
Wikipedia-Community?
Alle wollen Communitys aufbauen: Plattformen, Creator*innen,
Marken. Welche Lebenszyklen durchlaufen Online-Communitys dabei?
Darüber spricht der Kulturwissenschaftler Daniel Sigge anhand seiner
Erfahrungen als Community-Manager bei reddit, TikTok, YouTube und
Google in seinem Vortrag.
Und wohin entwickelt sich die Wikipedia-Community in der
Zukunft? Seit ihrem Start im Jahr 2001 wurden in der
deutschsprachigen Wikipedia mehr als 4 Millionen Benutzer-Accounts
erstellt. Manche sind dabei geblieben, viele nicht. Ca. 6.000
Wikipedia-Aktive editieren regelmäßig. Einige Gruppen sind bis
heute in der Community unterrepräsentiert.
Darüber diskutieren auf dem Panel Daniel Sigge, Jan Krewer (Senior Policy Analyst bei Open Future)
DomenikaBo (langjährige
Wikipedianerin) und Martin Gerlach (Senior Research
Scientist bei der Wikimedia Foundation).
Teile Deine Vision!
Zur Frage, wie sich die Wikipedia weiterentwickeln soll, können
alle Interessierten auf der Programmseite des Zukunftskongresses
anonym ihre Meinung und Visionen teilen. Die eingegangen
Beiträge werden gesammelt und mit nach Nürnberg genommen.
Unter diesem Link geht es zur Anmeldung für die kostenlose
Online-Teilnahme am Wikipedia-Zukunftskongress:
Bei GLAM-Veranstaltungen begegnen sich Wikipedia-Aktive und
Kulturinstitutionen wie Galerien, Bibliotheken (Libraries), Archive
und Museen – mit dem Ziel, das Wissen dieser Institutionen über
die Wikimedia-Projekte für alle zugänglich zu machen. Zum Start der
Reihe „Wiki Loves Demokratie“ trafen Wikipedia-Aktive virtuell auf
Hilmar Sack von den Wissenschaftlichen Diensten des Deutschen
Bundestages und Tobias Kaiser von der Kommission für Geschichte des
Parlamentarismus und der politischen Parteien.
Demokratie neu
denken
Demokratie erfordert viel Arbeit. Hilmar Sack veranschaulicht
das mit einem Organigramm: Abgebildet ist darauf die verzweigte
Struktur der Verwaltung des Deutschen Bundestages, die allein über
3000 Mitarbeitende hat. „Der gesamte Orbit des Parlaments“, erklärt
Sack, „hat die Größenordnung einer Kleinstadt.“
Der Historiker leitet den Fachbereich Geschichte, Politik und
Kultur bei den Wissenschaftlichen Diensten des Deutschen
Bundestages. An diesem Abend nimmt er 25 Wikipedianer*innen mit auf
einen Streifzug durch die Historie des Parlamentarismus in
Deutschland. Auf dem Programm steht die erste
GLAM-digital-Verstanstaltung des Jahres, die das Motto „Wiki
Loves Demokratie“ trägt – 2024 ein Schwerpunktthema der
Online-Reihe, die Kultur- und Gedächtnisinstitutionen oder
Einrichtungen der politischen Bildung mit der Wikipedia-Community
zusammenbringt.
Die Ehrenamtlichen hören hier nicht nur spannende Fachvorträge –
wie von Hilmar Sack sowie von Tobias Kaiser, Mitarbeiter der 1951
gegründeten Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der
politischen Parteien (KGParl) – sie beginnen vor allem eine
engagierte Diskussion: Welche anderen Demokratie-Formen als unser
Parteiensystem wären denkbar? Könnten Bürger*innen-Räte mehr
Beteiligung schaffen? Und, als Frage aufgebracht von einem
Wikipedianer: Wie könnte die Wikipedia-Community selbst
demokratischer werden? Was im Chat der Videokonferenz zu lebhaften
Kontroversen führte.
Eine Fülle an Wissensangeboten
für Wikipedianer*innen
Zum Begriff „Demokratie“ selbst existiert in der Wikipedia ein
ausführlicher Artikel, der dank der
akribischen Arbeit der Autor*innen keine Fragen offen lässt und den
Bogen von der Antike bis ins Heute spannt. Trotzdem – darauf deutet
auch der letzte Punkt des Eintrags „Demokratie-Gefährdungslagen“
hin – kann es zum Thema Demokratie natürlich nie genug Wissen
geben. Auch deshalb widmen sich 2024 gleich mehrere GLAM on Tour– und GLAM digital-Stationen diesem Feld –
was besonders passend ist in einem Jahr, in dem nicht nur 75 Jahre
Grundgesetz und 75 Jahre Parlamentarismus in Deutschland gefeiert
werden, sondern in Deutschland, Europa und den USA auch etliche
wichtige Wahlen anstehen.
Und natürlich geht es auch konkret darum, wie die Arbeit an der
Wikipedia gewinnen kann. Die mit acht Fachbereichen breit
aufgestellten Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages etwa
fertigen für Abgeordnete ausführliche, fundierte Ausarbeitungen zu
allen möglichen politischen Themen an, die nach vier Wochen auf der
Homepage des Bundestages veröffentlicht werden: „Eine unglaubliche
Fülle an Wissensangeboten“ auch für Wikipedianer*innen, findet
Hilmar Sack. Und Tobias Kaiser berichtet, dass die Kommission für
Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien bald
50 ihrer Publikationen digital frei zur Verfügung stellt – das
Themenspektrum reicht von politischer Architektur bis zum
Problemfeld Rechtsextremismus. Ebenfalls eine Fundgrube für die
Ehrenamtlichen der Wikipedia.
Von der Revolution zum
Parlament
Der Boden für die tiefere Beschäftigung mit dem Thema Demokratie
wurde bereits im vergangenen Jahr bereitet: Mit der
GLAM-digital-Veranstaltung „Wiki Loves Revolution – ein
virtueller Austausch zur Revolution 1848/49“, die in
Kooperation mit der Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung
und der Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der
deutschen Geschichte stattfand. Hier ging es zentral um die Frauen,
die als Journalistinnen, Schriftstellerinnen oder Streiterinnen auf
den Barrikaden den Kampf für Demokratie mittrugen – aber in der
Wikipedia bis dato kaum Erwähnung fanden.
Einen Link zum Thema hatte auch die GLAM on Tour-Station im
Museum Barberini in Potsdam.
Hier fand parallel zum Museumsbesuch ein bemerkenswerter, auch
als Film festgehaltener
Drohnenflug der Ehrenamtlichen statt. Dabei entstanden unter
anderem Fotos des Museums Barberini, des Potsdam Museums, der
Nikolaikirche und auch des brandenburgischen Landtags – ein
Gebäude, „das die Ehrenamtlichen als Ort der demokratischen
Auseinandersetzung ins Bewusstsein rücken wollten“, wie Holger
Plickert erzählt, Projektmanager Kultur- und
Gedächtnisinstitutionen bei Wikimedia Deutschland. Daran zeige sich
einmal mehr, welchen großen Stellenwert gelebte Demokratie für die
Community habe und wie sie tagtäglich Bestandteil ihrer Arbeit für
die Wikimedia-Projekte sei.
By playing the video you agree that YouTube and Google might
store and process your data. Please refer to Google’s Privacy Policy.
Begegnung mit dem
Reichsbanner
Eine weitere GLAM digital-Veranstaltung in der Reihe „Wiki Loves
Demokratie“ hat die Ehrenamtlichem mit dem Verein „Reichsbanner Schwarz Rot Gold –
Bund aktiver Demokraten“ und dessen Bundesvorsitzendem Fritz
Felgentreu zusammengeführt. Und damit zurück in die Geschichte: Das
Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold wurde 1924 in Magdeburg als
überparteiliches Bündnis von SPD, der liberalen Deutschen
Demokratischen Partei und der katholischen Zentrumspartei
gegründet. Ein demonstrativer Schulterschluss, mit dem die
Demokrat*innen auf die zahlreichen Morde sowie die extremistischen
Umsturzversuche in den Anfangsjahren der Weimarer Republik
reagierten.
Mit einem Gründervater der Sozialdemokratie in Deutschland hat
schließlich die dritte „Wiki Loves Demokratie“-Veranstaltung am 3.
Juni zu tun: Ein virtueller Besuch im August Bebel
Institut. Auf welche Geschichte diese Institution der
politischen Bildung blickt, wie sie arbeitet und welche Impulse von
ihrem Namensgeber bis heute ausgehen, erfahren die Teilnehmer*innen
an dieser GLAM-digital-Station im Gespräch mit ABI-Geschäftsführer
Reinhard Wenzel.
Die Mütter des
Grundgesetzes
Auch der Austausch mit dem Archiv der deutschen
Frauenbewegung wird fortgesetzt: Im Rahmen einer GLAM on Tour
vom 13. bis 15. September in Kassel werden sich die Ehrenamtlichen
mal nicht mit den vielbeschworenen Vätern, sondern mit den Müttern
unseres Grundgesetzes beschäftigen. Demokratie und
Geschlechtergerechtigkeit – das ist ein eigenes Feld, das die
Auseinandersetzung lohnt. Was ebenfalls schon bei der ersten
GLAM-digital-Veranstaltung zur Geschichte des Parlamentarismus
deutlich wurde. Hilmar Sack verwies da auf ein aktuelles Buch mit
dem Titel „Der nächste Redner ist eine
Dame“ – ein Sammelband mit Portraits über die ersten Frauen des
Bundestages. Auch hier sind noch Entdeckungen für die Wikipedia zu
machen!
Ausblick und
Mitmachen!
Neben der Reihe „Wiki Loves Demokratie“ veranstaltet Wikimedia
Deutschland noch viele weitere spannende GLAM-Events, wie zum
Beispiel im November eine GLAM on Tour in Greifswald zu 250 Jahren
Caspar David Friedrich. Über alle Events informiert der GLAM-Terminkalender.
Die Möglichkeit zur Anmeldung gibt es auf den jeweiligen
Projektseiten der Veranstaltungen. Achtung: die Zahl der möglichen
Teilnehmer*innen ist begrenzt.
Drei Tage lang treffen sich verschiedenste Vertreter*innen von
digitalpolitischen Organisationen, aus der Zivilgesellschaft oder
Ministerien, um über Digitales, Politik und Gesellschaft zu
diskutieren, sich auszutauschen und sich zu vernetzen. Das Motto
dieses Jahres: Who cares? Wikimedia wird dieses Jahr mit sieben
tollen Sessions dabei sein, während an unserem Bündnis
F5-Stand (Lageplan: C3) spannende Meet-Ups und Q&As geplant
sind!
Was bedeutet Offenheit im Jahr 2024? Mit den neuen
Herausforderungen und Akteur:innen der digitalen Welt verändert
sich auch der Begriff der Offenheit. Open dies, Open das:
Open-Washing everywhere? Gilt es angesichts dessen, den Grundsatz
der Offenheit zu verteidigen – oder ihn neu zu denken?
Wie können marginalisierte Communitys ihr Wissen frei zugänglich
und nutzbar und gleichzeitig sicher ins Netz stellen? Wir setzen
uns mit Fragen von Fürsorge und Macht sowie dem Wechselspiel von
Sichtbarkeit und Risiko im Kontext freier Lizenzen auseinander.
Wir wollen Licht ins Dickicht des Wörterdschungels rund um die
gemeinwohlorientierte Digitalisierung bringen. Denn wenn wir die
digitale Transformation zum Wohle aller gestalten wollen, brauchen
wir als Grundlage ein gemeinsam geteiltes Verständnis von ihren
Schlüsselkonzepten.
Digitalpolitik, EU-Politik, Zivilgesellschaft – Who Cares? Wir
spannen den Bogen von der Straße über die digitale Bubble bis nach
Brüssel und diskutieren die heißen Digitalthemen zur anstehenden
Europawahl.
Gemeinwohlorientierung im Digitalbereich beruht nicht nur, aber
vor allem auf freier Software, die aktuell gehalten, gepflegt und
angepasst werden muss – insbesondere bei dem Einsatz von KI. Doch
wer kümmert sich eigentlich darum? Wie und von wem kann diese
Care-Arbeit unterstützt werden?
15:00-16:00: Who cares about international digital
policy? What do we expect from the UN Global Digital Compact 2024,
Stage 3
(Amandeep Singh Gill, Regine Grienberger, Rebecca MacKinnon,
Geraldine de Bastion)
2024 is a milestone for international digital policy. The United
Nation will agree on a Global Digital Compact with key
principles, frameworks and action to govern the Digital Age
globally. In this session we want to discuss the expectations for
the GDC and who needs a seat at the table.
Ein dazugehöriges Meet-Up mit Marcel Dorsch, Friederike von
Franqué, Elisa Lindinger und Geraldine de Bastion findet von
18:45-19:45 in Meet Up 1 statt.
Besonders viel Aufmerksamkeit
erhielt im letzten Jahr unsere Session, bei der die beiden
ukrainische Wikipedianer Anton Protsiuk und Mykola Kozlenko darüber
berichteten, wie sie trotz des Krieges weiter in der Wikipedia
arbeiten und wie sie mit den Versuchen umgehen, Desinformationen
über die Enzyklopädie zu verbreiten. Foto:
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Rp23wiki-366.jpg
Besucht uns am Stand C3 – unser
Standprogramm
Montag, 27.
Mai
12:30 Uhr: Eröffnungstreffen F5 (Meet-up)
13:00 Uhr: KI & Wahlen – Clara Helming (Algorithm Watch) –
Gespräch/Q&A, Deutsch, 30 min
15:00 Uhr: Warum Wikipedia wenig Probleme mit Desinformation
hat – Friederike von Franqué, Lilli Iliev (Wikimedia Deutschland) –
Lightning Talk/Q&A, Deutsch, 15 min
17:00 Uhr: #FreeAssange – In Conversation with Stella Assange –
Stella Assange, Ilja Braun (Reporter ohne Grenzen) – Talk, Q&A,
Englisch, 45 min
Dienstag, 28.
Mai
10:30 Uhr: GFF Friends & Donor Meetup – Eileen Leistner
(Gesellschaft für Freiheitsrechte) – Meet-up, Deutsch, 45 min
11:45 Uhr: Plurality: The Future of Collaborative Technology
and Democracy – Audrey Tang, Glen Weyl, Kai Dittmann (Gesellschaft
für Freiheitsrechte) – Talk, Q&A, Englisch, 30 min
12:30 Meet and Greet Ferda Ataman Diskriminierung und
Algorithmen – Ferda Ataman, Pia Sombetzki, Luzie Neyenhuys
(Algorithm Watch/Gesellschaft für Freiheitsrechte) – Meet-up,
Deutsch, 30 min
15:00 Uhr: How to Fund Generative AI in the Public Interest –
Sophia Schulze Schleithoff, Viraaj Akuthota – Vortrag, Englisch, 20
min
16:00 Uhr: Russian Media in Exile: An Interview with The
Insider – Anastasia Mikhailov (The Insider), Daria Dudolay und
Helene Hahn (Reporter ohne Grenzen) – Gespräch, Englisch, 60
min
Mittwoch, 29.
