Selbstverzwergung, Gewalt gegen Journalisten, Verbrechen lohnt sich

1. Am Hufeisen aufgehängt
(taz.de, Bo Wehrheim)
Bo Wehrheim hat sich den aktuellen Bericht des Berliner Verfassungsschutzes angeschaut, der der steigenden Gewalt gegenüber Medienschaffenden ein Sonderkapitel widmet. Wehrheim ist unzufrieden mit der Einordnung und der Gewichtung der Fälle: “Der Verfassungsschutz beweist mit seiner Herangehensweise, dass er nicht geeignet ist, zum Schutz von Journalist_innen beizutragen. Er leistet in der Auseinandersetzung einen Bärendienst, indem er den Blick auf die Fakten verstellt.”

2. Verzerrt, übertrieben, umgedeutet – wie Russlands Fernsehen geschickt die Mär von «Wir sind die Guten» verbreitet
(nzz.ch, Inna Hartwich)
“Russische Staatsmedien erzählen von Barbaren in der Ukraine, die die friedliche Bevölkerung als menschliche Schilde missbrauchen würden – und viele in Russland sprechen solche Sätze voller Überzeugung nach. Warum?” Dieser Fragestellung versucht die in Moskau lebende freie Journalistin Inna Hartwich in der “Neuen Zürcher Zeitung” nachzugehen.

3. Leichtsinnig. Ärgerlich. Peinlich.
(t-online.de, David Digili)
Nach dem Champions-League-Sieg von Real Madrid gegen den FC Liverpool hat ein ZDF-Reporter den Fußballspieler Toni Kroos unter anderem gefragt, ob es für ihn überraschend sei, dass seine Mannschaft “doch ganz schön in Bedrängnis” geraten sei. Darauf polterte Kroos: “Du hattest jetzt 90 Minuten Zeit, dir vernünftige Fragen zu überlegen, ehrlich. Und jetzt stellst Du mir zwei solche Scheißfragen. Das finde ich Wahnsinn!” und stapfte wütend davon. Nun bedauert es der Sportreporter, den Fußballer nicht ausführlicher zu “positiven Emotionen” befragt zu haben. Ein falscher Ansatz, wie David Digili in seinem Kommentar schreibt: “Vorauseilender Gehorsam als Selbstverzwergung eines ganzen Berufsstands. Die immergleichen ‘Woran hat’s gelegen?’-Fragen mögen zuweilen uninspiriert wirken, sie sind aber Bestandteil gewissenhafter journalistischer Arbeit, deren oberste Gebote noch immer Distanz und Neutralität sind. Sein müssen. In unter Vereinsmitwirkung gedrehten Jubel-Dokus auf Streamingdiensten wird schon genug beklatscht und überhöht.”

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4. Vom Knast auf den roten Teppich
(uebermedien.de, Felix Jung)
Die boomenden True-Crime-Formate führen dazu, dass manche Straftäterin und mancher Straftäter nicht nur berühmt wird, sondern auch erhebliche Einnahmen generiert. Felix Jung zeigt anhand der Beispiele Anna Sorokin und Jens Söring, wie problematisch das Ganze ist. Sein Wunsch: “An einer öffentlichen Selbstdarstellung und Vermarktung, bisweilen gar einer Täter:innen-Opfer-Umkehr, sollten sich journalistische wie finktionale Produktionen nicht beteiligen. Die Zahl der True-Crime-Formate, die genau das tun, scheint aber zuzunehmen. Und mit ihr die Chance für verurteilte Straftäter, kräftig abzukassieren.”

5. Was macht eigentlich ein Sachbuch aus?
(deutschlandfunkkultur.de, Berit Glanz & Simon Sahner & Christine Watty, Audio: 44:41 Minuten)
Kurz vor der heutigen Verleihung (Livestream ab 18:00 Uhr) des Deutschen Sachbuchpreises schaut sich das Team von “Lakonisch Elegant” die Kategorie Sachbuch genauer an und stellen sich die Frage: “Was ist eigentlich ein Sachbuch?”

6. Warum bekommt Bibi’s Beauty Palace so viel Hass ab? Ich hab da eine These…
(indiskretionehrensache.de, Thomas Knüwer)
In seiner satirischen Kolumne “Über Leben in Deutschland” hat Imre Grimm die Trennung des Influencer-Paars Bibi und Julian Claaßen thematisiert und dabei nicht mit Spott und Verachtung gespart. Eben jenes kritisiert Thomas Knüwer: “Was glauben die Autorinnen und Autoren solcher Stücke zu erreichen? Dass eine jüngere Generation sich von InfluencerInnen ab- und sich ihnen zuwendet? Ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass das Gegenteil passiert, weil eine Beschimpfung junger Prominenter gleichzeitig eine Beschimpfung von deren Publikum darstellt?” Imre Grimm antwortet wiederum auf Thomas Knüwers Text bei Twitter: “Ich teile Ihre These nicht, empfinde die Bezeichnung ‘Hass’ für eine fröhliche, harmlose Satire als lächerlich und führe Ihren Zorn auf mich auf Ihr langjähriges Frustverhältnis zu Regionalzeitungsverlagen zurück.”

KW 21/22: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

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1. ZDF Magazin Royale vom 27. Mai 2022
(zdf.de, ZDF Magazin Royale, Video: 35:59 Minuten)
Jan Böhmermann und seine Redaktion wollten überprüfen, was passiert, wenn man Hasskommentare bei der Polizei anzeigt, und haben dafür einen bundesweiten Versuch gestartet. Das Ergebnis ist niederschmetternd und ein Armutszeugnis für Polizei und Staatsanwaltschaft. Oder um es mit den Worten der Redaktion auszudrücken: “Der Einsatzwagen der Internetpolizei muss dringend zum TÜV.”

2. Journalismus zwischen Ideal und Selbstausbeutung
(deutschlandfunk.de, Brigitte Baetz & Pia Behme, Audio: 29:55 Minuten)
“Wenn Journalismus demokratierelevant ist, wie steht es dann um die Demokratie, wenn journalistische Arbeit nicht zum Leben reicht? Und wie wirkt sich das auf die Berichterstattung aus?” Brigitte Baetz und Pia Behme befassen sich mit den prekären Arbeitsbedingungen im Journalismus, die sich durch die Corona-Pandemie noch verschärft haben.

3. Markus Kompa: Geschichte des Presserechts
(kanzleikompa.de, Markus Kompa, Video: 55:38 Minuten)
Der Medienanwalt Markus Kompa hat auf der diesjährigen Gulaschprogrammiernacht, einer viertägigen Konferenz des Chaos Computer Clubs für Hacker und Technikbegeisterte, einen interessanten Vortrag über die Entwicklung des Presserechts gehalten. Kompa beginnt im Jahr 1470 vor Christus und arbeitet sich etappenweise in die Jetztzeit vor.

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4. Kollektiver Aufschrei gegen die Chatkontrolle
(faz.net, Corinna Budras, Audio: 1:34:45 Stunden)
In der aktuellen Folge des “FAZ”-“Einspruch”-Podcasts geht es unter anderem um die Bestrebungen der EU-Kommission, eine sogenannte Chatkontrolle zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch einzurichten, und die Kritikpunkte daran. Corinna Budras hat dazu den Juristen Erik Tuchtfeld vom Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht eingeladen.

5. Ferngespräche: Kolumbien
(ardaudiothek.de, Holger Klein, Audio: 34:09 Minuten)
Die radioeins-Korrespondenteninterviews von Holger Klein garantieren kurzweilige Unterhaltung und viele Informationen zur journalistischen Arbeit. Diesmal geht es nach Südamerika, genauer nach Rio de Janeiro. Von dort berichtet Anne Herrberg über Argentinien, Bolivien, Brasilien, Chile, Ecuador, Kolumbien, Peru, Paraguay und Uruguay. Weil diese Fülle an Ländern jeden Rahmen sprengen würde, beschränken sich Herrberg und Klein in ihrem Gespräch auf Kolumbien, wo demnächst Präsidentschaftswahlen anstehen.

6. Amber Heard vs Johnny Depp: Verurteilt auf TikTok
(ardmediathek.de, Konstanze Nastarowitz, Video: 14:48 Minuten)
Die Sozialen Medien werden derzeit von Nachrichtenschnipseln, Memes und Ausschnitten zum Prozess um Amber Heard und Johnny Depp geflutet. Dabei schlagen sich viele Nutzer und Nutzerinnen auf die Seite von Johnny Depp. Konstanze Nastarowitz fragt: “Ist das Urteil in den sozialen Medien also schon gefallen, obwohl der Prozess noch läuft? Und vergessen wir manchmal dabei, dass es sich hier um zwei echte Menschen handelt?”

Klum und Co. “menschlich hässlich”, Einschüchterungsversuch?, Getrennt

1. GNTM Exposed: Mi$$brauch, Lügen und Minderjährige
(youtube.com, Rezo, Video: 31:19 Minuten)
Der Youtuber Rezo hat die aktuellen Vorwürfe hinsichtlich “Germany’s Next Topmodel” (GNTM), etwa von Kayla, Alicia und Lijana, zum Anlass genommen, die Kritikpunkte zusammenzufassen und die ProSieben-Sendung einer Bewertung zu unterziehen. Seine Botschaft an Heidi Klum und das GNTM-Team: “Völlig unabhängig, wie mager Ihr seid oder was für freshe Lederjacken Ihr tragt: Ihr seid einfach menschlich hässlich.”

2. Schwere Vorwürfe gegen Kinderfotograf Lippoth
(sueddeutsche.de, Anna Ernst & Mareen Linnartz)
Ein deutscher Kinderfotograf mit internationalem Renommee soll sich über Jahrzehnte an mehreren seiner jungen Models vergangen haben, wie das “Zeit Magazin” unter Berufung auf zahlreiche Zeugen berichtet (nur mit Abo lesbar). Seit mehr als neun Monaten befinde sich der Fotograf in Untersuchungshaft, nun werde ihm der Prozess gemacht.

3. Wer @Tim_Roehn von der @welt kritisiert, muss mit Einschüchterungsversuchen rechnen.
(twitter.com, Matthias Meisner)
Tim Röhn, Chefreporter der “Welt”, hat dem Journalisten Matthias Meisner eine Unterlassungserklärung des Axel-Springer-Justiziariats zukommen lassen. Meisner ordnet diesen Vorgang in einem Twitter-Thread aus seiner Sicht ein, er spricht von einem “Einschüchterungsversuch” des “Welt”-Reporters. Tim Röhn wiederum antwortet bei Twitter: “Einschüchterung? Kritik? Weder noch.” Röhns Vorgehen wirft, neben Stilfragen, inhaltliche Fragen auf. Auch formal kann das Vorgehen kritisiert werden. Der IT-Anwalt Chan-jo Jun kommentiert auf Twitter: “Der Weg über einen unerfahrenen, aber günstigen Springer-Justitiar war für einen Chef-Reporter stümperhaft. Formale und materielle Fehler machen ihn und seinen Verlag selbst angreifbar und der parallele Disput auf Twitter ist juristisch schlecht abgestimmt und unüberlegt.”

