KW 39/22: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich (langes) Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

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1. Mildes Urteil nach Nazi-Angriff auf Journalisten
(ndr.de, Zapp, Julian Feldmann, Video: 15:36 Minuten)
Vor vier Jahren kam es in Thüringen zu einem heftigen Zwischenfall: Als zwei Fotografen vor dem Haus eines NPD-Politikers fotografierten, wurden sie von zwei Neonazis angegriffen und schwer verletzt. Eines der Opfer erlitt einen Schädelbruch, das andere einen Messerstich ins Bein. Nach einem langwierigen Verfahren kam es nun zu einem Urteil, das sowohl von den Opfern als auch von Außenstehenden als verstörend mild empfunden wird. Julian Feldmann ist ins thüringische Fretterode gereist und hat mit einem der Opfer sowie dem Sprecher des Landgerichts gesprochen.

2. Markus Feldenkirchen in der “Hörbar Rust”
(ardaudiothek.de, Bettina Rust, Audio: 1:22:43 Stunden)
In der “Hörbar Rust” begrüßt Bettina Rust den Journalisten Markus Feldenkirchen, der im Hauptstadtbüro des “Spiegel” arbeitet und den “Spiegel”-Video-Talk “Spitzengespräch” moderiert. Darüber hinaus ist Feldenkirchen auch als Gast von TV-Talkshows und als Sachbuchautor (“Die Schulz-Story”) bekannt. Im Gespräch mit Bettina Rust geht es um seinen Werdegang, beginnend mit seiner “phantastischen Jugend” bis hin zur Jetztzeit.

3. Warum sollten sich Medienschaffende regelmäßig mit Medienrecht auseinandersetzen, Dr. Gabriele Stark?
(newsfluence.podigee.io, Eva-Maria Schmidt, Audio: 23:29 Minuten)
In der aktuellen “Newsfluence”-Folge erklärt die auf Medienrecht spezialisierte Juristin Gabriele Stark, wie sich Journalistinnen und Journalisten vor unnötigen Abmahnungen und teuren Strafen schützen können und welche Rechte sie kennen und beachten müssen.

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4. Wieso werden Werkstätten für behinderte Menschen in den Medien kaum kritisiert?
(uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 15:33 Minuten)
Beim RBB-Hörfunksender Radio Eins sprachen vergangene Woche Menschen mit und ohne Behinderung täglich über Themen wie Barrierefreiheit und die Frage, wie inklusiv der RBB selbst ist. Dabei trafen der Aktivist Raul Krauthausen, der mit seinem Verein “Sozialhelden” für mehr Teilhabe kämpft, und Beatrix Babenschneider, eine ehemalige Werktstatträtin, aufeinander. Das Publikum der Diskussion sei offenbar fast ausschließlich mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Werkstätten für Menschen mit Behinderung besetzt gewesen. Das habe für eine erhebliche Schieflage gesorgt, so die vielgeäußerte Kritik in den Sozialen Medien. Holger Klein hat sich mit Raul Krauthausen über das Thema ausgetauscht.

5. Interviews freigeben – Fluch oder Segen?
(talkingdigital.de, Kristin Dolgner & Sachar Klein & Giuseppe Rondinella, Audio: 35:01 Minuten)
Bei “Talking Digital” geht es um den Freigabeprozess von Interviews: “Warum haben solche gescheiterte Interviews in den vergangenen Jahren gefühlt zugenommen? Warum überhaupt hat sich diese Autorisierungspraxis nur in Deutschland durchgesetzt? Was sind Vor- und Nachteile? Und warum machen Medien gescheiterte Interviews selbst zum Thema?”

6. “Markus Lanz” vom 29. September 2022
(zdf.de, Markus Lanz, Video: 1:16:05 Stunden)
Das neue Buch von Philosoph Richard David Precht und Soziologe Harald Welzer (“Die vierte Gewalt – Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist”) kam in den bisherigen Rezensionen (“FAZ”, “Übermedien”, “Frankfurter Rundschau”, “Stern”) nicht allzu gut weg. In der Talksendung von Markus Lanz diskutierten die beiden Buchautoren mit der “Spiegel”-Journalistin Melanie Amann und dem “Welt”-Journalisten Robin Alexander. Ein bemerkenswertes Aufeinandertreffen.

Twitters Probleme, Scheitern an Google, Ohne Rückendeckung

1. Werbekunden fordern von Twitter Maßnahmen gegen Kindesmissbrauch
(spiegel.de, Torsten Kleinz)
Auf Twitter sollen mehr als 500 Accounts Werbung für Kindesmissbrauchsmaterial gemacht haben. Die Tweets hätten der Kontaktanbahnung gedient und seien mit Codewörtern oder einschlägigen Hashtags versehen worden. Als Reaktion darauf hätten einige Großkunden ihre Anzeigenkampagnen gestoppt. Twitters Nachlässigkeit in dem Bereich könnte also noch teure Folgen haben.
Weiterer Lesetipp: Porno-Riesen schränken Suchfunktion ein – teilweise: “Die drei weltgrößten Pornoseiten reagieren auf Fälle sexualisierter Gewalt. Sie schließen problematische Begriffe aus der Suche aus, Pornhub verlinkt gar auf Hilfsangebote. Im direkten Vergleich sticht eine Seite jedoch heraus.” (netzpolitik.org, Sebastian Meineck)

2. Buchtipp: Neuauflage “Der Aufmacher”
(verdi.de, Tilmann P. Gangloff)
Zum achtzigsten Geburtstag von Günter Wallraff veröffentlicht der Verlag Kiepenheuer & Witsch eine Neuauflage des “Bild”-kritischen Klassikers “Der Aufmacher”. Das Buch entpuppe sich als überraschend aktuell, wie Tilmann P. Gangloff findet. Die Mechanismen des Marktes seien die gleichen geblieben: “Die Digitalisierung hat diese Art von ‘Journalismus’ nicht verändert, er ist bloß noch überdrehter geworden.”
Weiterer Hinweis: Natürlich muss in diesem Zusammenhang auf das Buch meiner BILDblog-Kollegen Moritz Tschermak und Mats Schönauer verwiesen werden: Ohne Rücksicht auf Verluste – Wie BILD mit Angst und Hass die Gesellschaft spaltet (kiwi-verlag.de).

3. Hätten Precht und Welzer doch einfach mal jemanden gefragt!
(uebermedien.de, Nils Minkmar)
Vor wenigen Tagen haben der Philosoph Richard David Precht und der Soziologe Harald Welzer ihr neues medienkritisches Buch vorgestellt (“Die vierte Gewalt – Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist”). Nach Harald Staun (siehe die “6 vor 9” vom 27. September) beschäftigt sich nun auch Nils Minkmar mit dem Werk. Sein Eindruck: “Was die beiden eigentlich mit diversen Gedankengängen und nur halb tauglichen Beispielen beklagen, ist ihre Minderheitenposition in der Ukrainefrage, denn beide verhalten sich abwartend bis neutral, was die Hilfe für Kiew angeht.”

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4. Was bekommen junge Erwachsene für ihren Rundfunkbeitrag?
(deutschlandfunk.de, Annika Schneider, 37:11 Minuten)
Jutta Harrer-Amersdorffer, Professorin für soziale Arbeit, will wissen, warum es für junge Erwachsene nicht mehr Angebote bei ARD und ZDF gibt. Darüber diskutiert sie mit HR-Intendant Florian Hager, bis vor Kurzem für die Entwicklung der ARD-Mediathek verantwortlich, und Annika Schneider aus der Deutschlandfunk-Medienredaktion.

5. Freie Krisen- und Kriegsreporter – Im Einsatz ohne Rückendeckung
(message-online.com)
Laurent Schons Film “Im Einsatz ohne Rückendeckung” (youtube.com, 12:11 Minuten) beschäftigt sich mit dem Thema Kriegsberichterstattung und lässt einige erfahrene Reporterinnen und Reporter zu Wort kommen: “Jörg Armbruster und Alex Chan Tsz Yuk – beide gerieten im Einsatz unter Beschuss. ‘Netzwerk Recherche’-Vorstandsmitglied Pascale Müller und Auslandskorrespondent Marc Engelhardt geben Einblicke in die Branche und ‘Reporter ohne Grenzen’-Sprecher Christopher Resch zeigt Wege aus der Krise auf.”

6. Deutsche Verlage scheitern an Google
(netzpolitik.org, Ingo Dachwitz & Alexander Fanta)
“Eigentlich sollten Google und weitere Tech-Konzerne den Medien in Europa Geld für die Nutzung ihrer Inhalte zahlen. Doch während die Presse anderswo Millionen an Lizenzgebühren kassiert, kommt hierzulande wenig an. Das Nachsehen haben insbesondere Journalist:innen.” Ingo Dachwitz und Alexander Fanta erklären, warum die deutschen Verlage nicht weiterkommen im Kampf um die Digitalgelder der Plattform-Giganten.

Führungskräfte versetzt, “Grow Greenhouse”, Whistleblowerschutz

1. Landesfunkhauschef versetzt Redaktions-Führungskräfte
(spiegel.de)
Obwohl ein interner Prüfbericht Norbert Lorentzen, Chefredakteur des NDR Kiel, und die Politikchefin Julia Stein hinsichtlich eines etwaigen “politischen Filters” in der Berichterstattung entlastet habe, werden beide versetzt. Nach Angaben des Landesfunkhausdirektors sei das Vertrauen verloren gegangen. Im Bericht sei ein schlechtes Briebsklima attestiert worden. Die zwei Führungskräfte sollen neue Aufgaben außerhalb des Landesfunkhauses Schleswig-Holstein erhalten.

2. Whistleblowerschutz unzureichend
(djv.de)
Ein Bündnis aus Medienorganisationen und -unternehmen kritisiert das neue Regelwerk zum Whistleblowerschutz – es seien Nachschärfungen nötig. Der aktuelle Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum Schutz von Hinweisgebern bleibe nach wie vor hinter den Möglichkeiten der EU-Whistleblower-Richtlinie zurück und genüge nicht den Erfordernissen der Schutzbedürftigen und der Medienschaffenden. Der Bundestag soll heute in erster Lesung über das Gesetz beraten.

3. Wir bringen das Grow Greenhouse an den Start
(netzwerkrecherche.org)
Mit Unterstützung der Schöpflin Stiftung baut das Netzwerk Recherche ein Zentrum für gemeinnützigen Journalismus und Medienvielfalt auf: das “Grow Greenhouse”. Der Bezug zum Gewächshaus ist bewusst gewählt: “Ein Greenhouse ist ein Ort, der Pflanzen Schutz bietet und der für ein günstiges Klima sorgt. Wir schaffen einen solchen Schutzraum für den gemeinnützigen Journalismus”, so Thomas Schnedler, Projektleiter beim Netzwerk Recherche.

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4. Ferngespräche: China
(ardaudiothek.de, Holger Klein, Audio: 52:25 Minuten)
Im radioeins-Korrespondenteninterview spricht Holger Klein mit Benjamin Eyssel, der für die ARD aus Peking berichtet. Es geht dabei auch um die strikten Restriktionen und Kontrollen, denen sich Journalistinnen und Journalisten ausgesetzt sehen und die von offizieller Seite mit der Null-Covid-Politik begründet werden. Schlimmer sei die Situation jedoch für die inländischen Medienschaffenden, deren Lage Eyssel mit den Worten zusammenfasst: “Journalismus im Land selbst ist tot.”

5. Social Media Watchblog Briefing #828
(socialmediawatchblog.de)
Das “Social Media Watchblog” hat eine freie Ausgabe seines Briefings veröffentlicht, in dem es unter anderem um die jüngsten Entwicklungen bei TikTok geht. In den USA habe es erhebliche Sicherheitsbedenken gegeben, was die aus China stammende Plattform betrifft, doch nun stehe eine Einigung mit der US-amerikanischen Regierung bevor. Weitere Nachrichten betreffen social-media-relevante Themen aus Politik und Journalismus sowie neue Features bei den unterschiedlichen Plattformen.