Mai
12:00 Uhr: Open Data Ranking Deutschland 2024 – Dénes Jäger
(Open Knowledge Foundation) – Talk, Q&A, Deutsch, 15 min
14:00 Uhr: Offene Daten und Lizenzen – Ask Me Anything – Stefan
Kaufmann (Wikimedia Deutschland) – Meet-up, Deutsch, 30 min
16:00 Uhr: Datamining in der Polizeiarbeit – Simone Ruf
(Gesellschaft für Freiheitsrechte) – Vortrag, Deutsch, 30 min
„In der Kneipe würden wir uns nicht treffen – zumindest nicht
zum gemeinsamen Arbeiten.“ So bringt die Wikipedianerin Bärbel
Miemietz auf den Punkt, weshalb es Lokale Räume braucht. Sechs
solcher Orte – in denen sich Wiki-Communitys selbstorganisiert zum
Austausch, zum gemeinsamen Editieren in der Wikipedia oder zum
Entwickeln neuer Projektideen treffen – unterstützt Wikimedia
Deutschland in verschiedenen Städten: Das Lokal K in Köln, das
WikiBär in Berlin, das Münchner WikiMUC, den FürthWiki-Laden, das
temporärhaus in Neu-Ulm – und Wikipedia:Hannover.
Starker Zusammenhalt der
Community
Wikipedia:Hannover – neben dem Lokal K der älteste dieser
Lokalen Räume – feiert am 24. Mai sein 10-jähriges Bestehen. Am
Abend steht ein Jubiläumsprogramm mit geladenen Gästen an, unter
anderem sprechen Hannovers Bürgermeister Thomas Klapproth und
Franziska Heine, Vorständin von Wikimedia Deutschland. Die
Community selbst hält Rückschau auf die vergangene Dekade – und
blickt voraus in die Zukunft.
Wikipedia-Autorin Bärbel Miemietz ist 2020 über eine Einführung
für Frauen in das Schreiben für die Wikipedia zur Hannoveraner
Community gestoßen – und aktiver Teil von ihr geworden. Das Team
von Wikipedia:Hannover – das heute aus einem Dutzend Ehrenamtlicher
besteht – hielt den Austausch digital auch während der Corona-Zeit
aufrecht: „Die Möglichkeit, jeden Dienstagabend online dabei zu
sein, hat mich über die Pandemie gerettet“, erzählt Miemietz. Klar,
die Arbeit an den Wikimedia-Projekten ist ein digitales Ehrenamt.
Aber die soziale Komponente spielt dabei eine entscheidende
Rolle.
„Wir bei Wikipedia:Hannover sind alle sehr verschieden, haben
vollkommen unterschiedliche Interessen – aber wir haben ein starkes
Zusammengehörigkeitsgefühl“, beschreibt Miemietz. Das zeigt sich
bei gemeinsamen Projekten, wie den Veranstaltungen zum 10.
Geburtstag des Lokalen Raums, aber auch bei öffentlichen
Einführungsveranstaltungen oder bei Kooperationen mit Museen oder
Bibliotheken.
Bundesverdienstkreuz für das
digitale Ehrenamt
In den Anfangsjahren fand die Community noch Unterkunft und
Unterstützung bei dem gemeinnützigen Verein „Freundeskreis
Hannover“, 2019 wurden dann zentral gelegene Räume im Uihleinhaus
nahe dem Hauptbahnhof bezogen. Eröffnet von Abraham Taherivand, dem
damaligen Geschäftsführenden Vorstand von Wikimedia
Deutschland.
Die umtriebige Hannoveraner Community arbeitet in der Wikipedia,
lädt Fotos und andere Mediendateien in der Sammlung Wikimedia
Commons hoch oder legt Datensätze in der freien Wissensdatenbank
Wikidata an. Und: Sie hat mit dem Ehrenamtlichen Bernd Schwabe
sogar einen Träger des Bundesverdienstkreuzes in ihren Reihen.
Schwabe, der unter seinem realen Namen seit 2009 für die Wikipedia
schreibt und bereits tausende von Artikeln verfasst oder maßgeblich
bearbeitet hat, ist im Januar 2020 ausgezeichnet worden. „Ohne sein
ehrenamtliches Engagement und das vieler anderer Freiwilliger
gingen viele Informationen für immer verloren oder wären nur einem
(zu) kleinen Kreis zugänglich“, lobte der niedersächsische
Ministerpräsident Stephan Weil seinerzeit. Während Bernd Schwabes
Interessen stark mit Hannover verknüpft sind, gibt es in der Gruppe
aber auch Spezialistinnen und Spezialisten für das Erzgebirge, für
den Umweltschutz, für das Rechtswesen, die Ornithologie, für
Geschichte und Literatur sowie für Karten, Fotografien oder
strukturierte Daten.
Einsatz für mehr Frauen in der
Wikipedia
Lange Zeit waren bei Wikipedia:Hannover vor allem Männer aktiv.
Das änderte sich mit einem Schreibworkshop nur für Frauen am
Internationalen Frauentag 2020. Heute gehören drei Frauen zum
Kernteam – und das frisch angelaufene Projekt WikiFrauenHannover soll die
weibliche Präsenz weiter stärken. Die WikiFrauenHannover kommen
alle zwei Monate am dritten Montag des Monats zusammen und arbeiten
gemeinsam daran, Frauen in der Wikipedia sichtbarer zu machen.
Die Aktivitäten der Wikipedia:Hannover-Community führen aber
immer wieder auch über den Lokalen Raum hinaus. Zum Beispiel hat
das Team 2023 und 2024 Studienreisen in Hannovers Partnerstädte
Poznań, Bristol und Leipzig unternommen, dort Wikipedianer*innen
getroffen und eine Fülle von Fotos und Material für
Wikipedia-Artikel mitgebracht. Entstanden ist zum Beispiel ein Text
über Natalia Tułasiewicz, eine polnische
Lehrerin, die während des Nationalsozialismus für eine
Untergrundorganisation tätig war. Sie ließ sich als
Zwangsarbeiterin verhaften und wurde nach Hannover gebracht, wo sie
ihre Mitgefangenen unterrichtete und unterstützte – bis sie kurz
vor Kriegsende enttarnt und in Ravensbrück ermordet wurde.
Nach
Anweisung an die freundliche Fotografin postierte sich das Team
Wikipedia Hannover gemeinsam mit Marcin aus Poznań (Posen) am 17.
Juni 2023 zum Gruppenbild vor der großen Wandmalerei auf der Insel
Śródka …
Straßenprojekt und
Stolpersteine
Zu den lange laufenden Projekten von Wikipedia:Hannover gehört
auch die vollständige Erfassung von Hannovers Straßen in Wikidata.
Wiederum mit feministischem Akzent: Nur 10 Prozent der nach
Menschen benannten Straßen tragen die Namen von Frauen. Und von
denen haben die wenigsten einen Wikipedia-Artikel. Eine weitere
Sichtbarkeits-Lücke, die es zu schließen gilt.
Straßenschild mit Legendentafel am Elke-Mühlbach-Weg in der
Eilenriede in Hannover-Waldhausen: „Elke Mühlbach (1953-2012) im
Eilenriedebeirat, Biologin, Gründerin des BUND Fledermauszentrums,
Fledermausschutzbeauftragte der Region Hannover“
Darüber hinaus hat das Team von Wikipedia:Hannover bereits
zahlreiche Stolperstein-Verlegungen in Hannover dokumentiert. Der
Künstler Gunter Demnig erinnert mit Stolpersteinen an vertriebene,
verschollene und ermordete Opfer des Nationalsozialismus. Seit 2007
wurden 467 dieser Gedenksteine in Hannover verlegt. Außerdem sind
Fotos aller Stolpersteine in einer Liste erfasst, die auch die
topografisch exakte Position verzeichnet. Gibt es zu einer Person
einen Wikipedia-Artikel, wird aus der Stolpersteinliste heraus
darauf verlinkt.
Die Wikipedia ist ein
Eisberg
Wikipedianerin Bärbel Miemietz vergleicht die Wikipedia gern mit
einem Eisberg: „Die Leute kennen die Enzyklopädie, aber sie wissen
in der Regel nichts von WikiSource, WikiQuote, Wikimedia Commons
oder Wikidata.“ Und erst recht nichts von der Welt, die sich
auftut, wenn man „Wikipedia“ mit einem der vielen möglichen
Doppelpunkt-Begriffe kombiniert: Wikipedia:Hilfe, Wikipedia:Frauen,
Wikipedia:Relevanzkriterien: „Da stößt man auf den Eisberg unter
der Wasseroberfläche, der eine schier unendliche Fülle an
Informationen enthält.“
Miemietz jedenfalls ist auch deshalb zur begeisterten
Wikipedianerin geworden, weil die Wikimedia-Projekte so viele
Beteiligungsmöglichkeiten bieten: zum Beispiel Wettbewerbe um die
besten Fotos oder Abstimmungen, wie die über die Movement Strategy
zum zukünftigen Aufbau des Wikiversums. Auf ihrer Benutzerinnen-Seite hat sie
deshalb gleich oben aktuelle Meinungsbilder der Community und
Veranstaltungen verlinkt. Und ein Motto vorangestellt: „Demokratie
lebt vom Mitmachen. Aber nur wer weiß, was läuft, kann sich
beteiligen.”
Ein treffendes Motto auch für alle, die sich in Lokalen Räumen
engagieren.
Wikimedia Deutschland gratuliert der gesamten Community von
Wikipedia:Hannover herzlich zum 10. Geburtstag!
ChatGPT und Co. verändern die Art wie wir lernen und lehren.
Gerade im sensiblen Bildungsbereich sollten wir uns genau
überlegen: Was für KI-Systeme wollen wir einsetzen? Welche
Kompetenzen und Infrastrukturen brauchen Lehrende und Lernende? Und
welche Voraussetzungen muss die Politik in Bund und Ländern
schaffen? Diese Fragen haben wir mit Bildungsexpert*innen beim
Forum offene KI in der Bildung diskutiert und in
drei Schreibwerkstätten Handlungsempfehlungen entwickelt.
Die zehn Handlungsempfehlungen
im Überblick
Bevor es in die Diskussion der zehn Handlungsempfehlungen zu Künstlicher
Intelligenz in der Bildung ging, wollte Moderatorin Nele Hirsch
von den geladenen Politiker*innen wissen: Welche Herausforderungen
und politischen Hausaufgaben sie mit Blick auf die Nutzung von
KI-Anwendungen in Schulen und Hochschulen sehen.
Mit uns diskutiert haben:
Sabine Grützmacher, Digitalpolitikerin und
Bildungsinformatikerin und MdB der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen
Franziska Hopperman, MdB von der CDU/CSU Fraktion und Mitglied
im Ausschuss für Digitales
Maximilian Funke-Kaiser, sitzt für die FDP im Bundestag und ist
digitalpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion
Dr. Holger Becker aus der SPD-Fraktion des Bundestages und
Mitglied im Ausschuss für Digitales und für Bildung und
Forschung
Sie alle hatten jeweils drei Minuten Zeit, sich zu der Frage zu
positionieren.
Zwischen Veränderungsdruck und
individuellem Lernen
Sabine Grützmacher stellte in ihrem Statement klar: „Wir sollten
keine Angst vor Künstlicher Intelligenz haben. Aber wir sollten
Schüler befähigen zu verstehen, was KI ist und was KI nicht ist.“
Dafür müssten auch in Schulen die Grundlagen für „kritische
Datenmündigkeit“ geschaffen werden. Daran anknüpfend sprach
Franziska Hoppermann von einem hohen „Veränderungsdruck“, der auf
Lehrenden laste. Für sie steht daher die Frage im Mittelpunkt: „Wie
können wir die Lehrenden auch in der Ausbildung darauf vorbereiten,
auch in der Didaktik?“ Maximilian Funke-Kaiser betonte ebenfalls,
dass „wir natürlich die Lehrer weiterbilden müssen.“
Er gehe aber auch davon aus, so Funke-Kaiser, dass
„selbstlernende Algorithmen, die individuelle Lernangebote machen”,
Chancengerechtigkeit fördern könnten. Lernende, deren Eltern sich
keine Nachhilfe leisten können, könnten davon profitieren, dass
KI-Anwendungen für sie Förderangebote zuschneiden. In eine
ähnliche Richtung argumentierte Holger Becker in seinem
Eingangsstatement. KI-Anwendungen könnten viel dazu beitragen, ein
zentrales Problem, „das Bildungserfolg vom Elternhaus abhängt“ zu
mildern. Das könne aber nur gelingen, wenn der „Kompetenzaufbau der
Lehrenden“ gelinge, in den ein „Großteil der Ressourcen“ fließen
müsse. Und wenn KI so eingesetzt werde, dass die „Digital Divide“
verringert werde.
Alle Statements der Politiker*innen, eine kurze Vorstellung
aller 10 Handlungsempfehlungen und die Debatte darüber können Sie
in der Aufzeichnung sehen.
By playing the video you agree that YouTube and Google might
store and process your data. Please refer to Google’s Privacy Policy.
Reaktionen auf unsere
Handlungsempfehlungen
Die Eingangsstatements der Diskutieren machten bereits deutlich:
Die Handlungsempfehlungen von Wikimedia Deutschland, nämlich die
Schaffung einer „neuen Fortbildungskultur und -struktur mit offenen
Formaten“ findet auch politisch Unterstützung. Sabine Grützmacher
hob hervor, sie finde den „Peer-to-Peer Ansatz aus den
Handlungsempfehlungen unglaublich wertvoll.“
Parteiübergreifend einig waren sich die vier Politikschaffenden
bezüglich der Forderung von Wikimedia Deutschland, dass offene und
transparente KI-Systeme in der Bildung zum Einsatz kommen sollten.
„Ich finde, Open Source und KI passen wunderbar zusammen“, betonte
Sabine Grützmacher. Sie verwies aber auch darauf, dass Open Source
nicht kostenlos zu haben sei, nur weil es ein „Heer von
gemeinnützig tätigen Menschen“ gibt, die offene Software
entwickeln. „Man wird irgendwann über die Pflege von Open Source
sprechen müssen und das kostet eben auch Geld“, merkte die
Bildungsinformatikerin an. Neben Holger Becker unterstützte auch
Maximilian Funke-Kaiser unsere Empfehlung, KI-Anwendungen als Open
Source zu entwickeln, „wie es ja auch im Koalitionsvertrag steht“.
Franziska Hoppermann formulierte lediglich, dass sie noch
„Fragezeichen“ habe, wenn es darum ginge, wie offene Modelle für
jede und jeden nachvollziehbar sein können.
