Wochenschau (124)

Man muss Fynn Kliemann nicht kennen, aber man kann so viel von ihm lernen!

Exklusiv für Übonnenten

Ich gestehe: Ich kannte Fynn Kliemann nicht. Erst als das „ZDF Magazin Royale“ aufdeckte, dass er zweifelhafte Geschäfte mit Schutzmasken betrieben haben soll, habe ich Fynn kennengelernt. Zugegebenermaßen, kein wirklich guter erster Eindruck, der mich aber nicht davon abgehalten hat, mich mit seinem digitalen und künstlerischen Wirken auseinanderzusetzen. Ein reichweitenstarker Content Creator, der mit tollpatschigen DIY-Videos auf Youtube eine loyale Community aufgebaut hat, umtriebigerweise auch Musik und einen Kinofilm gemacht hat und mit Hilfe seines Images als gutmeinender, nahbarer Entrepreneur sowie künstlicher Verknappung ein erfolgreiches Geschäftsmodell aufgebaut hat.

Er ist, könnte man sagen, eine prominente Person einer Teilöffentlichkeit, und damit hat es durchaus einen Nachrichtenwert, wenn er verdächtigt wird, betrogen zu haben. Schon allein, um die Öffentlichkeit darüber aufzuklären und gegebenenfalls davor zu warnen, ihm beispielsweise weiterhin Geld zu spenden.

Dennoch kamen selbst Internet-affine Kommentator:innen nicht umhin, dem Fall mit einem betont desinteressierten „Muss man den kennen?“ oder einem augenrollenden „Influencer verascht Nutzer:innen, Breaking News!“ die publizistische Relevanz abzusprechen (und damit übrigens auch die Recherchearbeit der Redaktion des „ZDF Magazin Royale“ klein zu reden). Sichtbar wird hier eine Verwechselung des Gedankens „Ist nicht interessant für mich“ mit „ist nicht wichtig“, die immer dann geschieht, wenn ein Thema Teilöffentlichkeiten betrifft. Der Maßstab, welche Bedeutung man etwas beimisst, beginnt und endet bei der eigenen Timeline.

Die zur Schau gestellten Gelangweiltheit ob des Themas geht oft einher mit einer etwas bräsigen Abwertung von Youtube als Gegenstand der Berichterstattung und Influencer-Marketing als vitalem Zweig unserer Wirtschaft. Beides wird immer noch abgetan als U-Themen, die angeblich nur ein eher jüngeres, manipulierbares Social-Media-Publikum betreffen, aber ja wohl nicht die deutsche Öffentlichkeit. Dahinter steckt die Annahme, das dort nichts gesellschaftlich Substanzielles passiert, und es dementsprechend auch keiner journalistischen Abbildung bedarf, wenn dort doch etwas geschieht. Ähnliche Reaktionen konnte man beispielsweise beobachten, als Sascha Lobo den Fall des sogenannten „Drachenlords“ aufgearbeitet hat. Muss man den kennen?

Nun haben aber die Entwicklungen in jener Welt, nicht erst seit Rezo, Einfluss auf das Leben der Nutzer:innen. Im Falle eines Maskenbetrugs können sie sogar schwerwiegende Konsequenzen für Menschen haben, nicht nur ökonomische, auch gesundheitliche. Wird gegen eine politische Figur der Vorwurf eines solchen Betruges erhoben, wird zu recht berichtet, aber wenn es ein Youtuber ist, ist es nicht erwähnenswert und die investigative Recherche nicht ebenso wertvoll wie dringlich?

Fynn Kliemann trägt seine eigenen T-Shirts in seinem Online-Shop
Fynn Kliemann trägt Fynn-Kliemann-Shirts im Fynn-Kliemann-Shop Screenshot: Oderso.cool

Inniges ökonomisches Verhältnis

Über den Fall zu berichten, ist schon deshalb lohnenswert, weil sich an Fynn Kliemann sehr gut eine mediengesellschaftliche Entwicklung der vergangenen Jahre veranschaulichen lässt. Sein Geschäftsprinzip ist symptomatisch für Dynamiken der Social-Media-Selbstvermarktung und des Influencermarketing. Ich möchte daher jenseits der konkreten Vorwürfe gegen ihn fragen, warum das Verhältnis zwischen Content Creators und ihrem meist jungen Publikum anfällig ist für Missbrauch und Betrug.

