Österreichs Absturz, Qualitätssiegel, “GNTM” erfolgreicher denn je

1. Österreichs freie Presse in Gefahr
(taz.de, Ralf Leonhard)
In der neuen Pressefreiheits-Rangliste von “Reporter ohne Grenzen” stürzt Österreich von Platz 17 auf Platz 31 ab. Innerhalb der EU stünden nur Slowenien (54), Italien (58) und Ungarn (85) noch schlechter da. Ralf Leonhard fasst die Gründe für die unheilvolle Entwicklung in Österreich zusammen.

2. Die Wahrheit über das sensationelle “exklusive Foto” vom abgefangenen “Russen-Flieger”
(uebermedien.de, Frederik von Castell)
“Deutsche Eurofighter – bewaffnet mit Luft-Luft-Raketen – drängen einen Russen-Flieger ab. BILD liegt jetzt exklusiv ein Foto dieser Abfang-Aktion vor – aufgenommen aus einem der Eurofighter” krakeelte “Bild” im Netz und präsentierte stolz das dazugehörige Bild. Frederik von Castell ist der vermeintlichen Sensation für “Übermedien” nachgegangen.

3. “Unabhängige Berichterstattung steht nicht im Dienste einer Kriegspartei”
(fr.de, Katja Thorwarth)
“Machen die deutschen Medien derzeit bezüglich des Ukraine-Kriegs einen guten Job?” In der “Frankfurter Rundschau” spricht Katja Thorwarth mit dpa-Nachrichtenchef Froben Homburger über neutrale Kriegsberichterstattung, Framing und Propaganda in den Medien.

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4. “GNTM” ist erfolgreicher denn je – dank einer überlegten Strategie
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Heidi Klums Castingshow “Germany’s Next Topmodel” erfreut sich auch in der 17. Staffel großer Beliebtheit. Das liege auch daran, dass in der Unterhaltungsshow zusätzlich zur eh schon bestehenden Diversität Frauen um die 20 mit Frauen über 60 um den Titel konkurrieren, kommentiert Joachim Huber: “Die Werbebuchungen schauen sich gigantisch an, zuweilen ist es schwer, die Show zwischen den Spots zu finden. Bei ‘GNTM’ funktionieren die Aufmerksamkeits- wie die Eitelkeitsökonomie gleichermaßen. In der Perspektive professionellen, kommerziellen Fernsehens geht es kaum besser.”

5. Bundestagsabgeordnete fordern fraktionsübergreifend Assanges Freilassung
(spiegel.de)
Eine Gruppe von 37 Bundestagsabgeordneten von FDP, SPD, Grünen und der Linken fordert, die Auslieferung des WikiLeaks-Gründers Julian Assange von Großbritannien an die USA zu stoppen und hat sich mit einem offenen Brief an 24 Mitglieder des britischen Parlaments gewandt.

6. Ob Dr. Who oder Dr. Dre – Hauptsache Arzt!
(youtube.com, Walulis Story – SWR3, Video: 9:04 Minuten)
In der “Walulis Story” geht es aktuell um die angeblichen Qualitätssiegel für “Top-Mediziner” und andere Institutionen, die vom “Focus” vergeben werden – wobei man besser sagen müsste: verkauft werden.

Pressefreiheit in Deutschland, Fantasie-Abo der “RP”, Tod auf Raten

1. Pressefreiheit in Deutschland hat sich weiter verschlechtert
(zeit.de)
Laut der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit von “Reporter ohne Grenzen” hat sich die Lage in Deutschland (Rang 16 von 180) im Jahr 2021 um drei Plätze leicht verschlechtert (Vorjahr: Rang 13). Für diese Entwicklung seien drei Gründe zentral: “eine Gesetzgebung, die Journalistinnen und Journalisten sowie ihre Quellen gefährdet, abnehmende Medienvielfalt sowie allen voran Gewalt bei Demonstrationen”.

2. Rheinische Post erzwingt Einwilligungen mit Fantasie-Abo
(kuketz-blog.de, Mike Kuketz)
Der Sicherheitsforscher und Datenschützer Mike Kuketz hat analysiert, wie die “Rheinische Post” ihre Abo-Kunden per Werbetracking bespitzele und deren Daten ausbeute. Sein Fazit: “Das Traurige an der ganzen Sache ist, dass eine Regionalzeitung eigentlich eine besonders vertrauenswürdige Instanz im Leben der Menschen sein sollte. Was die Redaktion mit ihrer Arbeit an Vertrauen aufbaut, macht ein Verlag mit seiner kaputten und unfähigen Vermarktungsstrategie wieder zunichte.”

