Warburg-Warner Joffe dankt ab, Richtiges Signal, Auf Wahlparty

1. »Zeit«-Mitherausgeber Josef Joffe dankt ab
(spiegel.de)
Der “Spiegel” hat unlängst enthüllt, dass Josef Joffe, langjähriger Mitherausgeber der Wochenzeitung “Die Zeit”, einen mit ihm befreundeten Bankier vor Recherchen seiner eigenen Zeitung gegen das Geldhaus gewarnt hatte. Nun hätten Verleger und Mitherausgeber einvernehmlich entschieden, Joffes Mandat als Herausgeber bis zum Vertragsende ruhen zu lassen.

2. Mit Holocaustverharmlosern spricht man nicht
(tagesspiegel.de, Sebastian Leber)
Die “Leipziger Volkszeitung” habe sich geweigert, einen szenebekannten Holocaustverharmloser zu einer Diskussionsrunde über die lokale Verkehrspolitik einzuladen. Das sei nicht nur gut so, sondern dringend nötig, findet Sebastian Leber: “Einerseits als Signal, dass sich dieser Mann mit seinen Entgleisungen außerhalb des demokratischen Diskurses bewegt. Andererseits wäre Grell vermutlich clever genug, auch vermeintlich harmlose Sachthemen für seine Provokationen zu nutzen. In einem seiner Videos stellte er spöttisch die Frage: ‘Ist CO2 das neue Zyklon B?'”

3. Gute Ausbildung auch in schwierigen Zeiten
(verdi.de, Felix Koltermann)
Henriette Löwisch leitet die Deutsche Journalistenschule (DJS) in München, die jedes Jahr 45 ausgewählte Nachwuchsjournalistinnen und -journalisten “für die ganze Vielfalt von Tätigkeiten in Online-, Print-, Radio- und Fernsehredaktionen” ausbildet. Felix Koltermann hat sich mit Löwisch unter anderem über die Journalismusausbildung unter Pandemiebedingungen, die neue Rolle des Wissenschaftsjournalismus sowie den Stellenwert der Fotografie in der DJS-Ausbildung unterhalten.

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4. Tag der Entscheidung naht
(djv.de, Hendrik Zörner)
Wer es noch nicht getan hat, sollte schnell noch die Petition der Reporter ohne Grenzen für den Wikileaks-Gründer Julian Assange unterschreiben, appelliert Hendrik Zörner vom Deutsche Journalisten-Verband: “Die britische Innenministerin muss den öffentlichen Druck spüren, muss begreifen, dass hier nicht ein paar Organisationen Amok laufen, sondern dass es ein Anliegen vieler Menschen ist, Julian Assange nicht auszuliefern.”

5. Ist die ARD in der Ukraine präsent genug?
(deutschlandfunk.de, Annika Schneider, Audio: 32:51 Minuten)
Der Deutschlandfunk (Dlf) lässt regelmäßig seine Hörerinnen und Hörer zu Wort kommen und stellt sich dabei auch deutlicher Kritik, etwa an den Öffentlich-Rechtlichen. Diesmal geht es um die Frage, ob die ARD ihre Fernsehreporterinnen und -reporter nach der russischen Invasion zu spät in die Ukraine geschickt hat. Über die Entscheidungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zur Entsendung von Korrespondententeams diskutiert ein Hörer mit der WDR-Chefredakteurin Ellen Ehni, der Osteuropa-Journalistin und ehemaligen Korrespondentin Gemma Pörzgen und Annika Schneider aus der Dlf-Medienredaktion.

6. “Sekt, Wein und Wasser: Ich glaube, alles ist hier möglich”
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz, Video: 3:44 Minuten)
Boris Rosenkranz hat sich einen Teilaspekt der Berichterstattung nur NRW-Wahl herausgepickt und daraus ein unterhaltsames Kurzvideo gemacht: “In Nordrhein-Westfalen wurde gewählt – und die Fernsehsender waren mit ihren Reporter:innen auf den Wahlpartys unterwegs. Was es da alles gab! ‘Schnitzlchen und Frikadellen’, Wein, Bier, sogar Wasser! Hammer.”

PEN zerlegt sich, Honorarhorror, Keine Massenüberwachung

1. Häme, Grabenkämpfe, »Höllenspektakel«
(spiegel.de)
Am Freitag traf sich der Schriftstellerverband PEN zur Mitgliederversammlung in Gotha, es kam zum Eklat. Von einem “Höllenspaktakel” ist die Rede, bei dem es nicht nur zu Beleidigungen, sondern auch zu einer physischen Attacke gekommen sein soll. Der bisherige PEN-Präsident Deniz Yücel überstand erst einen Abwahlantrag knapp, um sein Amt kurz danach angewidert niederzulegen (“Bratwurstbude”) und seinen Austritt aus dem Verband zu erklären.
Hörtipp: Die PEN-Tagung als griechisches Drama und der Rücktritt Deniz Yücels (deutschlandfunk,de, Henry Bernhard, Audio: 4:15 Minuten).

2. Keine Massenüberwachung
(djv.de, Hendrik Zörner)
Der Deutsche Journalisten-Verband wendet sich gegen Pläne der EU-Kommission zur Datenüberwachung und Durchsuchung von privaten Nachrichten: “Der notwendige Kampf gegen schwere Straftaten darf nicht mit gravierenden Einschnitten in die Pressefreiheit erkauft werden. Mit wem Journalisten in Ausübung ihres Berufs Nachrichten und Informationen austauschen, geht niemanden etwas an.”

3. Anwälte von Twitter werfen Elon Musk Vertraulichkeitsbruch vor
(zeit.de)
Die Rechtsabteilung des Unternehmens Twitter soll dem angeblichen Übernahme-Interessent Elon Musk den Bruch einer Vertraulichkeitsvereinbarung vorwerfen. Dahinter stecke wahrscheinlich das Bestreben Musks, straffrei aus dem geplanten Deal herauszukommen oder den Preis für die Übernahme zu drücken.

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4. Fernsehen für Nichtfernseher
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
“Arte ist deutsch-französische Fernsehkultur? Unsinn, die gibt es nicht, so wenig wie es deutsch-französische Literatur oder deutsch-französische Malerei gibt. Nein, Arte ist deutsches, französisches, europäisches Fernsehen in sechs Sprachen. Nationale Differenzen, nationale Eigenheiten und Sonderlichkeiten dürfen weiterhin bestehen, es gilt die Absage an Europudding und deutsch-französische Kuppelei.” Der Kulturkanal Arte feiert seinen 30. Geburtstag, und Joachim Huber gratuliert.

5. Was im Journalismus jetzt wirklich wichtig ist
(mediummagazin.de, Annette Milz)
Das “medium magazin” zeichnet alljährlich die Journalistinnen und Journalisten des Jahres aus. Nun hat das Branchenmagazin alle Erstplatzierten 2021 gefragt, was ihnen wichtig im Journalismus ist, wo dies aus ihrer Sicht gelungen umgesetzt ist, und was sie selbst in eigener Sache dafür tun.

6. Wichtige Arbeit, die niemand bezahlen will
(wasted.de, Dom Schott)
“Die deutsche Spielebranche braucht einen investigativen Spielejournalismus. Das will aber im klassischen Textjournalismus kaum jemand bezahlen: Zu viel Aufwand, zu viel Risiko. Und das ist ein riesiges Problem.” Spielejournalist Dom Schott schreibt über den “Honorarhorror” seiner Branche und endet mit einem Wunsch: “Lasst dieses Thema nicht untergehen.”

KW 17/22: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

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1. Sam Dubberley: “Kriegsverbrecher haben Angst vor der Wahrheit”
(zeit.de, Daniel Erk, Audio: 38:57 Minuten)
Sam Dubberley war früher Fernsehjournalist in Krisengebieten. Heute dokumentiert er für die Organisation Human Rights Watch Kriegsverbrechen. Im “Zeit-Online”-Podcast “Frisch an die Arbeit” erzählt Dubberley, wie er dabei vorgeht, und erklärt den Verifikationsprozess: “Wir suchen die Bilder und Videos über Telegram, TikTok und Twitter und sichten Satellitenbilder. Das hilft uns, Beweise zu sammeln, die zeigen: Dort könnte es Kriegsverbrechen in der Ukraine gegeben haben.”

2. Wie gehen Journalisten mit Einschüchterungsklagen um?
(uebermedien.de, Holger Klein, Audio: 21:11 Minuten)
SLAPP ist die englische Abkürzung für strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung (Strategic Lawsuits Against Public Participation). Sie dienen dazu, Medienschaffende sowie Aktivistinnen und Aktivisiten einzuschüchtern und von ihrer Arbeit abzuhalten. Uwe Ritzer, Investigativ-Reporter bei der “Süddeutschen Zeitung”, ist selbst Betroffener einer derartigen Klage, die mit der Forderung von 78 Millionen Euro Schadensersatz verbunden war. Im Gespräch mit Holger Klein erklärt Ritzer, was es bedeutet, über Jahre juristisch drangsaliert zu werden.

3. Journalist & Podcaster Khesrau Behroz im Gespräch
(youtube.com, Alex Berlin, Video: 45:33 Minuten)
In einem Werkstattgespräch spricht Khesrau Behroz, Journalist, Autor und Podcast-Produzent, mit Schülerinnen und Schülern eines Berliner Gymnasiums über die Bedeutung der Medien für die Demokratie sowie über aktuelle Themen wie “Fake News”. Behroz ist vielen Zuhörern und Zuhörerinnen durch “Cui Bono” bekannt, seinen Podcast über Ken Jebsen.

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4. Inside medien: Hakan Tanriverdi
(anchor.fm, Lisabell Shewafera, Audio: 58:36 Minuten)
Wie kann ich mir den Arbeitsalltag eines Investigativreporters vorstellen? Journalistenschule oder Volontariat – was ist die bessere Entscheidung? Und wie wichtig ist Talent für den Beruf? Im “Inside-Medien”-Podcast spricht Lisabell Shewafera mit Hakan Tanriverdi, der als Reporter für Cyber- und IT-Sicherheit beim Bayerischen Rundfunk arbeitet.