Auf die Handlungsempfehlung, dass Bund und Länder eine
unabhängige KI-Zertifizierungsstelle einführen sollten, reagierten
besonders Holger Becker und Franziska Hoppermann zustimmend. Die
CDU-Politikerin kann sich eine „Schwerpunkt Medienanstalt zur
Verifizierung oder Zertifizierung“ vorstellen. Holger Becker
meinte, im AI Act sei das Thema schon „ganz gut abgedeckt“. Nun
gehe es aber um die Implementierung und da „sind zum Beispiel die
Landesmedienanstalten im Gespräch“.
Auch in den Medien wurden die 10 Handlungsempfehlungen
diskutiert. Einige Beiträge finden Sie hier:
Wie kann sich das Netzwerk im fünften Jahr seines Bestehens
besser organisieren und strukturieren? Das war eine der zentralen
Fragen, die auf der FemNetzCon 2024 in Hamburg diskutiert wurden.
Das Netzwerktreffen der Wikipedianer*innen, Schreibgruppen,
Projekte und Initiativen, die sich für feministische Anliegen
in der Wikipedia engagieren, fand zum vierten Mal statt.
Rund 40 Teilnehmende kamen für drei Tage in den Räumen des
Künstlerinnenprojekts Bildwechsel und im Freiraum des Museums für Kunst und
Gewerbe (MK&G) in Hamburg zusammen, um sich in Formaten wie dem
„FemNetz-SpeedDating“ oder Gruppenarbeit zum Thema „Quo
vadis, FemNetz?“ auszutauschen, untereinander noch enger zu
vernetzen – und die Weichen für mehr Wissensgerechtigkeit zu
stellen. „Die Stimmung war offen und produktiv“, beschreibt
Wikipedianerin Helga Wiki, die das Netzwerktreffen
mitorganisiert hat, ihren Eindruck.
Speeddating mal
anders
Der Freitagabend stand im Zeichen des Kennenlernens – „das
Format war ein Stück weit aus der Not heraus geboren”, bekennt
Mitorganisatorin Grizma aus Berlin. „Bildwechsel hat viele kleine
Räume, aber keinen großen Tagungsraum, in den alle Teilnehmenden
bequem gepasst hätten. Ich hatte eine Art Stationentheater im
Hinterkopf, bei dem sich unterschiedliche Projekte und
Arbeitsgruppen im Speeddating-Format vorstellen und auf Zuruf Input
einfordern. So konnten wir die Teilnehmer*innen gut in Kleingruppen
auf die Räume verteilen.”
Das Konzept ging auf, wie Reisen8 aus München
findet: „Genau die richtige Mischung aus Spielerischem und
Ernsthaftigkeit für einen ersten Abend.“ Sie erzählt: „Der
Veranstaltungsort ‘Bildwechsel’ war Programm und das Klingelzeichen
zentral: Alle 20 Minuten drängten sich die vier Kleingruppen zum
Raumwechsel aneinander vorbei. An jeder Station wurde eine
Arbeitsgruppe aus dem Umfeld von FemNetz vorgestellt, manche erst
im Stadium einer Idee, alle auf der Suche nach Mitstreiter*innen.
Bunt und klebrig ging es im Themenraum FemNetz-Mailingliste zu“,
sagt sie. Sophie Elisabeth und IvaBerlin verschafften sich einen
Überblick, indem sie farbige Punkte zu Statements wie „Ich verwende
einen Virenscanner – ja – nein – was ist das überhaupt?“ kleben
ließen. Den Blick über den Tellerrand wagten Elena Patrise und und
FemNetzCon-Mitorganisatorin Helga Broll an der Station „Die Ränder
von Wikipedia“: Ihnen ging es darum, sich Fachwissen von
Institutionen und Einzelpersonen zu ⁷holen, auch mal nur punktuell
– und um unkomplizierte, produktive Vernetzung. „Banden bilden“
unter der Leitung von Alpenhexe von der Stuttgarter Schreibgruppe
wiki:wo:men zielte auf die Bildung einer Arbeitsgruppe ab, um
gemeinsam Argumente für Auseinandersetzungen onwiki zu sammeln. Bei
„60 Minuten – Gender & Diversity in der Wikipedia“, gingen Mushushu
aus Berlin und Leserättin aus Stuttgart, die Organisatorinnen
dieser Online-Workshop-Reihe von Wikipedianer*innen für
Wikipedianer*innen, mit einem Füllhorn an Anregungen und
Themenvorschlägen für künftige Veranstaltungen zufrieden aus der
Aktion heraus.
Offen und lebendig bleiben: Wie
strukturiert sich ein machtkritisches Netzwerk?
Nach fast fünfjährigem Bestehen stellten sich dem fluiden
Netzwerk FemNetz etliche Fragen: Welche Ziele wollen wir erreichen?
Wohin wollen wir uns entwickeln? Wie kann das Netzwerk unter
Vermeidung von Hierarchien und der Überlastung einzelner
Mitwirkender zielgerichtet und effizient arbeiten? „FemNetz möchte
offen bleiben“, beschrieb Helga Wiki, eine
FemNetzCon-Organisatorinnen, die Herausforderung. „Wir wollen
unsere fluide Struktur beibehalten und weiterhin neue Impulse von
Individuen und Gruppen aufnehmen – kurz gefasst: FemNetz soll
lebendig bleiben!“ Unter dem Schlagwort „Quo vadis, FemNetz?“
diskutierten die Teilnehmer*innen in mehreren Runden in kleinen
Gruppen mögliche Lösungen. Das Ergebnis der Diskussionen ist ein
sogenanntes holokratisches Organisationsmodell, das allen
Interessierten die Möglichkeit zur Teilhabe und zum Einbringen von
neuen Initiativen gibt, ohne dass zentral Vorgaben gemacht werden.
“Für mich ist der Charme unseres Modells”, sagt die Wikipedianerin
Leserättin, “dass alle die Möglichkeit haben, sich nach aktuellem
Interesse und zeitlicher Verfügbarkeit wechselnd einzubringen und
dass dies wertgeschätzt wird. Pausen im Engagement sind möglich.
Alle können jederzeit mit einer neuen Idee eine neue Arbeitsgruppe
gründen.” Die gewählte Struktur unterscheidet im Netzwerk die
Mitwirkungsebenen (1) Informiert werden, (2) Austauschen und (3)
Gestalten. Drei Arbeitsgruppen werden die Arbeitsergebnisse der
“Quo vadis”-Runden im Nachgang der Con verfeinern und
zusammenfassen.
Was ist relevant für die
Wikipedia?
Im Zusammenhang mit marginalisiertem Wissen wurde auf der
FemNetzCon auch über die Relevanzkriterien der Wikipedia
diskutiert. Diese von der Community ausgearbeiteten Kriterien legen
fest, was in der Online-Enzyklopädie Platz findet und was nicht. In
einem Workshop diskutierten die Teilnehmenden Kritikpunkte und neue
Lösungsansätze. Darunter zum Beispiel: Werden die bestehenden
Relevanzkriterien auf alle Geschlechter gleichermaßen angewendet?
Oder: Wie können die Kriterien angepasst werden, um
Frauenleistungen umfassender abzubilden?
Die Wikipedianerin ScheWo, die den Workshop vorbereitet hatte,
hält fest: Die Relevanzkriterien seien zwar grundsätzlich neutral,
alledings zeige sich aufgrund der historisch gewachsenen
Diskriminierung von Frauen, „dass deren Leistungen durch die
bestehenden Relevanzkritereien weniger anerkannt werden.“ Denn
Bereiche, in denen Frauen jahrhundertelang überwiegend tätig waren
und Herausragendes geleistet haben, so in der Haushaltung und
Kindererziehung, gelten danach nicht als enzyklopädisch
relevant.
Daneben würden die Leistungen von Frauen zum Teil nicht
wahrgenommen und gewürdigt, obwohl die Forschung da schon weiter
ist. Alpenhexe nennt als Beispiel die „Liste bedeutender
Bergsteiger“ in der Wikipedia. Dort sei unter anderem behauptet
worden, dass es keine bedeutenden Bergsteigerinnen gebe.
Alpenhexe hat das korrigiert. Den Umstand, dass weibliche
Leistungen in der Wikipedia vielfach ausgeblendet würden,
beschreibt sie als ihre Hauptmotivation, überhaupt als
ehrenamtliche Autorin mitzumachen.
Care-Arbeit in der
Wikipedia
In einem weiteren Workshop ging es um Care-Arbeit in der
Wikipedia. Für die Organisatorinnen des Workshops, die
Wikipedianerinnen Medea7 und Papierautobahn, bedeutet “Care”, dass
wir uns um all das kümmern, was uns wichtig ist. Auch Frauen gehen
miteinander oft nicht mit Sorgfalt um, sondern spiegeln patriarchal
geprägte Konkurrenzstrukturen. Dabei ist Care in digitalen Kulturen
besonders wichtig, aber zugleich besonders schwer umzusetzen, weil
die Kommunikation abstrahiert und vom Körper entkoppelt ist. Was
bedeutet das für FemNetz? Die Workshop-Teilnehmerinnen sprachen
über die Gestaltung der FemNetzCon, so dass sie die Bedürfnisse
aller (potenziellen) Teilnehmer*innen berücksichtigt und
gleichzeitig ein Ausbrennen von Mitgliedern der Vorbereitungsgruppe
vermeidet. Thema war aber auch, dass in der Wikipedia das Thema
“Care” unterrepräsentiert ist.
Queeres Wissen, Wissen
queeren
„Wissen ist nicht nur Macht – Wissen bildet immer auch
Machtverhältnisse ab.“ So wiederum beschreibt Helga Wiki eine der
zentralen Erkenntnisse aus der öffentlichen Veranstaltung „Queere
KI und Wikipedia“, die am Vorabend der FemNetzCon stattfand. Mit
dabei waren die Kultur- und Medientheoretiker*innen Sara Morais dos
Santos Bruss und Lotte Warnsholdt. Erstmals wandte sich damit ein
FemNetz-Treffen explizit außerhalb des Wikipedia-Kontextes auch an
eine interessierte Öffentlichkeit – mit gutem Zuspruch, denn zur
Veranstaltung fanden sich knapp 50 Teilnehmende aus den
unterschiedlichsten Kontexten ein.
Diskutiert wurde darüber, wie verhindert werden kann, dass
KI-Systeme, die auch mit den Datensätzen der Wikipedia trainiert
werden, Gender-Stereotype reproduzieren, die in diesen Daten
enthalten sind. KI, so Helga Wiki, sei „nie ahistorisch oder
neutral, sondern eingebettet in die Machtverhältnisse unserer
Gesellschaft.“ Wissen zu „queeren“ bedeute entsprechend, genau
diese Herrschaftsgefälle kritisch zu durchleuchten. Was auch für
die Bestände vieler Archive oder Museen gelte, die oftmals auf
gewalttätige koloniale Sammlungspraxen zurückgingen – und nicht
unhinterfragt bleiben dürften.
Gendersensible
Sprache
Am Sonntag, dem letzten Veranstaltungstag, hielt Christine
Olderdissen von genderleicht.de einen Vortrag mit Übungseinheit zum
Thema gendersensible Sprache ohne Sonderzeichen. Sonderzeichen als
Lösung für gendersensible Sprache lässt die amtliche deutsche
Rechtschreibung nicht zu, dem folgt die Regelung in der
deutschsprachigen Wikipedia aktuell. Die Veranstaltung war auch für
interessierte Männer geöffnet. Monoett aus Heidelberg nahm aus der
komprimierten Übersicht einige Anregungen für ihre Wikipedia-Arbeit
mit: „Christine Olderdissen appellierte mit vielen Übungen an
Sprachgefühl und Kreativität der Zuhörenden. Sie gab die
Empfehlung, Frauen so oft wie möglich direkt zu nennen oder aber
geschlechtsneutral zu formulieren, z. B. durch die Verwendung der
Pluralform.“ Aktive Formulierungen oder Partizipien, die eher die
Tätigkeiten als die Personen beschrieben, also z. B. statt der
konkreten Begriffe „Kritiker“ und „Autor“ sei eine
Formulierung wie „üben Kritik“ und „geschrieben von“, sowie das
Weglassen von Relativpronomen hilfreich, um elegant
genderneutral zu formulieren.
FemNetz ist ein Netzwerk von
Wikipedianer*innen, Schreibgruppen, Projekten und Initiativen mit
feministischen Anliegen. FemNetz möchte den Anteil der schreibenden
und repräsentierten Frauen sowie von inter, trans und nonbinären
Personen in der Wikipedia-Community nachhaltig erhöhen. Aktive
Gruppen des Netzwerks sind: WomenEdit, Who writes his_tory? mit
Verbindung zu Art+Feminism, wiki:wo:men, 60 Minuten
(Workshop-Reike) und weitere Gruppierungen. Die Netzwerkmitglieder
stammen vorwiegend aus Deutschland, Österreich und der Schweiz
(D-A-CH).
Für Einsteiger*innen, die gern bei Wikipedia mitmachen würden,
aber nicht genau wissen, wie das funktioniert, gibt es das FemSupport-Netzwerk – die
Ansprechpartner*innen leisten hier gern Hilfe.
Diese Initiativen und Projekte
aus dem FemNetz machen sich ganzjährig für mehr Sichtbarkeit von
Frauen in der Wikipedia stark:
WomenEdit
Bei regelmäßigen Treffen von Wikipedianerinnen wird gemeinsam
editiert – vor Ort und online. In Berlin jeweils am ersten
Mittwoch im Monat in der Geschäftsstelle von Wikimedia Deutschland
und am dritten Mittwoch im Lokalen Wikipedia-Raum WikiBär. In
Erlangen trifft sich WomenEdit üblicherweise am zweiten Montag im
Monat in der Stadtbibliothek.
Women in Red
Der deutschsprachige Teil des internationalen kollaborativen
Projekts „Women in Red“ hat zum Ziel, so viele
rote Links auf fehlende Frauenbiografien in der Wikipedia wie
möglich in blaue umzuwandeln.
wiki:wo:men
Der Arbeitskreis wiki:wo:men trifft sich
monatlich in Stuttgart. Eingeladen sind alle Menschen, die
Interesse am Thema „Frauen in der Wikipedia“ haben – egal, ob
erfahrene Wikipedianer*innen oder Neulinge. Die Treffen finden in
der Regel an jedem 3. Freitag im Monat statt.
Workshop-Reihe 60 Minuten – Gender & Diversity in der
Wikipedia
Die Online-Workshop-Reihe dient dem
länderübergreifenden Austausch (Deutschland, Österreich, Schweiz)
zu Fragen rund um Gender und Diversity in der Wikipedia – an jedem
4. Montag im Monat von 19 bis 20 Uhr.
Mentorinnennetzwerk FemSupport
Das feministische Support-Netzwerk
bietet kollegiale Unterstützung für Frauen, die bei Wikipedia aktiv
werden wollen, sich aber im Dschungel der Hilfeseiten und
Video-Tutorials (noch) nicht zurechtfinden.