6. How Cars Are Destroyed For Movies & TV
(youtube.com, Movie Insider, Video: 8:46 Minuten)
Hollywoods Regisseure lassen in ihren Actionfilmen gerne bildgewaltig Autos zu Bruch gehen, indem diese von der Straße abkommen, sich überschlagen, miteinander kollidieren oder niedergewalzt werden. Dafür bedarf es jedoch einer gewissen Vorbereitung. Kfz-Spezialisten präparieren die Fahrzeuge, damit es auch ja zu spektakulären Szenen kommt. Bei “Movie Insider” werden einige Ausschnitte aus Filmen gezeigt und deren Entstehungsgeschichten beleuchtet. Alles in englischer Sprache, aber eigentlich reichen schon die Bilder.

NDR-Untersuchung, Filmkritik zu “Tausend Zeilen”, Rundfunkbeitrag

1. NDR-Untersuchung findet keine Belege für “politischen Filter”
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Uwe Mantel berichtet über die Ergebnisse einer internen NDR-Untersuchung zu den Vorwürfen gegen das NDR-Landesfunkhaus Schleswig-Holstein. So etwas wie einen “politischen Filter” in der Berichterstattung soll es nicht gegeben haben, dafür aber Probleme beim Redaktionsklima. Auch der NDR berichtet über die eigene Aufarbeitung. Oder wie Fabian Goldmann auf Twitter zusammenfasst: “Nach Berichten des NDR, der NDR habe unzulässigen Einfluss auf die Berichterstattung des NDR genommen, habe der NDR den NDR nun von allen Vorwürfen seitens des NDR freigesprochen, berichtet der NDR.”

2. Die Zusatzeinnahmen der Intendanten
(tagesschau.de, Sebastian Friedrich & Katharina Schiele)
Die Intendanten und Intendantinnen der öffentlich-rechtlichen Sender beziehen recht unterschiedliche Jahresgehälter, und auch bei den möglichen oder tatsächlichen Zusatzeinnahmen gibt es starke Differenzen. Der NDR hat sich bei den unterschiedlichen Sendern nach den dort geltenden Regeln erkundigt.
Lohnenswerte anderthalb Hör-Minuten dazu: Nebeneinnahmen von ARD-Intendanten nicht einheitlich geregelt (tagsschau.de, Marcus Engert).

3. Rundfunkbeitrag steht nicht zur Debatte
(djv.de, Hendrik Zörner)
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) spricht sich gegen Äußerungen von Politikern aus, die den Rundfunkbeitrag einfrieren wollen. Es sei “weder angemessen, noch politisch hilfreich”, wenn Spitzenpolitiker die Affäre um Ex-RBB-Intendantin Patricia Schlesinger zum Vorwand nähmen, um “die Axt an den Rundfunkbeitrag” zu legen, so der DJV-Vorsitzende Frank Überall: “Das wäre so, als ob nach einer politischen Affäre die Kürzung der Abgeordneten-Diäten oder eine Fusion von Ministerien diskutiert würde.”

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4. Facebook enttarnt Propagandanetzwerke, sperrt 1600 Accounts
(spiegel.de)
Das Unternehmen Meta habe auf seiner Plattform Facebook zwei Propagandanetzwerke enttarnt und im Zuge dessen über 1.600 Accounts gelöscht. Das erste Netzwerk sei bereits Ende August nach Recherchen von t-online.de aufgeflogen. Die andere Operation sei von China ausgegangen und habe offenbar versucht, den Wahlkampf in den USA zu beeinflussen. Neben Facebook seien auch die Plattformen Twitter und Instagram betroffen gewesen.

5. Filmkritik zu “Tausend Zeilen”: Eine augenzwinkernde Abrechnung
(fachjournalist.de, Dobrila Kontić)
Der Regisseur Bully Herbig hat die “Spiegel”-Affäre um Claas Relotius verfilmt. “Tausend Zeilen”, so der Titel des Films, kommt am morgigen Donnerstag in die Kinos. Die Journalistin und Filmkritikerin Dobrila Kontić konnte sich das Werk bereits ansehen. Sie ist mit einigen Dingen zufrieden, hätte sich aber mehr gewünscht: “In seiner Gesamtheit greift dieser Film aber – anders als Helmut Dietls Schtonk! (1992) – über die Kritik am Gebaren der Chronik-Verantwortlichen nicht weit genug hinaus, um wirklich als schonungslose Mediensatire zu gelten. Hier wäre stattdessen ein wenig mehr Vertrauen in die Differenziertheit und Nachdenklichkeit der weiterhin lesenswerten Buchvorlage wünschenswert gewesen.”

6. 10 Wege, um (online) immer Recht zu haben
(dirkvongehlen.de)
Dirk von Gehlen hat zehn Ratschläge, wie es gelingt, jederzeit Recht zu behalten. Es ist ein buntes Potpourri dessen, was man bei Online-Debatten alles falsch machen kann.

Irans Internetzensur, Milliarden-Begräbnis, Totgeschwiegene Promis

1. Wie wir die Internetzensur umgehen
(deutschlandfunk.de, Anh Tran & Brigitte Baetz)
Im Iran gehen immer mehr Menschen auf die Straße, um gegen das Regime zu protestieren. Vor allem in den Sozialen Medien kann man sehen, wie mutige Frauen sich öffentlich die Haare abschneiden oder ihre Hijabs vom Kopf reißen und verbrennen. Mittlerweile sperren Irans Herrscher rigoros Internetdienste, damit derartige Bilder nicht an die Öffentlichkeit gelangen, und sich die Leute nicht vernetzen können. Im Deutschlandfunk beschreibt Constanze Kurz vom Chaos Computer Club, wie man Menschen im Iran einen anonymen Online-Zugang ins freie Internet verschaffen kann.
Weitere Lesehinweise: Bei der “taz” erklärt “NetBlocks”-Gründer Alp Toker, wie die Internet-Blockaden funktionieren, und welche Alternativen die Menschen haben. Der Deutsche Journalisten-Verband fordert Bundesaußenministerin Annalena Baerbock auf, sich bei der iranischen Regierung für die sofortige Freilassung aller inhaftierten Journalistinnen und Journalisten im Land einzusetzen.

2. Die totgeschwiegenen Promis
(faz.net, Harald Staun)
Der Philosoph Richard David Precht und der Soziologe Harald Welzer haben ihr neues medienkritisches Buch vorgestellt. Es trägt den Namen “Die vierte Gewalt – Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist”. Was die Resonanz betrifft, können die beiden Autoren nur gewinnen, findet Harald Staun: “Man wird, was immer man auch sagt, den beiden Denkern nur Recht geben können – sei es, indem man ihrer Diagnose von der ‘Einhelligkeit der veröffentlichten Meinung’ zustimmt; oder indem man ihnen widerspricht und damit die Intoleranz für abweichende Meinungen belegt, die sie beklagen.”

3. Scheinreferendum, hurra!
(t-online.de, Lars Wienand)
Bei den russischen Scheinreferenden in der Ost-Ukraine sind Recherchen von t-online.de zufolge mehrere Deutsche im Einsatz, darunter auch ein ehemaliger ARD-Moderator, der für allerlei Falschbehauptungen verantwortliche Betreiber der Seite “Anti-Spiegel” sowie ein langjähriger NDR-Redakteur. Letzterer hat inzwischen seinen Lehrauftrag an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft verloren.

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4. TikTok droht wegen möglicher Datenschutzverstöße Millionenstrafe
(zeit.de)
TikTok soll in Großbritannien zwischen 2018 und 2020 die Daten von Kindern ohne angemessene Einwilligung der Eltern verarbeitet haben. Dem Unternehmen drohe nun laut einer Mitteilung der britischen Datenschutzbehörde ICO eine Strafe in Höhe von 27 Millionen Pfund (etwa 30 Millionen Euro). TikTok habe der Einschätzung der Behörde widersprochen und eine Stellungnahme angekündigt.

5. Vor allem Bildung
(sueddeutsche.de, Aurelie von Blazekovic)
Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner und FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai stellten am Montag fünf Vorschläge für einen “modernen, leistungsfähigen und transparenten” öffentlich-rechtlichen Rundfunk vor, die das Präsidium der Partei zuvor beschlossen hatte. Aurelie von Blazekovic fasst den Reform-Vorstoß für die “Süddeutsche” zusammen.

6. Wie “Oe24” und die “Krone” die Kosten für das Queen-Begräbnis maßlos in die Höhe schießen lassen
(kobuk.at, Elisabeth Kröpfl)
Wenn man den Angaben der österreichischen Boulevardredaktionen “Krone” und “Oe24” Glauben schenkt, hat das Queen-Begräbnis 6,8 Milliarden Euro gekostet. Elisabeth Kröpfl hat sich für das Medienwatchblog “Kobuk” angeschaut, wie es um die Mathematikfähigkeiten der beiden Blätter bestellt ist.

Rechnungshof rügt BR, Klagen gegen Netflix, Länder setzten Ultimatum

1. Teure Berater
(sueddeutsche.de, Claudia Tieschky)
Der Bayerische Oberste Rechnungshof hat den Bayerischen Rundfunk wegen dessen Auftragsvergabe gerügt. Der BR habe bei Beratungsaufträgen in den Jahren 2015 bis 2020 teilweise gegen seine eigene Beschaffungsordnung verstoßen. In seiner Stellungnahme zum Prüfbericht habe der Sender der Kritik des Rechnungshofs beigepflichtet und angekündigt, seine Prüf- und Kontrollverfahren zu überarbeiten.

2. Länder setzen ARD und ZDF ein Ultimatum
(faz.net, Helmut Hartung)
Die Rundfunkkommission der Bundesländer ist sich einig: Die jüngst bekanntgewordenen Vorfälle in mehreren ARD-Anstalten würden “dem gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunk schaden”. Nun fordern die Länder von den Sendern “finanzwirksame Selbstverpflichtungserklärungen” und eine Überarbeitung ihrer Aufsichts- und Compliancestrukturen.

3. Reizüberflutete Reizlieferanten? Resilienter Journalismus
(sr.de, Thomas Bimesdörfer, Audio: 14:51 Minuten)
Im Interview mit Thomas Bimesdörfer spricht Stephan Weichert, Leiter des “Vocer”-Instituts, über die von ihm und Matthias Daniel (Chefredakteur “journalist”) herausgegebene Essay-Sammlung “Resilienz im Journalismus”: Wie kann sich der Berufsstand gegen Reizüberflutung schützen und für einen konstruktiven Dialog in der Gesellschaft sorgen?

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4. Maria Lorenz-Bokelberg über Podcasts und Perspektiven.
(turi2.de, Tim Gieselmann)
Maria Lorenz-Bokelberg gilt mit ihrer Firma Pool Artists als Deutschlands erfolgreichste Podcast-Produzentin. Im “turi2”-Interview geht es um den beschwerlichen Einstieg (“Es lief zwei Jahre scheiße”), die Frage, wie viel “Family and Friends” im Unternehmen steckt, und die Entscheidung, eine Zusammenarbeit mit Springer auszuschließen. Lesenswert, weil tiefergehend.

5. Ein Politikerleben ohne Twitter ist möglich. Oder nicht?
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Erst Robert Habeck, dann Kevin Kühnert, jetzt Jens Spahn – in letzter Zeit haben sich einige prominente Politiker von Twitter verabschiedet. Eine Tendenz, die Joachim Huber bedauert: “Sicher, das Diskursklima ist toxisch, mir will nur nicht in den Kopf, warum die Schreihälse, die Faktenverdreher, die Leugner und Verschwörungstheoretiker dadurch mehr Platz und Raum bekommen, dass die Vernünftigen und die Venunftbegabten diese räumen. Auf der Straße geht jeder für seine Überzeugungen demonstrieren, warum dann auch nicht im Netz?”