5. Lorenz Maroldt über “Checkpoint” und Community
(turi2.de, Peter Turi, Audio: 48:56 Minuten)
Als Lorenz Maroldt 2014 beim “Tagesspiegel” einen Newsletter (“Checkpoint”) einführen wollte, wurde dies mit einiger Skepsis aufgenommen. Mittlerweile ist daraus ein Erfolgsprodukt geworden, dem viele weitere Newsletter folgten. Im Gespräch mit Peter Turi erzählt Maroldt, worauf es dabei ankommt, wie er den Wechsel des langjährigen “Tagesspiegel”-Kolumnisten Harald Martenstein zur “Welt” empfunden hat und welche Tipps er jungen Menschen gibt, die in den Journalismus wollen.

6. Hörbar Rust: Sabine Rückert
(ardaudiothek.de, Bettina Rust: Audio: 1:24:24 Stunden)
In der “Hörbar Rust” ist Sabine Rückert zu Gast. Rückert ist stellvertretende Chefredakteurin der “Zeit”, Mitherausgeberin des Magazins “Die Zeit – Verbrechen” und erfolgreiche Macherin des dazugehörigen Podcasts. In dem Gespräch geht es um das “homerische Lachen”, Rückerts Familiengeschichte, schulische Traumata und ihre dreißig Jahre bei der “Zeit”. Sabine Rückerts Tipp an junge Leute: “Wenn Du Dein Leben planst: Tue etwas, wofür Du wirklich brennst, was Dich erfüllt mit Haut und Haaren”.

Nannen-Vergangenheit, Achtung Kontrolle, Erfolg der Kuschelkrimis

1. Keine Ruhe um den “Stern”-Gründer
(tagesspiegel.de, Kurt Sagatz)
Ein Rechercheteam des öffentlich-rechtlichen Jugendportals “funk” hat diese Woche ein Video veröffentlicht, das sich mit Henri Nannen beschäftigt, dem Gründer, langjährigen Herausgeber und Chefredakteur des Magazins “Stern”. Dabei geht es insbesondere um Nannens Rolle in der Nazizeit. Die Reportage werfe Fragen auf – auch mit Blick auf die Schlüsse der Rechercheure, findet “Tagesspiegel”-Medienredakteur Kurt Sagatz.

2. Chefredaktion kritisiert Sparkurs
(taz.de, Steffen Grimberg)
Vor zwei Jahren baute die “Süddeutsche Zeitung” massiv Personal ab. Insgesamt hätten rund 90 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Haus verlassen, darunter auch Top-Leute aus dem Investigativ-Ressort. Im Interview mit dem “medium magazin” hat sich die “SZ”-Chefredaktion zur umstrittenen Personalpolitik geäußert und das Vorgehen der Geschäftsführung kritisiert. In der “taz” kommentiert Steffen Grimberg die Äußerungen: “Für die diskrete Verlagswelt, vor allem die schwäbische, ist das eine schallende Ohrfeige.”

3. Achtung Kontrolle: den Ausweis bitte!
(verdi.de, Jasper Prigge)
Es kommt immer wieder vor, dass Journalisten und Journalistinnen zur Überprüfung der Personalien von der Polizei aufgefordert werden, ihren Ausweis vorzuzeigen. Wann darf die Polizei die Identität feststellen? Und wie sollten sich die betroffenen Personen in dieser Situation verhalten? Jasper Prigge, Rechtsanwalt für Urheber- und Medienrecht, gibt wertvolle Tipps, denn das Thema ist keineswegs so einfach, wie es zunächst erscheint.

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4. “Auch Tote haben eine Würde und Persönlichkeitsrechte”
(uebermedien.de, Olivia Samnick)
Oliver Zöllner ist Mitgründer und Leiter des Instituts für Digitale Ethik an der Hochschule der Medien in Stuttgart. In einem nun auch auf deutsch vorliegenden Interview äußert er sich zur Verantwortung der Medien bei der Veröffentlichung von Kriegsbildern: “Muss ich tatsächlich das Blut, die zerschossenen Körper im Detail zeigen? Darauf gibt es eine rechtliche Antwort: Auch Tote haben eine Würde und Persönlichkeitsrechte. Es gilt, als Journalist die Würde von Opfern zu wahren. Deswegen ist es richtig, die Toten zu verpixeln – auch um keine Traumatisierung der Betrachtenden hervorzurufen. Redaktionen müssen zusätzlich an den Kinder- und Jugendschutz denken.”

5. Meinungsfreiheit versus Community Management
(deutschlandfunk.de, Mike Herbstreuth & Annika Schneider, Audio: 6:04 Minuten)
Seit Elon Musks Ankündigung, den Kurznachrichtendienst Twitter für 44 Milliarden US-Dollar übernehmen zu wollen, wird weltweit über mögliche Folgen diskutiert. Für einige Nutzerinnen und Nutzer bestehe erheblicher Anlass zur Sorge, da der selbsterklärte “free speech absolutist” ein libertäres Weltbild habe, das die Plattform weit zurückwerfen könnte. Annika Schneider hat sich darüber mit ihrer Kollegin Brigitte Baetz aus der Medienredaktion des Deutschlandfunks unterhalten.

6. Brutal behaglich? Was macht Cosy Crime so erfolgreich?
(sr.de, Isabel Sonnabend & Thomas Bimesdörfer, Audio: 17:13 Minuten)
Seit einiger Zeit erfreut sich das Genre “Cosy Crime” großer Beliebtheit. In den Kuschelkrimis geht es weniger um Mord und Totschlag und mehr um eine Erzählung mit gemächlicherem Tempo, gerne mit viel Lokalkolorit und Atmosphäre. Beispiele dafür sind die TV-Serien “Inspector Barnaby” und “Miss Fishers mysteriöse Mordfälle”. Was macht der Reiz dieser Formate aus? Gibt es bestimmte Zielgruppen? Darüber sprechen Isabel Sonnabend und Thomas Bimesdörfer mit Hanna Huge von den “Serienjunkies”.

Chatkontrolle, Joffe und die Warburg-Bank, Deutsche Welle verklagt

1. Chatkontrolle “nicht mit Menschenrechten vereinbar”
(deutschlandfunk.de, Sören Brinkmann, Audio: 7:01 Minuten)
Die EU plant ein neues Gesetz, das nach Ansicht von Kritikern einen gewaltigen Eingriff in unsere Grundrechte darstellt. Messenger-Dienste, Mail-Anbieter und Hosting-Provider sollen dazu verpflichtet werden, alle Nachrichten ihrer Anwenderinnen und Anwender nach verbotenen Inhalten zu durchsuchen. Das umfasst auch die Überwachung der Chats (“Chatkontrolle”). Der Jurist Stephan Dreyer kommentiert: “Eine bevölkerungsweite, anlasslose Überwachung von Individualkommunikation ist aus meiner Sicht weder national noch auf EU-Ebene mit den geltenden Menschenrechtsrahmen vereinbar. Das haben die europäischen Gerichte mehrfach deutlich gemacht, dass das so nicht funktioniert. Insofern bin ich etwas schockiert über die Nonchalance, mit der hier auf entsprechende grundrechtliche Verbürgungen heruntergesehen wird.”

2. Im Namen der Freundschaft
(taz.de, Gernot Knödler)
Gernot Knödler berichtet in der “taz” von einem handfesten Skandal: “Josef Joffe, Mitherausgeber der Wochenzeitung Die Zeit, hat versucht, einen Bericht über die Verwicklung der Hamburger Warburg-Bank in den Cum-Ex-Steuerskandal zu verzögern. In dem Brief an den Bankier Max Warburg, aus dem das hervorgeht, äußert er sich zudem schockiert über ‘Verräter’ aus dem Bankhaus, die die Fahnder erst auf bestimmte Informationen aufmerksam gemacht hätten.” Josef Joffe und Max Warburg verbindet eine langjährige Freundschaft.

3. Deutsche Welle verweigert Herausgabe von brisanten Dokumenten – Wir klagen mit VICE
(fragdenstaat.de, Aiko Kempen)
Die Deutsche Welle betätigt sich anscheinend auch als Kunstsammler, was bei der Transparenzinitiative “FragDenStaat” und dem Magazin “Vice” Fragen aufwirft: “Wie kam es dazu, dass der steuerfinanzierte Auslandssender teure Kunst anschafft? Welche Rolle spielte Intendant Peter Limbourg dabei? Und auf welchem Weg kam der Beratervertrag zustande, über den sich die Deutsche Welle ausschweigt?” Da man beim Sender mit der Bitte um Auskunft nicht weitergekommen sei, habe man nun Klage eingereicht.

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4. Das Leiden anderer in meiner Timeline. Über Fotografie im Ukraine-Krieg
(geschichtedergegenwart.ch, Philipp Sarasin)
Der Schweizer Historiker Philipp Sarasin hat einen Essay über die Wirkung von Kriegsfotografien verfasst, in dem er auf eine 20 Jahre alte Publikation der US-amerikanischen Schriftstellerin und Essayistin Susan Sontag bezug nimmt: “Was können Fotos oder auch dokumentarische Fernsehbilder, die Sontag in ihre Überlegungen einbezieht, angesichts des Grauen eines Krieges bewirken, beziehungsweise: Was tun sie? In welche Position versetzen sie uns, die Betrachter:innen der Bilder vom Schmerz und den Verletzungen jener, die die zerstörerische Macht der Waffen an ihren Körpern und ihren Psychen erlitten haben? Stumpfen sie ab – oder helfen sie zu verstehen?”

5. Framing Sebastian: “Österreich” pushte die ÖVP auch im Wahlkampf 2019
(kobuk.at, Franziska Schwarz)
Die Tageszeitung “Österreich” hat sich im Vorfeld des Wahlkampfs 2017 massiv für den damaligen ÖVP-Chef Sebastian Kurz eingesetzt, was wohl auch in Zusammenhang mit üppigen Zahlungen für Inserate stand. Das Medienwatchblog “Kobuk” hat nun die spätere Wahlkampfberichterstattung 2019 analysiert und kommt zum Schluss, dass “Österreich” auch zwei Jahre später alles andere als journalistisch sauber gearbeitet habe: “Wieder spielen jede Menge Umfragen von ‘Research Affairs’ eine Rolle, dem Markt- und Meinungsforschungsinstitut von Sabine Beinschab. Jenem Institut, das im Mittelpunkt der Inseratenaffäre steht.”