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4. “Das hat mich schockiert”
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Die ehemalige “heute”-Moderatorin Petra Gerster ist für ihre genderbedingten Sprechpausen heftig kritisiert und beschimpft worden, was sie sehr schockiert habe. Joachim Huber kommentiert: “Die Kritikerinnen und Kritiker der Gendersprache übersehen gerne, dass der Gebrauch von Sprache individuell und universell ist. Sprache gehört allen und niemandem. Sprache, sensibel wie sie ist, kann nicht unter Gender-oder-nicht-Gender-Kuratel gestellt werden.”

5. Twitter zahlt 150 Millionen Dollar Strafe für Nutzertäuschung
(spiegel.de)
Twitter hat sich mit dem US-Justizministerium auf die Zahlung einer Geldstrafe in Höhe von 150 Millionen US-Dollar geeinigt. Das Unternehmen habe laut eigenen Angaben einige der zu Sicherheitszwecken bereitgestellten E-Mail-Adressen und Telefonnummern für Werbezwecke verwendet – “versehentlich”, wie es sagt.

6. Getrennt – und dem Internet entstiegen
(deutschlandfunk.de, Samira El Ouassil, Audio: 4:36 Minuten)
Das Youtube-Promi-Paar Bianca (“Bibi”) und Julian (“Julienco”) Claßen hat sich getrennt, was in den Sozialen Medien für viel Aufregung und Aufmerksamkeit sorgt. In ihrem Kommentar ordnet Samira El Ouassil den Fall medial ein: “Mit dem Influencer Rezo nahmen wir vielleicht am stärksten eine Politisierung der Influencer-Kultur war, mit Fynn Kliemann wurden vielen möglicherweise zum ersten Mal die Ausmaße einer Influencer-Ökonomie bewusst. Spätestens jetzt mit der Berichterstattung über die Trennung eines YouTube-Paares stellen wir fest: auch das Internet ist ein Boulevard.”

Zuckerberg angeklagt, “Top Gun 2”, Stigmatisierende Nachrichten

1. Jetzt ist Zuckerberg dran
(netzpolitik.org, Alexandra Conrad)
Der Datenskandal um die Firma Cambridge Analytica kostete Facebook 2019 fünf Milliarden US-Dollar. Nun klagt der Generalstaatsanwalt von Washington D.C. Facebooks Firmenchef Mark Zuckerberg an. “Um was geht es in dem aktuellen Prozess und wieso wird Zuckerberg erst jetzt angeklagt?” Alexandra Conrad hat für netzpolitik.org die wichtigsten Fragen und Antworten zusammengetragen.

2. “Die Fakten müssen auf den Tisch”
(deutschlandfunk.de, Annika Schneider)
“Die Medien können die Klimakrise nicht lösen, aber es ist ihre Verantwortung, die Zusammenhänge zwischen menschlichem Handeln und den Folgen für Mensch, Natur, Wirtschaft und unsere Lebensweise wissenschaftlich fundiert, verständlich und in angemessenem Umfang darzustellen”, so der ZDF-Meteorologe Özden Terli in einem jüngst erschienenen Leitfaden. Terli plädiert dafür, nicht nur über das aktuelle Wettergeschehen, sondern auch über die Zusammenhänge mit dem Klimawandel zu berichten. Darüber spricht er im Interview mit dem Deutschlandfunk.

3. Affenpocken, voll schwul ey
(uebermedien.de, Frederik von Castell)
In der Berichterstattung zum Affenpockenvirus kam es zu Stigmatisierungen von homosexuellen Männern, kritisiert Frederik von Castell in seinem Kommentar. Eine bedeutende Rolle spiele dabei “Medizinkorrespondent” Christoph Specht, der Auftritte bei RTL und im ZDF hatte. Von Castell erklärt die tatsächliche Faktenlage und zeigt, wie es zu den stigmatisierenden Beiträgen und Nachrichten kam.

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4. Wo bleibt ein #medienmetoo, Juliane Löffler?
(druckausgleich.podigee.io, Annkathrin Weis & Luca Schmitt-Walz, Audio: 56:16 Minuten)
“Wir brauchen eine Debatte über Sexismus innerhalb der Medienbranche. Denn während wir über andere, korrupte oder missbräuchliche Systeme berichten und Machenschaften aufdecken, scheinen wir ausgerechnet die eigene Branche nicht ausreichend zu beachten. Woran liegt es, dass wir als Branche noch immer nicht an dem Punkt sind, solche Missstände und Fehlverhalten untereinander anzusprechen?” Darüber diskutieren Annkathrin Weis und Luca Schmitt-Walz mit Juliane Löffler, die maßgeblich an der Recherche zu den Machtmissbrauchsvorwürfen gegen den damaligen “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt beteiligt war.

5. Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 209
(netzwerkrecherche.org, Annelie Naumann & Albrecht Ude)
Wie immer eine Empfehlung wert, nicht nur für Journalistinnen und Journalisten aus dem Investigativbereich: der Newsletter des Netzwerk Recherche (nr). Die neueste Ausgabe liefert neben ein paar Worten zur Causa Kliemann einen aktuellen Überblick über Nachrichten, Veranstaltungen, Seminare, Stipendien und Preise. Außerdem gibt es Informationen zur alljährlichen nr-Jahreskonferenz, die am 30. September und 1. Oktober dieses Jahres in Hamburg stattfindet. Im Pressespiegel gibt es zudem wertvolle Lesetipps zu ausgesuchten Themen.

6. Top Gun 2: So trickst dich das US-Militär aus
(youtube.com, Walulis Story, Video: 11:04 Minuten)
Es hat bereits Tradition, dass Kriegsfilme aus Hollywood vom US-Militär unterstützt werden. Der diese Woche anlaufende Film “Top Gun 2” bildet da keine Ausnahme. Das Walulis-Team erklärt mit satirischen Mitteln, warum es sich dabei um ein Geschäft handelt, das auf Gegenseitigkeit beruht.

Affenpocken-Eilmeldungen, Jubel über RB Leipzig, Symbolfotos

1. Messengerüberwachung dürfte an Deutschland scheitern
(spiegel.de)
In einer ersten Reaktion habe sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser noch zustimmend zur Messengerüberwachung geäußert, das habe sich jedoch geändert: “Jede private Nachricht anlasslos zu kontrollieren, halte ich nicht für vereinbar mit unseren Freiheitsrechten”, so Faeser. Nachdem sich auch Justizminister Marco Buschmann und Digitalminister Volker Wissing skeptisch zum Vorhaben der EU geäußert hätten, zeichne sich ab, dass Deutschland dem Entwurf – zumindest in dieser Form – im Rat nicht zustimmen wird.

2. Zwischen Angst und Aufklärung
(deutschlandfunk.de, Pia Behme & Stefan Fries, Audio: 6:20 Minuten)
Die Berichterstattung über das Affenpockenvirus erinnere mit ihren alarmistischen Überschriften und den vielen Eilmeldungen an die ersten Tage der Corona-Pandemie. Dadurch fehle es an Aufmerksamkeit für wichtigere Aspekte, kritisiert die Wissenschaftsjournalistin Kathrin Kühn: “Es fühlt sich surreal an, dass so ein Affenpockenvirus eine riesige Aufmerksamkeit bekommt und die darunterliegenden Meta-Themen – die gelöst werden müssen, damit es nicht mehr zu etwas in der Form kommt – weniger Aufmerksamkeit bekommen.”

3. Wenn der mediale Jubel lauter ist als die Kritik
(uebermedien.de, Andrej Reisin)
Andrej Reisin kritisiert ARD und ZDF für die fehlende Aufarbeitung der Tricks, mit denen der Red-Bull-Konzern seinen Fußballableger RB Leipzig etabliert hat: “Dabei geht es um elementare Spielregeln der Demokratie, die gerade ARD und ZDF nicht egal sein dürfen. Zur Disposition steht nichts weniger als das Aushebeln von demokratischen Strukturen, die Etablierung des Regelbruchs und die eiskalte und brutale Durchsetzung knüppelharter Finanz- und Machtinteressen. Dafür wird die Realität zurechtgebogen, bis Wahrheit und Lüge ununterscheidbar sind.”

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4. Ermessungsspielraum beim Symbolfoto
(verdi.de, Felix von Koltermann)
Symbolfotos spielen bei den beim Presserat eingehenden Beschwerden nur eine untergeordnete Rolle, dabei komme ihnen in der journalistischen Praxis eine enorme Bedeutung zu. Felix Koltermann erklärt, was der Pressekodex zu dem Thema sagt, wo aus seiner Sicht nachjustiert werden müsste, und worin die Schwierigkeiten bestehen.

5. Mit Klarnamen im Netz diskutieren? Bitte nicht!
(tagesspiegel.de, Atila Altun)
Mit dem echten Namen an Online-Diskussionen teilzunehmen, halte nicht davon ab, Hass zu verbreiten, schreibt Atila Altun. Deshalb spricht er sich in seinem Kommentar beim “Tagesspiegel” gegen eine Klarnamenpflicht aus. Sie treffe zudem die Falschen und setze Menschen Risiken aus: “Es wird den Tätern zu einfach gemacht, Menschen zu dechiffrieren, einzuschüchtern und mundtot zu machen – so in der Regel das Ziel dieserart Angriffe.”

6. So klappt der Umzug auf Mastodon
(netzpolitik.org, Rahel Lang & Constanze Kurz)
Nach der Ankündigung des Tech-Milliardärs Elon Musk, Twitter kaufen zu wollen, gab es einen Ansturm auf das freie und dezentrale Netzwerk Mastodon. “Wie funktioniert Mastodon? Ist es eine Twitter-Alternative? Was ist das Fediverse? Und wie finde ich die passende Instanz?” – Rahel Lang und Constanze Kurz erklären, worauf zu achten ist, wenn man von Twitter rüberwechseln möchte.