6. Zu falsch, um wahr zu sein?
(taz.de, Daniel Schütz)
Der Streaminganbieter Netflix wurde in Zusammenhang mit Biopics, also: Filmbiografien, diverse Male wegen Verleumdung verklagt – und zwar nicht von den im Zentrum des jeweiligen Films stehenden Hauptpersonen, sondern von Nebenfiguren. Daniel Schütz fragt sich, wie frei Fiktion mit Wahrheit umgehen darf und ob es nicht zumindest ein ethisches Gebot sein sollte, real existierende Personen vor fiktiven Zuschreibungen zu schützen, die negative Auswirkungen auf ihren Ruf haben könnten.

KW 38/22: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

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1. Die rbb-Affäre
(hinterdenzeilen.de, Niklas Münch & Tobias Hausdorf, Audio: 47:42 Minuten)
Niklas Münch und Tobias Hausdorf haben sich gefragt, wie die rbb-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter mit den Verfehlungen ihrer Führungsspitze umgehen. Sie haben deshalb Oliver Noffke aus dem rbb-eigenen Rechercheteam in ihren Podcast “Hinter den Zeilen” eingeladen. Und sie haben Stimmen gesammelt – zu Desillusionierung, Erschöpfung und neuer Motivation.

2. An allen Fronten
(zdf.de, Charlotte Krüger, Video: 43:23 Minuten)
Ohne die Arbeit von Kriegsreportern und Kriegsreporterinnen gäbe es viel weniger bis keine Informationen über das, was sich bei Kriegen und kriegsähnlichen Auseinandersetzungen tatsächlich abspielt; es gäbe kaum Informationen, wie sich die militärischen Ereignisse auf die Zivilbevölkerung auswirken. In Charlotte Krügers Dokumentation “An allen Fronten” berichten einige bekannte Journalistinnen und Journalisten von ihrer riskanten Arbeit und erzählen, wie sie mit der täglichen Gefahr umgehen. (Triggerwarnung: Im Film sind logischerweise auch Aufnahmen aus Kriegsgebieten zu sehen, darunter auch (geblurrte) Bilder getöteter Menschen.)

3. Wie schwer kanns schon sein, eine Falschmeldung zu verbreiten?
(youtube.com, Walulis, Video: 20:11 Minuten)
“Wie schwer kann’s schon sein, eine Falschmeldung in seriösen Medien einzuschleusen?” Die “Walulis”-Redaktion hat sich einige Falschmeldungen aus der jüngsten Vergangeneheit angeschaut, kurzerhand eine “Initiative Interaktive Medien” erfunden und selbst eine Falschmeldung herausgegeben, die prompt von verschiedenen Medien übernommen wurde.

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4. Tulpen, Tomaten, Königshaus – Klischees in der Niederlande-Berichterstattung
(deutschlandfunk.de, Pia Behme, Audio: 40:08 Minuten)
Im Deutschlandfunk-Gespräch mit Hörerinnen und Hörern geht es dieses Mal um Klischees in der Niederlande-Berichterstattung: Woran hapert es bei der Auslandsberichterstattung? Und wie arbeiten Auslandskorrespondentinnen und -korrespondenten überhaupt? Ein Dlf-Hörer diskutiert mit der Niederlande-Korrespondentin Kerstin Schweighöfer, dem Medienwissenschaftler Janis Brinkmann und Pia Behme aus der Dlf-Medienredaktion.

5. Spiel mit der Wahrheit
(deutschlandfunkkultur.de, Susanne Burg, Audio: 11:08 Minuten)
Bully Herbig hat die “Spiegel”-Affäre um Claas Relotius verfilmt, der Film kommt nächste Woche in die Kinos. Im Gespräch mit Susanne Burg erzählt Herbig, wie es dazu kam. Als er hörte, dass die Ufa sich die Filmrechte gesichert hat, habe ihn das zunächst gewurmt. Zwei Wochen später sei das Regieangebot gekommen, so Herbig: “Das war ein riesen Glücksfall für mich.”

6. Wie überlebt man als London-Korrespondentin eine Queen-Beerdigung?
(uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 26:39 Minuten)
Holger Klein hat sich mit ARD-Korrespondentin Annette Dittert über die Tage rund um die Beerdigung der Queen unterhalten: “Wie erlebt man als Journalistin so ein Ereignis? Warum ist beim deutschen Publikum das Interesse für die britischen Royals so groß? Muss das sein, dass die ARD da acht Stunden live sendet? Gab es genügend Raum für Kritik?”

Die Schlappe Röhns, Journalist verklagt Polizei, Jugend an die Macht

1. “Fake News”: Welt-Reporter scheitert vor Gericht gegen Kritiker
(volksverpetzer.de, Matthias Meisner)
Für den “Volksverpetzer” berichtet Matthias Meisner über die juristische Niederlage des “Welt”-Chefreporters Tim Röhn: “Die Schlappe Röhns vor dem Landgericht Hamburg ist auch deshalb bemerkenswert, weil Röhn immer wieder juristisch gegen Kritiker:innen seiner Corona-Berichterstattung vorgeht.”

2. Bund bezuschusst Hate Aid mit 497.000 Euro
(spiegel.de)
Eine finanzielle Unterstützung von rund einer halben Million Euro ist dem Bundestag die Arbeit der gemeinnützigen Organisation “HateAid” wert, die Opfern von Hass und Hetze im Internet zur Seite steht. Das “HateAid”-Team hatte vor einigen Tagen für mediale Beachtung gesorgt, als es das Konto des rechtspopulistischen Autors Akif Pirinçci pfänden ließ. Weil Pirinçci die Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer beleidigt hatte, war er zu einer Entschädigungszahlung verurteilt worden, dieser aber nicht nachgekommen (siehe “6 vor 9” vom 15.09.2022).

3. Journalist verklagt Polizei wegen Geheimnisverrats
(t-online.de, Andreas Raabe)
Der Leipziger Journalist Aiko Kempen hat das Landeskriminalamt Sachsen verklagt: “Er geht dabei einem Verdacht nach, der, sollte er sich bestätigen, Auswirkungen auf viele spektakuläre Ermittlungen und Prozesse in Deutschland haben könnte: Manipuliert die Polizei mit Durchstechereien gezielt die Öffentlichkeit – und beeinflusst damit sogar die Rechtsprechung eigentlich unabhängiger Gerichte?”

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4. Aachener Nachrichten und Aachener Zeitung verschmelzen – wurde der Schritt von Mediahuis veranlasst?
(kress.de, Marc Bartl)
Die beiden Zeitungen “Aachener Zeitung” und “Aachener Nachrichten” verschmelzen Ende 2022 zu einer Marke. Marc Bartl erklärt die Hintergründe der Zusammenlegung und zeigt, was diese für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie für Leserinnen und Leser bedeutet.
Weiterer Lesetipp: die ausführlichen Fragen und Antworten zur Verschmelzung von “Nachrichten” und “Zeitung” (aachener-nachrichten.de).

5. Qantara.de erhalten
(djv.de, Hendrik Zörner)
Qantara.de ist ein Projekt der Deutschen Welle, an dem auch das Goethe-Institut und das Institut für Auslandsbeziehungen als beratende Mitglieder im Projektbeirat beteiligt sind. Es will zum Dialog mit der islamischen Welt beitragen und wurde bislang vom Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland gefördert. Doch nun droht dem Portal das Aus – das Auswärtige Amt wolle die zum Weiterbetrieb erforderlichen Mittel streichen. Der Deutsche Journalisten-Verband setzt sich für einen Erhalt der Plattform ein. Sie sei ein wichtiges Medium gegen die Herrscherpropaganda in einigen islamischen Ländern. Das gelte es zu bewahren.

6. Überleben der Öffentlich-Rechtlichen – Jugend an die Macht!
(tagesspiegel.de, Bendix Lippe)
Bendix Lippe wurde 2020 vom Landesjugendring Brandenburg als jüngestes Mitglied in den ZDF-Fernsehrat berufen, inzwischen ist der 25-Jährige wieder aus dem Gremium ausgeschieden. Er kennt den Programmbetrieb also auch aus dem Blickwinkel des Kontrollierenden. Angesichts der heute bevorstehenden Fernsehratssitzung hat Lippe aufgeschrieben, welche Themen ihm besonders am Herzen liegen.

Google News und seine Quellen, Rechtes Netzwerk, Trauerarbeit

1. Google News verkauft Staatspropaganda als “vertrauenswürdig”
(netzpolitik.org, Sebastian Meineck & Alexander Fanta & jocca)
Google News präsentiert sich als vertrauenswürdige Quelle für Nachrichten, doch zwischen seriösen News würden chinesische Staatspropaganda und für Falschmeldungen bekannte rechte Blogs auftauchen, so das Ergebnis einer netzpolitik.org-Recherche: “Google teilt gegenüber netzpolitik.org mit, es verstoße gegen die Richtlinien, wenn Inhalte dem wissenschaftlichen oder medizinischen Konsens zuwiderlaufen. Bei wiederholten oder schwerwiegenden Verstößen könne es passieren, dass eine Website nicht mehr bei Google News erscheinen dürfe. Fakten spielen bei Google News also durchaus eine Rolle. Aber Selbstbeschreibung und Wirklichkeit klaffen offenbar weit auseinander.”

2. “Der Kampf ist derselbe”: Wie “Unser Mitteleuropa” ein Netzwerk rechter Medien in Europa aufbaut
(correctiv.org, Alice Echtermann)
Recherchen von “Correctiv” zeigen, dass die Medienkooperation “Unser Mitteleuropa” wohl mehr als 25 Websites aus dem konservativen bis rechtsextremen Spektrum umfasst und Verbindungen zu mehreren rechtspopulistischen Parteien aus Europa aufweist: “Die Zusammenarbeit der Medien folgt einem simplen Prinzip: Unser Mitteleuropa übernimmt und übersetzt ihre Berichte und verhilft diesen – und sich selbst – zu größerer, internationaler Reichweite.” Alice Echtermann erklärt, wie das Netzwerk funktioniert.

3. Fassade des kritischen Journalismus in Katar
(deutschlandfunk.de, Ronny Blaschke, Audio: 5:16 Minuten)
Es sind nur noch wenige Wochen, bis im arabischen Wüstenstaat Katar mit großem Aufwand die Fußball-Weltmeisterschaft ausgetragen wird. Das Land will sich als moderner Gastgeber präsentieren und um Investitionen, Touristen und Fachkräfte werben. Doch es könne sein, dass sich Katar kurz vor der WM als liberaler präsentiert, als es eigentlich ist, wie der Journalist Benjamin Best berichtet.

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4. Eure Plattform, unsere Lügen
(faz.net, Nina Bub)
Nina Bub hat sich angeschaut, was das “Disinformation Situation Center” über die Bemühungen Facebooks, die Verbreitung russischer Staatspropaganda einzudämmen, sagt. Bubs Ansicht nach versage Facebook “nicht nur darin, Inhalte auf der Plattform zu moderieren und zu entfernen, es bietet Anhängern des Kremls die Möglichkeit, Putin und Russland zu verherrlichen.” Außerdem zeige das Ausweichen auf andere Websites, dass die russische Regierung auf die Sperrung ihrer staatlichen Sender vorbereitet war. Bubs Fazit: “Es be­darf wohl weiterer Anstrengungen seitens der EU, um den Fluss der Desinformation des Kremls in der Europäischen Union zu unterbrechen.”