6. Was Katapult und Bild gemeinsam haben
(medieninsider.com, Marvin Schade)
“Bild” nannte vergangenes Wochenende im Rahmen einer “Enthüllung” den Namen eines verantwortlichen Managers jener Stiftung, die sich um die Gaspipeline Nord Stream 2 kümmern sollte. Das Problem: Die Information war falsch. Marvin Schade hat sich für “Medieninsider” angeschaut, wie “Bild”, aber auch das Medium “Katapult” ihre diesbezüglichen Fehler im Nachgang behandelt haben.

Mediale Inszenierung, Leben im Horrorfilm, Unterzeichneritis

1. Die mediale Inszenierung des russischen Militärs
(deutschlandfunk.de, Sebastian Wellendorf, Audio: 4:48 Minuten)
Die Glorifizierung der russischen und sowjetischen Armee, auch die mediale, sei ein wichtiger Bestandteil der Propagandastrategie von Wladimir Putin. Die Militärparade am 9. Mai in Moskau spiele dabei eine große, aber nicht die alleinige Rolle. Die Konstruktion von Parallelwelten und die Verherrlichung des russischen Militärs sei seit Jahren eine zentrale Aufgabe der russischen Fernsehlandschaft, so die Deutschlandfunk-Russland-Expertin Gesine Dornblüth.

2. Aufmerksamkeitsökonomie des offenen Briefs
(getrevue.co, Johannes Franzen)
In der aktuellen Ausgabe von “Kultur & Kontroverse”, dem Newsletter des Literaturwissenschaftlers Johannes Franzen, geht es unter anderem um die überall aufpoppenden offenen Briefe: “Die wahllose Unterzeichneritis ist eines der Grundmerkmale des Intellektuellenhabitus der Gegenwart. Das liegt vor allem daran, dass offene Briefe eine wichtige aufmerksamkeitsökonomische Funktion erfüllen. Wer auf der Liste steht, gehört zum Kanon derjenigen, die im Diskurs ihre Stimme erheben können. Er bringt sich in die Gesellschaft anderer wichtiger Menschen (z.B. Margaret Atwood) und partizipiert so an deren kulturellem Kapital. Zudem wird die eigene Sichtbarkeit erhöht, der eigene Name erklingt und wird dadurch einprägsamer.”

3. Die Weltretterinnen
(tagesspiegel.de, Markus Ehrenberg)
Das WDR-Fernsehmagazin “Frau tv” wird dieses Jahr 25 Jahre alt. Markus Ehrenberg fasst zusammen, warum es die Sendung aus seiner Sicht auch nach dieser langen Zeit noch braucht.

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4. »Ich lebe einen Horrorfilm«
(spiegel.de)
Unregelmäßige Bezahlung, unangemessene psychologische Unterstützung, Sabotage von Versuchen, sich gewerkschaftlich zu organisieren, Verletzungen von Privatsphäre und Menschenwürde – so beschreibt ein ehemaliger Content-Moderator in Kenia seine Arbeit für Facebook. Für 2,20 US-Dollar pro Stunde habe er Videos von Enthauptungen und von sexuellem Missbrauch an Kindern ansehen müssen, ohne dass man ihn darauf vorbereitet habe. Mehr Informationen über den Fall gibt es beim “Time”-Magazine (in englischer Sprache).

5. Ferngespräche: Griechenland
(ardaudiothek.de, Holger Klein, Audio: 1:00:43 Stunden)
In den radioeins-“Ferngesprächen” unterhält sich Holger Klein mit Korrespondentinnen und Korrespondenten rund um den Erdball. Diesmal spricht er mit der ARD-Reporterin Verena Schälter, die von Athen aus über Griechenland, aber auch über Italien, Malta und den Vatikan berichtet.

6. Elon Musk würde Trumps Verbannung auf Twitter aufheben
(zeit.de)
Kündigt sich womöglich Donald Trumps Twitter-Rückkehr an? Bald-Eigentümer Elon Musk hat sich auf einer Konferenz dazu aufgeschlossen geäußert. Er würde das Verbot aufheben, es sei “moralisch falsch” und “einfach nur dumm” gewesen. Trump hat sich zuletzt ablehnend zu einer möglichen Rückkehr geäußert, aber Aussagekraft und Haltbarkeit einer Trump-Äußerung sind bekanntermaßen begrenzt. So kann man wohl nur abwarten.

Spitzenkräfte verlassen “SZ”, Wer macht mit?, Desinformationskrieg

1. Immer mehr Spitzenkräfte verlassen “SZ”
(deutschlandfunk.de, Michael Watzke, Audio: 5:10 Minuten)
“Aktuell ist es grauenvoll bei der ‘Süddeutschen’. Ich kenne kaum einen, der oder die mit Freude in die Hultschiner Straße fährt. Auf den Redaktionsfluren herrscht Misstrauen und Pessimismus. Jeder fragt sich: wer geht als nächstes?” Mit diesen Worten zitiert der Deutschlandfunk einen Redakteur der “Süddeutschen Zeitung”, der anonym bleiben will. Was passiert da gerade in München? Und warum verlassen so viele Spitzenkräfte das angesehene Blatt?

2. Im Desinformationskrieg
(journalist.de, Michael Kraske)
Die Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine ist auch deshalb so schwierig, weil er von Desinformation und Propaganda begleitet wird. Im Kampf um die Wahrheit über Bombardierungen und Kriegsverbrechen müsse der Journalismus sein ganzes Können aufbieten, so Michael Kraske in einem ausführlichen Text beim “journalist”. Dies reiche von “detektivischer Kleinarbeit bis zur großen Analyse”.

3. Russisches Satelliten-TV zeigt offenbar Antikriegsbotschaften
(spiegel.de)
Einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters zufolge haben Hacker Antikriegsbotschaften ins russische Fernsehen geschmuggelt – und das ausgerechnet am für das Putin-Regime so wichtigen Jahrestag des Sieges der Sowjetunion über Nazideutschland. Eine der Formulierungen habe “Ihr habt Blut an euren Händen” gelautet, eine andere: “Das Fernsehen und die Behörden lügen. Nein zum Krieg.”

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4. “Mit Militarismus hat das nichts tun”
(tagesspiegel.de, Senta Krasser)
Seit drei Jahren leitet Helge Fuhst die “Tagesthemen”-Redaktion bei ARD-aktuell in Hamburg. Senta Krasser hat ihm ein Porträt gewidmet und ihn gefragt, ob sich so etwas wie Kriegsmüdigkeit ausbreitet, wie Fuhst mit den schnellen News-Zyklen umgeht und wie er den Live-Auftritt der Band Die Ärzte bei den “Tagesthemen” einordnet.

5. Neues Handbuch zur Informationsfreiheit: Wer macht mit?
(fragdenstaat.de, Hannah Vos)
Die Transparenzinitiative “FragDenStaat” bittet um Unterstützung: “Gemeinsam mit der Initiative für offene Rechtswissenschaft OpenRewi suchen wir Interessierte, die an einem digitalen Publikationsprojekt zur Informationsfreiheit mitarbeiten wollen! Wir werden ein Handbuch planen, schreiben und diskutieren, das sich sowohl an Jurist*innen richtet, die im Bereich der Informationsfreiheit arbeiten, als auch eine Hilfestellung für Nicht-Jurist*innen bei der Erlangung von Informationen bieten soll.”

6. “Washington Post” gewinnt Pulitzer-Preis für Berichte über Sturm auf Kapitol
(sueddeutsche.de)
Die “Washington Post” hat für ihre Berichterstattung über den Sturm auf das Kapitol in der US-Hauptstadt im Januar 2021 den Pulitzer-Preis gewonnen. Eine besondere Erwähnung gab es für die Journalistinnen und Journalisten der Ukraine “für ihren Mut, ihre Ausdauer und ihr Engagement für wahrheitsgemäße Berichterstattung während Wladimir Putins so rücksichtsloser Invasion ihres Landes”.

Plagiatsvorwürfe gegen Döpfner, Post-Cookie-Zeitalter, Wetter

1. Experten erheben Plagiatsvorwürfe gegen Mathias Döpfner – auffällige Parallelen zu Text aus NS-Zeit
(buzzfeed.de, Marcel Bohnensteffen & Pia Seitler & Sabrina Hoffmann & Anna-Katharina Ahnefeld & Carolin Freytag)
Mathias Döpfner ist langjähriger Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE und Präsident des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger. Nun werfen ihm Plagiatsjäger Übereinstimmungen zwischen seiner Dissertation und einer Arbeit aus der Zeit des Nationalsozialismus vor. Der Deutsche Journalisten-Verband fordert Döpfner auf, die Vorwürfe aufzuklären: “Wenn der höchste Repräsentant der Verleger in diesem Land Anlass zu Zweifeln an seiner eigenen Glaubwürdigkeit und Integrität gibt, muss er das ausräumen.”

2. Wer zahlt, wenn die Werbung wegbricht?
(deutschlandfunkkultur.de, Audio: 16:03 Minuten)
Der Online-Journalismus fürchtet um sein Geschäftsmodell, denn mit personalisierter Werbung könnte es bald vorbei sein. Mit derartigen Anzeigen würden allein in Deutschland 3,5 Milliarden Euro pro Jahr umgesetzt. Europäische Datenschützer, aber auch Konzerne wie Apple hätten den dafür nötigen Cookies den Kampf angesagt. Deutschlandfunk Kultur hat sich mit Professor Christopher Buschow über die Entwicklung unterhalten, der sich unter anderem mit Innovationen bei der Finanzierung des digitalen Journalismus beschäftigt.