Wiki Riot Squad Berlin
Im Rahmen von Schreibwerkstätten und Edit-a-thons werden Wikipedia-Artikel diskutiert und
bearbeitet – der Fokus liegt dabei auf möglichen Gender Bias, also
einer verzerrten Wahrnehmung durch sexistische Vorurteile und
Stereotype.
Who writes his_tory?
Dieses Schweizer Projekt
hinterfragt die Reproduktion von Wissen und struktureller
Diskriminierung im Internet und vor allem auf Wikipedia. In der
Schweiz sind außerdem Les sans pagEs (französischsprachig)
und die Künstler*innengruppe Femme Artist Table FATart aktiv.
Alle acht Wochen treffen sich beim WikiMUC Frauenzimmer
Wikipedianerinnen aus dem Raum München zum zwanglosen Austausch,
aber auch zum Editieren, Inspirieren und voneinander Lernen.
Neueinsteigerinnen und Interessierte sind herzlich willkommen.
Bezahltes Schreiben im PR-Auftrag in der Wikipedia, ist ein
Thema, das mich und die Wikipedia-Community seit einigen Jahren
umtreibt. Das Thema wabert seit etwa 2010 durch die Wikipedia, mal
intensiver und mal weniger intensiv diskutiert; mal mit Skandal und
mal ohne. Aber wenn man sich, ganz ohne Insiderkenntnisse, einfach
mal durch Wikipedia-Artikel lebender Personen clickt (sei es in der
deutschen Ausgabe oder der englischen): normalerweise riecht man
die gekauften und geschönten Artikel 500 Kilobyte gegen den Wind.
Die peinlichen PR-Artikel: weil auch die siebte Teilnahme am
Rettet-die-Bergdackel-Benefiz-Gala-Dinner getreulich unter dem
Punkt „gesellschaftliches Engagement“ gelistet wird. Die weniger
peinlichen PR-Artikel: weil sie so nichtssagend sind.
Wie lange das Problem existiert und wie sehr es schon vor vielen
Jahren auffiel, wurde mir letztens beim lesen gewahr. Es war ein
Fantasy-Crime Roman – komplett fiktiv, mit vagen Bezugspunkten zu
unserer Welt. Und selbst dort kommt Wikipedia-PR-Schreiben vor. Es
geht um „Moon over Soho“ von Ben Aaronovitch. Erstmal erschienen
2012 bringt es der Roman auf den Punkt:
Auf deutsch etwa:
„Die Reichen, vorausgesetzt sie vermeiden Prominenz, können
etwas Unternehmen um ihre Anonymität zu bewahren. Lady Tys
Wikipedia-Artikel las sich als wäre sie von einem PR-Schreiber
verfasst worden, denn zweifellos hatte Lady Ty einen PR-Schreiber
beschäftigt, um sicherzustellen, dass die Seite ihren Vorstellungen
entsprach. Oder wahrscheinlicher: Einer ihrer „Leute“ hatte eine
PR-Agentur beauftragt, die einen Freelancer beschäftigt hatte, der
das in einer halben Stunde runtergeschrieben hatte, damit er sich
schneller wieder auf den Roman konzentrieren konnte, den er grade
schrieb. Der Artikel gab preis, dass Lady Ty verheiratet war, zu
nicht weniger als einem Bauingenieur, dass sie zwei schöne Kinder
hatten von denen der Junge 18 Jahre alt war. Alt genug um Auto zu
fahren aber jung genug um noch zu Hause zu wohnen.“
Diese Beschreibung trifft auch zehn Jahre später auf einen
Großteil aller PR-Artikel zu. Schnell und lieblos, aber
professionell gemacht. Oft genug mit Versatzstücken aus anderen
Werbematerialien; zu unauffällig, um jemand ernstlich zu stören.
Aber auch zu nichtssagend, um der Leser*in auch nur den geringsten
Mehrwert zu bieten.
Damit hat ein Roman-Autor, der selber kein aktives Mitglied der
Wikipedia-Community ist, die PR-Problematik schon im Jahr 2012
richtiger eingeschätzt als ein relevanter Teil der diskutierenden
Community im Jahr 2022.
(Und Randbemerkung: die Community rächte sich, indem sie
Aaronovitchs Autoren-Artikel mit einem unvorteilhaften Autorenfoto
versah – no PR-flack weit und breit war hier unterwegs.)
Von einer anderen Form des beeinflussten Schreibens erfuhr ich
heute beim Mittagsessen. In immer mehr autoritären Regimes scheint
es vorzukommen, dass einzelne Wikipedia-Autor*innen, die in dem
jeweiligen Land leben, einen Anruf oder einen Besuch bekommen. Mit
dem freundlichen Tipp, doch den ein oder anderen Artikel zu
„verbessern“ sonst.. Das ist natürlich noch raffinierter: Einfach
einen etablierten Nutzer und dessen Vertrauensvorschuss nehmen und
in dieser Tarnung PR-Edits durchführen.
Menschen können auf der Wikipedia:Auskunft
Fragen an die Wikipedia richten. Die Fragen sind mal banal, mal
lehrreich, und manchmal hohe Poesie. Daran solltet ihr
teilhaben.
Ich stelle mich auf, Brust nach vorne, Kinn nach oben, räuspere
mich noch einmal und deklamiere:
Wir waren dieses Jahr mit WikiAhoi wieder bei der SMWCon dabei. Die
Konferenz zu Semantic MediaWiki findet zweimal pro Jahr statt, im
Frühling in Nordamerika und im Herbst in Europa. Letztes Jahr waren
wir schon in Wien dabei und dieses Jahr gings ins
herbstlich-sonnige Barcelona. In freundlicher, persönlicher
Atmosphäre wurden technische Neuigkeiten, innovative Projekte und
besondere Anwendungsfälle besprochen. Wir möchten Sie an den
wichtigsten Neuerungen teilhaben lassen.
Neuigkeiten aus der Semantic MediaWiki-Welt
Semantic
Forms (Version 3.4 September 2015) hat sich
mittlerweile als eigenständige Erweiterung etabliert und ist nun
technisch nicht mehr von der Grunderweiterung Semantic MediaWiki
abhängig. Weitere wichtige Änderungen:
Statt den Spezialattributen werden nun ParserFunctions
eingesetzt.
Kartenbasierte Eingabeformate (Google Maps, Open Layers) sind
nun möglich – diese werden nur eingesetzt, wenn Semantic Maps nicht
vorhanden ist.
Weiters wird nun Cargo unterstützt, es
lassen sich in Formularen auch Eingabeformate und die
Autovervollständigungsfunktion aus Cargo nutzen.
Dazu kann man nun auch „mapping“-Werte hinterlegen, das sind
andere Werte, als auf der Seite angezeigt werden.
Ein neuer Parameter erlaubt es, nur einzigartige Werte
speichern zu lassen.
Alle roten Links können nun mit einer einzelnen Einstellung auf
eine Formularauswahlliste weitergeleitet werden.
Die MediaWiki Stakeholder’s
Group nahm die Konferenz zum Anlass, um weitere
Schritte zu besprechen: Ziel der Gruppe ist die Koordination und
die Kommunikation mit Wiki-Nutzern in Unternehmen, die
Unterstützung von Entwicklern und Administratoren und die
offizielle Kommunikation mit der Wikimedia Foundation. Wikipedia hat etwas
andere Ziele als einzelne Drittnutzer der Software MediaWiki. Es
geht also stark darum, die Interessen der Nutzer von Wiki in
Unternehmen zu vertreten und in der Weiterentwicklung der
Software voranzutreiben.
Interessante neue
semantischeErweiterungen
gibt es zu Breadcrumbs, Zitaten, Sprachenlinks und
Metatags:
Semantic Breadcrumb
Links – mittels Attributen können Breadcrumbs erstellt
werden, die eine Hierarchie erzeugen, ohne Unterseiten erstellen zu
müssen.
Semantic Cite – unabhängig
von der Cite
Erweiterung, ermöglicht das seitenübergreifende Verwenden von
Zitaten und eine automatische/manuelle Quellenliste.
Semantic
Interlanguage Links – automatische Sprachanzeigen (gibt es
diese Seite in anderen Sprachen?) in Wikis mit Interwikis.
Und warum „eine Konferenz mit Folgen“? Diese Konferenz hat
Folgen auf mehreren Ebenen: Wir haben persönliche Kontakte für
Zusammenarbeit und Austausch geknüpft, es wurden Ideen
beflügelt und Inspirationen für neue Projekte ausgetauscht,
die Motivation wieder gestärkt, das Projekt MediaWiki als Ganzes
voranzubringen und nicht zuletzt viele Features und
Software-Änderungen besprochen, die in der Regel meist recht
schnell umgesetzt werden. Die Konferenz war somit ein voller
Erfolg.
Die Konferenz fand von 28.–30.10.2015 in Barcelona statt, in der
schönen Fabra
i Coats Kunstfabrik im Stadtteil Sant Andreu. Knappe 40
Teilnehmer nahmen an einem Tutorial- und zwei Konferenztagen
teil.
Die deutschsprachige Wikipedia-Community versucht wieder einmal,
die Regeln zum bezahlten Schreiben zu verschärfen. Das Thema wabert
ungelöst seit Jahren durch das Wikiversum. Und auch dieses
Meinungsbild ist ein notwendiger Schritt voran. Aber der Weg ist
noch weit. Der beste Kommentar meinerseits wäre die Komposition
eines Quartetts für Singende Säge, Bassdrum, Cembalo und
Spottdrossel.
Aber ich kann nicht komponieren. Deshalb kommt das Nächstbeste:
ein Gedicht.
Wikipredia
Die Regeln existieren und doch
nicht nach Mondstand
Die Ethik absolut seit
Anbeginn nein denn ja
Die Praxis gesperrt verworfen
gelöscht freigeschaltet
Wikipredia Darwinismus der
Agenturen Überleben des
Dreistesten
Darmstädter Madonna
Hans Holbein der Jüngere, 1526/1528
Öl auf Nadelholz (?), 146,5 × 102 cm
Sammlung Würth, Johanniterhalle (Schwäbisch Hall)
Wikipedia-KNORKEerwähnte ich ja an
dieser Stelle schon einmal. Berliner Wikipedianerinnen und
Wikipedianer treffen sich und erkunden zusammen eine ihnen
unbekannte Gegend. Soweit so üblich. Diesmal jedoch gab es etwas
besonderes: Auf ins Museum!
In Berlin gastiert gerade die Darmstädter
Madonna, ein 1526 entstandenes Gemälde von Hans Holbeim dem
Jüngeren. Diese Madonna hat eine bewegte Lebens- und
Reisegeschichte, ist eines der bedeutendsten deutschen Gemälde des
16. Jahrhunderts und kann Menschen auch über Jahre faszinieren.
Wunderbar, wenn man eine kundige Bilderklärung der Autorin des
exzellenten Wikipedia-Artikels dazu bekommt.
Wir trafen uns einige Minuten vor der Öffnung in kleiner Gruppe vor
dem Bode-Museum und konnten - da alle Anwesenden über eine
Jahreskarte verfügten - auch sofort zur Madonna und zur
Sonderausstellung "Holbein
in Berlin" begeben. Der Raum war noch leer, die
Museumswachmannschaft ließ freundlicherweise die leise aber
engagiert redende Gruppe gewähren. Ein einziger Saal, in dessen
Mittelpunkt die Madonna hängt. Links davon einige
Holbein-Teppiche, ansonsten weitere Bilder und Zeichnungen von
Holbein, Inspiratoren und andere Madonnen. Nicht überladen,
sinnvoll aufbereitet und mit einem klaren Konzept - eine der
besseren Kunstausstellungen.
Und dann ging es los: Es begann mit Schilderungen von der bewegten
Entstehungszeit zur Zeit des Basler Bildersturms im Auftrag des
Basler Ex-Bürgermeisters Jakob Meyer zum Hasen. Die Aussage des
Bildes traditioneller Marienfrömmigkeit in Zeiten der Reformation
war Thema, ebenso natürlich wie der Teppich und seine Falte. Wir
staunten über die Eigentümlichkeit, dass sich niemand auf dem
Gemälde eigentlich anschaut und wurden über dden Unterschied
zwischen Schutzmantelmadonnen und Stifterbildern aufgeklärt.
Vermutungen tauchten auf, wo das Bild wohl im Original hing -
vermutlich in der Martinskirche
als Epitaph - und wir verfolgten gedanklich seine Wanderung aus
Basel über den Grünen Salon im Berliner Stadtschloss bis hin zum
Hause Hessen und das Frankfurter Städelmuseum bis hin zum
spektakulären Verkauf an die Privatsammlung Würth. Die Meinungen
über die Sammlung Würth in der Gruppe waren durchaus geteilt,
ebenso wie die richtige Benennung des Bildes: ist es nun eher die
Darmstädter Madonna oder eher die Madonna des
Bürgermeisters Jakob Meyer zum Hasen?
Über die Darmstädter Madonna ging es dann zur Dresdner Madonna und
einem der prägenden Momente deutscher Kunstgeschichte: dem Dresdner
Holbeinstreit. Im 19. Jahrhundert wurde es den Menschen
bewusst, dass es zwei fast identische Holbein-Madonnas gab und nur
eine die echte sein konnte. In einer großen Ausstellung, unter
lebhafter Anteilnahme der Öffentlichkeit und erregten Debatten der
Experten entschieden sich die Kunsthistoriker schließlich für das
Darmstädter Gemälde. Eine Sensation, da die Kunstkennerschaft
vorher felsenhaft von der Originalität des Dresdner Gemäldes
ausging. Hier zeigte sich erstmals das Bemühen, um eine rein
sachlich, objektive Abwägung der verschiedenen Gesichtspunkte - der
Dresdner Holbeinstreit ist einer der Ausgangspunkte um die
Kunstwissenschaft als Wissenschaft zu etablieren. Und - wie sich
später herausstellte - lag die Kunstwissenschaft auch in diesem
ihren Anfangsurteil richtig; sämtliche mittlerweile vorhandenen
naturwissenschaften Verfahren die Darmstädter Madonna als die
originale der beiden bestätigten.
Erkenntnisse am Rande: eine weitere Kopie des Gemäldes
(beziehungsweise eine Kopie der Kopie - es stellt aus
unerfindlichen Gründen das Dresdner Exemplar dar) hat sich in das
Set des James-Bond-Filmes "Man lebt nur zweimal verirrt".
Hans Holbein der Jüngere:
Bildnis des Danziger Hansekaufmanns Georg Gisze in London, 1532.
Eichenholz, 96,3 × 85,7 cm. Gemäldegalerie Dahlem der Staatlichen
Museen zu Berlin – Preussischer Kulturbesitz
Und nachdem wir dann auch noch gerätselt hatten, wer die beiden
Knaben unterhalb der Madonna sind, den verschwundenen Haaren der
Tochter nachspürten und weiter über den Teppich in der
Renaissancemalerei sinniert hatten, kamen wir dann nach knapp einer
Stunde noch zu Georg Giesze. Giesze (auch Georg Giese) ist
Titelheld in einem anderen Holein-Hauptwerk, das praktischerweise
fünf Meter weiter links hing. Wieder mit Teppich und nun auch noch
mit Glas, Metall, Bücherregalen und Briefen. Gedanklich begleitete
wir Holbein dann weiter von Basel nach Antwerpen und London.