Fehlende Größe, Eingriff in die Privatsphäre, Pöbel-Theologen

1. “Josef Joffe hat mich als damals zuständigen ‘Die-Zeit’-Redakteur hintergangen und die eigene Redaktion verraten”
(twitter.com, Felix Rohrbeck)
Wie vergangene Woche bekannt wurde, lässt Josef Joffe, langjähriger Mitherausgeber der Wochenzeitung “Die Zeit”, sein Mandat als Herausgeber bis zum Vertragsende ruhen. Dieser Entscheidung vorangegangen waren Vorwürfe, Joffe habe einen mit ihm befreundeten Bankier vor Recherchen seiner eigenen Zeitung gegen das Geldhaus gewarnt. Auf Nachfrage der “Süddeutschen Zeitung” hatten sich Joffe und “Die Zeit” zu dem Fall geäußert. In einem Twitter-Thread legt Felix Rohrbeck, einer der damaligen “Zeit”-Autoren, seine Sicht der Dinge dar. Josef Joffe habe großen Schaden angerichtet: “Dass er nicht mal die Größe hat, sich dafür zu entschuldigen und stattdessen versucht, uns Autoren zu schaden, spricht für sich.”

2. Es trifft die Falschen
(zeit.de, Ann-Kathrin Nezik)
Ann-Kathrin Nezik hält die Pläne der EU zur sogenannten Chat-Kontrolle für einen tiefen Eingriff in die Privatsphäre, der wenig bringe: “Gerade die EU, die sich mit progressiven Gesetzen wie der Datenschutz-Grundverordnung als Gegenentwurf zu autokratischen Regimen präsentiert, darf sich einen solchen Eingriff in die Privatsphäre nicht erlauben – zumal er nur scheinbar dem Kampf gegen sexuelle Gewalt an Kindern dient.”

3. Wie Medien für Glücksspiel werben
(deutschlandfunk.de, Stefan Fries, Audio: 30:27 Minuten)
Welche Rolle und Verantwortung haben Medien rund um das Thema Glücksspiel bei Lotto und Sportwetten? Darüber diskutiert ein Deutschlandfunk-Hörer mit dem Glücksspielforscher Tobias Hayer, dem Sport- und Medienjournalisten Fritz Lüders und mit Stefan Fries aus der Dlf-Medienredaktion.

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4. Schafft die 20-Uhr-“Tagesschau” ab
(dwdl.de, Peer Schader)
Peer Schader sieht bei der “Tagesschau” Reformbedarf: “Ende dieses Jahres wird die vermutlich bekannteste Sendung des deutschen Fernsehens 70 Jahre, und man soll ja nicht unhöflich zu älteren TV-Formaten sein, aber: man sieht und hört es ihr ein bisschen an.”

5. Laissez-faire beim Klima
(tagesspiegel.de, Katja Horneffer)
Beim “Tagesspiegel” verrät die ZDF-Metereologin Katja Horneffer, worüber sie sich in der letzten Woche in den Medien am meisten geärgert hat und worüber sie sich freuen konnte. Es geht um den Umgang mit Klimameldungen und die Begeisterung über ein Bild vom Schwarzen Loch im Auge unserer Milchstraße.

6. Homosexuelle verunglimpft – Verfahren in Köln gegen zwei Priester eingestellt
(wdr.de, Markus Schmitz)
Im katholischen Fachmagazin “Theologisches” bezeichnete ein Theologieprofessor Homosexuelle als “Parasiten” und “Krebsgeschwüre”. Darauf wurde ein Verfahren wegen Volksverhetzung gegen den Autor sowie den verantwortlichen Redakteur in Gang gesetzt, das nun gegen eine Geldauflage von insgesamt 7.000 Euro und eine Entschuldigung eingestellt wurde.

KW 20/22: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

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1. Germany’s next Topmodel – was passiert wirklich hinter den Kulissen?
(youtube.com, Lijana Kaggwa, Video: 28:14 Minuten)
Lijana Kaggwa, Ex-Kandidatin bei “Germany’s Next Topmodel”, hat ein Video veröffentlicht, in dem sie heftige Manipulationsvorwürfe gegen die ProSieben-Show erhebt: Die Produktionsfirma habe die Teilnehmerinnen über Monate isoliert, von der Außenwelt abgeschnitten, sie unter Zucker-Entzug gesetzt, sie gegeneinander ausgespielt und Konflikte herbeigeführt. Außerdem habe man bestimmten Teilnehmerinnen vor deren Laufsteg-Auftritten die Füße eingecremt, um Stolperszenen zu provozieren. ProSieben hat die Vorwürfe zurückgewiesen und prüft rechtliche Schritte.

2. Das Coronavirus-Update – Korinna Hennig
(viertausendhertz.de, Nicolas Semak, Audio: 1:05:45 Stunden)
Im “Elementarfragen”-Podcast erzählt die Wissenschaftsjournalistin und Moderatorin Korinna Hennig von ihrer Arbeit am “Coronavirus-Update”-Podcast des NDR. Dabei geht es um die Entstehung und Entwicklung des erfolgreichen Formats, die Arbeit mit dem Virologen Christian Dosten und der Virologin Sandra Ciesek und eventuelle Abschiedsgefühle.

3. Kann es sein, dass es Social Bots gar nicht gibt?
(uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 21:00 Minuten)
Bei “Übermedien” unterhält sich Holger Klein mit dem Medieninformatiker Florian Gallwitz über sogenannte Social Bots. Dabei handelt es sich um Softwareroboter, die in Sozialen Netzwerken wie Menschen auftreten, liken, retweeten, kommentieren und posten. Gallwitz hält das Thema für eine Verschwörungserzählung, die leider auch von großen Medien verbreitet werde: “Wenn ich als Journalist mit so einer Story konfrontiert wäre, würde ich sofort sagen, zeigt mir doch mal ein oder zwei Bots.”

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4. Kommt mal runter!
(sueddeutsche.de, Nadia Zaboura und Nils Minkmar, Audio: 39:36 Minuten)
“Brauchen wir öffentlich-rechtliche Plattformen als Ersatz für private digitale Plattformen? Brauchen wir ein öffentlich-rechtliches Twitter?” In der neuesten Folge von “Quoted” diskutieren Kommunikationswissenschaftlerin Nadia Zaboura und “SZ”-Autor Nils Minkmar mit ZDF-Fernsehratsmitglied Leonhard Dobusch über alternative Plattformen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

5. Aktivismus als Vorwurf
(hinterdenzeilen.de, Tobias Hausdorf & Niklas Münch, Audio: 50:12 Minuten)
“Dürfen Journalist*innen Parteimitglieder sein oder sich in Organisationen engagieren? Wo ist die Grenze zwischen Journalismus und Aktivismus? Diese Fragen stellt sich die Branche immer wieder. Doch über einen Aspekt wird selten gesprochen: Welchen Kolleg*innen sprechen wir manchmal blind Neutralität zu und welchen unterstellen wir vorschnell Aktivismus?” Darüber debattieren die “Hinter-den-Zeilen”-Macher Tobias Hausdorf und Niklas Münch mit der Journalistin und Filmemacherin Melina Borčak sowie der Klimajournalistin und Aktivistin Leonie Sontheimer.

6. Schock: Das denkt Deutschland über Meinungsforschung!
(youtube.com, ZDF Magazin Royal, Video: 21:30 Minuten)
Beim “ZDF Magazin Royale” beschäftigt sich Jan Böhmermann mit dem Thema Meinungsforschung: Wie sinnvoll sind Meinungsumfragen? Und wie seriös? Was hat es mit der Sonntagsfrage auf sich? Und wie kommen eigentlich all die Meinungsumfrage-Institute auf ihre Zahlen, die wir alle ständig in der Berichterstattung lesen und sehen können?

Christian Lindners Verlobte, Streichung mit Folgen, “ESC”-Schmu

1. Und nun live zur Verlobten des FDP-Vorsitzenden
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Wenn Franca Lehfeldt beim Fernsehsender “Welt” über Vorgänge bei der FDP oder über Wahlen berichtet, ist das insofern bemerkenswert, als sie die Lebensgefährtin des FDP-Vorsitzenden und Finanzministers Christian Lindner ist. Ein typischer Fall von Interessenkollision, möchte man meinen. In diesem Fall übrigens zum wiederholten Mal: Lindner war zuvor mit der Journalistin Dagmar Rosenfeld verheiratet, die in verschiedenen leitenden Positionen bei der “Welt” beziehungsweise “Welt am Sonntag” arbeitete und arbeitet.

2. Ernsthafte Bedrohung
(sueddeutsche.de, Isabell Pfaff)
Das Schweizer Parlament hat eine neue Zivilprozessordnung verabschiedet und in dem Zug der Streichung eines unscheinbaren, aber bedeutsamen Wortes zugestimmt: “Bislang konnten Gerichte Medienberichte vorläufig stoppen, wenn den von der Berichterstattung Betroffenen ein ‘besonders schwerer Nachteil’ droht. Ein einzelner Parlamentarier der liberalen FDP fand, dass es das Wörtchen ‘besonders’ nicht brauche – und setzte sich mit dieser Meinung im gesamten Parlament durch. Dabei hatte sich sogar die Schweizer Regierung gegen die Streichung ausgesprochen.” Isabell Pfaff fasst den Fall zusammen, der in der Schweizer Medienbranche mit großen Sorgen wahrgenommen wird und auf Widerstand trifft.

3. Investigative Netzwerke
(journalist.de, Justus von Daniels & Olaya Argüeso)
Justus von Daniels und Olaya Argüeso bilden die Chef­redaktion des Recherchezentrums “Correctiv”. Innerhalb der Reihe “Mein Blick auf den Journalismus” erzählen sie beim “journalist” von ihren letzten großen Rechercheprojekten wie dem CumEx-Steuerraub oder der Bürgerrecherche “Wem gehört die Stadt?” und ziehen daraus Lehren für kommende Vorhaben: “Wichtiger wird in Zukunft die Fähigkeit, die inhaltlichen Fragen mit Recherchetechniken klug zu kombinieren, Wissen zusammenzuführen. Oder zu erkennen, wie man mit seinen Fähigkeiten oder lokalen Erfahrungen Teil einer größeren Recherche werden kann. Ein positiver Effekt der Zusammenarbeit: Es mischen sich neue Teams mit eigenen Perspektiven. Man bleibt mit den Fragen, die sich bei Recherchen stellen, nicht allein, kann bei Hindernissen leichter gemeinsam nach einer Lösung suchen – oder feststellen, dass es nicht weitergeht.”

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4. Günter-Wallraff-Preis 2022 geht an Wikileaks-Gründer Julian Assange
(derblindefleck.de)
Der investigative Journalist und Wikileaks-Gründer Julian Assange erhält den diesjährigen Günter-Wallraff-Preis. “Mit der Enthüllung von geheimem Bild- und Textmaterial zu möglichen Kriegsverbrechen der USA hat Julian Assange einen bedeutenden investigativen Beitrag zur Nachrichtenaufklärung geleistet. Bei seiner Arbeit mit der Internetplattform WikiLeaks hat Assange stets immense Repressalien zugunsten der Berichterstattung in Kauf genommen”, so die Begründung der Jury.
Weiterer Lesetipp: Beim “Freitag” spricht Stella Assange über die Folgen einer möglichen Auslieferung ihres Ehemanns in die USA, und sie erzählt, was ihr Hoffnung macht: “Die Rolle Deutschlands ist für den Fall Julian Assange entscheidend” (freitag.de, Uli Kreikebaum).