3. Hier ist Propaganda noch erlaubt
(taz.de, Reinhard Wolff)
“Das Nicht-EU-Land Norwegen hat sich in den vergangenen Monaten im Großen und Ganzen alle von Brüssel verhängten EU-Sanktionen gegen Russland zu eigen gemacht. Mit einer wichtigen Ausnahme: Oslo lehnt die Blockade russischer Propaganda-Kanäle ab. Sendungen von RT oder Sputnik können weiterhin frei empfangen werden.” Reinhard Wolff ordnet die Entscheidung Norwegens und deren Folgen ein.

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4. Wetter spielt verrückt
(journalist.de, Sebastian Pertsch & Udo Stiehl)
In der neuesten Ausgabe der “Floskel des Monats” beschäftigen sich Sebastian Pertsch und Udo Stiehl mit der Wetter-Besessenheit mancher Medien: “Sobald eine Naturgewalt nicht in den Biorhythmus des Club-Mate-Biedermeiers passt, bricht eine Welt zusammen. Dass das Wetter angeblich auch noch verrückt spiele, ist großer Quark. Denn das kann nur jemand behaupten, der/die die Basics von Wetter, Witterung und Klima in der Schule verpasst hat und die Konsument*innen für blöd verkaufen will.”

5. Trump scheitert mit Klage gegen seine Blockade bei Twitter
(spiegel.de)
Nach dem Sturm auf das Kapitol in Washington hatte Twitter den damaligen US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump von der Plattform verbannt, wogegen sich dieser juristisch zur Wehr setzte. Erfolglos, wie man inzwischen weiß: Ein Gericht in San Francisco hat Trumps Klage abgewiesen. Nun bleibt die Frage, ob sich der zukünftige Neu-Eigentümer Elon Musk möglicherweise einschaltet und Trump zurückholt.

6. Klatschpresse erzählt was vom Schumacher-Pferd
(uebermedien.de, Mats Schönauer)
Mats Schönauer ist der offizielle Regenbogenpressebeauftragte des medienkritischen Portals “Übermedien”. Dort ruft er regelmäßig zum “Schlagzeilenbasteln” auf: “Wir geben Ihnen eine Nachricht, und Sie versuchen zu erraten, welche Überschrift die Redaktionen daraus gestrickt haben. Bereit? Dann los!”

KW 18/22: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

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1. Fynn Kliemann: SCHEISSE bauen (DIY)
(youtube.com, ZDF Magazin Royal, Video: 27:54 Minuten)
Allroundtalent und Youtuber Fynn Kliemann ist irre vielseitig: Heimwerken, Immobilien sanieren, Malen, Musik machen, NFTs herausgeben – und am Anfang der Pandemie hat er sogar Corona-Masken organisiert. Zur letzteren Kliemann-Unternehmung liegen dem “ZDF Magazin Royale” brisante Dokumente und Informationen vor, die einige Fragen aufwerfen. In Reaktion darauf hat Kliemann auf Instagram eine Stellungnahme verlesen und dem “Spiegel” ein Interview gegeben (nur mit Abo lesbar): “Natürlich denkt man: Ey, wir verdienen hier Geld!” (spiegel.de, Jonas Leppin & Anton Rainer).
Weiterer Gucktipp: Der Rechtsanwalt Christian Solmecke unternimmt auf Youtube eine erste juristische Einordnung: Böhmermann vs. Fynn Kliemann (youtube.com, Video: 30:33 Minuten).

2. Wer ist Sandra? – Sandra Maischberger im Hotel Matze
(mitvergnuegen.com, Matze Hielscher, Audio: 2:35:07 Stunden)
In der aktuellen Ausgabe von “Hotel Matze” begrüßt Matze Hielscher die Journalistin, Fernsehmoderatorin, Produzentin und Autorin Sandra Maischberger: “Warum hatte sie es so eilig mit ihrer Fernsehkarriere und dem Erwachsenwerden? Welche Werte sind ihr wichtig? Ist sie Feministin? Ist sie Pazifistin? Ist sie konservativ? Warum teilt sie ihre Meinung nicht in der Öffentlichkeit? Warum macht sie das, was sie macht?”

3. Viele fühlen sich überrannt
(deutschlandfunk.de, Stephan Beuting, Audio: 34:00 Minuten)
Wie und wieviel sollten wir gendern? Darüber diskutieren ein Deutschlandfunk-Hörer, die Trainerin für geschlechtersensible Sprache Katja Vossenberg, Michael Neugebauer von der electronic media school Berlin und Stephan Beuting aus der Deutschlandfunk-Medienredaktion.

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4. Anika Heine: Kinderstark-Magazin
(wiesoweshalbwarum.podigee.io, Thomas Hartmann, Audio: 56:51 Minuten)
Thomas Hartmann ist Kulturwissenschaftler, Medienpädagoge und Musiker und als wissenschaftlich-pädagogischer Mitarbeiter am Deutschen Kinder- und Jugendfilmzentrum beschäftigt. In der aktuellen Ausgabe seines Podcasts über Kindermedien spricht er mit Anika Heine über Deutschlands erste und einzige diversitätssensible Zeitschrift für Kinder: das “Kinderstark”-Magazin.

5. Wie steht’s um kulturelle Vielfalt in den Redaktionen?
(sueddeutsche.de, Nadia Zaboura & Nils Minkmar, Audio: 26:50 Minuten)
Nadia Zaboura und Nils Minkmar sprechen über kulturelle Vielfalt in Redaktionen und haben sich dazu Ferda Ataman, Journalistin und Vorsitzende der “Neuen deutschen Medienmacher*innen”, eingeladen.

6. Die Macht der Information
(zdf.de, Video: sechsteilige Serie zu je etwa 44 Minuten)
In der ZDF-Dokureihe “Lüge und Wahrheit” geht es um die Macht der Information: “Geht es um Macht, Geld oder Krieg stirbt die Wahrheit oft zuerst. Die Doku-Reihe erzählt, wie mit Lügen Geschichte gemacht wurde und welche Rolle die Medien bei Propaganda und Wahrheit gespielt haben.”

Lügen des Kreml, Peter Hahne schwurbelt, Song Contest

1. Die Lügen des Kreml
(taz.de, Inna Hartwich)
Warum glauben so viele Rus­sen und Russinnen ­die Kriegspropaganda des Kreml? Wer das verstehen will, müsse sich das dortige Mediensystem angucken, findet Inna Hartwich: “Die Gleichschaltung der Medien macht es den Menschen im Land nicht einfach, an unabhängige Informationen zu gelangen. Zumal Russlands Justiz alles dafür tut, den unabhängigen Nischenmedien den Garaus zu machen, indem sie nicht nur die Medien zum ‘ausländischen Agenten’ erklärt und ihnen dadurch die Werbekunden raubt, sondern auch einzelne Jour­na­lis­t*in­nen mit diesem ‘Etikett’ den Alltag erschwert.”

2. Jeder fünfte Deutsche glaubt Verschwörungsmythen zum Ukrainekrieg
(spiegel.de)
Eine Studie des Centers für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas) beschäftigt sich mit der Frage, ob und wie russische Desinformation und Verschwörungserzählungen rund um den Angriffskrieg in der breiten Bevölkerung in Deutschland wirken (Infotext: Von der Krise zum Krieg: Verschwörungserzählungen über den Angriffskrieg gegen die Ukraine in der Gesellschaft, Studie: PDF). Insgesamt stimme knapp ein Fünftel der Befragten verschwörungsideologischen Aussagen über den Krieg “eher” zu. Unter den Wählerinnen und Wählern der AfD sei die Bereitschaft, derartige Geschichten zu glauben, besonders groß.

3. Peter Hahne schwurbelt jetzt über Corona und Genderwahn
(t-online.de, Nils Kögler & Steven Sowa)
Als Moderator, Co-Leiter des Hauptstadtstudios und Verantwortlicher in der Programmdirektion bekleidete Peter Hahne über Jahrzehnte wichtige Positionen beim ZDF. Aus dem Nachrichtenmann von damals ist heute ein Meinungsmann geworden: “Der ehemalige ZDF-Moderator hat in den vergangenen Jahren eine drastische Wandlung vollzogen. Alles erinnert an Eva Herman, ehemals prominente Nachrichtensprecherin der ‘Tagesschau’, jetzt rechtspopulistische Verschwörungsideologin.” Nils Kögler und Steven Sowa haben ein Hahne-Event in einer Kleinstadt besucht und ihm beim Schimpfen zugehört.

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4. Bundeskartellamt kann Meta nun besser in die Schranken weisen
(netzpolitik.org, Alexandra Conrad)
Das Bundeskartellamt hat festgestellt, dass Facebooks Mutterkonzern Meta eine “überragende marktübergreifende Bedeutung” hat. Auf netzpolitik.org kommentiert Alexandra Conrad: “Das klingt zunächst wenig überraschend, hat aber spürbare Auswirkungen für die Wettbewerbshüter und den Konzern. Die Kartellbehörde hat so die Möglichkeit, Meta ‘wettbewerbsgefährdende Praktiken’ zu untersagen, etwa eine bevorzugte Behandlung eigener Angebote gegenüber denen von Wettbewerbern.”

5. “Karla” ist bald da
(kontextwochenzeitung.de, Anna Hunger)
Nach Plattformen wie “Rums” in Münster und “Relevanzreporter” in Nürnberg, will mit “Karla” ein weiteres unabhängiges Lokaljournalismus-Projekt an den Start gehen (vorausgesetzt, das Crowdfunding klappt). Anna Hunger erzählt, was sich die acht Gründerinnen und Gründer für das Portal für Konstanz vorgenommen haben.

6. Hat die Ukraine schon gewonnen? Zehn Antworten zum “Song Contest”
(rnd.de, Imre Grimm)
Nächstes Wochenende findet in Turin der “Eurovision Song Contest” (“ESC”) statt. Warum noch mal Italien als Austragungsort? Wird das der politischste “ESC” aller Zeiten? Welche politische Rolle hat Russland früher beim “ESC” gespielt? Und warum darf Deutschland trotz chronischer Erfolglosigkeit ins “ESC”-Finale? Imre Grimm beliefert uns mit dem notwendigen Partywissen rund um den “paneuropäischen Kindergeburtstag”.