Mittlerweile hatte sich der Raum etwas gefüllt. Nachdem wir dann
noch den Weg aus dem Museum gefunden hatte (wie immer im Bodemuseum
nicht ganz einfach und jedes mal findet man zwischendurch neue
Säle) folgte noch ein erschöpfter Abschlusskaffee.
Eine Stunde fast allein mit der Madonna. Und immer noch Neues zu
entdecken.
Über den Dächern, Türmen und Gasometern Westberlins senkte sich
die Abendsonne. Ich stand auf den Zinnen des Ullstein Castles und
sinnierte. Direkt unter mir Straßentreiben, Sirenen, betrunkene
Jugendliche, ein Ausflugsboot auf dem Teltowkanal, radelnde
Ausflügler überquerten die Stubenrauchbrücke.
In der Ferne betrachtete ich die Türme des
Spitzenlastheizkraftwerks Lichterfelde, der Sendeturm auf der
Marienhöhe, den BfA-Büroturm und den ehemaligen Wasserturm im
Naturpark Schöneberger Südgelände. Heute Nacht auf dem Heinweg:
Welchen Weg sollte ich wählen? Unten, im Süden, über den Prellerweg
vorbei am Sommerbad am Insulaner? Die Nordvariante über den
Tempelhofer Damm und durch die Kopfsteinpflaster Tempelhofs? Oder
die Mittelweg, mit Erklimmen der Höhe am Attilaplatz und später
über den Ikea-Parkplatz? So viel zu wählen.
Wahlen spukten in meinem Kopf herum. Da war die
Mitgliedsversammlung unseres Dauergartenvereins. Die
Vorstandswahlen dort sollten wahrscheinlich, hoffentlich,
unspektakulär verloren. Aber die Anträge. Wenn ein einzelnes
Mitglied auf einem A4-Blatt 40 verschiedene Anträge stellt, richtig
ernsthaft, dann verspricht das Unterhaltung.
Die Bundestagswahl: Auf dem Weg zum Ullstein Castle passierte
ich zahlreiche Bundestagstagswahlplakate: den unlesbaren Blob der
Grünen in Tarnfarbenoliv, die bildhaft dargestellte Biederkeit der
Berliner SPD, zahlreiche Kleinparteien von Team Tödenhöfer über
Volt bis zur Tierschutzpartei. Und so sehr es mich schmerzte das zu
sagen: Das Plakatgame gewannen bisher die CDU und ihr
Wahlkreiskandidat Jan-Marco Luczak. Sowohl optisch – als auch
damit, überhaupt inhaltliche Aussagen fern von Plattitüden zu
machen.
Vor allem aber war ich innerlich bei einer ganz anderen Wahl.
Die Wikimedia Foundation wählte und wählt ihr Board, auf Deutsch
das ehrenamtliche Präsidium der Wikimedia Stiftung. Die Wikipedia
steht meinem Herzen näher als der Bundestag und selbst als der
Dauergartenverein. Aber die Board-Wahlen erfordern merh Gedanken.
Diese Gedanken bedurften des Kontextes.
Was ist die Wikimedia Foundation?
Die Wikimedia
Foundation (WMF) ist die Betreiberin der Wikimedia-Projekte wie
zum Beispiel der Wikipedia aber auch Wikimedia Commons und
Wikidata. Die Foundation hostet die Server, stellt die Technik,
ist am Ende rechtlich dafür verantwortlich was in den Wikipedien
passiert. Dafür hat die Foundation derzeit etwa 450 Angestellte,
ein Endowment von 90
Millionen Dollar und hatte 2020 Jahreseinnahmen von 127 Millionen
US-Dollar.
Wo genau die Grenzen zwischen dem Einfluss der Wikimedia
Foundation und den Communities liegen, ist umstritten. Letztlich
kann die Foundation alles ändern und machen in den Projekten. Sie
ist meistens weise genug, es nicht zu tun. Insbesondere schreiben
keine Foundation-Mitarbeiter*innen in ihrer Arbeitszeit Artikel
oder legen Inhalte in den Projekten an.
Die Foundation ist eine Organisation eigener selbstgenügsamer
Vollkommenheit. Sie hat keine Mitglieder und ist – rechtlich –
niemand rechenschaftspflichtig. Das Board besetzt sich prinzipiell
aus sich selbst heraus. Es hat entschieden die Hälfte der Sitze
Wahlen der weltweiten Wikip/media-Communities besetzen zu lassen zu
lassen.
Was ist das Board of Trustees?
Das Board of Trustees ist das
ehrenamtliche Aufsichtsgremium der Foundation. Es hat derzeit 16
Sitze. Davon steht einer Jimmy Wales als Gründer zu, sieben Sitze
besetzt das Board selber, acht Sitze werden durch eine weltweite
Communitywahl bestimmt.
Nun ist allein aus den Worten „ehrenamtlich“ und „weltweit / 450
Mitarbeiter / 127 Millionen Dollar Einnahmen“ klar, dass das Board
eine abstrakte Leitungsposition einnimmt. Alleine, einen Überblick
über so eine Organisation zu behalten, ist eine Mammutaufgabe.
Dieser Organisation noch Vorgaben zu machen und sie in eine
bestimmte Richtung zu lenken, eine Herausforderung.
Die Gefahr, in Detailinformationen zu ertrinken oder sich
hoffnungslos im Alltagsgeschäft zu verfangen, ist groß. Seiner
Aufgabe nach, beaufsichtigt das Board, was die Vollzeitkräfte
machen und besetzt die Geschäftsführung.
Was zur Zeit ein besonderer Job ist: Die Geschäftsführerin der
Foundation Catherine Maher verschwand im April 2021 überraschend.
Der Posten ist seitdem unbesetzt. Ebenso wie sich die Chief
Operations Officer im Jahr 2021 verabschiedete, die Abteilungen
Communication und Technology auch niemand im Vorstand haben. Auf
dem Schiff besetzt nur eine Notbesatzung an Offizier*innen die
Brücke. Dem Board obliegt es derzeit, dieses Führungsvakuum schnell
und kompetent zu beenden.
Welche Kriterien habe ich?
Grundsätzlich sollte jede*r Kandidat*in zwei Kriterien
erfüllen. Sie sollte meine inhaltlichen Ziele teilen. Und sie
sollte in der Lage sein, sich in einem ehrenamtlichen Job gegen
eine komplette Organisation aus Vollzeitangestellten zu behaupten.
Oft genug stehen bei solch ehrenamtlichen Gremien Kandidat*nnen zur
Wahl, bei denen ich denke „Will Schlechtes, aber wird das
erreichen“ und „Will Gutes, ist aber planlos. Am Ende werden die
Hauptberuflichen machen was sie wollen. Oder es gibt Chaos.“
Angesichts der bewegten Zeiten, in denen wir leben; angesichts
der latenten Führungslosigkeit der Foundation derzeit, möchte ich
Kandidat*innen, die sich durchsetzen können. Kandidat*innen, die
nach Möglichkeit die US-Zentrik der Foundation aufbrechen können.
Ich möchte Kandidat*innen, die verstehen, dass Wikip/media keine
allgemeine Weltbeglückungsorganisation ist, sondern sehr
spezifische Sachen sehr gut durchführt – und andere überhaupt nicht
kann. Es bringt nichts, sich auf allgemeine Weltbeglückungsziele zu
stürzen, die weder die Foundation noch die Communities umsetzen
können.
Welche Kandidaten?
Insgesamt stehen 19 Kandidat*innen zur Auswahl, die um vier
Plätze streiten. Dabei sind Wikimedia-Urgesteine ebenso wie
Newbies, viele Männer, mir auffallend viele Inder, viele
Kandidat*innen mit NGO-Hintergrund, kaum eine*r, der/die
fortgeschrittene IT-Kenntnisse hat.
Die Urgesteine
Dariusz
Jemielniak – Professor of Management,
daueraktiv auf allen Ebenen und vielleicht der einzige Mensch, der
intellektuell versteht wie Wikipedia funktioniert.
Rosie
Stephenson-Goodknight – WikiWomensGroup, Women
in red, you name it. Bei überraschend vielen der
Wikipmedia-Genderaktivitäten, die funktionieren, ist Rosie
Stephenson-Goodknight beteiligt.
Gerard Meijssen – gefühlt
war Gerard schon Wikipedianer bevor es Wikipedia gab. Vielleicht
der spannendste Autor des Meta-Wikiversums und ein Chaot.
Mike Peel – langjähriges
Mitglied des Funds Dissemantion Committees. (FDC) Hat bei mir in
der Rolle durchgehend einen schlechten Eindruck hinterlassen.
Ravishankar Ayyakkannu – Mr.
Tamil Wikipedia, der seinem Resumee zufolge seit 2005 in der
Community und mit externen Partnern (wie Wikipedia Zero, Google)
zusammenarbeitete. Gewinnt bei mir Diversitätspunkte, weil er nicht
nur aus dem Global South stammt, sondern auch Ausbildung und
Berufstätigkeit dort durchführte.
Lorenzo Losa –
Ex-Vorsitzender von Wikimedia Italia.
Farah Jack Mustaklem – Software Engineer,
einer der wenigen Kandidaten mit Ahnung von Software. Aktiv bei den
Wikimedians of the Levant und der Arabic language User Group. Mir
persönlich zu sehr USA-sozialisiert für eine Board-Mitgliedschaft,
andererseits sicher in jeder Hinsicht kompetent.
Douglas Ian Scott –
Präsident von Wikimedia South Africa, Organisator der Wikimania
2018 und einziger Kandidat, den ich dank eines langen Wartepause am
Kofferband irgendeines Wikimania-Flughafens persönlich besser
kennenlernte – und begeistert war.
Iván Martínez – langjährig
engagiert bei Wikimedia Mexiko, LGBTQ+-Aktivist und soweit ich
hörte, das Wikiversum Lateinamerika ist begeistert von ihm.
Pavan Santhosh Surampudi –
Community Manager at Quora. Versteht also vermutlich professionell
etwas von Communities.
Adam Wight – Programmierer,
Ex-Angestellter und WMF und WMDE und neben Gerard der Vertreter des
Ur-basisdemokratischen, selbstorganisierten und
Gegen-Informationsmonopole-Geistes des frühen Movements.
Vinicius Siqueira – in Wiki
Movimento Brasil
Newbies
Es kann sich hierbei um langjährige und erfahrene
Wikipedianer*innen handeln, die im kleinen Rahmen auch Projekte
oder Gruppen organisiert haben. Erfahrungen in oder mit größeren
Organisationen im Wikiversum fehlt vollkommen.
Lionel Scheepmans
Pascale Camus-Walter
Raavi Mohanty
Victoria Doronina
Eliane Dominique Yao
Ashwin Baindur
Wen werde ich wählen?
Leute, die sich durchsetzen können, und die auch die Grenzen des
Wikiversums sinnvoll einschätzen können. Perspektiven auf das
Leben, anders aussehen als „in US-NGOs sozialisiert“ werden
bevorzugt.
Die Top 4
Douglas Ian Scott
Iván Martínez
Adam Wight
Dariusz Jemielniak
Top 8
Rosie Stephenson-Goodknight
Lorenzo Losa
Farah Jack Mustaklem
Gerard Meijssen
Wählbar
Reda Kerbouche
Pavan Santhosh Surampudi
Ravishankar Ayyakkannu
Wer wird wählen
Es wählen alle Menschen, die vage aktive Accounts in einem
Wikimedia-Projekt haben. Die Bedingungen dafür sind niedrig
angesetzt. Für Autor*innen ist es nötig 300 Bearbeitungen zu haben,
kein Bot zu sein und höchstens in einem Projekt gesperrt zu sein.
Die Bedingungen für die Board-Wahlen sind somit einfacher zu
erfüllen als die Bedingungen zum Sichten in der deutschen
Wikipedia. Die Kriterien mussten am 5. Juli 2021 erfüllt sein. Es
hilft nicht, jetzt noch schnell zu editieren.
Das Wahlsystem
Es gilt das Präferenzwahlsystem.
Dieses wird weltweit von einschlägigen Fachleuten als besonders
fair bezeichnet. Es verzerrt den Wählerwillen weniger als viele
andere Wahlsysteme. Praktisch wird es allerdings nur selten
eingesetzt. Die bekannteste Wahl mit Präferenzwahl in letzter Zeit
war die Bürgermeister*in-Wahl in New York, New York.
Bei Wahlsystem nummeriert man „seine“ Kandidat*nnen nach
Präferenzen. Die beste Kandidatin bekommt eine Eins, der Kandidat
danach eine zwei und so weiter. Hält man keine Kandidatin mehr für
geeignet, hört man auf zu nummerieren.
Bei der Wahl werden in der ersten Runde alle Präferenzen mit „1“
gezählt. Ein Kandidat hat am wenigsten davon. Dieser scheidet aus.
Von allen „1“-Wählerinnen des Kandidaten werden nun die
„2“-Präferenzen seiner Wählerinnen auf die entsprechenden
weiteren Kandidaten verteilt. Und so weiter, bis nur noch so viele
Kandidatinnen übrig sind, wie es Plätze zu besetzen gilt.
Im ICE ist Deutschland. Der Zug fährt ein und hält. Das Schild am
Gleis behauptet tapfer „Zugdurchfahrt“. Die Türen lassen sich
öffnen. Am Zug steht nichts geschrieben, außer Wagennummern, die
nicht zu den Reservierungen passen. Das Publikum bleibt irritiert.
Etwa die Hälfte der Anwesenden geht in den Zug und bleibt im
Wageninnern ratlos stehen. Die andere Hälfte steht ratlos am
Bahnsteig.
Schließlich: Lichter gehen an. Der Zug verkündet mittels seiner
Anzeigen nun auch, nach Kassel zu fahren. Eine Frau
entschuldigt sich über die Lautsprecheranlage über die falschen
Wagennummern, man solle ich immer zehn wegdenken „Also 22 statt der
angezeigten 32.“
Ein Mensch mit re:publica-Bändchen am Arm verscheucht die ältere
Dame ohne Reservierung von seinem Platz und liest den gedruckten
Spiegel. Ich höre ein angeregtes Gespräch zwischen einem
Musicaldarsteller und einer Abteilungsleiterin im Innenministerium,
die sich gerade kennenlernen über, den relativen Wert von
Musikgymnasien in Berlin. Geht es noch deutscher?
Illustration aus
dem Buch ""Le tour du monde en quatre-vingts jours" Alphonse de
Neuville & Léon Benett
Passenderweise habe ich ein entsprechendes Buch mitgenommen. Nils
Minkmars „Mit dem Kopf durch die Welt.“ Das hat schon auf dem Cover
ein ICE-Fenster und geht der Frage nach, was Deutschland bewegt.