5. So ticken Fernsehleute heute
(blog.medientage.de, Petra Schwegler)
Das Management der ProSiebenSat.1-Gruppe hat das Programm der Sender kürzlich in Hamburg vor der Presse präsentiert. Petra Schwegler war dort und hat genau zugehört beziehungsweise hingeschaut. Ihr Fazit: “Es hat sich in den vergangenen Jahren viel verändert in den Strategien der TV-Macher:innen, wie am Beispiel ProSieben und Sat.1 zu erkennen ist. Geprägt ist das neue Denken von veränderten Vorlieben des Publikums hin zum gestreamten Inhalt, von Folgen der Corona-Pandemie und auch von anderen Prioritäten im eigenen Haus.”

6. “Beispiellose Unregelmäßigkeit” beim “ESC”-Jury-Voting
(dwdl.de, Manuel Weis)
Beim Jury-Voting in einem der beiden Halbfinals des kürzlich veranstalteten “Eurovision Song Contest” ist es nach Ansicht der European Broadcasting Union zu einer “beispiellosen Unregelmäßigkeit” gekommen. Jurys verschiedener Länder haben anscheinend nicht nach qualitativen Maßstäben entschieden, sondern sich gegenseitig Punkte zugeschoben.

Kahlschlag der Knauser, Raus aus dem Kaninchenbau, Google Russland

1. Der Kahlschlag der Knauser
(kontextwochenzeitung.de, Josef-Otto Freudenreich)
“Die StZN-Redaktion verliert fast ein Viertel ihrer Leute, darunter den Leiter des Berliner Büros. Der Kompetenzverlust ist dramatisch. Auch beim Flaggschiff ‘Süddeutsche Zeitung’ gehen die Leute von Bord. Für den Konzern SWMH ist das bedrohlich, für die Kundschaft ebenso.” Josef-Otto Freudenreich verfolgt die Vorgänge bei der Südwestdeutschen Medienholding (SWMH), zu der unter anderem die “SZ” und eine ganze Reihe von Regionalzeitungen gehören, bereits längere Zeit und fasst den aktuellen Stand zusammen.

2. Google Russland will Konkurs anmelden
(spiegel.de)
Nachdem russische Behörden die Firmenkonten beschlagnahmt haben, sieht sich Googles Russland-Tochter gezwungen, Konkurs anzumelden. Man sei nicht mehr in der Lage, die Beschäftigten zu bezahlen. Dem vorausgegangen ist ein längerer Konflikt um das Löschen von Inhalten und ein Streit um den Zugang zu russischen Staatsmedien wie “RT” und “Sputnik”.

3. Naidoo & Co: Raus aus dem Kaninchenbau
(ndr.de, Caroline Schmidt, Video: 25:10 Minuten)
Wer erstmal in die verstörende Welt der Verschwörungserzählungen abgetaucht ist, hat es oft schwer, wieder herauszukommen. Caroline Schmidt hat nach ehemaligen Verschwörungsgläubigen gesucht, um sie zu fragen, wie sie es aus dem “Kaninchenbau” geschafft haben. Verschwörungsaussteiger Marcel erzählt, wie er bereits als Teenager in den Sog des “Rabbit Holes” geriet.

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4. So hat die Spiegel-Gruppe im vergangenen Jahr satte 50 Mio Euro Gewinn eingefahren
(kress.de, Marc Bartl)
Die “Spiegel”-Gruppe habe das Geschäftsjahr 2021 mit einem Ergebnis auf Rekordniveau abgeschlossen, dem besten seit vielen Jahren. Im Vergleich zum Vorjahr habe das Unternehmen seinen Jahresüberschuss auf 49,9 Millionen Euro fast verdoppeln können. Marc Bartl erklärt, wie der “Spiegel”-Gruppe das gelingen konnte.

5. Und nun zur Werbung
(taz.de, Denis Giessler)
Netflix war viele Jahre auf Wachstumskurs, doch die neuesten Zahlen sind enttäuschend. Wegen der schlechten Wachstumsprognosen werde der Streamingdienst nun sogar rund 150 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen entlassen. Denis Giessler schildert, mit welchen Maßnahmen Netflix der unerquicklichen Entwicklung entgegentreten will.

6. “Martenstein muss zittern”
(mediummagazin.de, Senta Krasser)
Die studierte Kulturwissenschaftlerin und Autorin Ella Carina Werner hat bereits für die verschiedensten Medien geschrieben. Die vergangenen sechs Jahre war sie Redakteurin des Satire-Magazins “Titanic”. Dort ist Werner seit Kurzem Teil des ansonsten rein männlich besetzten Herausgebergremiums. Im Gespräch mit dem “medium magazin” verrät sie ihre Absichten für die Zukunft: “Im Herbst werde ich eine Chefredakteurin als Marionetten-Regierung installieren und nach und nach sämtliche Posten weiblich besetzen, außer das Sekretariat und die Putzkraft. Ist aber noch geheim.”

Die Causa Joffe, Debatte um Nannen, Julian Reichelt irrt

1. Ruhe jetzt
(sueddeutsche.de, Peter Burghardt & Anna Ernst & Bernd Kramer)
Wie gestern in den “6 vor 9” zu lesen war, lässt Josef Joffe, langjähriger Mitherausgeber der Wochenzeitung “Die Zeit”, sein Mandat als Herausgeber bis zum Vertragsende ruhen. Dieser Entscheidung vorangegangen waren Vorwürfe, Joffe habe einen mit ihm befreundeten Bankier vor Recherchen seiner eigenen Zeitung gegen das Geldhaus gewarnt. Auf Nachfrage der “Süddeutschen Zeitung” haben sich Joffe und die “Zeit” nun zu dem Fall geäußert, was bei dem seinerzeit mit der Berichterstattung über das Bankhaus befassten Oliver Schröm jedoch auf Widerspruch trifft. Schröm schreibt bei Twitter: “Irgendwie billig, dass @DIEZEIT versucht den Spin zu setzen, wir hätten nicht ausreichend recherchiert und konfrontiert. (…) @DIEZEIT will wohl ihr Josef-Joffe-Problem auf uns Autoren abwälzen.”

2. Henri Nannen und wir
(stern.de, Gregor Peter Schmitz)
Ein Rechercheteam des öffentlich-rechtlichen Jugendportals “funk” hat vergangene Woche ein Video veröffentlicht, das sich mit Henri Nannen beschäftigt, dem Gründer, langjährigen Herausgeber und Chefredakteur des Magazins “Stern”. Dabei geht es insbesondere um Nannens Rolle in der Nazizeit. Nun meldet sich der aktuelle “Stern”-Chefredakteur zu Wort. Man wolle sich der Debatte stellen: “Jede neue Erkenntnis, jedes neue Detail müssen dazu führen, bisherige Bewertungen wieder und wieder infrage zu stellen. Deshalb werden wir in den kommenden Wochen im stern offen um die Frage ringen, wie wir die Person Nannen bewerten, ob er weiter Namensgeber einer Schule sein kann, in der junge Journalistinnen und Journalisten ausgebildet werden, ob einer der renommiertesten Medienpreise seinen Namen tragen und ob Henri Nannen im Impressum unser Gründungsherausgeber bleiben soll.”

3. Pressefreiheit unter Druck: Berichterstattung unabhängiger Medien wird immer schwieriger
(riffreporter.de, Christina Schott)
In vielen Ländern gehen Journalistinnen und Journalisten erhebliche Risiken ein, wenn sie ihre Arbeit ausüben. Christina Schott hat sich umgesehen, wie es rund um die Welt um die Pressefreiheit bestellt ist.

Bildblog unterstuetzen

4. Nach dem Fall Lisa Fitz
(journalist.de, Matthias Meisner)
Die Kabarettistin Lisa Fitz hatte Ende vergangenen Jahres in der SWR-Comedy-Sendung “Spätschicht” fälschlicherweise behauptet, in Europa hätte es 5.000 Tote durch Corona-Impfstoffe gegeben. Nachdem sie dafür kritisiert worden war, verkündete Fitz empört ihren Abschied aus der Sendung. Sie sah sich als Opfer einer “Schmutzkübelkampagne” und sei “medial gesteinigt” worden. Der Journalist Matthias Meisner hat den Fall noch einmal aufgearbeitet und erklärt wichtige Zusammenhänge. Dabei wird klar, dass nicht nur Fitz, sondern auch der SWR Fehler gemacht hat.

5. Julian Reichelt irrt
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Medienredakteur Joachim Huber schildert im “Tagesspiegel” ein Dilemma: Soll man Tweets des Ex-“Bild”-Chefredakteurs Julian Reichelt kommentieren und Reichelt damit zu mehr Aufmerksamkeit verhelfen? Oder soll man ihm mit Nicht-Beachtung begegnen? Weil Reichelts Einlassungen zum Maskentragen falsch und gefährlich seien, habe sich Huber für eine Reaktion entschieden: “Meine Zeilen werden einen Julian Reichelt nicht erreichen. Das nehme ich in Kauf. Wichtiger ist, dass die Vorsichtigen, die Umsichtigen, die verantwortlich Handelnden sich nicht verunsichern lassen, von einem Reichelt nicht in die falsche Richtung verführen lassen.”

6. Fynn Kliemann und Caro Daur: Allianz der Influencer
(correctiv.org, Gabriela Keller & Pia Siber & Frederik Richter)
Neue Recherchen von “Correctiv” belegen, wie der Medien-Allrounder Fynn Kliemann ein kleines Wirtschaftsimperium errichtete. So soll sich die Mode-Influencerin Caro Daur als stille Gesellschafterin an einer von Kliemanns Firmen beteiligt haben. Ende 2020 habe sich zudem der Betreiber von “Karls Erdbeerhof” mit einer Summe von 500.000 Euro am Kliemannsland beteiligt. Ihm habe die “sprühende, begeisternde Art” Kliemanns gefallen. Außerdem habe sich der Investor Impulse für seine eigenen Erlebnisdörfer erhofft.

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BILDblog-Klassiker

dpa, sid  etc.

Für eine Handvoll Massenschläger

Pressemitteilungen der Polizei lassen den abschreibenden Journalisten normalerweise eher geringen Interpretationsspielraum. Wenn sich der “Verunfallte” mit seinem “Kraftfahrzeug” vom “Unfallort entfernt”, gibt’s eben nicht viel rumzudeuten, da ist die Sache klar.