5. Drohen bei “Welt”- und “Bild”-Gruppe tiefgreifende Veränderungen?
(meedia.de, Gregory Lipinski)
Der Branchendienst “Meedia” berichtet von einer E-Mail der Springer-Führungsspitze für das Ressort “News Media National”, in der diese die Neustrukturierung von “Welt” und “Bild” ankündigt. “Meedia”-Redakteur Gregory Lipinski berichtet: “Die betroffenen Mitarbeiter befürchten tiefgreifende Veränderungen. Dabei kochen diverse Spekulationen hoch. Von der Einstellung der werktäglich gedruckten Ausgabe der ‘Welt’ bis zu radikalen Änderungen in der Redaktionsstruktur bei der blauen und rote Gruppe machen die Runde, auch die Sorge über einen Stellenabbau ist im Gespräch.”

6. Trauer auf Twitter
(taz.de, Jagoda Marinić)
Jagoda Marinić hat Schwierigkeiten mit dem kollektiven Trauern über den Tod der Queen: “Über Tage zieht sich das Trauern, eine der längsten Warteschlangen in der Geschichte der Wartschlangen, um der Queen die letzte Ehre zu erweisen, die mediale Dauerpräsenz, die darin gipfelte, das königliche Begräbnis auf ARD und ZDF zu senden, als wollte man selbst für eine Zusammenlegung der beiden plädieren. Tagelang.”

Sieg für Pressefreiheit, Ulrike Guérot, Irgendeine ausgedachte Zahl

1. Sieg für Informantenschutz
(djv.de, Hendrik Zörner)
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) begrüßt das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Vorratsdatenspeicherung. Es sei ein Sieg für die Pressefreiheit und den Informantenschutz: “Der deutsche Gesetzgeber sollte aus dem Urteil die einzig richtige Konsequenz ziehen und das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung ersatzlos streichen”, so der DJV-Vorsitzende Frank Überall.
Weiterer Lesetipp: Eine Kommentierung sowie Reaktionen auf das Urteil gibt es bei netzpolitik.org (Markus Reuter).

2. “Bild” hätte ARD-Interview und Prognosen nicht übernehmen dürfen
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Das Berliner Kammergericht habe bestätigt, dass die Übernahme von öffentlich-rechtlichen Wahlprognosen und Hochrechnungen durch “Bild TV” rechtswidrig war. Auch die Übernahme des kompletten Interviews mit dem damaligen CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak sei unzulässig gewesen, berichtet Uwe Mantel in seiner Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung.

3. Berichterstattung über Proteste immens schwierig
(deutschlandfunk.de, Pia Behme & Sören Brinkmann)
Im Iran wurde die 22-jährige Mahsa Amini von der Sitten- und Religionspolizei festgenommen, weil sie angeblich “unangemessen” gekleidet gewesen sei. Indizien legen nahe, dass sie im Polizeigewahrsam zu Tode geprügelt wurde. Dies hat im Iran Proteste ausgelöst. Die Berichterstattung darüber ist wegen des repressiven Vorgehens gegen Medienschaffende jedoch nicht einfach.

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4. Dem NDR fehlt die Sorgfalt
(faz.net, Patrick Bahners)
Der NDR widerruft seine Einladung an die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot zur Mitarbeit in der Jury des NDR-Sachbuchpreises. Der Sender berufe sich dabei laut der Jury-Vorsitzenden Katja Marx nicht auf die weltanschaulichen Ansichten der Bonner Professorin, sondern auf die Werte der Wissenschaft. Zu Recht, wie Patrick Bahners findet: “Zur politischen Vernünftigkeit oder Unvernünftigkeit der Ansichten der als Europaexpertin prominent gewordenen Autorin des mit einem Vorabdruck im Internet-Magazin ‘Rubikon’ beworbenen Buches ‘Wer schweigt, stimmt zu’ kann Katja Marx schweigen, ohne den Eindruck der Zustimmung oder auch falscher Toleranz zu erwecken, weil die unwiderlegten Plagiatsvorwürfe Grund genug für die Aufkündigung der Zusammenarbeit jenseits der Kamera waren.”

5. Gutjahr & Knüwer: 9 Trends, die Medienprofis jetzt kennen sollten
(kress.de, Richard Gutjahr & Thomas Knüwer)
Die Medienexperten Thomas Knüwer und Richard Gutjahr sind zur Digitalkonferenz SXSW nach Austin gereist, um neue Medientrends zu recherchieren. Bei “kress” wagen sie einen Blick in die Kristallkugeln und geben neun Trendprognosen ab.

6. 4,1 Milliarden Zuschauer oder halt irgendeine andere ausgedachte Zahl
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Zahlreichen Medienberichten zufolge sollen 4,1 Milliarden Menschen auf der Welt das Begräbnis von Queen Elizabeth II. im Fernsehen verfolgt haben. Doch woher kommt eigentlich diese Zahl? Medienkritiker Stefan Niggemeier ist der Sache nachgegangen – mit einem verblüffenden Ergebnis.
Weiterer Lesehinweis: Auf Twitter zeigt Yellow-Press-Experte Mats Schönauer eindrucksvoll, welch bizarre Lügengeschichten die Regenbogenblätter zum Tod der englischen Königin auffahren. Die Behauptung der Klatschpresse, Elizabeth fehle “jetzt schon so sehr”, dürfte ausnahmsweise mal die Wahrheit sein, so Schönauer: “Ein Mensch weniger, den sie missbrauchen kann, um sich selbst zu bereichern.”

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BILDblog-Klassiker

Bild  

Mensch Maschmeyer!

“Bild”-Leser kennen den “schillernden Multimillionär” Carsten Maschmeyer vor allem als – nach einer brisanten Schnurrbart-Optimierung – durchaus präsentables Anhängsel (“Jackpot des Herzens”) von Veronica Ferres.

Dass der Mann auch noch andere Facetten hat, sahen insgesamt 3,86 Millionen Zuschauer am Mittwoch bei der Sendung “ARD exclusiv – Der Drückerkönig und die Politik”. In der NDR-Doku setzt sich “Panorama”-Redakteur Christoph Lütgert kritisch mit den Methoden des Finanzdienstleisters AWD und den politischen Seilschaften von Carsten Maschmeyer auseinander. Matthias Prinz, der Anwalt des langjährigen Vorstandsvorsitzenden und Gründers von AWD, versuchte die Ausstrahlung des Films im Vorfeld mehrfach zu verhindern.

Neben Vorwürfen gegen Maschmeyer und AWD zieht sich noch etwas anderes wie ein roter Faden durch die Dokumentation: der ständige, jedoch vergebliche Versuch Lütgerts, Carsten Maschmeyer vor der Kamera damit zu konfrontieren, dass er und seine politischen Verbindungen mitverantwortlich dafür seien, dass AWD-Anleger aufgrund von Schrottimmobilien und hochriskanten Finanzprodukten ihre gesamten Ersparnisse verloren haben. Sämtliche Interviewanfragen – auch schriftliche – werden abgewiesen.

Maschmeyer hat dann doch noch Zeit für ein Interview gefunden — allerdings nicht mit Lütgert, sondern mit “Bild”. Das Interview in der Donnerstagsausgabe muss in geradezu atemberaubender Geschwindigkeit geführt worden sein, wenn man bedenkt, dass der Inhalt der Sendung am Vortag kaum vor Redaktionsschluss bekannt sein konnte. Das sogenannte “Bild-Verhör” bot Carsten Maschmeyer dann auch eine bequeme Plattform mit einer ungleich höheren Reichweite von (angeblich) 12,53 Millionen Lesern, um allen in der Dokumentation erhobenen Vorwürfen zu widersprechen.

Zwar stellt “Bild” semikritische Fragen, doch mit dem Nachhaken ist es nicht weit her: Wenn Maschmeyer die “angesprochenen Vorgänge” als “ausnahmslos zehn Jahre alt” an sich abperlen lässt, hätte man ihn etwa auf die jüngste Sammelklage von 2.500 Betroffenen aus Österreich ansprechen können, denen AWD-Berater von Ende der 90er Jahre bis 2007 “immofinanz”- und “immoeast”-Aktien verkauft haben. Oder auf ein Urteil gegen AWD aus dem letzten Jahr, seit dem Finanzberater Kunden über die Höhe ihrer Provisionen aufklären müssen.

Dass “Bild” Maschmeyer eine derart günstige Gelegenheit bietet, sich von den Vorwürfen reinzuwaschen, verwundert nicht, denn die Zeitung, der Finanzunternehmer und sein ehemaliges Unternehmen stehen schon lange in einem ausgezeichneten Verhältnis zueinander: 2008 spendete Maschmeyer 1 Million Euro für “Ein Herz für Kinder”, im vergangenen Jahr kamen weitere 1,4 Millionen dazu. Vor einem Jahr hat AWD der Kinderhilfsorganisation von “Bild” Bandenwerbung im Wert von 500.000 Euro in den Stadien von Borussia Dortmund und Bayer Leverkusen gesponsort. Dagegen wirken ein schmeichelhaftes Porträt oder – wie gerade jetzt – ein Interview zur rechten Zeit schon fast wie eine Selbstverständlichkeit. Zumal der heutige Kommunikations-Direktor von AWD, Béla Anda, bis 1998 bei “Bild” arbeitete, ehe er zunächst stellvertretender, dann erster Regierungssprecher von Bundeskanzler und Maschmeyer-Freund Gerhard Schröder wurde.

Eine Stelle aus dem “Bild”-Interview, pardon: -Verhör, scheint die “Panorama”-Redaktion aber besonders geärgert zu haben:

BILD: Warum hat der recherchierende Journalist kein Interview bekommen?

Maschmeyer: “Ich habe mehrfach ein Interview angeboten, aber darum gebeten, mir die konkreten Fragen vorab zu senden. Bei mehreren Millionen Kunden müssen für diese Einzelfälle nämlich zunächst die Beratungsunterlagen eingesehen und die Kunden um Genehmigung gebeten werden, ob zu deren Investitionsentscheidungen in den Medien Stellung genommen werden darf.”

Inzwischen hat “Panorama” reagiert und der Behauptung widersprochen:

Im Interview mit der BILD-Zeitung vom 13. Januar 2011 stellt Carsten Maschmeyer die Recherche von Panorama in Frage. Er behauptet, er habe “von den angeblichen Vorwürfen erst aus der Programmzeitschrift erfahren”. Außerdem habe er “mehrfach ein Interview angeboten”. Beide Behauptungen sind nachweislich falsch. Monatelang hat die Redaktion Panorama vergebens versucht, Carsten Maschmeyer für ein Interview zu gewinnen.

Zusätzlich hat “Panorama” eine dreimonatige Chronologie der vergeblichen Interviewanfragen nebst Original-E-Mail- und Briefverkehr ins Netz gestellt:

Mit Dank an Maria M., Tobias R., Ivo B. und Horst W.

Aufsatz, Einsatz, Umsatz

1. 8 Themen, über die Medienethiker jetzt nachdenken müssen
(journalist.de)
Der Mediensoziologe und Professor für Journalismus und Digitale Kommunikation Stephan Weichert hat einen Essay über ethische Grundsätze in der digitalen Medienwelt verfasst. Es gäbe zwar den Pressekodex, Ethikregeln müssten jedoch im Praxistest ständig neu angepasst werden. “journalist.de” veröffentlicht online eine Kurzfassung seines Aufsatzes, in dem es um acht medienethische Konfliktfelder geht: von Video-Livestreaming, dem Einsatz von Drohnen und Roboterjournalismus bis hin zu Big Data und “Info-Snacking”.

2. Erdogan verliert Rechtsstreit gegen Springer-Chef
(faz.net)
Der klagefreudige türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat eine weitere juristische Niederlage in Deutschland erlitten: Das Oberlandesgericht Köln wies seine Beschwerde gegen eine frühere Entscheidung des Landgerichts Köln zurück. Es ging um die Aussagen des Axel-Springer-Chefs Mathias Döpfner, der sich in der Causa Erdogan-Gedicht mit Jan Böhmermann solidarisiert hatte. Revision ist nicht mehr möglich. Erdogan könnte jedoch Verfassungsbeschwerde einlegen.