Über die parasoziale Beziehung hatte ich hier schon geschrieben. Sie ist einer der Gründe, warum das ökonomische Verhältnis zwischen dem Produktanbieter, dem superfreundlichen Menschen aus dem Internet da, und dem Produktabnehmer so innig ist – und so anfällig für Ausnutzung. Aber Kliemann personifiziert noch weitere ökonomische und gesellschaftspolitische Entwicklungen von Influencerkultur, die dazu beitragen.

Es ist einerseits die Intransparenz, die aufgrund der inszenierten Übertransparenz – Zauberunwort „Authentizität“ – nicht auffällt und hingenommen wird. Es ist andererseits der Trend zum Philanthrokapitalismus. Der Begriff beschreibt Arten, Menschen mit Ressourcen und Wirken zu helfen, dabei aber gleichzeitig einen kapitalistischen, marktorient…

12 Kommentare

  1. Ich hatte schon mal was von ihm gehört, aber der Name wäre mir nicht geläufig gewesen.
    Fand die Recherchen trotzdem sehr interessant, weil die Diskrepanz zwischen Inszenierung und tatsächlicher Handlung so groß war, aber auch, weil die Schwächsten der Gesellschaft noch einmal getreten wurden.
    Tue gutes und rede darüber – finde ich OK, auch wenn viele Philanthrophen dieser Welt einfach Steuern zahlen sollten.
    Die fehlerhaften Masken zu verschenken war ja schon böse, sie dann aber auch noch zu verkaufen ein bemerkenswerter Abgrund an Gier und Menschenverachtung.

  2. Ich wage mal zu behaupten, dass der 2-Minuten Internetkommentar generell nicht die Absicht hat, der Recherchearbeit von Hanna Herbst’s Team die „publizistische Relevanz abzusprechen“, wenn er eine lakonische Bemerkung zur zweifelhaften Relevanz eines Finn Kliemann macht.
    So einem Internetkommentar geht ja meist nicht eine wochenlange Recherchearbeit voraus …
    Generell bekomme ich immer mehr den Eindruck, als Internetkommentator™ müsse man mindestens so viel Arbeit wie der Artikelersteller selbst investieren, damit man kommentieren „darf“ (im Sinne von ernst genommen werden, nicht im Sinne von Gänsselgaltscha-Rumgeheule).
    Das halte ich für grob falsch.
    Dass man als (Artikel-)Urheber keinen Bock hat, mit unqualifizierten Kommentatoren zu diskutieren, kann ich wiederum auch absolut nachvollziehen. Dafür kriegt man ja auch nicht mehr Geld vom Arbeitgeber.
    Etwas mehr Awareness über die Rolle der einzelnen Spieler wäre mein Wunsch.

  3. Eine ausgezeichnete und sehr scharfsinnige Analyse und Einordnung, danke dafür!
    Sie zeigt, dass viele Influencer:innnen die vermeintliche Authentizität und das grünsoziale Gewissen als Monetarisierungsquelle nutzen. So wird sogar aus dem teilweise kapitalismuskritischen Bedürfnis der Konsument:innen, eine „andere“, „grünere“, „nachhaltigere“ oder „soziale“ Wirtschaftsordnung zu fördern wiederum ein Wachstumsinstrument.
    Ich frage mich, inwiefern der Fall von Fynn Kliemann dazu beitragen könnte, diese Influencer-Praktik generell stärker zu hinterfragen. Ich glaube gerade deshalb ist er auch jenseits von Influencer-Bubbles so wichtig.

  4. Ich finde diese Muss-man-den-kennen?-Kommentare schon nervig. Du hast den Artikel geöffnet, vielleicht sogar was gelesen (optional) dann die Kommentarfunktion geöffnet, um dann zu schreiben „Interessiert mich doch nicht“. Okay. Cool. Dann lies halt was anderes?