Die Mitteilung, die am Montagabend nach dem WM-Spiel zwischen Deutschland und Portugal von der Polizei Essen rausgehauen wurde, war allerdings nicht ganz so eindeutig zu lesen. Dort hieß es:

Polizei Essen im Einsatz
Kurz nach Spielschluß kam es zu einer Schlägerei vor der Essener Grugahalle, wo zuvor tausende Fans den deutschen Sieg über Portugal gefeiert hatten. Bis zu circa 100 Personen gerieten kurzfristig in Streit.

“Schlägerei”, “100 Personen”, “Streit” – da kann man als diensthabender dpa-Polizeimeldungszusammenfasser mitten in der Nacht schon mal durcheinanderkommen. Die Agentur meldete jedenfalls anderthalb Stunden nach der Polizeimeldung:

Schlägerei mit rund 100 Beteiligten nach Auftaktsieg der Nationalelf
Nach dem WM-Auftaktsieg der deutschen Nationalmannschaft haben sich rund 100 Fans in Essen geprügelt. Wie die Polizei mitteilte, eskalierte am Montagabend ein Streit vor der Essener Grugahalle, in der zuvor Tausende Menschen den 4:0-Sieg gegen Portugal verfolgt hatten.

Haben Sie’s bemerkt? In der Pressemitteilung gerieten die 100 Personen “in Streit” — bei der dpa haben sie sich “geprügelt”. Ein kleiner Unterschied mit großer Wirkung:


Die dpa ist nicht die einzige Quelle für diese Artikel. Manche beruhen auch auf dem Sport-Informations-Dienst (SID), der gestern in gleich vier verschiedenen Meldungen berichtete, in Essen sei es zu einer “Massenschlägerei” beziehungsweise einer “wüsten Prügelei” gekommen. Als Beleg verweist der SID auf die oben zitierte Pressemitteilung der Polizei — in der von Massenschlägerei allerdings gar keine Rede ist.

Gestern Mittag, gut 14 Stunden nach ihrer ersten Meldung, hatte die dpa es dann schließlich auch geschafft, nochmal bei der Polizei nachzufragen — und siehe da: In der neuesten Meldung prügelten sich nicht mehr alle 100 Personen, sondern nur noch “etwa eine Handvoll”:

In Essen gerieten nach dem Schlusspfiff laut Polizeiangaben rund hundert Menschen vor der Essener Grugahalle in Streit. In dem Tumult sei etwa eine Handvoll Fans handgreiflich geworden, zwei Menschen erlitten leichte Verletzungen, sagte eine Polizeisprecherin am Dienstag.

Diese korrigierte und deutlich unspektakulärere Fassung hat es allerdings nur in in die wenigsten Medien geschafft.

Via Reviersport. Mit Dank an Wolfram L.

Dirk Hoerens verrenkte Rentenrechnung

Dirk Hoeren ist bei der “Bild”-Zeitung der Mann für die Zahlen. Wenn die Redaktion mal wieder eine Statistik so verbogen haben will, dass sie damit Stimmung gegen Hartz-IV-Empfänger/Rumänen und Bulgaren/Griechen/ARD und ZDF machen kann, setzen sie ihren Europa-Chefkorrespondenten an die Sache. Heute hat Hoeren mal wieder die Griechen ins Visier genommen:

Okay, dann schauen wir uns das mal an.

Hoeren behauptet, schon jetzt würden …

rund 17 % der Wirtschaftsleistung […] in Griechenland allein für die Altersgelder aufgewendet — zweithöchster EU-Wert (hinter Italien), errechnete der IWF. Das sind 42 Milliarden Euro.

Stimmt. Doch die 17 Prozent sagen nichts über die angeblich unbezahlbaren griechischen Renten aus. Wenn ich im Monat 300 Euro verdiene und davon 90 Prozent für die Miete ausgebe, bedeutet das nicht, dass die Wohnung überteuert ist, sondern mein Einkommen recht niedrig. Soll heißen: Der relative Anteil der Rentenzahlungen ist in Griechenland auch deswegen so hoch, weil er sich an einer krisengebeutelten Wirtschaftsleistung bemisst; und nicht nur, weil der Staat eine Luxusrente nach der anderen spendiert.

Daneben unterschlägt Dirk Hoeren einen noch wichtigeren Aspekt: Die hohen Rentenkosten entstehen in Griechenland auch, weil es dort mehr alte Menschen als anderswo gibt. 20,5 Prozent der Griechen sind 65 Jahre und älter — der dritthöchste Wert in der Eurozone.

Weiter schreibt Hoeren:

Die Durchschnittsrente liegt in Griechenland bei 960 Euro, in Deutschland bei 792 Euro (FAZ).

Die Angabe zur deutschen Durchschnittsrente dürfte in etwa stimmen: Laut Deutscher Rentenversicherung lag sie Ende 2013 bei 682 Euro in Westdeutschland und 801 Euro in Ostdeutschland (PDF).

Bei der griechischen Durchschnittsrente ist es hingegen deutlich komplizierter, an belastbare Zahlen zu kommen, was vor allem am aufgeblähten System aus 133 Pensionsträgern liegt. Hoeren bezieht sich bei seinen 960 Euro auf einen Artikel der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung”, der sich wiederum auf einen Artikel aus der “Welt” bezieht, der sich auf Angaben aus “Verhandlungskreisen in Brüssel” bezieht. Zwei Tage, nachdem Hoerens Kronzeugentext in der “FAZ” erschienen ist, musste die Redaktion enorm zurückrudern:

Es gibt keine aktuellen Berichte der EU-Kommission oder des Internationalen Währungsfonds über das griechischen [sic] Rentensystem und die aktuelle Höhe der Rentenzahlungen. Dennoch kursieren in der deutschen Debatte Zahlen über die Renten in Griechenland, die Vorurteile über „Luxusrenten“ zu bestätigen scheinen, aber die griechische Wirklichkeit nicht wirklich abbilden.

Und diese Vorurteile befeuert Dirk Hoeren selbst zweieinhalb Monate nach der “FAZ”-Klarstellung zu den 960 Euro fröhlich weiter.

Deutlich andere Zahlen zur durchschnittlichen griechischen Rente nennt aktuell die “Financial Times”: Sie spricht von 700 Euro, dazu gebe es eine freiwillige Zusatzrente, die durchschnittlich 170 Euro pro Monat betragen soll. Rund 45 Prozent der griechischen Renter sollen weniger als 665 Euro monatlich bekommen und somit unter der Armutsgrenze liegen. Auch die Zahlen der “Financial Times” sind natürlich mit Vorsicht zu betrachten.

Der nächste Punkt, den Dirk Hoeren bei der “Griechen-Rente” anprangert:

Etwa zwei Drittel der griechischen Senioren bekommen zwei Renten gleichzeitig, in Deutschland sind es nur knapp 20 % (z. B. Witwenrenten).

Die damit angedeutete — vermeintliche — Ungerechtigkeit ergibt sich unter anderem aus dem bereits erwähnten 133-Pensionsträger-System. Wenn Griechen durch verschiedene Tätigkeiten mehrere Rentenansprüche erworben haben, die von unterschiedlichen Trägern verwaltet werden, werden ihnen auch mehrere Renten gleichzeitig ausgezahlt. Gleiches gilt, wenn sie für freiwillige Zusatzrenten eingezahlt haben und diese nun bekommen oder ihnen Witwenrenten zustehen.

Hoeren poltert weiter:

Das griechische Rentenniveau liegt bei 63% des Bruttolohns, bei uns sind es 48%.

Hierbei verschweigt er, wie sich in Griechenland in der Regel das Einkommen zusammensetzt. Einen großen Teil bilden nämlich Zuschläge, im öffentlichen Dienst mitunter sogar den größeren. Die Rente bemisst sich aber am Grundgehalt. Deren Anteil ist dadurch scheinbar hoch; bezogen auf das gesamte Gehalt relativiert sich das aber wieder.

Den krönenden Abschluss seines gesammelten Unfugs hat sich Dirk Hoeren aber fürs Ende seines Artikels aufgehoben:

Wegen der vielen Frühpensionen beträgt das tatsächliche Durchschnitts-Rentenalter in Griechenland 56,3 Jahre. Deutsche Rentner gingen vergangenes Jahr im Schnitt mit 64 Jahren aufs Altenteil.

Eine Quellenangabe für die 56,3 Jahre gibt’s im “Bild”-Text nicht. Auf Nachfrage reagierte Hoeren heute so:

Die Tabelle, die er seinem Tweet angehängt hat, stammt aus einem aktuellen Reformvorschlag der griechischen Regierung (PDF). In der linken Hälfte (“PS Δημóσιο”) gibt sie an, dass sie für das Jahr 2016 im öffentlichen Dienst ein durchschnittliches Renteneinstiegsalter von 56,3 Jahren anpeilt.

Also: das angepeilte Renteneinstiegsalter für den öffentlichen Dienst. Dirk Hoeren macht daraus das aktuelle Renteneinstiegsalter aller Griechen.

Dass der Wert so niedrig ist, weil er beispielsweise Soldaten und Feuerwehrmänner einrechnet, die regelmäßig früher mit ihrem Dienst aufhören, und weil er die Frühverrentung Tausender Staatsdiener im Zuge der Sparauflagen beinhaltet, interessiert Dirk Hoeren nicht. Ebenso wenig, dass vier Spalten weiter rechts das für 2016 anvisierte Renteneinstiegsalter bei der größten Rentenversicherung für Angestellte in der Privatwirtschaft mit 60,6 Jahren angegeben wird. Im Gegenteil: Er packt die knackigen 56 Jahre in die Dachzeile seines Artikels:

Da es noch einige weitere griechische Versicherungsträger gibt, handelt es sich aber auch bei den 60,6 Jahren nicht um das durchschnittliche Renteneintrittsalter aller Griechen. Das gab die OECD 2012 (Excel-Tabelle) mit 61,9 Jahren bei Männern und 60,3 Jahren bei Frauen an. Nun liegt bei Dirk Hoerens Altersangaben aber nicht nur das “Durchschnitts-Rentenalter in Griechenland” (er meint das Renteneintrittsalter) völlig daneben, sondern auch das in Deutschland. Die 64 Jahre hat er nach eigener Angabe von der “Deutschen Rentenversicherung”:

In der Statistik “Rentenversicherung in Zahlen 2014” (PDF) findet man tatsächlich ein “Rentenzugangsalter” von 64,1 Jahren. Dieser Wert bezieht sich allerdings nur auf die Personen, die wegen ihres Alters in Rente gegangen sind. Rechnet man diejenigen hinzu, die beispielsweise aufgrund einer Krankheit früher ihre Arbeit aufgeben musste, ergibt sich ein Renteneinrittsalter von 61,3 Jahren. Diese Angabe deckt sich in etwa mit der der OECD von 2012 (Männer: 62,1 Jahre, Frauen: 61,6, Jahre).