3. Jenseits von Kriegen, Krisen und Klischees – wie die Plattform JournAfrica das Afrikabild deutscher Medien verändern will
(get.torial.com, Tobias Lenartz)
Bericht über das erste deutschsprachige Nachrichtenportal für Journalismus aus Afrika “JournAfrica!”. Die Idee dahinter: Afrika hätte 54 Länder, 1 Milliarde Bewohner, hunderte Ethnien und tausende Sprachen. Der Kontinent und damit der Bedarf an Informationen werde immer wichtiger. Die Zahl deutscher Afrikakorrespondenten ließe sich jeodch an zwei Händen abzählen. Außerdem werde das Netz seit Jahren dünner, würden Korrespondentenstellen abgebaut. Mit dem relativ jungen Journalismusnetzwerk und Medienportal will man dem entgegenwirken und bietet über ein Korrespondentennetzwerk Analysen, Reportagen und Hintergrundberichten an.

4. 10 Dinge, die wir in drei Jahren Crowdspondent gelernt haben
(vocer.org, Lisa Altmeier & Steffi Fetz)
Lisa Altmeier und Steffi Fetz recherchieren in aller Welt. Finanziert wird das ganze per Crowdfunding. Ihr Projekt “Crowdspondent” wird nun drei Jahre alt. Die beiden Journalistinnen erzählen, was sie in dieser Zeit gelernt haben.

5. Facebook Instant Articles: Unser t3n-Fazit nach 30 Tagen Testlauf
(t3n.de, Andreas Weck)
Die von Haus aus digitalaffine Webseite “t3n” hat Facebooks “Instant Articles” ausprobiert und berichtet nach einem Monat über ihre Erfahrungen. “Was haben wir nach 30 Tagen Instant Articles gelernt? Vor allem, dass Facebook der Werbebranche und den Vermarktern gehörig Beine machen wird, was Mobile Ads angeht.” Interessanter Praxisbericht, der auch Einblick in sonst meist unter Verschluss gehaltene Zahlen gewährt.

6. Vom Mythos des Verlegers
(bilanz.de, Bernd Ziesemer)
Kolumnist Bernd Ziesemer war selbst langjähriger Handelsblatt-Chefredakteur. Nun zieht sich der Verleger und geschäftsführender Gesellschafter des Handelsblatts, Dieter von Holtzbrinck aus dem Geschäft zurück. Anlass für Ziesemer, über den “Mythos des Verlegers” zu schreiben. Ziesemers Bilanz: “Innovationen blieben über Jahrzehnte ein Fremdwort in deutschen Zeitungshäusern. Stattdessen gefielen sich die Verleger in der Rolle des kleinen Königs, der sich am Sitz seiner Redaktionen hofieren ließ wie ein Duodezfürst. Am Schluss hielten sie sich selbst für große Unternehmer – bis die erste Krise kam im Jahr 2000. Seitdem ist das Bild des Verlegers hinlänglich beschädigt. Außer Leute zu entlassen und Kosten zu drücken fiel den meisten Verlegern nicht viel ein. Oft sogar gar nichts.”

Beinahe eine Meldung wert

Neulich hätte ich mir beinahe eine Zeitung gekauft. Aber dann habe ich es doch nicht getan, und das hätte ich beinahe bereut, denn beinahe hätte ich deshalb nicht erfahren, dass Britney Spears beinahe nicht wohlbehalten aus ihrem Urlaub zurückgekehrt wäre. Aber zum Glück gibt es ja das Internet:

Dass sie beinahe ertrunken wäre, hat Britney Spears dem Sender “BBC Radio 1” erzählt. Jedenfalls so ähnlich. Eigentlich hat sie gesagt: “Ich bin wirklich fast ertrunken.” So wie man sagt: “Ich war so sauer, ich wäre wirklich fast Amok gelaufen.” Aber zum Glück ist ihr das nicht auch noch rausgerutscht. Wer weiß, was dann jetzt in den Zeitungen gestanden hätte.

Dabei könnte man es verstehen, wenn sie das gesagt hätte, denn ihre Security hat von der Beinahe-Katastrophe gar nichts mitbekommen. Und daher lässt sich auch nicht genau sagen, ob Britney Spears wirklich fünf Minuten lang unter Wasser um ihr Leben gestrampelt hat, wie sie behauptet — oder ob es ihr einfach nur sehr lang vorgekommen ist. Man kennt das ja selbst. Wenn man mit einem dringenden Bedürfnis vor einer verschlossenen Toiletten-Tür steht, können einem schon zehn Sekunden wie fünf Minuten vorkommen. Später denkt man, man wäre fast gestorben. Und Britney Spears wäre “wirklich fast ertrunken”. Sagt sie. Aber im Grunde ist nichts passiert. Die “Deutsche Presse-Agentur” hat die Geschichte dennoch aufgegriffen. Und jetzt steht es beinahe überall:


(mopo.de)


(stern.de)


(stuttgarter-zeitung.de)


(t-online.de)


(gala.de)

Wenn man genau hinsieht, ist natürlich doch etwas passiert, denn kaum war Britney Spears wieder einigermaßen bei Luft, erschien ihr neues Album — wie durch einen Zufall nur wenige Tage nach dieser Beinahe-Schreckensmeldung.

Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Daniel Wichmann “Hier ist alles Banane — Erich Honeckers geheime Tagebücher 1994 – 2015”. Fürs BILDblog kümmert er sich um all die unwichtigen Dinge, die in Deutschland und auf der Welt so passieren.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)

Es gibt nun mehrere Möglichkeiten. Eine wäre: Es war alles tatsächlich so, wie Britney Spears behauptet. Eine andere ist: Am Abend nach dem großen Medienecho auf die Hawaii-Erzählung saß irgendwo am Strand von Malibu ein glücklicher Spin-Doctor in seinem Rattanstuhl und wäre vor lauter Freunde darüber, dass mal wieder alles wie am Schnürchen läuft, beinahe in seinem Daiquiri ertrunken. 

In dem Fall gab es wahrscheinlich auch diese Szene vier Wochen zuvor in einem Büro des New Yorker Plattenlabels “RCA Records”:

“Das Wichtigste ist, dass alle über Britney sprechen, wenn das neue Album dann kommt.” 

“Aber wie sollen wir das hinkriegen?” 

“Sie muss was gewinnen.”

“Keine Chance.” 

“Vielleicht irgendein Skandälchen? Alkohol? Drogen? Eine Affäre?” 

“Das bringt uns auch nicht weiter.”   

“Dann seh ich ehrlich gesagt nur eine Möglichkeit.”

“Und die wäre?”

“Die Drowning-Story.”

Die Drowning-Story muss in der Promi-PR-Branche ungefähr das sein, was für den Einbrecher der Dietrich ist. Sie funktioniert im Prinzip immer. Wenn einem sonst gar nichts mehr einfällt, kann man immer noch darauf zurückgreifen.

Und dieser Kniff hat sich entweder sehr weit herumgesprochen, oder die Unter-Wasser-Nahtod-Erfahrung ist mittlerweile eine notwendige Bedingung für eine halbwegs erfolgreiche Karriere in der Unterhaltungsbranche. 

Wim Wenders zum Beispiel hat seine als Kind im Rhein erlebt:

Guido Maria Kretschmer war möglicherweise nicht wirklich in Gefahr, als er mit 16 Jahren eine Böschung herunterstürzte und im Wasser landete. Aber er dachte immerhin einen Moment lang: Ich sterbe. Und das reichte schon für den Titel:

Über die Umstände des Unglücks, das Charlène von Monaco überstanden hat, ist nichts Näheres bekannt — außer eben, dass sie über sich sagt: “Ich wäre als Kind fast ertrunken.” In ihrem Fall ist das gleich doppelt interessant, denn sie wurde später Schwimmerin und holte dreimal Gold bei den Afrikaspielen.


 
Senta Berger ist das nicht gelungen. Dafür hat sie fast jeden anderen Preis gewonnen. Doch auch das wäre beinahe durch ein Unglück verhindert worden. Als sie fünf war, brach sie auf einem See ins Eis ein und wurde an den Zöpfen wieder herausgezogen:

Aber das steht in keinem Verhältnis zu dem, was die Schauspielerin Leah Rimini (bekannt aus irgendeiner Serie) während ihrer Zeit bei Scientology durchmachen musste: Auch sie wäre fast ertrunken. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, ist sie dabei auch noch “pitschnass” geworden.

Jason Statham, Schauspieler und laut “Wikipedia” ehemaliger Wasserspringer, musste sich bei den Dreharbeiten zu “The Expendables 3” von zwei Kampftauchern aus dem Wasser ziehen lassen: weil er sonst ertrunken wäre.  

Und Gerard Butler hatte das Pech, dass ihn in den Surf-Szenen des Films “Mavericks” kein Stuntman vertrat. Während der Dreharbeiten auf dem Meer geriet er, wie er später erzählte, zwischen zwei 15 Meter hohe Monster-Wellen und wäre — Sie ahnen es — beinahe ertrunken:

Bei Jonah Hill war die Geschichte noch etwas besser. Er hatte irgendwann mal eine Rolle in der Komödie “Das ist das Ende”, und wenn seitdem über ihn geschrieben wird, nennen die Journalisten ihn manchmal auch den “Das ist das Ende”-Schauspieler. Dieser “Das ist das Ende”-Schauspieler stieg also irgendwann vor ungefähr drei Jahren am Bondi Beach in Australien betrunken ins Wasser und tat das, was man bei diesem Namen vermuten würde: Er ließ sich von der Strömung aufs Meer treiben.

Natürlich wurde auch er gerettet. Und das gab ihm die Gelegenheit, die Geschichte später noch mal zu erzählen, als er in der Late-Night-Show von Conan O’Brien für seinen neuen Film “21 Jump Street” Werbung machen durfte:

Ein bisschen wundert man sich natürlich. Alle erzählen die gleiche Geschichte, und es funktioniert doch immer wieder. Aber so ist das wohl in Hollywood. Mit der Lovestory ist es ja auch nicht viel anders. Im Grunde seit Jahrhunderten. Und auch die Drowning-Story hat eine lange Tradition mit einer goldenen Zeit und großen Stars — als man nicht betrunken am Bondi Beach beinahe in den Wellen absoff, sondern wie Frank Sinatra vor der Kulisse des Wailua-Wasserfalls mit blauen Lippen aus dem Waser gezogen wurde

Und auch hier wird einer wohl für immer unübertroffen bleiben. Elvis Presley. Der King of Rock’n’Roll. Der erfolgreichste Musiker aller Zeiten. Er ist nicht fast in den reißenden Fluten eines Ozeans umgekommen. Er hat auch in diesem Metier etwas geschafft, das wahrscheinlich noch keinem Star vor oder nach ihm gelungen ist:

Mit dem Frühstücksei in die Schlagzeilen

Neulich gab es in der Sportredaktion der “dpa” eine kleine Diskussion. Irgendeiner der Kollegen wollte gehört haben, dass es im Fußball nur noch ums Geld geht. Hatte der ehemalige Bundesliga-Torhüter Frank Rost so erzählt. In der Redaktion hatten sie dieses Gefühl ja schon länger. Aber hatte das nicht irgendjemand so ähnlich schon mal ausgesprochen? Man war sich nicht ganz sicher. Vorsichtshalber schrieb man eine Meldung:

Frank Rost hätte natürlich auch sagen können: “Das Wetter ist auch nicht mehr das, was es mal war.” Oder: “Die da oben — immer auf den kleinen Mann.” Es hätte ungefähr den gleichen Informationsgehalt gehabt, aber in den Politik-Teil kommt man leider nicht ganz so leicht. Da braucht man schon ein Mandat, eine Funktion oder die allseitige Vermutung, dass man auf einem bestimmten Gebiet über sehr viel Fachwissen verfügt, in anderen Worten: einen akademischen Titel.

Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Daniel Wichmann “Hier ist alles Banane — Erich Honeckers geheime Tagebücher 1994 – 2015”. Fürs BILDblog kümmert er sich um all die unwichtigen Dinge, die in Deutschland und auf der Welt so passieren.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)

In anderen Metiers ist es dann wieder so leicht. Da genügt es schon, irgendwann einmal in einem Spielfilm durchs Bild gelaufen zu sein, schon wird man mit den banalsten Trivialitäten auf der Panorama-Seite zitiert.
 
Würde Matthias Schweighöfer morgens am Frühstückstisch eine Prise Salz über sein Ei geben, dazu den Gedanken äußern, dass er Eier genau so am liebsten mag, und zufällig stünde draußen unter dem Fenstersims ein Reporter, ginge vielleicht noch am selben Tag eine Meldung für das Ressort Vermischtes raus, die ungefähr so aussehen würde:

Matthias Schweighöfer (35), isst sein Frühstücksei am liebsten mit Salz. “Früher mochte ich überhaupt keine Eier”, sagte der Schauspieler (“Vaterfreuden”) der “Gala”. Aber dann sei er irgendwann auf den Geschmack gekommen. Heute könne er sich ein Leben ohne Frühstücksei nicht mehr vorstellen.

Dem Schauspieler Daniel Brühl ist neulich etwas Ähnliches passiert. Im Dezember wird er Vater. Da hat er “Gala” gesteckt, dass er in Zukunft etwas weniger arbeiten will, um mehr Zeit fürs Kind zu haben. Und dann ist ihm noch rausgerutscht, dass er in Berlin eine zweite Bar eröffnen will.

Man kann sich ungefähr vorstellen, wie die Geschichte weiterging: Seine Frau schlug morgens die Zeitung auf, wusste überhaupt nichts von der Idee mit der Bar. In den beiden Nächten darauf schlief Brühl auf dem Sofa, und jetzt will er erst mal überhaupt nicht mehr mit der Presse reden.

Dabei hätte er natürlich auch einfach irgendwas anderes sagen können. Es ist ja im Grunde egal, was. Für eine Meldung reicht es immer:

Der Schauspieler Daniel Brühl möchte seinen Gartentisch gelb streichen.

Der Schauspieler Daniel Brühl kratzt sich manchmal am Rücken, während er über die Straße geht.

Der Schauspieler Daniel Brühl trinkt Rotwein nicht gerne aus Plastik-Bechern.

Der Schauspieler Daniel Brühl schläft am liebsten mit den Füßen am Kopfende.

Der Schauspieler Daniel Brühl mag gutes Wetter.

Der Schauspieler Daniel Brühl ist nicht gerne krank.

Und hätte Daniel Brühl im Interview mit “Gala” einfach nur gefragt, wie spät es ist, wäre die Meldung eben gewesen:

Daniel Brühl trägt keine Armband-Uhr.

Mit zunehmender Prominenz wird ausnahmslos alles interessant, was Menschen machen, sagen, glauben und meinen:

Daniel Brühl trägt Hausschuhe, wenn er abends nicht mehr vor die Tür muss.

Der Basketballer Chandler Parsons hat neulich einfach nur gesagt, dass er Hamburg mag, die Heimatstadt seiner Freundin, dem Model Toni Garrn. Auch das ging natürlich raus über die Ticker:

Vielleicht werden wir von Parsons demnächst noch weitere Meldungen lesen:

Der Basketballer Chandler Parsons reist aus den USA am liebsten mit dem Flugzeug nach Europa.

Der Basketballer Chandler Parsons spricht mit der Familie seiner Freundin auch über Privates.

Der Basketballer Chandler Parsons findet seine Freundin sehr sympathisch.

Wenn man nicht genug davon kriegen kann, Meldungen über seine eigenen Vorlieben auf Newsportalen zu lesen, ist so was natürlich eine tolle Sache. Andernfalls kann es auch lästig werden.

Der Schauspieler Miroslav Nemec zum Beispiel sieht seine Prominenz mittlerweile kritisch. Halb Deutschland kennt ihn aus dem Münchner “Tatort” als den Kommissar Ivo Batic. Dummerweise kennen ihn in München noch mehr Menschen als nur die Hälfte, und da wohnt er, was nicht immer ganz unproblematisch ist, denn manchmal muss er auch zum Einkaufen aus dem Haus, wenn er schlechte Laune hat. Dann besteht die Gefahr, dass irgendwann in den Klatschspalten steht:

Miroslav Nemec verprügelt im Supermarkt gerne Passanten.

Das ist ein Nachteil, aber was will man machen, wenn man seinen Beruf sonntagabends im Fernsehen ausübt? Man kann sich zurückziehen, wenn man nicht im Dienst ist, und vielleicht dann schlecht gelaunt einkaufen gehen, wenn an der Kasse nicht so viel los ist. Miroslav Nemec hat sich für einen anderen Weg entschieden, und der — das wäre unsere vorsichtige Prognose — wird das Problem nicht verbessern: Nemec hat einen Krimi geschrieben. Nicht unter Pseudonym, sondern unter seinem echten Namen. Nicht mal für den Ermittler hat er sich eine neue Figur ausgedacht. Auch das ist er selbst:

Und falls irgendwer bei “Gala” zu morgen noch unbedingt eine Meldung braucht, warum dann nicht einfach diese hier?

Der Schauspieler Miroslav Nemec macht gerne alles noch schlimmer, als es eh schon ist.

Der Tod steckt in der Krise

Die meisten Menschen fürchten sich vor dem Tod, nur die wenigsten sehen seine Vorteile: Nie wieder an kalten November-Morgen vom Wecker aus dem Bett gescheucht werden. Nie wieder durchnässt im Regen warten. Nie wieder Post vom Finanzamt. Und kein Chef mehr, dem am frühen Freitagabend einfällt, dass er für seinen Vortrag am Montag noch dringend eine Präsentation braucht, um die er sich aber wegen des nahenden Wochenendes unmöglich selbst kümmern kann.

Der Tod könnte so schön sein, wenn er nicht leider auch einige Nachteile hätte. Zum Beispiel: die Langeweile.

Ja, was tun? Die Frage wäre überhaupt neu, denn natürlich gäbe es auch keine Wochenenden mehr, die am Freitagnachmittag mit Stress beginnen und fünf Minuten später, am Sonntagabend um Mitternacht völlig überraschend enden, weil die Zeit zwischen den Powerpoint-Folien für den Chef einfach zerrieselt ist — und der Vortrag an sich natürlich auch noch gemacht werden musste.

Ralf Heimann hat vor ein paar Jahren aus Versehen einen Zeitungsbericht über einen umgefallenen Blumenkübel berühmt gemacht. Seitdem lassen ihn abseitige Meldungen nicht mehr los. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt zusammen mit Daniel Wichmann “Hier ist alles Banane — Erich Honeckers geheime Tagebücher 1994 – 2015”. Fürs BILDblog kümmert er sich um all die unwichtigen Dinge, die in Deutschland und auf der Welt so passieren.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)

Nur noch Faulheit, Trägheit, Müßiggang. Nur noch Zeit, die wie ein endloses Bächlein vorbeiplätschert.

Vielleicht muss man sich den Tod einfach so vorstellen: Man liegt irgendwo herum und wartet schlaflos auf einen Morgen, der niemals kommen wird. Ein fürchterlicher Zustand, der nur durch den Gedanken erträglich wird, dass man immerhin vom Finanzamt nichts mehr zu befürchten hat. Aber dann wälzt man sich auf die andere Seite, schaut noch mal hin, und da liegt plötzlich dieser Brief, auf dem man in Umrissen das Landeswappen erkennt.

In Sarzeau im Westen Frankreichs muss man mit so etwas inzwischen rechnen. Das Finanzamt dort hat vor ein paar Tagen eine Steuerforderung an eine Tote zugestellt. Der Bote kam vermutlich dreimal, fand aber weder Klingel noch Briefkasten, und auch die Nachbarn zeigten sich wenig kooperativ, was die Adresse hätte erklären können. Die lautete: “Friedhofsweg, Reihe E, Grab 24”.

Die Anschrift ist entweder übersehen worden, oder in den Finanzbehörden ist längst eine neue Zeit angebrochen, in der nicht nur die Unterschiede zwischen Männern und Frauen eingeebnet werden, sondern auch die zwischen Lebenden und Toten.

Nachdem schon die Erbschaftssteuer geflossen ist, kämen dann trotzdem weiter die Vorauszahlungsbescheide, und die Einkommensteuer würden wir auch in der Ewigkeit einfach weiterzahlen. Ständig riefe der Steuerberater an, weil noch irgendwelche Belege fehlten. Dabei wollten wir einfach nur untätig in der Hölle schmoren, wie wir es verdient haben.

Das ganze System ist marode. Es fängt schon bei den Bestattern an, die ihre Kunden skrupellos über den Tisch ziehen, statt sie dort einfach, wie es ihre Aufgabe wäre, zu waschen und nett anzukleiden. 

In Gießen gab es gerade wieder so einen Fall. Ein Ehepaar hat das Geld für die eigene Feuerbestattung per Vorkasse überwiesen. Dann starb die Frau, und der sonst nicht an Kundenbewertungen gewöhnte Bestatter hatte offenbar vergessen, dass ein Vertragspartner — was in der Regel nicht vorkommt — nach getaner Arbeit noch lebt. Die eigentlich schon bezahlten Rechnungen gingen an ihn. Der Mann hat den Bestatter nun angezeigt.

Da kann einem die Lust aufs Sterben schon vergehen. Und anscheinend ist man mit diesem Gefühl nicht allein: 


Quelle: “Mindener Tageblatt”

Wenn die Bestatter nicht aufpassen, wird es ihnen irgendwann genauso ergehen wie den Kutschen-Bauern und den Zeitungsverlagen. Die Kunden werden sich was Neues suchen, vielleicht irgendwas im Internet. 

Es gibt ja schon heute kaum noch Menschen, die mit ihrer eigenen Bestattung so zufrieden waren, dass sie sagen würden: Empfehle ich uneingeschränkt weiter. Was aber auch kein Wunder ist. Wer will schon mit einer Branche zu tun haben, die ihre Kunden erst abzockt und dann in einem Loch verscharrt? Anscheinend sind nicht mal die Beschäftigten selbst bereit, das länger mitzutragen:

Der letzte Bestatter wird vermutlich auch am Wochenende nach seinem Tod noch arbeiten müssen, um sich selbst unter die Erde zu bringen. Und solche Arbeitsbedingungen sind wirklich niemandem zuzumuten. 

Dabei ist das Sargtragen an sich eine attraktive Tätigkeit mit vielen Aufstiegschancen. Und natürlich spielt die Digitalisierung auch hier eine große Rolle. Die Terminabstimmung erfolgt heute oftmals per Smartphone. Viele Jugendliche wissen das gar nicht.

Und das wiederum ist symptomatisch für diese Branche. Es ist nicht alles so schlecht, wie es auf den ersten Blick erscheint. Das gesamte Bestattungswesen bräuchte vor der Reform vermutlich erst mal eine Image-Kampagne. Der Tod muss endlich wieder attraktiv werden. Nicht nur für die Dienstleister, auch für die Kunden. Aber wie verklickert man das den Leuten?

Man müsste da mal eine Werbeagentur beauftragen, die einen Claim entwirft, der alles auf den Punkt bringt. Dieses Gefühl, dass sich etwas zum Besseren verändert. Die Aufbruchstimmung. Den frischen Wind. Wobei, vielleicht braucht man doch gar keine Werbeagentur. Vielleicht nimmt man einfach diese Überschrift:

Hohe Fehlerquote

Heute Abend, in gut einer Stunde, spielt RB Leipzig in der Fußball-Bundesliga bei Bayer 04 Leverkusen. Beim Bezahlsender “Sky” werden sich vermutlich einige Hunderttausend Leute das Spiel anschauen. Und das könnte dann für “Bild”-Sportchef Walter M. Straten der nächste ultimative Beweis sein, dass der ziemlich umstrittene Fußballklub aus Sachsen gar nicht so doof ist, wie ihn viele Fans anderer Vereine finden. Doch der Reihe nach.