Minkmar lässt sich über deutsche Normalität aus. Der deutsche
Ingenieur, lange Jahrzehnte Sinnbild der Normalität, sei nicht mehr
normal. Minkmar erzählt aus seiner französisch-deutschen
Kindheit:
„Meine Mutter nannte dann immer eine
Berufsgruppe, die uns besonders fern war, nämlich les
ingenieurs. Wir waren in Deutschland […] und das ganze frisch
aufgebaute Land ruhte auf Säulen, die les ingenieurs
berechnet, gegossen und zum Schluss noch festgedübelt hatten. […]
Viele Jahre später sollte ich die Gelegenheit haben, diese seltene
Spezies besser studieren zu können. Sie saßen direkt hinter mir,
zwei ausgewachsene Exemplare: Ingenieure, Familienväter, auf der
Rückfahrt von einer Dienstreise. Sie plauderten über die sich
verändernden Zeiten. […] Fernsehen, Marken, Politiker, auf keinem
Gebiet fanden sich diese beiden braven Männer wieder, alles zu
grell und bunt, zu aufgeregt. Ihre spezifischen Werte und Tugenden,
Sorgfalt und diese stille Freude an der eigenen Biederkeit, das
alles war an den Rand gerückt. Ingenieure waren nun Exzentriker.
[…] Diese Männer fanden sich kulturell kaum zurecht.“
Wenn „der deutsche Ingenieur“ nicht mehr normal in Deutschland ist,
sind es jetzt Ministerialbeamtinnen und Musicaldarsteller?
Forschung Maschinenbau Braunschweig
Minkmar war noch nicht in Braunschweig. Oder Braunschweig ist nicht
normal. Da steige ich harmlos aus dem Zug und die Stadt schlägt mir
„Deutscher Ingenieur“ rechts und links um die Ohren. Braunschweig
hebt das Thema "autogerechte Stadt" in Höhen, die selbst mir als
gebürtigem Hannoveraner unerreichbar schienen.
Braunschweig.
Bahnhofsvorplatz.
VW ist daran beteiligt, ist klar in der Gegend. Aber nicht nur. Ich
wandelte also Freitagabend gegen 21 Uhr auf der Suche nach einem
Wegbier durch das verlassene Braunschweig, passierte die Stadthalle
und wurde prompt begrüßt mit „Tag des Maschinenbaus. Herzlich
Willkommen.“
Vor allem aber fiel mir bei diesem Wandeln auf, wie
unglaublich gepflegt diese Stadt aussieht. Ich erblickte
keine einzige Kippe auf dem Weg. Selbst die Großbaustelle, über die
irrte, wirkte irgendwie aufgeräumt. Viel verwunderlicher war, dass
selbst die in Braunschweig reichlich vorhandenen 1970er-Großbauten
gepflegt und sorgsam hergerichtet wirkten. Die Stadthalle selber,
offensichtlicher spät 1960er/früh 1970er-Stil wirkte besser
gepflegt als Berliner Gebäude nach zwei Jahren. Die Wege und Lampen
darum herum: offensichtlich keine zehn Jahre alt. Sie wirkten wie
frisch aus der Packung genommen.
Wegbier. In
Braunschweig nur schwerlich aufzutreiben, dann aber
stilgerecht,
Selbst die Schwimmbäder sind alle gepflegt(*), alle haben
gleichzeitig geöffnet und keines ist aus obskuren Gründen gesperrt.
Da spielt nicht nur bürgerschaftliches Engagement eine Rolle,
sondern offensichtlich ist auch Geld vorhanden.
Auf dem Hotelzimmer, noch so ein sehr gut gepflegter und
hergerichteter Bau, der einem „1970er!“ ästhetisch schon ins
Gesicht schreit, mit dem Hotel-Wlan (7 Tage, 7 Geräte) nachlesend,
wie das nun ist mit Braunschweig. Bekanntes taucht beim Nachlesen
auf: Die physikalische-technische Bundesanstalt mit der Atomuhr;
geahntes lese ich (Volkswagen – hey, das ist Niedersachsen und die
Technische Universität existiert ja auch) und nicht bekanntes:
„Im gesamten Europäischen Wirtschaftsraum
(EWR) verfügt die Region Braunschweig über die höchste
Wissenschaftlerdichte,[103] im bundesweiten Vergleich über eine
hohe Ingenieurquote[104] sowie über die höchste Intensität auf dem
Gebiet der Ausgaben für Forschung und Entwicklung. In der Region
Braunschweig arbeiten und forschen mehr als 16.000 Menschen aus
über 80 Ländern[105] in 27 Forschungseinrichtungen sowie 20.000
Beschäftigte in 250 Unternehmen der
Hochtechnologie[106]“
Dazu noch „Braunschweig ist die Stadt mit der niedrigsten
Verschuldung Deutschlands.“ Und nach einer obskuren EU-Rangliste
ist Braunschweig die innovationsfreudigste Region der EU vor
Westschweden und Stuttgart. Hier lebt der deutsche Ingenieur. Hier
lebt die deutsche Technik. Was für ein passender Ort für Jules
Verne.
Jules Verne
Jules Verne; französischer Erfolgsautor des 19. Jahrhunderts und
vor allem bekannt als "Vater der Science Fiction." Von seinem
vielfältigen Werk sind vor allem die Abenteuer-Techno-Knaller wie
Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer, die Reise Von der
Erde zum Mond oder die Reise zum Mittelpunkt der Erde
bekannt. Wikipedia und die Deutsche Jules-Verne-Gesellschaft hatten
ein gemeinsames Wochenende organisiert mit einer Tagung zu Jules
Verne und Gesprächen zu Wikipedia.
Volker Dehs
bestreitet das halbe Programm
Jules Verne, mir vor allem bekannt durch vage Erinnerungen an den
1954er Nemo-Film, Weiß-orange Taschenbücher und einen blau
eingebunden Robur-Roman, der mich verstörte, weil er so anders war
als die großen mir bekannten Abenteuerromane von Jules Verne. Warum
ich überhaupt fuhr: Intuition. Ich hätte nur schwerlich begründen
können, was genau mich reizte, aber die Mischung aus Vertrauen in
die Veranstalter, Science Fiction und Neugier auf diese andere
niedersächsische Stadt nach Hannover, trieben mich dorthin.
Verne selber gilt als Begründer Science Fiction. Und so bringt er
als Autor frankophile Literaten und Groschenromanfans, Ingenieure
und Naturwissenschaftler zusammen. Besessene Bibliographen waren
Thema und Anwesend, ebenso wie die phantastische Bibliothek in
Wetzlar – die Mischung der Jules-Verne-Aktiven unterscheidet sich
gar nicht so sehr von der Mischung der Wikipedia-Aktiven. Die
Perspektiven, aus denen Verne hier unter die Lupe genommen wurden,
waren vielgestaltiger als sie es in der Literatur sonst sind.
Faszinierend hier war die Neigung unterschiedlicher und leicht
besessener Menschen sich zu einem Thema auseinanderzusetzen.
Haus der
Braunschweigischen Stiftungen - Veranstaltungsort.
Dementsprechend hatte der Veranstalter, der Wikipedia-Autor
Brunswyk das Programm gestaltet: ist Verne eher katholisch oder
eher laizistisch? Kam der Wille zur Aufklärung in seinen Büchern
durch seinen Verleger Pierre-Jules Hetzel hinein, während auf Verne
eher zurückgeht, dass alles menschliche Streben gegenüber der
göttlichen Macht sinnlos bleibt? Wen inspirierte er? Ist es eine
sinnvolle Frage, dem nachzugehen, welche seiner Voraussagen, sich
bewahrheiten? Dazu kamen dann noch Exkursionen zu Friedrich
Gerstäcker, Fenimore Cooper, die Ingenieure, die ihre U-Boote dann
nach Jules Verne „Nautilus“ nannten – und stark von diesem
beeinflusst waren
Für mich brachte das Treffen interessante Erkenntnisse, wie die
Tatsache, dass Verne immer Theaterautor oder – produzent werden
wollte und wie sehr der Katholizismus sein Denken beeinflusste.
Romancier war er eher gezwungenermaßen – und verdiente mit seinen
zwei erfolgreichen Theaterstücken in seinem Leben ein Viertel so
viel Geld wie mit etwa 80 bis 100 Romanen.
Interessant das Rätseln aller Anwesenden, warum Vernes Roman "der
Grüne Strahl" so ein kommerzieller Erfolg war, was niemand der
Anwesenden nachvollziehen konnte. Und dann eine Dreiviertelstunde
später kam die Bemerkung in einem anderen Zusammenhang,
dass "der Grüne Strahl" quasi Vernes einziges Buch mit einer
weiblichen Hauptfigur war. Ich ahne einen Zusammenhang,Update: Es kam wie es kommen musst. Da denke ich mal, ich
habe etwas entdeckt, dabei habe ich nur etwas falsch verstanden.
Tatsächlich ist Der Grüne Strahl nicht das einzige Werk mit einer
Protagonistin. Das prägnanteste Buch ist dabei Mistress Branican*, da hier die Titelfigur
die komplette Handlung quasi im Alleingang bestreitet. Aber auch in
anderen Büchern spielen Frauen eine wichtige Rolle (und dieser
Umstand war Jules Verne sogar so wichtig, dass er in Interviews
darauf hinwies): Die Kinder des Kapitän Grant*, Nord gegen Süd*, Reise um die Erde in 80 Tagen*, Ein Lotterielos* ... und einige mehr.
(*Affiliate Links)
Für mich neu war die Erkenntnis, dass ein Großteil von Vernes Werk
gar nicht in den Bereich Science Fiction gehört, sondern es
(fiktive) Reisebeschreibungen sind. Und selbst dort wo Verne
Maschinen und phantastische Gerätschaften erfindet, dienen diese
vor allem dem Zweck zu reisen.
Und jetzt recherchiere ich, natürlich, zum Grünen Strahl.
Die Phantastische Bibliothek
Meine beiden Programmhighlights beschäftigten sich nur mittelbar
mit Jules Verne. Sie kamen von der Phantastischen Bibliothek
Wetzlar: zum einen der Rückblick von Thomas Le Blanc auf Wolfgang
Thadewald. Den großen Phantastik- und Jules-Verne-Sammler.
Thadewald verstarb 2014. Er
lebte in Langenhagen. Mehrere der Anwesenden hatten ihn noch
persönlich gekannt. Und die Schilderung seiner Sammlertätigkeit,
seiner Liebe zu Büchern und zu Menschen, aber auch die Besessenheit
mit der Thadewald an ein Thema heranging und auch von Krankheit
schon schwer gekennzeichnet das Arbeiten an Bibliographien nicht
lassen konnte – es ließ sich nicht anders beschreiben als bewegend.
Sicher war dieser Vortrag mein emotionaler Vortrag des
Programms.
Wer auch immer aber auf die Idee kam, den Vortrag von Klaudia
Seibel zu Future Life: Wie (nicht nur) Jules Verne dabei
hilft, die Zukunft zu gestalten an Ende der Konferenz zu legen:
Chapeau! Das Projekt ist, kurz gesagt, ein Projekt der
Phantastischen Bibliothek. Die stellt zu bestimmten Themen Dossiers
zusammen, wie Science-Fiction-Autoren sie sich vorstellen. Die
Berichte werden manchmal von öffentlichen Stellen, öfter von
Großunternehmen bestellt, die damit selber zukunftsfähig werden
wollen und in die Zukunft denken.
Wobei Auftraggeber von Staats wegen selten sind. Die meisten
Aufträge kommen aus der Privatwirtschaft. Die allerdings meist
gleich umfangreiche Verschwiegenheitsklauseln verlangt, weshalb die
Phantastische Bibliothek da wenig zu sagen kann.
Da haben also Autoren und Mitarbeiter der Bibliothek ein profundes
Wissen über die Science-Fiction-Literatur und die größte Bibliothek
ihrer Art im Hintergrund und seit mittlerweile einigen Jahren eine
große Datenbank aufgebaut, was Autoren zu verschiedenen Themen
schreiben.
Als jemand, der ich selbst weiß, wie viele Situationen ich durch
gelesene Bücher interpretiere – Bilder aus diesen Büchern im
Hinterkopf habe und mir immer wieder mal sagen muss, dass ein Roman
nur bedingt real ist, glaube ich sofort, dass es nichts gibt, was
so sehr Denkprozesse auslösen und Kreativität triggern kann, wie
Romane. Der befreit das Hirn gerade vom strikt
logisch-folgerichtigen Denken, verrückt die Perspektive etwas nach
links oder oben, und schon öffnen sich vollkommen neue
Gedankenwege. Die Idee ist so brillant, dass es überraschend ist,
dass sie wirklich angenommen wird. Anscheinend wird sie das.
Mensch Maschine Normal
Und nachdem ich dann wieder im Zug saß und das erste Handy-Ticket
meines Lebens gekauft hatte, fragte ich mich wieder. Ist diese
Stadt – die mir in vieler Hinsicht – so unfassbar „normal“
vorkommt, vielleicht die große Ausnahme? Sind die
Musicaldarsteller, die mit „dem Alex“ [Alexander Klaws]
telefonieren, normal? Die Menschen im Ministerium? Die größten
Jules-Verne-Experten des Landes, die alle noch einen anderen
Brotjob haben? Oder eher die Normalität vieler Menschen, die darin
besteht, am Ende des Monats zu überlegen, wie denn die letzten 10
Tage mit dem leeren Konto noch überbrückt werden können?
Brauschweig ist die verstädterte Mensch-Maschine-Kopplung. In
seiner Normalität sicher schon wieder ein Ausnahmefall in
Deutschland. Aber ich sah die Zukunft: sie sitzt in einer
Bibliothek in Wetzlar und liest Science-Fiction-Romane.
Auch zu Schwimmbädern ein schönes Minkmar-Zitat aus dem
Mit-dem-Kopf-durch-die-Welt.Buch:
„Nichts gegen das große Geld und die
wenigen, die es genießen können, aber die Stärke mitteleuropäischer
Gesellschaften liegt gerade in der Mischung. Für Reiche ist es in
Singapur, Russland und Malaysia ideal. […]Glaspaläste und Shopping
Malls gibt es auf der ganzen Welt, bald vermutlich auch unter
Wasser und auf dem Mond. Öffentliche Freibäder, Stadtteilfeste oder
Fußgängerzonen, in denen sich Reiche und Arme, Helle und Dunkle,
Christen und Muslime mit ihren Kindern vergnügen und drängeln, gibt
es nur hier. Ich fand es immer erstaunlich, dass es in Algerien
beispielsweise keine öffentlichen Schwimmbäder gibt oder dass man
in den USA oder in Brasilien Mitglied in einem Club werden muss.