Wenn man es genau betrachtet, ist der Unterschied zwischen dem griechischen und dem deutschen Renteneintrittsalter also gar nicht mehr so groß. Wenn man es genau betrachtet, ist es aber auch viel schwieriger, den Hass gegen die Griechen zu schüren:

Mit Dank an Michalis P.!

Bild  

Kann man dem überhaupt trauen? Der ist doch Grieche!

Panagiotis Kolokythas schreibt seit 15 Jahren als Redakteur über die IT-Branche. Sein griechischer Name war dabei nie ein Problem, warum auch. Inzwischen ist er es aber schon. Vor allem dank der “Bild”-Zeitung.

BILDblog: Herr Kolokythas, in einem Facebook-Post haben Sie gestern geschrieben, dass die Reaktionen auf Ihre Artikel seit einer Weile anders aussehen als früher. Was hat sich geändert?

Panagiotis Kolokythas: Ich arbeite hauptsächlich für pcwelt.de und habe gemerkt, dass bei Facebook und Youtube in den Kommentaren zu meinen Beiträgen immer öfter Sätze auftauchen wie: „Kann man diesem Griechen überhaupt glauben?“ Oder: „Stimmt das? Hat schließlich ein Grieche geschrieben!“ Am Anfang habe ich das mehr oder weniger ignoriert, weil ich dachte, es gibt ja immer Spinner, und man kann es nicht allen recht machen, aber in letzter Zeit hat sich das doch sehr gehäuft. Und als gestern bei Facebook und Youtube wieder solche Sprüche kamen, musste ich mal ein bisschen Frust loswerden.

Ihre journalistischen Fähigkeiten werden also infrage gestellt, weil Sie einen griechisch klingenden Namen haben.

Ja. Komplett ohne Argumente. Einfach nur in einem Satz: “Kann man diesem Griechen vertrauen?” Manchmal schreiben sie auch mehr Schmarrn, zum Beispiel bekam ich zum Geburtstag eine Mail, in der stand: “Alles Gute diesem Griechen, der sein Studium abgebrochen hat …” und so weiter halt. Da frage ich mich: Wie kommt jemand auf die Idee, sich die Zeit zu nehmen, mir so eine Mail zu schreiben?

Kommen Sie überhaupt aus Griechenland?

Nein, aus dem Sauerland.

Und Sie schreiben auch keine Artikel über Griechenland, sondern …

… über Software und aktuelle IT-Entwicklungen. Ich bin bei uns der Windows-Experte. Mit Griechenland hat das überhaupt nichts zu tun.

Seit wann häufen sich denn diese Kommentare?

Das begann, als Syriza die Wahl gewann. Als die breite öffentliche Diskussion wieder losging.

… und die Anti-Griechen-Kampagne der “Bild”-Zeitung. Die machen Sie auch verantwortlich dafür, dass einige Leser so auf Ihren Namen reagieren.

Ja, weil das Bild von Griechenland, das diese Leute offenbar im Kopf haben, genau das ist, was die „Bild“-Zeitung vermittelt. Allein schon die Begriffe, die solche Kommentatoren benutzen, “gierige Griechen” zum Beispiel, sind exakt die, die ich aus den „Bild“-Schlagzeilen kenne. Aber dieses Bild ist völlig falsch. Nur ein Beispiel aus meiner Familie: Meine Schwester muss seit drei, vier Jahren länger arbeiten, bekommt aber 40 Prozent weniger Gehalt. Und ich sehe ja auch, wie sich die Straßenzüge verändert haben, ich bin jedes Jahr dort. Die vielen armen Menschen, die Suppenküchen, da kann von Gier nun wirklich keine Rede sein.

Was bekommen Ihre Verwandten in Griechenland eigentlich von der deutschen Berichterstattung mit?

Die “Bild”-Berichterstattung. Oft werden die Schlagzeilen in griechischen Zeitungen abgedruckt, also meistens die “Bild”-Titelseite mit der griechischen Übersetzung. Deswegen denken viele, dass nicht nur “Bild”, sondern alle deutschen Medien so über das Thema schreiben. Ich glaube, dadurch kommt auch dieser Unmut zustande gegenüber Deutschland und der deutschen Presse, und dann kontern griechische Zeitungen mit eigenen Titelseiten …

… die dann wieder in der “Bild”-Zeitung landen und für Unmut gegenüber Griechen sorgen. Oder sagen wir: gegenüber Menschen, die griechisch klingende Namen haben. In Ihrem Post erwähnen Sie noch die eventuelle Notwendigkeit, unter Pseudonym zu schreiben.

Ich hoffe nicht, dass es so schlimm wird. Aber wenn ich mal einen Artikel schreiben sollte, der irgendwas mit Griechenland zu tun hat, würde ich mir schon überlegen, das unter Pseudonym zu tun. Einfach um keine Angriffsfläche zu bieten, bloß aufgrund meines Namens. Damit sich die Leute auf das Wesentliche konzentrieren: den Inhalt meiner Artikel.

Snowdenappell, Einschüchterung, Medienverflechtungen

1. Snowden zu Journalisten: „Der Kampf um Privatsphäre wird auf euren Titelseiten gewonnen“
(netzpolitik.org, Ingo Dachwitz)
Die “SZ” hat im Rahmen des “Editor’s Lab” mit NSA-Whistleblower Edward Snowden gesprochen und das Gespräch via Live-Schalte übertragen. In dem 70-minütigen Gespräch ging es um Verantwortung und Möglichkeiten des Journalismus. Snowden: “Journalisten trifft es zuerst. Sie werden immer mehr zu einer bedrohten Klasse, wenn wir an das Recht auf Privatsphäre denken. Ich kann Tipps geben, wie ihr eure Kommunikation schützen könnt, aber das ist ein Kampf, den ihr so nicht gewinnen könnt. Ihr müsst ihn auf den Titelseiten führen und ihr müsst ihn gewinnen, wenn ihr in der Zukunft in der Lage sein wollt, so zu berichten, wie ihr es bislang konntet.”
Dazu passend der Beitrag der “SZ”: Snowden rechnet mit Bundesregierung ab

2. Interview: Journalisten unter Druck
(ndr.de, Timo Robben)
Ein prominenter Medienanwalt geht wiederholt gegen eine Verbraucherschutzorganisation vor, die im Zuge des Dieselskandals nicht nur Messergebnisse, sondern auch das Anwaltsschreiben veröffentlicht hatte, in dem er für den Fall der Veröffentlichung rechtliche Konsequenzen ankündigte. “Zapp” hat mit dem Geschäftsführer des Deutschen Journalisten Verbandes in Hamburg, Stefan Endter, gesprochen, der selbst Rechtsanwalt ist: “Solche Anschreiben können eine psychologische Wirkung erzielen. Journalisten könnten dann genauer darüber nachdenken, was sie wie veröffentlichen. Und genau darauf setzt diese Praxis auch. Solche Anschreiben, wie im vorliegenden Fall, sind von besonderer Qualität. Rechtsanwälte werden oft präventiv für ihre Mandanten aktiv und manchmal auch mit dem Versuch, Journalisten unter Druck zu setzen.”

3. Unwürdig und respektlos
(taz.de, Anne Fromm)
Der Verlag DuMont legt die Redaktionen von “Berliner Zeitung” und “Berliner Kurier” zusammen. Damit kommen Boulevard- und Qualitätsinhalte zukünftig aus einer Hand. Anne Fromm fragt sich in der “taz”, wie das funktionieren soll und prangert die Versäumnisse der Vergangenheit an: “Der Verlag hätte das verhindern können, wenn er früher umgebaut hätte. Die Berliner Zeitung ist nicht die einzige, die mit sinkenden Auflagen und der Konkurrenz im Internet kämpft. Andere haben schon lange ihre Onlineredaktionen aufgestockt, arbeiten multimedial, experimentieren mit Video und sozialen Medien, kurz: denken großen Journalismus online. Das hat die Berliner Zeitung verpasst.”

4. Und ewig sparen die Verleger
(jungejournalisten.ch, Karin Wenger)
In der Schweiz hat die Ankündigung eines neuen Medien-Startups vor kurzem für einigen Wirbel gesorgt. Der Journalist Constantin Seibt hatte angekündigt, den “Tages-Anzeiger” zu verlassen und “Project R” zu gründen, eine Plattform für “wachen und intelligenten Journalismus”, ein “digitales Magazin für aktuellen Hintergrund, Kontext und Diskurs”. Mit dabei: Der Medienjournalist und Bundeshausreporter Christof Moser. “jungejournalisten.ch” hat mit Moser gesprochen und ihn im Kurz-Interview über die neuesten Sparmaßnahmen beim Medienkonzern “Tamedia” befragt und sich erkundigt, ob “Project R” auch junge Journalisten an Bord holen wird.

5. Wir Individualisten — wie die Medienwelt sich seinen Nutzern anpasst
(medium.com, Christian Simon)
Egal ob Chatbots, Viralvideo oder Virtual Reality: Die neue Publishingwelt gehört denen, die den Nutzern genau das geben können, was sie wollen. Dies sei die wichtigste Lehre aus einem Tag “New Publishing”, findet Christian Simon in seinem Bericht von den 30. Medientagen München.

6. Kontrolle durch wirtschaftliche Verflechtung
(reporter-ohne-grenzen.de)
Im Rahmen des weltweiten Projekts “Media Ownership Monitor” wurden über einen Zeitraum von drei Monaten die wirtschaftlichen Verflechtungen der türkischen Medien untersucht. “Reporter ohne Grenzen” hat zusammen mit der türkischen Partnerorganisation “Bianet” die detaillierten Ergebnisse veröffentlicht. Kurz zusammengefasst: “Lange vor der Repressionswelle seit dem Putschversuch im Juli hat die zunehmende Medienkonzentration in der Türkei die Freiräume für unabhängigen Journalismus immer weiter eingeengt. Die politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen vieler wichtiger Medienbesitzer ersticken eine kritische Berichterstattung im Keim.”

Für Sie geklickt (13)

Kurz vor dem Wochenende haben wir unserer Clickbait-Taskforce noch einmal losgeschickt, um nachzuschauen, was hinter den vollmundigen Ankündigungen in Teasern und verlockenden Schlagzeilen steckt. Durch diesen Einsatz können Sie Lebenszeit und Gehirnzellen sparen und sind trotzdem bestens informiert.

Heute: die vergangenen Tage bei der “Huffington Post”.

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Schafen oder Aliens.

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Yoga.

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Seine Freundin fing plötzlich an zu schweben. Könnte aber auch nur ein Fake sein.

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115.

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Hinter ihr schwamm ein Hai.