    Gerade bei TV-Reviews müssen Leute unbedingt ihr komplettes Desinteresse in die Kommentare schreiben: „Also ich habe ja seit 28 Jahren keinen Fernseher mehr“, „Ach, RTL gibts noch?“, „Ich schaue eigentlich nur Dokus über die Große Wabenkröte auf Arte“ usw.

    Wie El Oussil schon schreibt: Für irgendwen ist es wichtig. Für manche ist es aber noch wichtiger zu schreiben, dass sie etwas nicht wichtig finden.

  5. Das ist jetzt nicht ganz im Thema, aber trotzdem:
    Könnte es sein, dass der Diskurs in Deutschland ziemlich zurückgehalten wird davon, dass der Begriff „Influencer“ in Deutschland für „macht irgendwas auf social media beruflich“ steht?
    Ich würde sagen, im englischsprachigen wäre ein Influencer eher klassisch das Instagram-Model (geschlechtsneutral) das bezahlt Makeup bewirbt oder der Muskelprotz der eine, keine Ahnung, Rohfleisch-Abo-Box verkauft oder so. Die Werbung für dritte ist quasi der content.
    Leute wie Kliemann würde ich dann eher als „content creator“ bezeichnen. Klar, da ist Werbung bei in Form von Sponsoren oder Eigenwerbung, aber die meisten schauen das doch eher für die unterhaltsamen Eskapaden beim Häuslebauen oder so (ich kenne Kliemann nur durch hörensagen, man merkt’s). Hier ist also das unterhaltsame Video der content, die Werbung läuft nebenher.

    Ich denke die Diskussion wäre produktiver wenn man da mehr Unterschiede macht.

  6. „Ich kultiviere beispielsweise mit viel Aufwand meine Ahnungslosigkeit in Bezug auf NFTs und Crypto – weiß aber zumindest, dass ich mit koketter Borniertheit jetzt in der Position von Kaiser Wilhelm II. bin, der zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts sagte: „Das Auto ist eine vorübergehende Erscheinung. Ich glaube an das Pferd.“ (Hat er übrigens anscheinend nicht gesagt.)“

    Keine Angst, da bist Du jetzt eher in der Position von Bill Gates, der einmal sagte „Dieses und jenes wird sich nicht durchsetzen.“ Was dieses und jenes war, weiß ich nicht, weil er halt recht hatte und es längst vergessen ist (es wird ja in der Regel auch nur das Beispiel zitiert, in dem der nicht recht hatte).

  7. Nun, in jedem Falle Vielen Dank für eine Aufklärung über Phänomene des Zeitgeschehens !

  8. Muss man ihn kennen?
    Nein, absolut nicht!

    Aber man sollte unbedingt darüber Bescheid wissen, dass es diese „Masche“ gibt. Denn diese Form der Werbung finde ich persönlich besonders perfide.
    Das andocken auf emotionaler Ebene als „Freund“ und in Kliemanns Fall noch obendrauf als „Weltverbesserer“. Der daraus resultierende Effekt: Jegliche Vorsicht wird über Bord geworfen denn der neue „Freund“ will mir doch bestimmt nichts schlechtes.
    Und die Zielgruppe ist ja eher jung und daher oftmals leichter zu beeinflussen.

    Es ist meiner Meinung nach einfach wichtig, über Personen Bescheid zu wissen die andere Menschen übers Ohr hauen. Und erst recht, wenn die Person sich als guter Mensch ausgibt.

  9. Eines Tages wird Jan Böhmermann aufdecken, dass Samira El Ouassil einen Ghostwriter hat und gar nicht so toll schreiben kann.

    Dann werde ich erschüttert sein.

  10. @Paddepat
    Also ich bin bereits soweit im Übermedien-Kaninchenbau, dass ich in dem Fall Jan Böhmermann kein einziges Wort mehr glauben würde.

Einen Kommentar schreiben

Mit dem Absenden stimmen Sie zu, dass Ihre Angaben gemäß unseren Datenschutzhinweisen gespeichert werden. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.