Das ist eine teure und in vieler Hinsicht sozial sehr
voraussetzungsreiche Angelegenheit, nur um mit den Kindern mal
schwimmen zu gehen, es sei denn natürlich, jeder hat seinen eigenen
Pool im Garten, was, für mich zumindest, wie eine Definition von
struktureller Langeweile klingt.“ (s. 104)
*Dieser Post enthält Affiliate Links zu geniallokal. Es
handelt sich dabei um Werbung. Ich bekomme eine kleine Provision,
wenn ihr dort bestellt, und ihr habt bei den Guten
bestellt.
I still remember the time when real life meetings for
Wikipedians were new and adventurous and a bit scary. Did one
really want to meet these strange other people from the Internet?
How would they be? Could they even talk in real life or would they
just sit behind a laptop screen staring on it for hours?
My first meeting in Hamburg – THE first Wikipedia meeting in
Hamburg - would consist of three people (Hi Anneke, Hi Baldhur!)
sitting in a pub, and just waiting and seeing what would happen.
These meetings were kind of improvised, in a pub, quite private and
personal in nature and no talk about projects, collaborations, “the
movement” whatever. Just Wikipedia and Wikipedians having a nice
evening.
So what a fitting setting to celebrate this day in Berlin just the
old school way. Half improvised, organized by our dearest local
troll user:Schlesinger
on a talk page, we met in a pub, it was not clear who would come
and what would happen except some people having a good time.
And so It was. In the “Matzbach” in the heart of Berlin-Kreuzberg
seven people promised to come, in the end we were almost twenty.
Long time Wikipedians, long-time-no-see-Wikipedians, a Wikipedian
active mostly in Polish and Afrikaans, some newbies and two and a
half people from Wikimedia Deutschland. Veronica from Wikimedia
Deutschland brought a tiny but wonderful home-baked cake, and we
just talked and laughed, talked about history and future.
Actually, mostly we talked about future.
About the Wikipedian above 30, who has just started a new a
university degree in archaeology, the question whether the Berlin
community should have its own independent space, industrial beer,
craft beer and the differences, the district of Berlin-Wedding, the
temporary David-Bowie-memorial in Berlin-Schöneberg, the vending
machine for fishing bait in Wedding, new pub meet-ups in the
future, who should come to the open editing events, how to work
better with libraries, colorful Wikipedians who weren’t there,
looking for a new flat, whether perfectionism is helpful or rather
not when planning something for Wikipedians, explaining Wikipedia
to the newbie, the difficulties of cake-cutting and whatsoever.
No frustration, almost no talk about meta and politics, just
Wikipedians interested in the world, Wikipedia and eager to be
active in and for Wikipedia and with big plans for the future. Old
school. So good.
Crossposting eines Posts von mir aus demWikipedia
Kurier. Erfahrungsgemäß lesen das dort und hier ja doch andere
Menschen.
Wikipedistas kommen und gehen. Manchmal gehen mehr, manchmal
weniger. Einzelne davon fallen durch ihr Wirken in der gesamten
Wikipedia auf oder versuchen sich wenigstens durch einen
spektakulären Abgang in Szene zu setzen. Die meisten Autoren und
Autorinnen aber gehen genauso still und leise wie sie gekommen sind
und gearbeitet haben.
Die unseligen Autorenschwund-Debatten der unseligen Wikimedias
kümmern sich ja um Zahlen und nicht um Autorinnen und Autoren. Wie
armselig! Den Meta-aktiven Communitymitgliedern - aka Wikifanten -
fallen vor allem die anderen Wikifanten auf, die entschwanden.
Dabei zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass es um lauter
einzelne Individuen mit verschiedenen Vorlieben, Arbeitsstilen und
Interessen geht, die in Wikipedia tätig waren und sind. Es gibt vor
allem diejenigen, die kommen, einen Beitrag leisten und dann wieder
verschwinden. Der größte Teil der tatsächlichen Wikipedia wird von
Menschen und Accounts gestaltet, deren Edits fast nur im
Artikelnamensraum aufzufinden sind. Manchmal arbeiten sie
unermütlich über viele Jahre, manchmal auch nur einige Wochen an
einen oder zwei Artikeln. Viele davon sind als IP aktiv, so dass
sich fast nichts über sie sagen lässt. Vielleicht sind die
Beitragenden per IP auch gar nicht viele, sondern eine einzige sehr
fleißige Autorin? Wer weiß?
Viele Wikipedianerinnen und
Wikipedianer sind derzeit inaktiv.
Anlässlich des Projektes
WikiWedding und in meinem Bestreben möglichst viele
Wedding-Aktive daran zu beteiligen, lese ich ja derzeit viele
Artikel zu einem Themengebiet, das mir in den letzten Jahren eher
fremd war und an dessen Entstehung ich nicht beteiligt war. Wer
sich in den letzten Monaten am Thema beteiligt hat, ist mir
bewusst, wer sich von 2001 bis 2014 des Weddings angenommen hat,
musste ich nachlesen. Eine spannende Lektüre voller mir unbekannter
Namen und Accounts. Neben einigen mir bekannten Wikipedistas waren
dort vor allem mir unbekannte Accounts. Accounts, die oft aufgehört
haben zu editieren. Meist sind sie still und leise gegangen. Ihre
Edits und Kommentare geben keinen Hinweis warum. Aber anscheinend
war es anderswo schöner. Oder sie hatten den Einruck, alles in
Wikipedia geschrieben zu haben, was sie beitragen wollten. Um
diesen Autorinnen und Autoren zumindest nachträglich etwas
Aufmerksamkeit zu geben, um ihre Namen kurz aus den Tiefen der
Versionsgeschichten zu retten, sollen hier einfach einige
Autorinnen(?) und Autoren gewürdigt werden, die sich um den Wedding
in Wikpedia bemühten bevor sie verschwanden.
Da ist zum Beispiel der Artikel zur Chausseestraße.
Ein Mammutwerk von Gtelloke,
dessen Wikipedia-Edits sich von Juni bis Dezember 2012 fast
ausschließlich auf diesen Artikel beschränkten.
Bild: Die Chausseestraße 114-118 in Richtung
Invalidenstraße von Gtelloke
Da ist der Artikel zum Wedding selber.
Angelegt 2002 von Otto, dessen
letzter Edit aus dem Dezember 2004 stammt. Im November 2004 dann
maßgeblich ausgebaut von Nauck, der sich
auch sonst dem Ortsteil und seinen Themen widmete. Artikel zu
Moabit, den Meyerschen Höfen, Mietskasernen und Schlafgängern waren
Teil seines kurzen Werks, das im Wesentlichen nur zwei Wochen im
November 2004 dauerte, aber die Grundlagen wichtiger Artikel zur
Berliner Sozialgeschichte legte. Ein Blick auf seine Benutzerseite
zeigt auch den Geist der Wikipedia-Frühzeit: ''GNU rockt! Der König
ist tod, lang lebe das Volk! Lang lebe die Anarchie des Netzes!
Licht und Liebe''
Weiterer Ausbau erfolgte durch 87.123.84.64,
auch zu wikipedianischen Urzeiten. Dann passierte 500 Edits und
acht Jahre im Wesentlichen nichts – mal ein Halbsatz hier, mal die
Hinzufügung von drei Bahnstrecken dort, Hinzufügen und Löschen von
berühmten Persönlichkeiten bis im Dezember 2014 der erste heute
noch aktive Wikipedianer hinzukommt: Fridolin
freudenfett verpasst dem Artikel mit „Katastrophalen Artikel
etwas verbessert)“ eine Generalüberholung.
Der Leopoldplatz;
angelegt von Frerix, der in
den immerhin fünf Jahren seiner Wikipedia-Aktivität nie auch nur
eine Benutzerseite für nötig hielt und anscheinend auch in keine
Diskussion verwickelt wurde. Zu seinen wenigen Beiträgen
gehören neben der Anlage des Leopoldplatzes auch noch die Anlage
der englischen Stadt Sandhurst, die Anlage des Kreuzviertels in
Münster und des Three Horses Biers. Dann war er/sie wieder weg.
Mutter des Artikels ist hier aber 44Pinguine,
die den heutigen Inhalt maßgeblich prägt und auch heute noch aktiv
ist.
Nichts war für die Entwicklung des Weddings wohl so entscheidend
wie die Geschichte der AEG. Dieser Artikel stammte
in seiner Frühzeit von WHell,
engagiertem Wikifanten, mit ausführlicher
Artikelliste und Diskussionsseite, der uns 2007 verließ. Der
letzte Eintrag auf seiner Diskussionsseite war „Hallo WHell, ich
möchte Dich als den Hauptautor darüber informieren, dass ich den
Artikel John Bull (Lokomotive) in die Wiederwahl zum Exzellenten
Artikel gestellt habe,“ Größere Beiträge zur WEG folgten in den
späteren Jahren durch Peterobst –
aktiv von Februar bis April 2006 vor allem mit Beiträgen zur
Berliner Industriegeschichte, nach seiner Benutzerseite AEG-Kenner
und in Arbeit an einem Buch über den Konzern. Es folgten
80.226.238.197, von Georg
Slickers 2006 (auch heute noch aktiv, wenn auch recht
unregelmäßig), Flibbertigibbet
2006 ,
79.201.110.89 im Jahr 2008 und der unermüdlichen 44Pinguine.
Weiter ausgebaut von Onkel
Dittmeyer, aktiv von 2009 bis Juli 2015 in Technikthemen und
vielleicht immer noch unter neuem Account? Begann seine Karrier mit
der Nutzerseite „Hier ist Nichts und das soll so bleiben !“ und
hielt sich im Wesentlichen daran.
Da ist der Volkspark
Rehberge. Angelegt von Ramiro 2005,
aktiv 2005/2006, vor allem zum Thema Fußball. Maßgeblich ausgebaut,
umfassend überarbeitet 2007 von
84.190.89.208 und noch einmal 2010 stark erweitert von Katonka.
Landschaftsplaner mit unregelmäßigen Edits zwischen 2009 und 2014,
die Edits waren wenige, aber die Qualität war hoch.
Bild: LSG-6 Volkspark Rehberge Berlin
Mitte - Panoramabild auf die Wiesen des Volkspark Rehberge in
Berlin, Wedding (Mitte). Von:
Patrick Franke Lizenz: CC-BY-SA
3.0
Neben diesen Verschwundenen tauchen glücklicherweise aber auch
heute noch aktive Wikifanten auf. Immer wieder 44Pinguine und
Fridolin freudenfett. Darüber hinaus Definitiv,
Magadan,
Flibbertigibbet und Jo.Fruechtnicht.
Die Artikel entstanden durch Wikifanten und IPs. Accounts mit nur
einem Thema oder anderen, die über Jahre thematisch sprangen.
Während in der Frühzeit aber viele verschiedene Accounts und IPs an
den Artikel beteiligt waren, waren in den letzten Jahren deutlich
weniger Menschen aktiv. Fast alle inhaltlichen Edits in den von mir
angesehenen Artikeln verteilen sich auf 44Pinguine, Fridolin
freudenfett und Definitiv. Wikipedia wird kleiner und noch lebt
sie. Aber wir können all‘ den Verschwundenen danken, die vor uns
kamen.
Seit nun schon ein paar Jahren hört man immer wieder über
Probleme in der kroatischen (und zu einem gewissen Grad auch der
serbischen) Wikipedia. Rechte Gruppen sollen das Projekt übernommen
haben und alle Wikipedianer, die nicht ihrer Meinung sind,
rausgeekelt oder einfach gesperrt haben.
Lange war nichts passiert, aber seit Ende letzten Jahres sah
sich die WMF dann doch mal die Situation an und es wurde schon
zumindest ein Admin gebannt.
Nun hat die WMF ein Abschlußdokument veröffentlicht; oder
genauer schon Mitte Juni und ich habe es erst heute bei reddit
gesehen. In dem Dokument finden sich solche Perlen, als das in hrwp
behauptet wurde, Nazi-Deutschland habe Polen überfallen weil Polen
einen Genozid an Deutschen verübt hätten.
Der ganze Bericht kann
hier gefunden werden. Mich macht die ganze Geschichte sowohl
traurig als auch wütend. Wikipedia soll die Leute so gut es geht
aufklären und nicht Propaganda verbreiten!
Ich habe heute dieses Blog auf einen neuen Server umgezogen,
sein DNS aktualisiert und sein SSL repariert. Werde versuchen, es
nun wieder öfters zu befüllen. Wünscht mir Glück 🙂.
Bereits seit gestern und noch bis zum 28. April laufen die
Oversighter-Wahlen. Doc Taxon, User:He3nry
und Nolispanmo treten zur Wiederwahl an. Ich wünsche: Viel
Erfolg!
Eine der schöneren unbekannten Ecken der Wikipedia ist die Seite
zur
Auskunft. Dort können Menschen mögliche und unmögliche Fragen
stellen, die dann mal launisch, mal larmoyant, mal ernsthaft oder
auch gar nicht beantwortet werden. Wie im wahren Leben und eine
ewige Fundgrube obskuren Wissens, seltsamer Fragestellungen und
logischen Extremsports.
Nicht die DDR. Bild: Giorgio Conrad
(1827-1889) - Mangiatori di maccheroni. Numero di catalogo:
102.
Dort nun fragte vor ein paar Tagen ein unangemeldeter Nutzer:
"Warum
gab es in der DDR eigentlich nur Makkaroni (die in Wirklichkeit
Maccheroncini waren), aber keine Spaghetti? Das erscheint mir nach
Lektüre einiger Bücher aus der DDR so gewesen zu sein und ist mir
auch so von meiner aus Ex-DDR-Bürgern bestehenden Verwandtschaft
bestätigt worden. Warum?"
Es folgte eine längere und mäandernde ausgiebige Diskussion, die
immerhin folgendes ergab:
* Anscheinend gab es in der DDR Spaghetti, zumindest erinnerten
sich einige der Diskutanten an derartige Kindheitserlebnisse.
* Ob Spaghetti so verbreitet waren wie Makkaroni oder Spirelli,
darüber bestand Uneinigkeit.
* Die Nudelsaucensituation war in Berlin besser als im Rest der
DDR.
* Die DDR allgemein pflegte in vielerlei Hinsicht traditionellere
Essgewohnheiten als Westdeutschland, die Küche der DDR ähnelte in
vielem mehr der deutschen Vorkriegsküche als dies für die
westdeutsche Küche gilt.
* In Vorkriegszeiten waren Makkaroni verbreiteter als
Spaghetti.
* Schon bei Erich Kästner wurden Makkaroni gegessen
* Der Makkaroni-Spaghetti turn im (west-)deutschen Sprachraum war
Mitte der 1960er
* Schuld könnten wahlweise das mangelnde Basilikum, die mangelnde
Tomatensauce, überhaupt mangelnde Kräuter, Italienreisen,
Gastarbeiter, Miracoli oder auch was ganz anderes sein.
* Klarer Konsens im Rahme: Sahne gehört keineswegs in Sauce
Carbonara!