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Auf dem Zettel lädt das Restaurant alle obdachlosen und älteren Menschen zu einem Drei-Gänge-Menü ein, damit sie an Weihnachten nicht alleine essen müssen.

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“Industrieschnee”, der entstehe, wenn Wasserdampf aus Schornsteinen von Industrieanlagen bei niedrigen Temperaturen aufsteigt.

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Ein Meteorit ist in die Erdatmosphäre eingedrungen und verglüht.

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“Weightless” von “Marconi Union”.

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Starke Führungspersönlichkeiten.

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1. “Du durftest nicht ins Internet, wenn Deine Mutter einen wichtigen Anruf erwartet hat.”
2. “Du hast die Telefonrechnung gesprengt, weil Du zu lange in Chatrooms unterwegs warst.”
3. “Das originale ‘Tamagotchi’ war ausverkauft, deshalb hast Du nur die Billigkopie bekommen.”
4. “Du hast einen Film aus der Videothek ausgeliehen und musstest ihn erstmal zurückspulen.”
5. “Dabei hattest Du doch gar keine Zeit, denn Du musstest den Film am Samstag vor 0 Uhr zurückgeben, sonst musstest Du die Leihgebühr bis Montag zahlen.”

… ach, schenken wir uns den Rest.

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Hat Spaß gemacht, wäre aber nichts auf die Dauer.

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Sie müssen bis zu 119 Euro zahlen, wenn sie in einem Auto rauchen, in dem auch Kinder sitzen.

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Auf dem Foto sitzt ein Kojote neben dem Jungen. Der war aber nur per Photoshop eingefügt.

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Ein anderer Junge plant dort einen Amoklauf. Ist allerdings nur ein Aufklärungsvideo.

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1. “Sie denken schneller”.
2. “Bei Entscheidungen bewerten Linkshänder Informationen auf der linken Seite positiver”.
3. “In einigen Sportarten sind Linkshänder besser als Rechtshänder”.
4. “Die Gehirne von Linkshändern ordnen Gefühle auf andere Weise”.
5. “Linkshänder sind häufig die kreativeren Denker”.

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Verkleidete Menschen.

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Goldbarren und Münzen im Wert von 250.000 Euro.

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Erst beängstigend, dann gut.

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Beten.

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Lieber zu Hause bleiben.

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Na, warum wohl?!

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Bitte. Keine Ursache.

“Bild” kennt die falsche Diagnose

Wenn man von Bild.de falsch informiert werden will, muss man dafür schon zahlen. Gestern am frühen Abend meldete die Redaktion zur Verletzung von Thomas Müller, Stürmer des FC Bayern München:

Screenshot Bild.de - Bild kennt die Diagnose - So lange fehlt Müller den Bayern

Nur, wer für ein “Bild plus”-Abo zahlt, erfährt im Artikel:

Die Verletzung ist viel schlimmer als bisher gedacht.

Nach BILD-Informationen hat sich Müller im rechten Oberschenkel einen Muskelbündelriss zugezogen.

Der Weltmeister fällt auf jeden Fall für die beiden Kracher-Spiel am Mittwoch in Leipzig (Pokal) und am Samstag gegen Leipzig aus. Wahrscheinlich wird die Rückkehr noch länger dauern. Müller drohen fünf bis sechs Wochen Pause.

Mit der Veröffentlichung der “BILD-Informationen” hat sich das “Bild”-Team auch per Push-Nachricht bei allen “Bild”-App-Nutzern gemeldet:

Screenshot Bild-Push-Nachricht - Bild kennt die Diagnose: So lange fehlt Müller den Bayern

Und die “Bild”-Zeitung schreibt heute ebenfalls:

Thomas Müller (28) fehlt dagegen nicht nur zweimal gegen Leipzig. Seine Verletzung ist viel schlimmer als bisher gedacht. Nach BILD-Informationen hat sich Müller im rechten Oberschenkel einen Muskelbündelriss zugezogen.

Dem Weltmeister drohen fünf bis sechs Wochen Pause.

Der FC Bayern München hat heute eine kurze Mitteilung zur Verletzung von Thomas Müller rausgegeben. Der Verein schreibt darin:

Thomas Müller hat beim 1:0-Sieg des FC Bayern am Samstag beim Hamburger SV einen Muskelfaserriss im rechten hinteren Oberschenkel erlitten. Damit fällt der deutsche Nationalspieler für voraussichtlich drei Wochen aus.

Die Bild.de-Redaktion hat inzwischen vermeldet, dass es sich bei Müllers Verletzung um einen Muskelfaserriss handele. Aber so richtig glaubt sie den Münchner Medizinern nicht — schließlich gibt es ja die “BILD-Informationen”:

Nach BILD-Informationen handelt es sich mindestens um einen schweren Muskelfaserriss, wohl einen Muskelbündelriss. Die Ausfall-Zeit von drei Wochen wäre dann optimistisch prognostiziert.

Mit Dank an Michael für den Hinweis!

„Krawall-Barbie“, Kein “Tod den Juden”, Pornhub und die “Krone”

1. Die „Krawall-Barbie“ der Bild-Zeitung beschäftigt den Presserat
(br.de)
Mit “Krawall-Barbie” überschrieb “Bild” das Foto einer jungen blonden Frau mit bauchfreiem Top, die während des G20-Gipfels im Juli in Hamburg randaliert haben soll. Beim Deutschen Presserat sind deshalb bislang fünf Beschwerden eingegangen. Juristen sehen in der Veröffentlichung von G20-Fahndungsfotos in den Medien eine mögliche „erhebliche Prangerwirkung“ für die abgebildeten Personen. Die Veröffentlichung derartiger Bilder “unterliegt immer einer sorgfältigen Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen auf der einen Seite und der Pressefreiheit sowie dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit auf der anderen Seite“, so der Berliner Presseanwalt David Geßner.

2. Massenhafte „Tod den Juden“-Rufe am Brandenburger Tor?
(uebermedien.de, Emily Dische-Becker)
Gab es wirklich massenhafte „Tod den Juden“-Rufe am Brandenburger Tor, wie vielfach in den Medien berichtet wurde? Emily Dische-Becker hat beim Reporter des Artikels nachgefragt, der die weitere Berichterstattung nach sich zog. Mit erschütterndem Ergebnis: “Bei einem späteren Gespräch sagt der Reporter, er habe den fertigen Artikel gar nicht gekannt, über dem sein Name steht und der so viele Reaktionen ausgelöst hat. Er habe die Beobachtung seinem Redaktions-Kollegen nur telefonisch mitgeteilt. Dass in dem Artikel davon die Rede war, dass 1500 Menschen minutenlang den Spruch skandierten, habe er nicht gewusst und es habe ihn überrascht. Das sei alles maßlos übertrieben.”

3. Zahl der Krimis soll nicht weiter steigen
(planet-interview.de, Jakob Buhre)
Vor wenigen Tagen fand in Berlin zum vierten Mal in diesem Jahr die “ZDF”-Pressekonferenz statt. ZDF-Intendant Thomas Bellut und ZDF-Fernsehratsvorsitzende Marlehn Thieme sprachen u.a. über steigende Personalausgaben trotz Personalabbau, Sportvielfalt im Programm, das Erreichen der Krimi-Grenze und Mitgliedschaften von Mitarbeitern.

4. “Am Gängelband der Politik”
(deutschlandfunk.de, Isabelle Klein)
Der Chefredakteur der Wochenzeitung “Falter”, Florian Klenk, ist wenig optimistisch, was die Zukunft des Journalismus in Österreich anbelangt. Er fürchte, die Medien könnten ihrer kritischen Rolle bei der neuen Regierung nicht nachkommen, sagte Klenk im Deutschlandfunk.

5. Neues aus dem Fernsehrat (19): Fünf Wünsche ans öffentlich-rechtliche Christkind
(netzpolitik.org, Leonhard Dobusch )
Leonhard Dobusch hat in einer Art weihnachtlichem Wunschzettel ans “öffentlich-rechtliche Christkind” einige Dinge notiert, die ARD, ZDF und Co im Netz auch ohne neues Gesetz tun könnten, bislang aber nicht tun. Die Überschriften lauten Open-Source-Kooperation bei Mediathekentwicklung, Personalisierung bei Mediatheken, Open Data and Transparenzoffensive, weniger Geoblocking und Creative Commons für Eigenproduktionen ohne Fremdmaterial.

6. Pornhub braucht halben Strom von Temelín: “Krone” verrechnete sich
(derstandard.at, Georg Pichler)
Die amerikanische Zeitschrift “The Atlantic” hat sich mit dem wachsenden Stromverbrauch durch Streamingdienste beschäftigt. Ein Forscher hat dazu in einer Beispielrechnung den Stromverbrauch der Porno-Plattform “Pornhub” kalkuliert. Die österreichische “Krone” schrieb daraufhin, “Pornhub” würde im Jahr so viel Strom verbrauchen, wie das Land Luxemburg insgesamt. Zudem könne der Verbrauch das tschechische Atomkraftwerk Temelín zur Hälfte auslasten. Beides war allerdings komplett falsch. Die Krone hatte augenscheinlich eine Komma- mit einer Tausenderstelle verwechselt.

DSDS-Krankenausbeutung, Medien-Putinismus, Facebooks Crystal Meth

1. DSDS-Kandidat Diego sorgt für Diskussionen: „Ein psychisch kranker Mensch wird richtiggehend ausgestellt“
(meedia.de, Thomas Borgböhmer)
In der neuen Staffel von „Deutschland sucht den Superstar” (DSDS) sorgte ein Kandidat mit seltsamen Äußerungen für Irritationen. Er sei der Sohn von US-Rapper Tupac Shakur, von der Mafia entführt und nach Deutschland verschleppt worden. RTL verkauft den Bewerber als lustigen Paradiesvogel, verrät aber nicht, dass dieser sich seit zwei Jahren wegen einer Psychose in psychiatrischer Behandlung befindet. Aus medienethischer Sicht ein kritischer Fall wie die Professorin Marlis Prinzing findet: „Schon jetzt wird unübersehbar die Schaulust des Publikums bedient: ein psychisch kranker Mensch wird richtiggehend ausgestellt und zum Klatschobjekt, er wird benutzt, um medial breit durch diesen offenbar vorsätzlich erzeugten ‚Skandal‘ auf die Sendung aufmerksam zu machen.“

2. Ehre und Verantwortung
(wiwo.de, Miriam Meckel)
In einem Beitrag des „Zeitmagazins“ wurde über die Anschuldigungen von drei Frauen gegen den Regisseur Dieter Wedel berichtet, was in den Medien vereinzelt als „mediale Hinrichtung“ oder „Kampagne“ kritisiert wurde. Miriam Merkel findet in ihrer Kolumne, dass derartige Berichterstattung erlaubt sein muss: „Menschen mit Macht haben eine besondere Verantwortung als Vorbild und Führungskraft. Diese moralische Dimension verjährt nicht. Nicht bei mutmaßlich korrupten Politikern, nicht bei Unternehmern als mutmaßlichen Steuerhinterziehern und nicht bei Kulturschaffenden als mutmaßlichen Vergewaltigern. In solchen Fällen gibt es immer zwei Antworten auf die Frage der Ehre: die der potenziellen Täter und die der potenziellen Opfer.“

3. Medientrends 2018: Personalisierte Angebote, zahlende Nutzer
(de.ejo-online.eu)
Was sind die Medientrends 2018? Nic Newman vom Reuters Institute hat knapp 200 internationale Medienmacher befragt. Sprachaktivierte Assistenten und Podcasts wurden häufig genannt. Außerdem wollen Medienmacher auf einen Mix von Einnahmequellen setzen. Sorgen würden vor allem die Tech-Giganten wie Google, Facebook, Apple und Amazon machen. Werbung würde in Zukunft an Bedeutung verlieren, was den Druck erhöhen würde.