Ende Oktober schrieb Straten in seiner Kolumne “Die Lage der Liga” in “Bild am Sonntag” und bei Bild.de:


Das Interesse an den Leipzigern ist bereits fast so groß wie an den alteingespielten Klubs der Liga. In der Einschaltquoten-Tabelle von Sky (Stand 8. Spieltag) rangiert Leipzig bereits auf Platz sechs. Hinter Bayern, Dortmund, Schalke, Köln und Hertha.

Heißt: Die Fans in ganz Deutschland wollen den frechen Großstadt-Neuling spielen sehen. Ob sie ihn nun mögen oder nicht.

Wer steht in der Quoten-Rangliste am Ende?

Ingolstadt, Leverkusen, Augsburg, Hoffenheim — und ganz hinten Darmstadt.

Damit ist die Frage beantwortet, wer für die Liga wertvoller ist. Also: Schluss mit dem primitiven Leipzig-Bashing!

(Straten dürfte sich auf die “Sky”-Einschaltquoten-Tabelle von “Meedia” beziehen.)

Mal davon abgesehen, dass es vielleicht nur von begrenzter Weitsicht zeugt, in einem Beitrag gegen das Bashing eines Fußballklubs andere Fußballklubs als weniger wertvoll darzustellen, übersieht Walter M. Straten in seiner Argumentation einen ziemlich wichtigen Punkt: den Bundesliga-Spielplan und dessen Auswirkungen auf die Einschaltquoten bei “Sky”.

Jeder Bundesliga-Spieltag besteht aus neun Partien. In der Regel findet eine davon am Freitagabend um 20:30 Uhr statt, fünf weitere parallel am Samstagnachmittag um 15:30 Uhr, eine am Samstag um 18:30 Uhr, eine am Sonntag um 15:30 Uhr und die neunte zwei Stunden später um 17:30 Uhr.

Am Samstag um 15:30 Uhr gucken viele “Sky”-Abonnenten die Konferenz mit allen fünf Spielen, und nur jene Fans, die ausschließlich ihren Verein sehen wollen, entscheiden sich am Samstagnachmittag für das Einzelspiel mit ihrem Klub. Bei den Spielen am Freitagabend, Samstagabend, Sonntagnachmittag und -abend gibt es diese Auswahl hingegen nicht. Es findet ja jeweils nur ein Spiel statt. Und deswegen sind die Einschaltquoten bei diesen Partien meist höher als bei den einzelnen Spielen am Samstagnachmittag.

Schaut man sich nun den Spielplan der bisherigen Bundesligasaison an, sieht man, dass RB Leipzig einer der Vereine ist, die die meisten Einzelspiele abbekommen haben. Zum Zeitpunkt, als Walter M. Straten seinen Text veröffentlich hat, waren es sechs Stück. Und das nach lediglich neun Spieltagen. Am vergangenen Spieltag ist noch ein weiteres Einzelspiel hinzugekommen.

Gut möglich also, dass “die Fans in ganz Deutschland” gar nicht unbedingt “den frechen Großstadt-Neuling spielen sehen” wollen, “ob sie ihn nun mögen oder nicht”, wie Straten schreibt. Vielleicht wollen sie einfach nur Fußball gucken, unabhängig davon, wer da nun spielt.

Dafür spricht auch die Einschaltquote der Partie, um die es in Walter M. Stratens Beitrag hauptsächlich geht: SV Darmstadt gegen RB Leipzig. Das Spiel an einem Samstagnachmittag — also mit Konkurrenz von vier anderen Partien und der Konferenz — haben weniger als 5000 Leute eingeschaltet. In der offiziellen Messung heißt das: 0,00 Million.

Mit Dank an Patrick B. für den Hinweis!

Sie liebt keinen DJ, und er hatte keinen Suff-Unfall

Manchmal versieht die “Bild”-Redaktion ihre Artikel mit Warnhinweisen. Da steht dann im Text zum Beispiel “nach BILD-Recherchen” oder “nach BILD-Informationen”, und dann müsste eigentlich jedem klar sein, dass da was nicht stimmen kann.

Ein solcher Text, der “nach BILD-Recherchen” entstanden ist, erschien am 3. August. Es ging um Diskuswerfer Christoph Harting, “SUFF-UNFALL” schrieb “Bild” damals auf der Titelseite und im Blatt: “SUFF! CRASH! AUSRASTER!”

Heute muss die Redaktion zwei Gegendarstellungen von Harting abdrucken. Eine auf der Titelseite …

Ausriss von der Bild-Titelseite - Gegendarstellung - Auf der Titelseite der BILD vom 03.08.2017 haben Sie geschrieben: Olympia-Held Christoph Harting Suff-Unfall - Hierzu stelle ich fest: Ich hatte keinen Suff-Unfall. Anmerkung der Redaktion: Herr Harting hat recht. Wir bitten Herrn Harting um Entschuldigung.

… und eine auf Seite 5:

Ausriss Bild-Zeitung - Gegendarstellung - Auf Seite 4 der BILD vom 03.08.2017 haben Sie unter der Überschrift: Olympia-Harting Suff! Crash! Ausraster! geschrieben: 1. Weil Harting sich außerdem gegenüber den Polizeibeamten aggressiv verhalten haben soll, brachten ihn seine Kollegen auf die Wache. Dort wurde eine Blutentnahme angeordnet. Hierzu stelle ich fest: Ich habe mich gegenüber Polizeibeamten nicht aggressiv verhalten. Ich wurde auch nicht auf eine Wache gebracht. Eine Blutentnahme wurde bei mir nicht angeordnet. 2. Völlig aufgebracht soll der Olympiasieger danach auf den anderen Fahrer losgegangen sein. Selbst die inzwischen alarmierten Polizisten hätten den kräftigen Diskuswerfer nur schwer bändigen können. Hierzu stelle ich fest: Ich bin nicht auf einen anderen Fahrer losgegangen. Ich musste auch nicht durch Polizisten gebändigt werden. Berlin, den 18.08.2017 Christoph Harting

Und wo wir schon bei Gegendarstellungen sind — diese hier von Sabia Boulahrouz, die Bild.de neulich veröffentlichen musste, beinhaltet eine wunderschöne Feststellung:

Screenshot Bild.de - Gegendarstellung - Am 14.08.2017 berichtete bild.de in der Such-Vorschau eines Artikels über mich: Sie liebt den DJ! Hierzu stelle ich fest: ich liebe keinen DJ. Hamburg, den 23.08.2017, Sabia Boulahrouz

Mit Dank an @MSchroeren für den Hinweis!

Methode Spitzer, Bauer Willis Frust, “taz”-Innovationslücken

1. Die Methode Spitzer
(spiegel.de, Christian Stöcker)
Bücher von Manfred Spitzer tragen gerne besorgniserregende, wenn nicht alarmistische Titel, ob “Cyberkrank!”, “Vorsicht Bildschirm!” oder, sein wohl bekanntestes Werk, “Digitale Demenz“. Nun sorgt Psychiater und Hirnforscher Spitzer mit „Einsamkeit“ und den angeblichen Einsamkeitsauslösern Internet und Digitales erneut für Diskussionen. „Spiegel“-Kolumnist Christian Stöcker kritisiert die „Methode Spitzer“, bei der oftmals selektiv zitiert werde und Korrelation mit Kausalzusammenhang verwechselt werden würde. „(…)es wäre doch schön, wenn wir die wirklich dringend notwendige Debatte über das, was die Digitalisierung mit uns macht, und das, was wir mit ihr anstellen, auf einer anderen, konstruktiveren Basis führen könnten als unter dem Mantra: “Selektiv ausgewählte und tendenziös interpretierte Studien zeigen, dass früher alles besser war.”

2. „Der Wahnsinn mit…
(bauerwilli.com, Alois Wohlfahrt)
Das ZDF hat eine Reportage produziert, die sich mit dem Export von Weizen nach Afrika befasst („Der Wahnsinn mit dem Weizen“) und hat dazu auch „Bauer Willi“ besucht. Der Landwirt hat sich für das Filmteam viel Zeit genommen, doch nun, da die Sendung ausgestrahlt wurde, sieht er sich getäuscht und als „nützlicher Idiot“ missbraucht: „Von den guten und offenen Gesprächen bei mir auf dem Hof war nichts übrig geblieben. Statt dessen wurden Zusammenhänge konstruiert, die ich schon vorher kommentiert hatte und die ich auch heute noch für falsch halte.“

3. Der grösste Internet-Hetzer der Schweiz wohnt in einer Villa in Riehen
(tageswoche.ch, Renato Beck & Gabriel Brönnimann)
Die Schweizer „TagesWoche“ hat versucht, mit dem „härtesten rechtsradikalen Troll“ Kontakt aufzunehmen. Als es endlich gelang, kniff er jedoch: „(…) der Mann, der seit Jahren ungestraft im Netz verleumdet, erniedrigt und hetzt, blockt ab, wenn man ihn auf sein Treiben anspricht. Der grösste Internethetzer der Schweiz ist kleinlaut, wenn man ihn konfrontiert. Er ist einer der härtesten Kerle, wenn er hinter seinem Bildschirm sitzt und Menschen öffentlich diffamiert. Zu seinem Tun stehen kann er nicht.“

4. Neue Welten
(sueddeutsche.de, Anna von Garmissen)
Die Zukunft von Regionalzeitungen in der digitalisierten Welt ist ungewiss. Viele Zeitungen kämpfen mit Auflagenrückgängen und schwindenden Werbeerlösen. Die “Ibbenbürener Volkszeitung” stemmt sich dem Trend mit einem neuen Verkaufsmodell entgegen: Die Leser können sich ihr Wunsch-Abo aus Themenwelten zusammenstellen. Wer alle beziehen will, erhält für vergleichsweise bescheidene 15 Euro den kompletten Zugang. Anna von Garmissen hat sich das Ibbenbührener Experiment näher angeschaut und mit den Ressortleitern und Ressortleiterinnen gesprochen, die dort Kapitäne genannt werden.

5. Die Lücke im Innovationsreport der taz
(medium.com, Lorenz Matzat)
Die „taz“ hat in einem lesenswerten und schonungslos offenen Report die eigenen Schwachstellen aufgedeckt. Dabei geht es u.a. um die inhaltliche Weichenstellung für die Zukunft, um gerechte Löhne für die Journalisten und verpasste Chancen bei der Digitalisierung. Datenjournalist Lorenz Matzat hat den Abschnitt über die Neugründung der „taz“ im Netz besonders aufmerksam gelesen und fragt: „Woher soll die Fähigkeit kommen, “Innovation” umzusetzen? Und ist das alles ohne intensiven Geldeinsatz, personellen Wechsel und grundlegenden Wandel möglich?“

6. “Tatort” ohne Ton: Keine Überraschungen an der Krimi-Front
(dwdl.de, Hans Hoff)
Hans Hoff hat das Experiment gewagt und sich den neuesten “Tatort” ohne Ton angeschaut. Die Überraschung: das wenig Überraschende.

Die Totklicker von “Intouch”, Filmen erlaubt?, Automatenbranche-Spende

1. Totgeklickt: Die Bestatter von Bauers „Intouch“
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
“Bei “Intouch”, dem Klatschmagazin aus dem Hamburger Bauer-Verlag, arbeiten keine Redakteure, sondern Bestatter”, so die Feststellung von Boris Rosenkranz. Und in der Tat hat “Intouch” (“Promi-News und heißer Gossip rund um Deine Stars”) ein besonders widerwärtiges und schäbiges Geschäftsmodell für sich entdeckt: Schocknachrichten über den angeblichen Tod von Promis, die Nachrufen ähneln.