Gab es in der DDR nicht: Miracoli. Bild:
Miracoli-Nudeln mit Mirácoli-Soße von Kraft. Von: Brian
Ammon, Lizenz: CC-BY-SA
3.0
Daneben tauchten eine ganze Menge Kindheitserinnerungen auf an
exotische Spaghettimahlzeiten mit kleingeschnittenen Spaghetti,
Ketchup-basierter Tomatensauce und anderen kulinarischen Exotika
des geteilten Deutschlands.
Einige Antworten, viel mehr Fragen:
* seit wann wird in Deutschland überhaupt Pasta gegessen?
* wie lange schon ist Tomatensauce verbreitet?
* seit wann essen westdeutsche Spaghetti?
* Und wer ist Schuld? Die Gastarbeiter? Die Italienurlauber?
Miracoli?
* Und wie kommen eigentlich die Löcher in die Makkaroni?
Also verließen wir dann erst einmal die Auskunft und die dortige
Diskussion und betrieben etwas weitere Recherche. Das heimische
"Kochbuch der Haushaltungs- und Kochschule des Badischen
Frauenvereins", veröffentlicht 1913 in Karlsruhe, kennt sowohl
Makkaroni wie auch Spaghetti. Ungewohnt für heute: die Makkaroni
werden in "halbfingerlange Stückchen gebrochen" und dann 25 bis 30
Minuten gekocht.
Neben den diversen Makkaroni-Gerichten gibt es auch einmal
Spaghetti. Die Priorität ist klar. Spaghetti werden erklärt als
"Spaghetti ist eine Art feine Makkaronisorte. Beim Einkauf achte
man darauf, daß sie nicht hohl sind"
Die "Basler Kochschule. Eine leichtfaßliche Anleitung zur
bürgerlichen und feineren Kochkunst" von 1908 kennt keine
Spaghetti aber diverse Gericht mit "Maccaronis". Darunter sogar
schon die Variante "a la napolitaine" mit Tomatensauce.
Weitere Recherche. Weitere Erkenntnisse bringt das Buch "Meine
Suche nach der besten Pasta der Welt: Eine Abenteuerreise durch
Italien", das die Ankunft der Makkaroni in Deutschland auf das
frühe 18. Jahrhundert verlegt. Die 1701 nachweisbaren "Macronen"
waren wohl eher Lasagne, aber Anfang des 18. Jahrhunderts
entstanden in Prag und Wien echte Makkaroni-Fabriken.
Die Pasta folgte anscheinend den jungen Männern der Grand Tour aus
Italien in das restliche Europa. Bestimmt waren die Grand Tours für
junge Männer, die mal etwas von der Welt sehen und klassische
europäische Bildung mitbekommen sollten, die auf der Tour aber
anscheinend nicht nur Statuen und Kirchen kennenlernten, sondern
auch Pasta.
Der Macaroni. Der Hipster seiner Zeit. Bild:
Philip Dawe: The Macaroni. A Real Character at the Late Masquerade,
1773.
In England gab es sogar einen eigenen Modestil Macaroni
für exaltierte junge Männer - "a fashionable fellow who dressed
and even spoke in an outlandishly affected and epicene
manner". Die englische Wikipedia schreibt dazu lakonisch:
"Siehe auch: Hipster. Metrosexuell." Komplett falsch wäre wohl auch
die Assoziation zur Toskana-Fraktion nicht.
Nach diesen extravagant und auffallend auftretenden jungen Männern
ist nun wiederum im Englischen der Macaroni
penguin - auf deutsch der Goldschopfpinguin - benannt.
Makkaroni-Penguin. Benannt nach dem Stil,
nicht nach den Nudeln. Bild: Macaroni Penguin at Cooper Bay, South
Georgia von Liam Quinn,
Lizenz: CC-BY-SA
2.0
Wie aber kommen nun die Löcher in die Makkaroni? Und seit wann?
Licht in dieses Dunkel bringt die "Encyclopedia
of Pasta." Diese lokalisiert die Entstehung der maschinellen
Pastafertigung - die für Makkaroni in zumutbarer Menge
unvermeidlich ist - in die Bucht von Neapel in das 16. Jahrhundert.
Dort existerte eine Heimindustrie mit Mühlen, an die sich relativ
problemlos eine im 16. Jahrhundert aufkommende ’ngegno da
maccarun anschließen lies, die es den Neapolitanern ersparte
stundenlang im Teig herumzulaufen, um ihn zu kneten: im
Wesentlichen Holzpressen mit einem Einsatz aus Kupfer, je nach Form
des Einsatzes entstehen verschiedene Nudelsorten und damit unter
anderem Makkaroni. Die Makkaroni wurden dann in langen Fäden zum
trocknen in die süditalienische Sonne gehängt.
Neapel, 19. Jahrhundert. Bild:
Giorgio Sommer (1834-1914), "Torre Annunziata-Napoli - Fabbrica di
maccheroni". Fotografia colorita a mano. Numero di catalogo:
6204.
Das hat alles nicht mehr wirklich etwas mit Spaghetti und der DDR
zu tun, beantwortet nicht, warum die Deutschen in den 1960ern
plötzlich lieber Spaghetti als Makkaroni mochten, oder warum die
Makkaroni bei ihrem ersten Zug über die Alpen die Tomatensauce in
der Schweiz ließen? Warum gibt es in Deutschland kein Äquivalent zu
"Macaroni and cheese" (mehr)? Gab es ein Miracoli-Äquivalent in der
DDR, bei dem es Pasta, Sauce und Käse schon in einer Packung gab?
Warum sind Makkaroni in Deutschland tendenziell lang und dünn in
vielen anderen Ländern aber dicker und hörnchenförmig-gebogen? Es
ist hochspannend. Und ein Grund, noch viel mehr zu
recherchieren.
Seit 2019 wählt das Wikiversum die coolsten Tools, die besten
Hilfsmittel, um in Wikipedia und anderen Wikis zu werken. Eines
davon ist der Pywikibot, der Bot aller Bots.
Schneeregen fegte waagerecht über Vorplatz des Tempelhofer
Hafens. Mein Pullover war gar nicht so kuschlig und dicht wie ich
ihn in Erinnerung hatte. Die Handschuhe waren im Laufe der Jahre so
fadenscheinig geworden, dass eine einzelne kurze Radtour die Finger
vereisen ließ.
Ein einsamer, von Weihnachten übrig gebliebener,
Quarkkeulchen-Stand vor dem Tempelhofer Hafen. Seine Lichter
verhießen Wärme. Der Weg dorthin: Von Entbehrungen gezeichnet. Der
Wind, der einem aus allen Richtungen ins Gesicht blies, trieb die
Leute davon. Sie wussten nicht wohin, denn alles war geschlossen
und zu Hause wollten sie ihre Mitbewohner nicht mehr sehen. Über
der Szene kreiste ein hungriger Taubenschwarm.
„Ist es nicht herrlich“, fragte ich DJ Hüpfburg. „So viel Platz!
Fast das ganze Hafengelände gehört uns. Und wir können uns
problemlos aus drei Meter Sicherheitsabstand anschreien.“ – Sie
antwortete „Du spinnst. Es ist scheißkalt. Ich bibbere. Das letzte
Mal, als ich so gefroren habe, bin ich im Rozbrat mit meiner
ehemaligen Band aufgetreten: „Pierdzące Zakonnice“.
Wir spielten Prog-Punk. Kein Wasser, keine Heizung und ein
sibirischer Windhauch kam aus Richtung Minsk. Wer auf Toilette
wollte, hat einen Eispickel in die Hand bekommen, falls das
Plumpsklo wieder zugefroren war. Und am Ende des Abends haben wir
Wahlplakate im Konzertsaal verbrannt, um nicht ganz zu
erfrieren.
Aber wir haben gerockt: Kasia an der Geige, die andere Kasia am
Theremin, ich an der KitchenAid und Anna am Gong und an der
Rezitation. So viel Kunst war nie wieder davor oder danach im
Rozbrat. Leider war es den Pferden zu kalt, so dass die weiße
Kutsche ausgefallen ist. Hier am Hafen ist keine Kunst. Hier ist es
nur scheißkalt. Ich gehe.“
Später, im Chat. Hüpfburgs Schilderung hatte mich an ein Video
erinnert, das ich kurz vorher gesehen hatte: „Wikimedia
Coolest Tool Award 2020.“ in meinen Versuchen, DJ Hüpfburg für
die Wikipedia und ihr Umfeld zu begeistern, postete ich ihr den
Link.
Southgeist: Aber Tools. Nur mit ausgewählten Menschen. Fast
nur Technik und kreative Sachen.
Hüpfburg: Wikipedia spießerfrei? Du meinst, das soll
gehen?
Southgeist: Schau doch mal.
Hüpfburg: Ich sehe jetzt schon drei Minuten lang Berliner
Straßen ohne Ton. Ich dachte schon, meine Lautsprecher wären
kaputt.
Hüpfburg: I like the music.
Southgeist: Eben. Warte erst auf die Tools.
Hüpfburg: 52 Minuten! So lange soll ich Wikipedia schauen?
In der Zeit zerstöre ich zwei Ehen, bringe einen Priester vom
Glauben ab und bringe drei Paare neu zueinander. Sage mir lieber,
was für Tools vorkommen.
Die coolest Tools
Ich erzählte.
Im Video werden vorgestellt: Der AutoWikiBrowser
(Hüpfburg: „Da klingt der Name schon langweilig“), SDZeroBot
generiert Benutzerseitenreports („Mich interessieren weder Benutzer
noch ihre Seiten“), Proofread
Page Extension („Korrekturlesen, geht es noch spießiger?“),
Listen to Wikipedia
(„Schön, aber reichlich Kitsch. Wenn eines Tages zwei Wikipedianer
kommen und einander heiraten wollen, werde ich das Tool in den
Event integrieren“), AbuseFilter
(„Zu sehr Polizei“), LinguaLibre („I
like“), und Pywikibot – ein Tool zum Erstellen weiterer Tools.
(„Das klingt spannend – erzähle mir mehr.“)
Pywikibot
Pywikibot ist ein Framework zum Erstellen von Bots. Oder anders
gesagt: wer sich den Pywikibot installiert, kann mit überschaubarem
Aufwand eigene Bots schaffen. Oder sich an einem der bereits auf
dieser Basis geschaffenen Skripte bedienen. Die Bots können
prinzipiell alles, was menschliche Nutzer von MediaWiki-Wikis auch
können – nur schneller.
Wobei können in diesem Zusammenhang natürlich bedeutet: jemensch
muss dem Bot vorher sagen, was er tun soll. Das dauert länger als
ein Edit. Der Bot kommt sinnvoll ins Spiel, wo es eine hohe Zahl
gleichartiger Edits gibt. Zum Artikelschreiben ist das wenig – zum
Anpassen von Formalien ist es super. Und dazwischen liegt ein
Graubereich. Nicht alles ist sinnvoll, nicht alles ist erlaubt –
und um die Kontrolle zu wahren, hat der Pywikibot einen
automatischen Slow-Down-Mechanismus, der den Bot absichtlich
ausbremst.
Pywikibot geht zurück auf verschiedene Bots und Skripte aus dem
Jahr 2003, existiert in dieser Form seit etwa 2008. Die aktuelle
Variante ist in und für Python 3 geschrieben. Die Community, die
sich um das Framework kümmert, hat eine dreistellige Zahl von
Mitgliedern und ist so international, wie es die frühe Wikipedia
war. Rein aus dem Bauchgefühl heraus würde ich auch sagen, was
Charaktertypen und Soziodemographie angeht, ist die
Pywikibot-Gruppe sehr viel näher an der Ur-Wikipedia als die
heutigen Wikipedistas.
DJ Hüpfburg: „Du sagst es. Alt-Wikipedia. Diese Tool-Awards sind
solche Lebenswerkauszeichungen? Das Bot-Framework gibt es seit fast
20 Jahren, das Proofread-Tool existiert seit fast 15 Jahren. Ist
der Award so langsam oder gibt es so wenig Neues?“
Ich glaube, der Award ist langsam. Beziehungsweise er existiert
erst seit letztem Jahr. Jetzt muss er die ganzen Tools der letzten
Jahrzehnte durchprämieren, damit die nicht vergessen werden. Wie
bei der Wikipedia auch: Die Grundlagen wurden vor langer Zeit
gelegt. Alles, was jetzt kommt, baut darauf an, verbessert, schafft
aber nur selten fundamental Neues.
Change Musiker to Musiker*innen
„Außer dem Tool-Award. Der ist neu? Und dem Video nach zu
urteilen reichlich großartig.“
Yup. Und er hat mir und dir den Pywikibot gelehrt und damit eine
wichtige Aufgabe erfüllt.
DJ Hüpfburg: „Ich kann also auf Basis von Pywikibot alle
‚Musiker‘ in Wikipedia durch ‚Musiker*innen‘ ersetzen?“
Ich: „Theoretisch ja. Praktisch gibt es verschiedene Hindernisse.
Und du wirst auf ewig gesperrt werden.“
DJ Hüpfburg: „Dachte ich. Noch so jung und schon so
strukturkonservativ diese Website. Wäre sie ein Mensch, würde sie
einen beigen Pullunder über weißem Hemd tragen und Leserbriefe an
die Fernsehzeitschrift schreiben. Aber ich kann mein eigenes Wiki
aufsetzen und da noch Herzenslust alles bot-mäßig umbauen?“
Ich: „Yup. Wikidata freut sich auch. Da gibt es noch viel zu tun
und die sind superfreundlich dort.“
DJ Hüpfburg: „Ich auf meinem Pybot einreitend in Wikidata! Das
wäre fast so gut wie im Rozbrat. Mit der Kutsche, die dann doch
nicht kam. Irgendwann im Laufe des Abends spielten wir Mozart. Da
haben die Squatter angefangen mit Äpfeln zu werfen. Wir uns hinter
dem Gong geduckt und ich ein Kitchen-Aid-Solo. Ich erinnere mich
noch an den einen Tänzer, der allein Stand und Luft-Küchenmaschine
gespielt hat. Ein Arm angwickelt am Körper als würde er die
Maschine an sich drücken, mit dem anderen weit ausholende
Bewegungen, um dann auf dem Einschaltknopf zu laden.“
„Leider hatten wir dem Publikum einen Mozart-Schock versetzt und
die wollten uns nicht mehr gehen. Dadurch hatten wir alle
Auftrittsorte in Posen durch. Kasia ging nach Prag und Paris,
Jazz-Theremin studieren. „Ein Juwel unter unserer Studentinnen“
sagte mal eine Professorin. Kasia wäre fast dieses Jahr in der
Philharmonie aufgetreten. Aber Deine komische Wikipedia hat immer
noch keinen Artikel von ihr.“
Ich: „Es ist nicht meine Wikipedia.“
Ruhe. Hüpfburg dachte.
„Dieser Bot. Der kann doch sicher in Wikidata alle Personen
auslesen, die Theremin spielen. Und dann eine Liste in Wikipedia
anlegen. Die regelmäßig erneuert wird. Das müsste doch gehen.
Vielleicht ist es einen Versuch wert.“