4. “Putinismus funktioniert durch Furcht”
(zeit.de, Steffen Dobbert)
Welchen Einfluss hat die russische Regierung auf das Internet und die Medien und wie funktioniert Zensur heute in Russland? Der Geheimdienstexperte Andrej Soldatow spricht im Interview mit der “Zeit” über Fake News, Folter und Propaganda des Kreml.
Weiterer Lesetipp: Mit diesen Tricks haben Kreml-Freunde die AfD vor der Wahl im Netz gepusht (“Motherboard”, Karolin Schwarz)

5. Facebook versorgt den Stammtisch mit Crystal Meth
(sueddeutsche.de, Andrian Kreye)
Facebook will uns zukünftig weniger Medieninhalte und mehr Texte, Fotos, Videos und Links einblenden, die von Freunden und Familie stammen. Bevorzugt solche, die Reaktionen auslösen. Adrian Kreye kritisiert den Vorstoß des Netzwerks: „Zuckerbergs Plan, Facebook zu emotionalisieren, wirkt deswegen, als würde er einem aufgebrachten Stammtisch einen Beutel Crystal Meth hinstellen und den Erzürnten viel Vergnügen damit wünschen. Die werden in der Nacht sicher länger bleiben. Allerdings werden sie sich wahrscheinlich auch an die Gurgel gehen. Das geschieht im Internet zwar nur virtuell. Der Effekt auf ganze Gesellschaften ist jedoch durchaus ernst zu nehmen.“

6. Die Geschichte des ersten viralen Videos
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
Das erste virale Video stammt aus dem Jahr 1997: Ein Mann schlägt in seiner Großraumbüro-Wabe mit der Tastatur seines Rechners wutentbrannt auf den Monitor ein. „Wired“ ist der Geschichte des Videos nachgegangen, das seinerzeit für Werbezwecke aufgenommen und auf Promo-CDs verteilt wurde: In der seinerzeit „hohen Auflösung“ von 352×240.

“Bild”-Chef Reichelt ganz stolz: Es stimmte fast alles

Gerade in der Konditorei: Ja, gut, das sei schon ein ärgerlicher Fehler, so der Meister, dass er und sein Team beim Teig für die Sahnetorte Gips statt Mehl genommen haben, und dass sich in dem Glas, auf dem Salz steht, kein Zucker befindet, nun ja, das hätte vielleicht auch auffallen können. Aber sonst sei das alles Top-Qualität! Ach, warum die Creme so merkwürdig schmeckt? Das könne daran liegen, dass sie Rasierschaum statt Sahne verwendet hätten. Aber sonst stimme so gut wie alles.

So würde es klingen, wenn Julian Reichelt seine Ware nicht als “Bild”-Chefredakteur unter die Leute bringen würde, sondern als Konditor.

Drüben bei Twitter rühmt er sich damit, dass seine Redaktion nur ein paar grobe Schnitzer in einem Artikel untergebracht hat — abgesehen davon habe “so gut wie alles” gestimmt in der “BILD kennt den geheimen Ablauf”-Geschichte über Stefan Raabs Bühnencomeback. Zur Erinnerung: Das Raab-Team hatte auf der “TV Total”-Facebookseite einem “Bild”-Beitrag deutlich widersprochen. Der Artikel sei in großen Teilen schlicht erfunden.

Das ist also der journalistische Anspruch von “Bild” unter Julian Reichelt: Ist doch super, wenn “so gut wie alles stimmt”:

Screenshot eines Tweets von Julian Reichelt - Vor wenigen Tagen dementierte TV total die Bild-Berichterstattung über Stefan Raabs Comeback als frei erfunden und in Teilen erfunden. Hier sieht man nun, dass so gut wie alles stimmte (die Schalte zu ProSieben war ein ärgerlicher Fehler).
Screenshot eines weiteren Tweets von Julian Reichelt - Online haben wir berichtet, dass auch die Heavy Tones auftreten würden. Auch das stimmt. Das Dementi von TV Total zu der Geschichte in Bild ist in weiten Teilen frei erfunden.

Leider stimmt nicht mal Reichelts “so gut wie alles stimmt”. Da der “Bild”-Chef von sich aus nur den “ärgerlichen Fehler” mit der “Schalte zu ProSieben” anspricht, helfen wir ihm — mit Blick auf den Auftritt von Stefan Raab gestern Abend in Köln — gern noch einmal auf die Sprünge:

Nein, Lena Meyer-Landrut war nicht, wie von “Bild” angekündigt, Teil der Show.

Nein, Aaron Troschke war nicht, wie von “Bild” angekündigt, Moderator der Show.

Nein, es waren nicht, wie von “Bild” angekündigt, 20.000 Zuschauer, sondern rund 14.000.

Nein, es gab keine “Aufarbeitung verschiedener Ereignisse der letzten Wochen”, wie von “Bild” angekündigt.

Nein, Raab gab keinen “(beruflichen) Rückblick auf seine TV-Abstinenz”, wie von “Bild” angekündigt.

Nein, Raab sprach nicht, wie von “Bild” angekündigt, “über seine zukünftigen Pläne”.

Mathias Döpfner sagte neulich in einem Interview zur angeblichen neuen Fehler-Kultur bei “Bild”:

Und was ich toll finde: Dass Julian Reichelt, wenn er Fehler macht, sich dafür entschuldigt und sofort Transparenz herstellt.

Dem Springer-Chef könnte ein Konditor Reichelt vermutlich auch ein Stück Sahnetorte andrehen.

Wie es bei Stefan Raabs Bühnencomeback tatsächlich war:

Soko Chemnitz, Schal mit schalem Beigeschmack, Non Paper

1. Provokation gelungen: #SokoChemnitz nimmt Ermittlungen auf
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
Markus Reuter beschäftigt sich mit der neuesten Aktion des Künstler- und Politkollektivs “Zentrum für politische Schönheit”, dem Online-Pranger auf soko-chemnitz.de. Reuter kommentiert: “Wer sich heute das laue mediale Lüftchen anschaut, das die Hannibal-Enthüllungen auslösten — und den Sturm der Entrüstung, der auf diese grenzwertige und umstrittene Kunstaktion folgt, der sieht eben auch gesellschaftliche Konfliktlinien und Defizite. Diese sichtbar zu machen, ist dann wieder Kunst, auch wenn es wehtut und möglicherweise justiziabel ist.”

2. Alles für den guten Zweck?
(taz.de, Anne Fromm)
Käuferinnen und Käufer des “Spendenschals” der “Brigitte”, glauben, dass sie damit in allererster Linie syrische Kinder unterstützen. Die größten Profiteure des Charityverkaufs könnten jedoch die “Brigitte” selbst und ein an der Aktion beteiligtes Unternehmen sein. Anne Fromm hat für die “taz” den Taschenrechner angeworfen, die Materialpreise addiert und ist auf merkwürdige Kalkulationsdifferenzen gestoßen. Auffällig sei zudem, dass seit einiger Zeit nur noch die Rede davon ist, dass alle Beteiligten die Aktion unterstützten. Das bei früheren Schalverkäufen verwendete Wort “unentgeltlich” sei unauffällig eliminiert worden.

3. Wie ein virtueller Mitarbeiter die t-online.de-Redaktion unterstützt
(t-online.de, Björn Schumacher)
t-online.de hat sich einen Bot programmieren lassen, der die Redaktion bei ihrer täglichen Arbeit unterstützt. “Buddy”, so der Name des virtuellen Kollegen, klinkt sich in die Chat-Software Slack ein und informiert Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort über Seitenaufrufe, meldet Rechtschreibfehler und Floskeln und schlägt Alarm, wenn besonders viele Leser aus einem Artikel abspringen.

4. Non Paper: Dokumente, die offiziell nicht existieren
(investigativ.welt.de, Manuel Bewarder)
In der Politik existieren Geisterpapiere, die zwar von Beamten in Ministerien geschrieben werden, aber offiziell nicht existieren. Derartige “Non Papers” kommen ohne Stempel, Unterschrift oder Aktenzeichen aus, was bedeutet, dass sie nicht zugeordnet werden können, und sich niemand für sie rechtfertigen muss. Manuel Bewarder vom Investigativressort der “Welt” erklärt, was es damit auf sich hat.

5. Für Leugner ist kein Platz mehr
(deutschlandfunk.de, Brigitte Baetz & Michael Borgers, Audio, 5:15 Minuten)
Muss man für eine ausgewogene Berichterstattung über den Klimawandel auch Klimawandelleugner einbeziehen? Bei der BBC gibt es dazu eine interne Richtlinie, die vor einem “falschen Gleichgewicht” warnt. Doch wie verfahren die deutschen Medien? Der “Deutschlandfunk” hat mit dem Wissenschaftsjournalisten Christopher Schrader über das Thema gesprochen.
Weiterer Lesehinweis: Neutralität mit Nebenwirkungen (riffreporter.de, Christopher Schrader): “Wer in der Debatte über die Klimakrise partout keinem Lager angehören will, gerät womöglich gerade damit auf eine Seite.”

6. Warum der Influencer-Hype bald vorbei sein könnte
(spiegel.de, Florian Gontek)
Ist der Hype um die Influencer bald vorbei? Nun, es könnte zumindest schwerer für sie werden, wie eine Studie der Werbeagentur Werbeagentur Jung von Matt/Sports besagt. Der Markt stoße an seine Grenzen, ein Verdrängungswettbewerb setze ein. Facebook spiele für Personen- und Influencer-Marketing kaum noch eine Rolle. Außerdem gebe es ein Glaubwürdigkeitsproblem. “Die Follower und vor allem die Unternehmen lassen sich immer seltener für dumm verkaufen”, so der Jung-von-Matt-Werber Toan Nguyen.