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BILDblog-Klassiker

Aus dem lustigen Leben eines “Bild”-Sportreporters

Jürgen Klopp, der ehemalige Trainer von Borussia Dortmund, hat sich in seiner Zeit beim BVB bekanntermaßen gerne mal aufgeregt, mitunter auch über Journalisten. Die Mitarbeiter der “Bild”-Zeitung hatten es ihm dabei immer ganz besonders angetan.

Nach einem Spiel etwa, in dem BVB-Stürmer Marco Reus den Linienrichter umgehauen hatte, kam es, wie “Bild” später nicht ohne Stolz berichtete, zu folgender Szene:

Ich [der “Bild”-Reporter] frage Klopp: „Haben Sie sich kurz Gedanken um den Linienrichter gemacht, als Marco Reus ihn abgeräumt hat?“

Klopp schäumt.

Er weiß, für wen ich arbeite, fragt aber süffisant: „Von was für einer Zeitung sind Sie?“

Ich: „BILD.“

Klopp: „Neeee… So viel Fußball heute, und dann müsst ihr so eine Kack-Geschichte machen. Boah ist das ein Drecksleben, das tut mir wirklich leid!“

Das wollte der “Bild”-Reporter nicht auf sich sitzen lassen.

Drecksleben als BILD-Reporter?

Das ist beleidigend und falsch

Und wie! Denn in Wahrheit ist das Leben als “Bild”-Reporter vor allem eins: megafunny! Besonders dann, wenn man mit Jürgen Klopp zu tun hat.

Fragen Sie mal Jörg Weiler. Der ist auch “Bild”-Reporter — ebenfalls zuständig für den BVB — und hat anlässlich des Abschieds des Dortmunder Trainers neulich „von seinen lustigsten Momenten in sieben Jahren mit Jürgen Klopp“ erzählt.

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Zum Beispiel das hier:

Bei einem Testspiel in Emmendingen war es, wo er [Klopp] mir vorher gesagt hat: „Du musst mir einen Gefallen tun: Geh nicht zu meiner Mutter! Die kommt heute mal ins Stadion, um mal zuzugucken, und du wirst nicht zu meiner Mutter gehen!“

Das war ein langweiliges Testspiel, es hat geregnet in Strömen, und dann hatte ich natürlich irgendwann doch die Idee, zumindest aus Neugier mal zu gucken, wie die Mutter aussieht.

Natürlich.

Bin zu der Mutter hingegangen, hab mich nur kurz vorgestellt, ‘n Smalltalk mit ihr gehalten, und bin wieder abgehauen. Und ich schätze mal, das waren 80 bis 90 Meter Entfernung, die der Klopp da irgendwie gucken musste, um das überhaupt mitzubekommen.

Auf der anschließenden Pressekonferenz dann:

Und plötzlich merke ich, wie mir einer vor’s Scheinbein tritt. (…) Dann kommt der zweite Tritt, mitten vor’s Schienbein, und ein dritter Tritt, und ich hatte gute Schmerzen. Irgendwann sehe ich: Es war der Klopp. Ich sag’ zu ihm: „Hömma, was soll der Kack denn? Was machst du denn da?“ Und darauf entgegnete er mir nur: „Hömma, ich hab’ genau gesehen, dass du bei meiner Mutter warst, das hatte ich dir doch extra gesagt, dass Du da nicht hingehen sollst.“

(grinst)

Hihi, ja, ganz schön ulkig, dieses Dasein als “Bild”-Mensch. Mütter behelligen, die man nicht behelligen soll — oder Gespräche belauschen, die man nicht belauschen soll:

Ich kann mich noch erinnern, es war sehr, sehr warm, knalleheiß (…), und das Fenster war eben offen. Und wir standen da, weil der Ordner vergessen hatte, uns wegzuschicken, und ich konnte mal live eine Mannschaftssitzung von Borussia Dortmund miterleben und habe gehört, wie’s da eben zuging. Kloppo wurde schon sehr, sehr deutlich (…). Dann hab ich nach dieser Sitzung allerdings einen Kardinalfehler gemacht: Habe ihn auf die Sitzung angesprochen, worauf der Mann dann fast einen Blutstau bekommen hat vor Wut, dass wir eben da vor dem Fenster gestanden haben und alles mithören konnten. Muss ich heute noch im Nachhinein Sorry an Willi sagen, den Ordner, weil der hat da richtig einen zwischen die Hörner bekommen. Tut mir leid, Willi, das war mein Fehler, aber es war trotzdem ein unvergessenes Erlebnis.

Der Off-Sprecher fasst zusammen:

Kein Zuckerschlecken, sich als Journalist mit Jürgen Klopp anzulegen.

Und erst recht keins, so jemanden wie Jörg Weiler am Bein zu haben.

Mit Dank an Hannes.

Wann ist ein Like ein Like, Hörsaal-Ablenkung, Bordexemplare

1. Vier Thesen zur Zukunft des Digitaljournalismus
(horizont.net, Mathias Müller von Blumencron)
Der Digital-Chef der “FAZ” macht sich Gedanken über die Zukunft des digitalen Journalismus. Neuen Angeboten gibt er keine großen Chancen, das Rennen würden die Qualitätsmarken machen. Gleichwohl werde es “eine Explosion journalistischer Formate” geben. Nichts weniger als eine “Exzellenzoffensive” sei zu erwarten. Angesichts von Angeboten wie “Focus Online” reichlich viel Optimismus, aber ohne den kommt ein “Chefredakteur Digitale Medien” wahrscheinlich nicht aus.

2. Was ist die “ganze Wahrheit”?
(facebook.com/arminwolf.journalist, Armin Wolf)
Facebook wird von manchen als Abraumhalde für industriell abgebaute Katzenfotos geschmäht. Dass dem nicht (immer) so ist, beweist ein längerer Beitrag des österreichischen TV-Journalisten Armin Wolf. In diesem setzt sich der Autor recht ausführlich mit der Frage auseinander, ob und wann Medien bei Verbrechen die Nationalität der Verdächtigen nennen sollen beziehungsweise dürfen.

3. Warum ein “Like” keine politische Meinungsäußerung ist
(derwesten.de, Katrin Figge)
“Der Westen” hat mit dem Medienökonom Prof. Jörg Müller-Lietzkow über das Likewesen auf Facebook gesprochen. Likes oder Hasskommentare seien demnach “weit von politischer Meinungsäußerung entfernt”. Der Medienwissenschaftler vergleicht die Klicks mit einem Ablassbrief: Man fühle sich danach gut, weil man etwas geleistet oder Wut kanalisiert habe. Mit politischer Artikulation habe all dies jedoch nichts zu tun.

4. Google: 25.000 Chromebooks für Flüchtlinge in Deutschland
(heise.de, Andreas Wilkens)
“Project Reconnect” heißt der Zusammenschluss von Google, Telekom und Arbeiter-Samariter-Bund, der für die Verteilung von 25.000 Chromebooks sorgen will. Alle Organisationen, die in der Flüchtlingshilfe tätig sind, könnten sich für die mobilen Computer bewerben (bei Interesse: Link im Artikel). Die Telekom will den kostenlosen WLAN-Zugang ermöglichen. Gute Idee, wobei böse Zungen behaupten, man hätte zunächst die verstaubte IT der deutschen Behörden auffrischen sollen.

5. Aufmerksamkeitskiller Smartphone
(taz.de, Ralf Pauli)
Ein Hochschullehrer zieht nach mehreren Experimenten ein trauriges Resümee: Die Aufmerksamkeit der Studierenden habe in den letzten Jahren massiv abgenommen. Schuld sei der ständige Blick aufs, na was wohl, Smartphone. “Wir schaffen es kaum mehr, die Aufmerksamkeit der jungen Leute für länger als fünf Minuten zu halten”, beklagt der Professor an der Hochschule Hof. “Danach sind sie sofort wieder bei ihren technischen Spielzeugen.”

6. Wie die Lufthansa meine Zeitungen klaut
(bilanz.de, Bernd Ziesemer)
Der frühere Chefredakteur des “Handelsblatts”, Bernd Ziesemer, jammert in seiner Kolumne über das Verschwinden der sogenannten Bordexemplare der Lufthansa. Der Verzicht auf die kostenlosen Zeitungen sei “der traurige Endpunkt einer langen Reihe stetiger Verschlechterungen” mit dramatischen Auswirkungen: “Die Masse der bisherigen Flugzeugleser verliert den letzten Kontakt zu Printmedien.” Warum sich die von Ziesemer angesprochene (gutgestellte) Klientel der treuen Vielflieger ihre Lektüre nicht einfach für ein paar Euro am Kiosk holen kann, bleibt leider offen.

Der Minister, die Schauspielerin und die Medien

Bundesjustizminister Heiko Maas und seine Frau haben sich getrennt. Der Anwalt der beiden hat die Trennung am vergangen Mittwoch bekanntgegeben, seitdem haben sie sich nicht mehr öffentlich geäußert.

„Bild“ vermeldete das …

… am Mittwochabend online und wusste am Tag darauf in der Print-Ausgabe exklusive Details zu berichten:

Dass der Minister und seine Frau darum gebeten hatten, „ihre Privatsphäre strikt zu respektieren“, steht in dem Artikel natürlich nicht.

Am nächsten Tag ging es weiter, diesmal nannte “Bild” auch den Namen der angeblichen Affäre:


(Wir haben die Frau hier und in den folgenden Screenshots unkenntlich gemacht.)

Genüsslich gibt „Bild“-Reporter Michael Schacht in dem Artikel das „Getuschel“ wieder, das es im “Umfeld” der beiden gebe, und erklärt: „Wie die Ehe von SPD-Hoffnungsträger Maas zerbrach“.

Doch so eklig dieser Voyeurismus auch ist — rechtlich gesehen ist der Fall nicht ganz eindeutig. “Bild” greift zwar in die Privatsphäre der Betroffenen ein, doch das heißt nicht, dass sie vor Gericht automatisch Recht bekämen, sollten sie dagegen vorgehen.