2. Diskretion war einmal
(onlinejournalismus.de, Matthias Eberl)
Der Journalist Matthias Eberl hat Datenschutzbeschwerde und Strafantrag gegen die Reiseplattform Booking.com eingereicht. Das Unternehmen habe seine vertraulichen Buchungsdaten, darunter seine E-Mail-Adresse und die Buchungsorte Wien und Bern an Facebook weitergereicht. Booking.com sei bei Weitem nicht das einzige Unternehmen, das Kundendaten an Facebook ohne Einwilligung der Nutzerinnen und Nutzer weitergibt. Auch “Spiegel Online” und “Zeit Online” würden ähnlich forsch verfahren, was den Umgang mit Nutzerdaten anbelangt. Eberl hat die drei Unternehmen exemplarisch untersucht und ist auf, wie er schreibt, ziemlich absurde Sachen gestoßen. Er wirft damit Licht auf eine Stelle, die bei den Medienhäusern sonst im Dunklen bleibt.

3. Was verbindet Dunja Hayali mit einer Spielautomatenfirma?
(morgenpost.de, Kai-Hinrich Renner)
“Was verbindet Dunja Hayali mit einer Spielautomatenfirma?”, fragt Kai-Hinrich Renner in der “Morgenpost” und bleibt bei der Beantwortung relativ auf sich allein gestellt: Die sich sonst für Transparenz im Journalismus starkmachende Journalistin antwortete nur äußerst knapp auf seine Fragen. Klar ist wohl, dass die Gauselmann-Gruppe (Marktführer der Spielautomatenbranche) Dunja Hayalis Verein Vita e. V. Assistenzhunde mit einer 200.000-Euro-Spende bedacht hat. Und dass Hayali auf Jahrestagungen des Verbandes der Deutschen Automatenindustrie Dinge sagt wie: “Ihre Branche hat sich seit den 90er-Jahren sehr verändert, heraus aus der Schmuddelecke”. Sätze, die für die Automatenaufsteller Gold wert seien und unter Marketingaspekten entsprechend ausgeschlachtet würden.

4. Was dürfen Journalisten auf Demos?
(spiegel.de, Elisa von Hof)
Durfte das Fernsehteam des ZDF, das für “Frontal 21” bei einer Pegida-Demonstration anwesend war, einen Demonstranten filmen, der sich dagegen lautstark wehrte (“Hören Sie auf, mich zu filmen! Sie begehen eine Straftat. Sie haben mir ins Gesicht gefilmt.”)? Über diese und damit verwandte Fragen spricht “Spiegel”-Justiziar Sascha Sajuntz im Interview. Das Gespräch lohnt auch deshalb, weil ähnliche Fragestellungen immer mal wieder auftauchen.
Weitere Lesehinweise: Wer sich noch mal über den umstrittenen Polizeieinsatz gegen die ZDF-Journalisten in Sachsen informieren will, sei an tagesschau.de verwiesen, wo auch die Justizministerin zu Wort kommt.
Und wem bei dem ernsten Thema nach etwas Leichterem zumute ist: Netzpolitik.org berichtet über den Satire-Account @lkasachsen, der auf Twitter sein Unwesen treibt.

5. Haben Sie einen Rat an den türkischen Präsidenten, Can Dündar?
(sz-magazin.sueddeutsche.de)
Im “Interview ohne Worte” beschreibt der in Deutschland im Exil lebende Journalist Can Dündar mit Mimik und Gestik, was er vom Özil-Erdogan-Foto hält, was er am meisten an der Türkei vermisst und was er Angela Merkel im Umgang mit seinem Geburtsland rät.

6. Die große „Buzzfeed“-Show
(taz.de, Daniel Bouhs)
Daniel Bouhs hat sich die neue Netflix-Dokuserie “Follow this” über “Buzzfeed” angeschaut, die vor allem eines sei, Werbung: “Da sitzen Buzzfeed-ReporterInnen in Buzzfeed-Büros vor Buzzfeed-Laptops oder schreiben mit Buzzfeed-Kugelschreibern in Buzzfeed-Blöcke. Sind die JournalistInnen unterwegs, dann sieht das Skript in jeder einzelnen Folge vor: Sie rufen ihre Buzzfeed-KollegInnen an, um zu erzählen, was sie für Buzzfeed wieder Irres recherchiert haben. Passenderweise ist die Reihe über Buzzfeed-Reporter dann auch gleich eine Produktion von — Überraschung! — Buzzfeed. Netflix bekommt die Inhalte, Buzzfeed die Werbefläche.”

“Bild” am Rande des Merzinfarkts

Morgen wird darüber abgestimmt, wen die CDU als neuen Vorsitzenden oder neue Vorsitzende haben will. Wen die “Bild”-Zeitung als neuen CDU-Vorsitzenden haben will, steht längst fest.

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In den vergangenen Jahren war es bei “Bild” ziemlich ruhig geworden um Friedrich Merz. Hin und wieder packte die Redaktion nochmal die Steuererklärung-auf-einem-Bierdeckel-Sache aus oder entdeckte Merz “schlank und braun gebrannt” am Rande irgendeiner Veranstaltung, sonst aber trat der CDU-Mann in der “Bild”-Zeitung kaum in Erscheinung.

Bis vor ein paar Wochen. Am 29. Oktober, keine halbe Stunde nach den ersten Gerüchten zu Angela Merkels Rückzug als Parteichefin, meldete “Bild” exklusiv:

“Bild” hatte es — vor allen anderen — “aus dem Umfeld von Friedrich Merz” erfahren.

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In der Print-Ausgabe stellte “Bild” am nächsten Tag die Runde der potentiellen Nachfolger vor. An erster Stelle: Friedrich Merz.

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Am nächsten Tag: der Kandidaten-Check. Oder eher: die Verteilung der Labels. Jens Spahn? Der Homosexuelle. Annegret Kramp-Karrenbauer? Die mit dem Doppelnamen. Friedrich Merz? Der Millionär.

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Am nächsten Tag: Titelseite.

Und im Innenteil, nahezu James-Bond-haft:

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Am nächsten Tag:

Auf der gleichen Seite widmete die Redaktion dem Mozart-Messias noch zwei weitere Schlagzeilen (Jens Spahn bekam immerhin eine):

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Am nächsten Tag: noch ein Kandidaten-Check.

Fazit zu Kramp-Karrenbauer?

Konservatives Familienbild und hartes Durchgreifen, Recht und Ordnung bei Migranten. AKK will keine “Mini-Merkel” sein!

Fazit zu Spahn?

Geförderte auch gefordert werden, Spahn will wirtschaftsliberale Politik, Leitkultur, Recht und Ordnung. Wie Merz ist Spahn der Anti-Merkel.

Fazit zu Merz?

Klare Kante, klare Worte, eigene Meinung! Merz war und ist DER Gegenentwurf zu Kanzlerin Angela Merkel.

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Am nächsten Tag:


Außerdem eine Umfrage. “Wen würden die Deutschen zum CDU-Chef wählen?” Tada:

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Zwei Tage später:

Antwort: Doch, hätte es wohl, aber fragen kann man ja mal.

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In der nächsten “Bild am Sonntag”:

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Am nächsten Tag:

Selbst die Klatsch-Seite schenkte ihm ein paar Zeilen:

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Zwei Tage später:





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Und damit war sie entfacht, die …

Doch “Bild” erklärte die Debatte kurzerhand zu einer “Neiddebatte”, und “Bild”-Kommentatoren forderten:

Wir sollten Friedrich Merz nicht daran messen, was er verdient, sondern daran, ob er die Sorgen und Nöte der Menschen hören und verstehen kann! Das ist es, was wirklich zählt.

Und damit war sie dann schon wieder beendet, die “große Debatte um Millionär Merz”.

Außerdem: So abgehoben ist der ja gar nicht!

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Und so stellte “Bild” weiter die naheliegenden Fragen:

Ergebnis des Experten: “Den größten Respekt hätten die mächtigsten Machos der Welt vermutlich vor Friedrich Merz.”

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Wenig später sprachen die drei Kandidaten Kramp-Karrenbauer, Merz und Spahn auf einer Veranstaltung in Baden-Württemberg. Schlagzeile?

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Kurz darauf veröffentlichte “Bild am Sonntag” eine große Übersicht, auf der aufgelistet wurde, für welchen Kandidaten die 1001 CDU-Delegierten stimmen wollen. Deutlicher Favorit der Befragten: Friedrich Merz.

Noch am selben Tag erklärten einige der Delegierten, sie hätten überhaupt nicht mit “Bild am Sonntag” gesprochen.

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Doch die “Bild”-Medien sind in diesen Wochen nicht nur bemüht, die vermeintliche Popularität, die angeblichen Vorzüge und Stärken ihres Wunschkandidaten hervorzuheben, sondern auch seine möglichen Schwachpunkte zu entkräften.

Als Merz etwa mit einer Lobbyisten-Firma in Verbindung gebracht wurde, die für Saudi-Arabien arbeitet, veröffentlichte “Bild am Sonntag” sogleich ein Statement, in dem Merz beteuerte, er habe “keinerlei Kontakte nach Saudi-Arabien” und auch “keine Gespräche angebahnt oder anbahnen lassen.”

Auch was die Firma BlackRock angeht (“Bild”: die “größte Investmentfirma der Welt!”), für die Merz als Aufsichtsratsvorsitzender und Lobbyist tätig ist, versicherte “Bild” immer wieder, dass da natürlich alles mit rechten Dingen zugehe:

Der ehemalige Unions-Fraktionschef FRIEDRICH MERZ (62) arbeitet für eine renommierte Kanzlei und ist Cheflobbyist des deutschen Ablegers von “BlackRock”. Anders als oft behauptet, ist “BlackRock” kein Unternehmen, das SPD-Legende Müntefering “Heuschrecke” nennen würde. Sein klassisches Geschäftsmodel ist also nicht, Unternehmen zu kaufen, zu zerschlagen und mit Gewinn weiterzuverkaufen. Die größte Investmentfirma der Welt hält aber eine beträchtliche Anzahl von Aktien an Dax-Konzernen.

(“Bild”, 31.10.2018)

“BlackRock ist eine Vermögensverwaltung”

Merz weiß um das (falsche) Image seines bisherigen Arbeitgebers BlackRock als “Finanzhai” und “Heuschrecke”. Menschen vertrauen dem größten Vermögensverwalter der Welt ihr Geld an; es ist kein aggressiver Fonds. Trotzdem: Diese Flanke wird noch öfter attackiert werden.

(“Bild”, 1.11.2018)

Und selbst wenn bei dem Unternehmen was verdächtig ist, heißt das ja nicht, dass auch bei Merz was verdächtig ist:


(“Bild”-Titelseite, 8.11.2018)

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Gestern dann, auf Seite 2 der Bundesausgabe:

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Und heute, einen Tag vor der Abstimmung beim CDU-Bundesparteitag in Hamburg:

(Merz natürlich mit Heiligenschein, die anderen ohne.)

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Und was haben die “Bild”-Medien davon, dass sie sich so für Friedrich Merz ins Zeug legen?

Merz klickt sich gut, das beobachtet man in der Redaktion. Und wenn sich ein Thema gut klickt, dann wird nachgelegt.

schrieb die “taz” vor ein paar Tagen. Doch für “Bild” geht es nicht nur um Klicks oder um Auflage, es geht um viel mehr: Wenn Merz morgen gewinnt, steht er in der Schuld von “Bild”. Dann kann der Chef der “Bild”-Zeitung jederzeit zum Chef der CDU sagen: “Ohne uns wärst du nicht da, wo du bist. Wir haben was gut bei dir.” Kein besonders beruhigender Gedanke.