Rechtsanwalt Ralf Höcker sagte 2014 in der „taz“ auf die Frage, ob es zulässig sei, über die Affäre eines Politikers zu berichten:

Das hängt vom Vorleben ab. Wer sein Privatleben schon vorher öffentlich macht, der muss auch später unangenehme Berichterstattung dulden. Man müsste also die Archive nach freiwilligen privaten Selbstveröffentlichungen (…) durchsuchen, um zu wissen, was er sich gefallen lassen muss.

Auch Anwalt Johannes Eisenberg erklärte in einem Interview mit dem „Freitag“ vor einigen Jahren:

Das entscheidende Kriterium ist, ob man selber in guten Zeiten seine Familie zum Gegenstand öffentlicher Wahrnehmung macht, die Frau präsentiert, Homestorys zulässt.

Im vergangenen Jahr trafen sich Heiko Maas und die Schauspielerin zum Doppel-Interview mit der “Bild am Sonntag”, um über ihre Freundschaft zu plaudern. Ob das genug “Homestory” ist, um auch über eine (angebliche) Affäre berichten zu dürfen, werden im Zweifel Gerichte entscheiden müssen.

Ob man alles machen muss, was man machen darf, ist eine andere Frage. Man könnte auch Privates einfach im Privaten lassen. Oder zumindest abwarten, bis sich die Betroffenen selbst zu Wort melden.

Eine ganze Reihe von Medien hat sich entschieden, nicht abzuwarten und stattdessen die Affärengerüchte der „Bild“-Zeitung nachzuplappern. Darunter natürlich Klatschmedien wie “Gala”, vip.de und stern.de:



Aber auch Medien wie der „Tagesspiegel“, die “WAZ” und das „Handelsblatt:



Die Gerüchte gingen ins Ausland …

… wurden zum Clickbait …

… und dienten selbst den Fremdenfeinden von „Politically Incorrect“ für was auch immer:

Am eifrigsten aber sind die Leute von „Bild“. Vergangenen Samstag gab’s die dritte Titelstory.

Heiko Maas hatte sich zwar immer noch nicht geäußert („WARUM SCHWEIGT DER MINISTER?“), und die Schauspielerin „ließ BILD über ihr Management wissen, dass es eine gemeinsame Erklärung geben werde“. Doch so lange wollte das Blatt nicht warten. Reporter Michael Schacht hatte sich ja ohnehin bereits im “Umfeld” der beiden umgehört, was ihm reichte, um das “Liebes-Wirrwarr” zu konstruieren und einen der schmierigsten “Bild”-Artikel seit Langem abzuliefern:

Die Schauspielerin ist maaslos verliebt. Er hat das Direktmandat für ihr Herz gewonnen.

Der Minister leidet, wie aus seinem Umfeld zu hören ist. Nicht nur seine Ehe ist zerbrochen, er weiß auch, dass jedes Wort zu viel nun politisch riskant wäre, jedes Wort zu wenig aber seine neue Liebe aufs Spiel setzt.

[Die Schauspielerin] ist eine selbstbewusste Frau. Sie kennt die Spielregeln auf Berlins glattem gesellschaftlichen Parkett, wo Macht und Glamour sich umarmen. Da muss man schweigen können. Aber geht das, wenn zwei Herzen so laut schlagen, dass es ganz Berlin hört?

Am nächsten Tag: nächste Titelstory.

Die Reporter hatten anscheinend vor dem Haus der Schauspielerin campiert; im Blatt zeigen sie ein Foto, auf dem sie gerade das Haus verlässt und zum Auto geht. Offenbar sind sie ihr auch weiter gefolgt (sie wissen zumindest, wohin sie dann gefahren ist).

Und sie bleiben dran. Heute der nächste Artikel.

Der nächste Akt in diesem „Boulevardtheater mit Starbesetzung“, wie es die „Bild am Sonntag“ nennt. Als wäre es bloß ein Spiel, eine weitere amüsante Aufführung auf dem „Klatsch-Parkett“ („Bild“).

Um dieses Spiel zu beenden, bleibt Maas und der Schauspielerin im Grunde nur, sich öffentlich dazu zu äußern oder sich juristisch dagegen zu wehren. In jedem Fall haben sie es mit einem verdammt unbequemen Gegner zu tun.

Anwalt Eisenberg sagte damals im Interview mit dem „Freitag“ noch:

Die Bild ist jedenfalls besonders rücksichtslos, und sie müssen überhaupt nicht aufs Geld achten. Wenn ein Politiker sich mit der Bild anlegt, hat er erst einmal schlechte Karten. Politiker haben ja in der Regel kein größeres einsetzbares Vermögen für eine Auseinandersetzung mit einem weltweit operierenden Konzern, der Milliardengewinne macht. Ich habe noch keinen einzigen Politiker gesehen, der in einer echten Krise das Geld hatte oder aufbringen wollte, der Bild Paroli zu bieten und die 80.000 Euro oder so Prozesskosten zu riskieren.

Mir hat kürzlich ein Richter gesagt, der in dem anschließenden Urteil die Rechtswidrigkeit der Veröffentlichung feststellte: „Ihr kriegt den Deckel sowieso nicht mehr zu.“ Das ist genau das Kalkül: Wenn die Sache in der Welt ist, fragt niemand danach, ob die Medien berechtigt waren, sie in die Welt zu setzen. Sie ist dann nicht mehr rückholbar. Und genau darauf setzen die Medien.

YouTube-Sexismus, Humorjournalismus, Pokemonismus

1. Die deutsche YouTube-Szene ist sexistischer als jede Mario-Barth-Show
(broadly.vice.com, Marie Meimberg)
Marie Meimberg ist genervt von all den in kleine Videos gepressten Geschlechterklischees und dumpfen Vorurteilen aus dem vorletzten Jahrhundert, die auf YouTube Millionenfach geklickt werden: “Das zieht sich in der deutschen YouTube-Szene durch alle Altersklassen und Content-Genres, betrifft Menschen, die ich privat mag und solche, die ich auch privat ziemlich scheiße finde. Von den 16-jährigen Zwillings-Lochis bis hin zur 32-jährigen Joyce Ilg, von einer Kelly aka MissesVlog bis hin zu ImbaTorben—überall findet man sie, die Videos, die den wirklich wichtigen Fragen der Menschheit nachgehen: „Was Männer an Frauen geil finden” oder „Was Frauen nie sagen, aber denken” oder was „Männer von Frauen nicht wissen”, wie Frauen streiten oder lügen … und völlig egal, ob hier ein YouTuber oder eine YouTuberin vor der Kamera steht, was dabei rauskommt, ist wirklich sexistischer Klischeescheiß vom allerfeinsten.”

2. Realsatire.de und der „Humorjournalismus“
(get.torial.com, Tobias Lenartz)
Eine neue Satireseite hat sich dem “Humorjournalismus” verschrieben. Crowdfundingunterstützt will man sich all der Geschichten annehmen, die bereits Realsatire seien. Tobias Lenartz hat sich die Seite näher angeschaut und lässt die Macher zu Wort kommen. Bislang sei die Updatefrequenz sowie die Zahl längerer Stücke noch recht übersichtlich. Doch das solle sich nach Angaben der Realsatirebetreiber ändern. Man wolle die crowdgefundete Summe in Autoren investieren und strebe an, in Zukunft ein längeres, gut recherchiertes Stück pro Tag und einige kürzere Geschichten, Fotos und Links zu veröffentlichen.

3. Ist das jetzt wirklich lustig oder werden wir alle gefoppt?
(br.de, Lisa Altmeier )
Zu den Dingen, die auf Facebook besonders gerne geteilt werden, gehören Screenshots von aberwitzigen Konversationen. Der Verdacht liegt nahe, dass diese meist gefaket sind. Lisa Altmeier hat einen dieser viral so erfolgreichen Dialoge einer Expertin für Scripted Reality zur Begutachtung vorgelegt, die ihren Verdacht prompt bestätigt. Altmeier fragt sich, warum die Bildchen so erfolgreich sind und kommt zu dem Schluss: “Wir alle finden es geil, berieselt zu werden und einfach mal laut loszugröhlen. Wir fühlen uns ein Stück schlauer, wenn wir uns mit den vermeintlich Dümmeren vergleichen. Oder wir erkennen unsere eigene Verpeiltheit in den Dialogen der anderen wieder. Die naive Person ist also in Wahrheit nicht Carmen aus dem Transformers-Dialog, sondern wir selbst.”

4. Wenn der Krieg zur Gewohnheit wird
(ostpol.de, Alice Bota)
Alice Bota ist Moskau-Korrespondentin der “Zeit” und fand sich im siebten Jahr ihres Berufslebens im Krieg wieder, wie sie ihren Artikel beginnen lässt. Bota war im Frühjahr 2014 in den Osten der Ukraine gereist und lernte ab dem Zeitpunkt nicht nur etwas über den Krieg, sondern auch über Journalismus, eigene Versäumnisse, Meinungshoheiten in Talkshows und die Hartnäckigkeit gängiger Narrative. “Die Kritik an der Ukraine-Berichterstattung, von manchen Medienjournalisten fast neurotisch betrieben, war übrigens keine Hilfe, mit der eigenen Fehlerkultur umzugehen, weil sie entweder diffus blieb oder sich an handwerklichen Fehlern abarbeitete, die zwar ärgerlich, aber eben nicht intentional waren. Dabei hätten wir eine Debatte darüber gebraucht, was wir Reporter nicht abbilden und warum nicht. Doch in einer Atmosphäre, in der Reporter als Kriegshetzer, Propagandahuren und Agenten verhöhnt werden, fällt es schwer, laut über die eigenen Schwächen nachzudenken.”

5. Ein “Shooting” ist keine “Schießerei”
(sueddeutsche.de, Jörg Häntzschel)
Deutschen Beobachtern, die über die Polizeigewalt in den USA berichten wollen, fehlen die geeigneten Worte, konstatiert Jörg Häntzschelt und stellt einige der unzureichenden Begriffsübertragungen vor. Besonders bizarr sei der “Amoklauf”, mit dem oft die “school shootings” übersetzt würden: “Damit lassen sich die Tatmotive in eine so unzugängliche Zone der Täterpsyche verlegen, dass sich die Suche nach rationalen Erklärungen eigentlich erübrigt. In den USA spricht man in solchen Fällen auch von mass shootings und mass killings, doch “Massentötung” ist uns so unheimlich, dass wir sie allenfalls für die Opfer der Massentierhaltung verwenden. Und “Massenmord”? Darin waren wir Deutschen mal sehr gut. Wir wollen das Wort am liebsten gar nicht mehr verwenden.”

6. Pokémon Go: Der Hype um den Hype
(wuv.de, Markus Sekulla)
Pokémon Go ist eine Woche online. Laut W&V-Kolumnist Markus Sekulla Zeit für einen (nicht ganz ernst gemeinten) Rückblick.

Informationsunfreiheitsgesetz, Oettinger, Hugh Grant

1. Zehn Jahre Informationsfreiheitsgesetz auf Bundesebene – Zeit für eine Weiterentwicklung.
(netzwerkrecherche.org, Manfred Redelfs)
Auch zehn Jahre nach Inkrafttreten des Informationsfreiheitsgesetzes auf Bundesebene bleibt viel zu tun, so Manfred Redelfs vom “Netzwerk Recherche”. Von Anfang an habe es sich um ein eher ungeliebtes Kompromissgesetz gehandelt, mit vielen Ausnahmeklauseln, langen Antwortfristen und Kostenrisiken. Ein Fazit der letzten zehn Jahre liefere die Analyse des Gesetzes, die von der Otto-Brenner-Stiftung zusammen mit der Initiative „Frag den Staat“ durchgeführt wurde. Und auch andere Erfahrungsberichte würden belegen, wie mühsam es für Journalisten immer noch ist, vom Staat Informationen zu erhalten.

2. Aleppo: Sind die Youtube-Filme aus dem Kriegsgebiet authentisch?
(blog.tagesschau.de, Christoph Tanneberger)
Im Blog der “Tagesschau” zeigt Christoph Tanneberger wie aufwändig die Verifikation von Videomaterial sein kann, besonders wenn es aus schwer zugänglichen Kriegs- und Krisengebieten kommt, wie in diesem Fall dem syrischen Aleppo.

3. Oettinger: Verleger sollen kritische Journalisten auf Linie bringen
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
EU-Kommissar Günther Oettinger, in der Kommission unter anderem für digitale Wirtschaft zuständig, sprach am Montag auf dem Zeitungskongress vor den deutschen Verlegern. Ziemlich unverblümt forderte er sie auf, ihre Macht zu nutzen (bzw. zu missbrauchen), öffentlich Stimmung für ein Gesetz in eigener Sache zu machen: das sogenannte Leistungsschutzrecht. Stefan Niggemeier kommentiert den Vorgang auf “Übermedien” und kommt zum Schluss: “Oettinger will, dass die Verleger ihre Redaktionen auf Linie bringen, und dass er behauptet, es gehe selbstverständlich nicht darum, die „Redaktionsfreiheit“ einzuschränken, oder „Zensur“ zu betreiben, zeigt nur, dass er genau weiß, dass er hier gegen innere Pressefreiheit und Meinungsvielfalt in den Redaktionen argumentiert und Propaganda statt Journalismus fordert.”

4. Nach Anschlägen in Dresden: Droht Sachsen der linke Terror?
(patrick-gensing.info)
Patrick Gensing schreibt über die Legende vom linken Terror in Sachsen: Nach den Anschlägen in Dresden hätte nach Angaben des sächsischen Innenministers Markus Ulbig ein Bekennerschreiben vorgelegen, veröffentlicht auf der Internetseite “linksunten.indymedia.org”. Wer sich in dem Schreiben bekannt haben soll, hätte der Minister im ZDF nicht gesagt. Er hätte auch nicht erwähnte, dass die angeblichen Urheber das Schreiben bereits als Fälschung bezeichnet hatten. Nun mache die Nachricht die Runde, die Anschläge könnten von Linksradikalen verübt worden sein.

5. „vorwärts“ und nicht vergessen?
(carta.info, Klaus Vater)
Am 1. Oktober wird der “vorwärts” 140 Jahre alt. Der Politologe, Journalist und ehemalige stellvertretende Regierungssprecher Klaus Vater hat sich das “Central-Organ der Sozialdemokratie Deutschlands” (Untertitel der Erstausgabe vom 1.10.1876) angeschaut und lässt die letzten Jahrzehnte Revue passieren.

6. Ich mach seit 20 Jahren Interviews. Keins war so ein Desaster wie das mit Hugh Grant
(watson.ch, Simone Meier)
Simone Meier hat sich ihr Interview mit dem englischen Schauspieler Hugh Grant so schön ausgemalt, doch dann kommt alles anders.

Sehen alle gleich aus (16)

Bereits nach dem ersten Spieltag in der Fußball-Bundesliga, der am zurückliegenden Wochenende stattfand, gibt es den ersten richtig dicken Skandal: Der FC Bayern München stand am Freitagabend in der Partie gegen Bayer 04 Leverkusen zeitweise mit zwölf Spielern auf dem Platz. Jedenfalls behaupten das indirekt “Bild am Sonntag” und Bild.de, was schon mal ein erstes Indiz dafür ist, dass es sich eher um ausgemachten Unsinn handelt — und nicht um einen Wechselfehler der Münchner.

Es geht um diese Fotozeile, die in “BamS” und bei Bild.de erschienen ist:

Ausriss Bild am Sonntag - Bildunterschrift - Alle Hände voll zu tun: Torhüter Sven Ulreich vereitelte zahlreiche Leverkusener Chancen wie diese. Alaba, Rafinha und Hummels (v. l.) schauen gebannt zu

Screenshot Bild.de - Bildunterschrift - Alle Hände voll zu tun: Torhüter Sven Ulreich vereitelte zahlreiche Leverkusener Chancen wie diese. Alaba, Rafinha und Hummels (v. l.) schauen gebannt zu

Das Besondere dabei: In der 62. Spielminute wechselte Bayerns Trainer Carlo Ancelotti Rafinha für Mats Hummels ein. Die beiden Spieler konnten also nicht gleichzeitig auf dem Platz stehen — außer Hummels hätte sich wieder aufs Feld geschlichen.

Nun müssen wir aber alle Leverkusen-Fans enttäuschen, die schon hoffen, ihr Verein könnte die 1:3-Niederlage noch durch eine Beschwerde in einen Sieg ummünzen.

Schaut man sich das zur Bildunterschrift veröffentlichte Foto etwas genauer als die Mitarbeiter der “Bild”-Medien an, sieht man, dass der Bayern-Feldspieler zwischen David Alaba und Mats Hummels nicht der Brasilianer Rafinha ist, sondern der Franzose Franck Ribéry — relativ einfach zu erkennen an der Nummer 7 auf seiner Hose:

Screenshot Bild.de - Foto, das Franck Ribéry zwischen David Alaba und Mats Hummels zeigt

Mit Dank an David L. für den Hinweis!

Distanzloser Sportjournalist, Kampf der Fußkranken, Wahlhelfer Facebook

1. Der distanzlose Sportjournalist
(taz.de, Jürn Kruse)
Ein Sportmoderator eines öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders richtet ein Sportevent aus, über das er oder sein Arbeitgeber später eventuell berichten wird. Diese Entwicklung zeichnet sich gerade beim MDR ab. Jürn Kruse kommentiert: “Fassen wir zusammen: Einer der bekanntesten Moderatoren des MDR, der regelmäßig über Wintersport berichtet, lernt bei dem Verband, über den er doch kritisch berichten soll, wie man ein solches Event organisiert, macht das dann — und beim MDR finden das die EntscheiderInnen völlig okay.” Weiterer Lesetipp: “Vom Sportjournalist zum Sportveranstalter” (“Deutschlandfunk”).

2. Facebook als mächtiger Helfer
(faktenfinder.tagesschau.de, Max Muth)
In Zukunft werden Wahlkämpfe verstärkt digital stattfinden. Eine immer wichtiger werdende Rolle spielt dabei Facebook. Spezialisierte Firmen helfen den Parteien bei der Gestaltung ihrer Kampagnen. Dabei geht es um “Lookalike Audiences”, “Microtargeting” und umstrittene Werbeformen wie die “Dark Ads”.

3. Mit weniger Wortanteil den Journalismus retten
(blog-cj.de, Christian Jakubetz)
Christian Jakubetz kommentiert das Gerangel von Öffentlich-Rechtlichen und Verlagen um Wortanteile und Leistungsschutzrecht: “Verlage und öffentlich-rechtliche Sender, zwei, bei denen es in den kommenden Jahren vor allem um Existenzgrundlagen und Legitimationsdebatten gehen wird — ausgerechnet die zwei also spielen Kleinkrieg gegeneinander, anstatt darüber nachzudenken, dass sie sich möglicherweise gemeinsam gegen ganz andere Bedrohungen wappnen müssten”. Weiterer Lesetipp: “‘Ich wollte nicht warten, bis der WDR verklagt wird'” (“Deutschlandfunk”).

4. Weltkarte und Schaukelstuhl
(sueddeutsche.de, Caspar Busse)
Über Jahrzehnte versorgte der Filmhändler Leo Kirch die Fernsehsender mit Inhalten und baute damit ein Medienimperium auf. Doch auf den rasanten Aufstieg folgte der jähe Absturz. Der heute Abend ausgestrahlte Film (ZDF, 22:45 Uhr) geht dem Phänomen Leo Kirch nach und lässt Zeitzeugen zu Wort kommen. Caspar Busse findet es bemerkenswert, dass gerade das ZDF diese Dokumentation zeigt. Mit dem öffentlich-rechtlichen Sender habe der eigentliche Aufstieg Kirchs begonnen: “Er kam “wie ein fahrender Händler” und verkaufte den Mainzern das, was die so dringend brauchten: Filme und Serien. Die Abhängigkeit war hoch, zeitweise stammte ein Drittel des ZDF-Programms aus dem Hause Kirch, der daran wiederum sehr, sehr gut verdiente.”

5. Journalismus direkt vom Erzeuger
(journalist-magazin.de, Kathi Preppner)
Das Projekt “RiffReporter” will freien Journalistinnen und Journalisten eine Publikationsplattform für ihre Inhalte bieten, samt Community und Erlösmodell. Die Finanzierung soll über eine Umsatzbeteiligung sowie über private und institutionelle Förderer erfolgen. Die Gründer haben dafür den “#Netzwende-Award” erhalten, einen Medienpreis, der von “Vocer” in Kooperation mit dem “Spiegel”, der August-Schwingenstein-Stiftung, der Rudolf-Augstein-Stiftung und der “Zeit”-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius verliehen wird.

6. Das waren die erfolgreichsten Instagram-Werbeposts im November
(horizont.net, Katharina Brecht)
“Horizont” hat 50.000 deutsche Instagramkanäle auf Werbe-Postings durchsuchen lassen und die ermittelten Werbe-Posts ausgewertet. Die Rangliste zeigt, wie wichtig der Einsatz von zufällig eingestreuten Emojis ist und bietet einen guten Überblick über den derzeitigen Stand in Sachen photoshopgestützte Bildmanipulation in der Porträtfotografie.

Das Gewehr des Amokschützen wird Ihnen präsentiert von Bild.de

Julian Reichelt hatte heute Nacht eine Idee. Bei Twitter schrieb der “Bild”-Oberchef zum Amoklauf im US-Bundesstaat Florida:

Screenshot des Tweets von Julian Reichelt - When will America realize that it makes sense to ban that single rifle, the AR15? Guns have their own gravity. Availability of the AR15 makes shootings more likely to happen. For everyone considering horrific violence this rifle‘s message has become: You can do it.

Also: Das Gewehr AR-15 verbieten — und schon könnte es weniger Amokläufe geben. Ob das wirklich so einfach ist, wissen wir nicht. Es handelt sich aber sicher nicht um den schlechtesten Gedanken, den Reichelt je hatte.

Allerdings will dieser Tweet nicht so ganz zu dem Artikel passen, den Bild.de — also die Seite, die Julian Reichelt verantwortet — nur wenige Minuten zuvor mit dieser Überschrift veröffentlicht hat:

Screenshot Bild.de - Sturm-Gewehr AR-15 - Die tödliche Waffe des Amok-Schützen von Parkland

Neben dem Hinweis, dass das Gewehr “als Lieblingswaffe vieler Amokläufer” in den USA “eine traurige Berühmtheit erlangt hat”, einer detaillierten Auflistung, wo nun genau das Gewehr von welchem Schützen eingesetzt wurde, und der beruhigenden Nachricht, dass es auch “mit der AR-15” möglich sei, “sehr zügig viele Schüsse abzugeben”, findet man in dem Bild.de-Artikel eine Grafik, die in dieser Form auch aus einem Verkaufsprospekt des Herstellers stammen könnte (die Grafik zeigen wir hier natürlich nicht — wir sind ja nicht blöd). Dort erklärt die Redaktion, welche Mündungsgeschwindigkeit das Gewehr hat. Mit welchen Modulen man es erweitern kann. Dass es ein ergonomisches Design hat. Wie schwer es ist. Wie weit die Schüsse reichen. Dass das Magazin “NATO-Standard” hat. Und all diesen Mist, den man zum Beispiel wissen möchte, wenn man auf der Suche nach einer Waffe ist, um damit wasauchimmer anzustellen. Um das alles zu erfahren, muss man jetzt praktischerweise nicht mehr in einen Waffenladen gehen oder sich in düsteren Foren rumtreiben. Es reicht ein Besuch auf dem größten Nachrichtenportal Deutschlands.

Maaslos verkürzt

Bei Bild.de berichten sie heute schon mal vorab von einem Interview mit Außenminister Heiko Maas, das offenbar morgen erscheinen soll:

Maas sagte im Interview mit BILD (Montag): “Es schadet dem Bild Deutschlands, wenn der Eindruck entsteht, dass Rassismus bei uns wieder salonfähig wird. Dass sich Menschen mit Migrationshintergrund bedroht fühlen, dürfen wir nicht zulassen. Wir müssen gemeinsam sehr entschlossen für Vielfalt und Toleranz eintreten.”

Für ihre Startseite bastelt die Redaktion daraus:

Screenshot Bild.de - Maas im Bild-Interview - Özil-Debatte schadet unserem Ansehen

Wohlgemerkt: als Zitat gekennzeichnet!

Am Montag berichtete Bild.de über ein anderes Zitat von Heiko Maas. In dessen Aussage ging es um Fußballspieler Mesut Özil:

“Ich glaube auch nicht, dass der Fall eines in England lebenden und arbeitenden Multimillionärs Auskunft gibt über die Integrationsfähigkeit in Deutschland.”

Auf der Startseite klang das etwas anders:

Screenshot Bild.de - SPD-Minister Maas über Özil - Dieser Multi-Millionär hat nichts mit Integration zu tun

Auch hier wohlgemerkt: als Zitat gekennzeichnet!

Immerhin: In diesem Fall reagierte “Bild”-Chef Julian Reichelt auf Kritik und ließ die Zeile ändern:

Screenshot Bild.de - SPD-Minister Maas über Özil - Der Fall eines in England lebenden und arbeitenden Multimillionärs gibt keine Auskunft über die Integrationsfähigkeit in Deutschland

Mit Dank an @SandraKortig für den Hinweis!

Nachtrag, 30. Juli: Auf unsere Nachfrage, ob er und sein Team nicht auch im aktuellen Fall aktiv werden wollen, reagierte Julian Reichelt nicht. Aber: Seine Bild.de-Redaktion hat die Artikelüberschrift inzwischen geändert. Sie lautet nun:

Screenshot Bild.de - Heiko Maas im Bild-Interview über die Özil-Debatte - Es schadet uns, wenn Rassismus wieder salonfähig wird

Und auch auf der Startseite hat sie die Zeile angepasst.

“Bild” lässt Spanner durch unscharfes Fernrohr gucken

Um den Zustand der Dauererregung in “Bild” und bei Bild.de aufrechtzuerhalten, müssen die Redaktionen auch mal auf kleinere Aufreger und Skandale zurückgreifen. Was bei den kleinen Aufregern aber genauso gilt wie bei den großen: Die Mitarbeiter der “Bild”-Medien arbeiten ausgesprochen schlampig, lassen entscheidende Infos weg und biegen sich die Sache so, dass es zum Skandal/Skandälchen reicht.

Hier zum Beispiel:

Screenshot der Bild.de-Startseite - Das Böse Auge von Stuttgart - Neues Fernrohr zieht Spanner an

“DAS BÖSE AUGE” war gestern auch großes Thema in der Stuttgart-Ausgabe der “Bild”-Zeitung:

Ausriss Bild-Zeitung - Das Böse Auge von Sillenbuch

Die Stadt Stuttgart hat im Stadtbezirk Sillenbuch ein neues Fernrohr aufgestellt. Es steht an einem neu gestalteten Platz, der nach einem ehemaligen Ortsvorsteher, benannt ist. Der Mann war auch Winzer. Daher wollte das Stuttgarter Gartenamt durch das Fernrohr den Blick auf die umliegenden Weinberge ermöglichen.

Soweit die Idee. Laut “Bild”-Medien aber werde das Rohr von Spannern missbraucht. Denn der Johann-Heinrich-Strauß-Platz befindet sich in einem Wohngebiet. In einer Bildunterschrift schreiben “Bild” und Bild.de zum Beispiel:

Das neue Fernrohr steht mitten in einem Wohngebiet in Stuttgart-Sillenbuch, wo sich die Anwohner jetzt vor neugierigen Blicken fürchten

Im Artikel heißt es:

Aber was sucht dieses Teleskop mitten in einem Stuttgarter Wohngebiet? Das böse Auge von Sillenbuch — es zieht Spanner an!

Spanner, Angst und Furcht in Sillenbuch!

Der Haken: Rund ums Rohr gibt’s fast nur Wohngebäude zu sehen. Hinter Gardinen huschen die Menschen in Deckung, haben Angst vor den neugierigen Blicken aus dem Teleskop.

Die “Bild”-Medien haben sogar eine Anwohnerin gefunden, die erzählt:

“Ständig sehe ich Leute am Rohr, die in Richtung Häuser blicken. Meine Fenster sind zum Glück hinter Büschen.”

Das klingt ja alles so, als würden aktuell reichlich Spanner ihr Unwesen treiben und in die umliegenden Häuser glotzen können.

Wir haben bei der Stadt Stuttgart und beim Stuttgarter Gartenamt nachgefragt. Es kann durchaus sein, dass Leute an dem Fernrohr standen. Dass sie aktuell in die Häuser gucken können, sei hingegen ausgeschlossen. Und das auch schon seit gut eineinhalb Wochen. Die Linse sei seitdem nämlich durch Mitarbeiter der Stadt absichtlich unscharf gestellt worden. Man habe das Fernrohr Anfang September installiert, allerdings komplett verpackt, da es noch nicht verwendet werden sollte, solange es nicht so fixiert wurde, dass man ausschließlich auf die Weinberge schauen kann. Diese Verpackung sei unerlaubterweise von irgendjemandem entfernt worden — woraufhin das Gartenamt das Fernrohr unscharf gestellt habe. Gestern sei es dann komplett abgebaut worden. Nächste Woche sollen die Bauteile eintreffen, die für die Fixierung notwendig seien. Dann werde das Fernrohr wie geplant aufgebaut und fixiert werden.

“DAS BÖSE AUGE VON STUTTGART” ist also vor allem ein extrem blindes und inzwischen abmontiertes Auge, das sich für Spanner schon länger überhaupt nicht lohnt. Deutlich ergiebiger als ein Blick durch das Fernrohr in Sillenbuch wäre da schon ein Besuch bei Bild.de. So sah die Startseite gestern rund um die Fernrohr-Geschichte aus:

Screenshot Bild.de - Erneut die Schlagzeile Das Böse Auge von Stuttgart - Neues Fernrohr zieht Spanner an, daneben eine andere Geschichte: Strand-Striptease - Liz Hurley lüftet aus - dazu ein Foto von Liz Hurley in Bikini