3. Kaum Berichterstattung über den Sahel-Einsatz der Bundeswehr
(deutschlandfunk.de, Nina Magoley & Mirjam Kid, Audio: 7:46 Minuten)
Der ausgewiesene Afrika-Experte Lutz Mükke ist unzufrieden mit der Berichterstattung deutscher Medien über den Einsatz der Bundeswehr in der Sahel-Region. Eine Gruppe aus Niger, Mali und Deutschland hat 41 Artikel rund um die Bundestagsabstimmung zum Sahel-Einsatz im Jahr 2021 analysiert. “Das ernüchternde Ergebnis: Keine Recherche vor Ort in Sahel, keine hintergründigen Reportagen oder investigative Recherchen. Die berichtenden Korrespondenten hätten meist tausende Kilometer von der Sahel-Zone entfernt gesessen.” Das grenze an Hochstapelei, so Mükke.

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4. “Ein Tod auf Raten”
(taz.de, Michael Sontheimer)
Im Interview mit der “taz” äußert sich der bekannte Investigativjournalist Günter Wallraff zum Fall des Wikileaks-Gründers Julian Assange, der in einem britischen Hochsicherheitsgefängnis einsitzt und dem die Auslieferung in die USA mit womöglich drastischen Folgen droht: “Hier soll ein Exempel statuiert werden: Wer öffentlich macht, was US-Regierung, US-Militär und ihre Geheimdienste an Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen für geheim erklärt haben, kann sich seines Lebens nicht mehr sicher sein.”

5. “Du darfst nicht lügen”
(journalist.de, Jan Freitag)
Steffen Hebestreit, ehemaliger Hauptstadtjournalist und Mitglied im Vorstand der Bundespressekonferenz, leitet als Regierungssprecher das 500 Personen starke Bundespresseamt. Der “Journalist” hat sich mit ihm über die besonderen Herausforderungen in seinem neuen Arbeitsgebiet unterhalten: “Wir befinden uns vom ersten Tag an im Krisenbewältigungsmodus”.

6. Aufklärung auf russisch
(tagesspiegel.de, Markus Ehrenberg)
In diesen Wochen gehöre der private Fernsehsender “OstWest” mit seinen Themen aus Europa und Deutschland weltweit zu den letzten unabhängigen russischsprachigen Kanälen, schreibt Markus Ehrenberg im “Tagesspiegel”. Er fragt sich, was der Sender erreichen kann: “Hat dieses Fernsehen eine Chance gegen Putins Narrative? Welche Wirkung erzielt es, hier und dort? Ist Aufklärung für die russischsprachige Community überhaupt möglich, in Deutschland und weltweit?”

Millionen-Klage gegen “Kress”, Mehr Demut, Lebenswerk auf Flohmarkt

1. Millionen-Klage gegen Kress
(kress.de, Markus Wiegand)
“Walterpeter Twer ist ein vermögender Zeitungsverleger, der auf Wildschweine schießt. Auch im Geschäftsleben treibt er gerne Widersacher vor sich her, die ihm in die Quere kommen”, schrieb Stefan Willeke in der “Zeit” (nur mit Abo lesbar), und wenn man von der Millionen-Klage Twers gegen den Mediendienst “Kress” liest, weiß man, was Willeke damit meint. “Kress”-Chefredakteur Markus Wiegand legt erstmals die Details des Konflikts offen, der 2018 mit einem kritischen Beitrag begann.

2. Die Publikumsräte, die es nicht geben dürfte
(arminwolf.at)
Der österreichische Rundfunk ORF hat neben dem mächtigen Stiftungsrat noch ein zweites Aufsichtsgremium, den aus 30 Personen bestehenden Publikumsrat. 17 davon kann Österreichs Medienministerin Susanne Raab nahezu freihändig auswählen. Die Auswahl der Ministerin wirft jedoch Fragen auf – auch juristische.

3. Verbraucherschützer dürfen gegen Facebook-Konzern klagen
(zeit.de)
Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass Verbraucherzentralen auch ohne direkten Auftrag gegen Internetkonzerne klagen dürfen. EU-Staaten könnten weiterhin ein Verbandsklagerecht vorsehen: “Ein Auftrag betroffener Nutzerinnen oder Nutzer sei hierfür nicht erforderlich. Es reiche aus, wenn die Rechte ‘identifizierbarer natürlicher Personen’ betroffen und nach Überzeugung des Verbands verletzt sind.”

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4. Mehr Demut in der Berichterstattung
(tagesspiegel.de, Mirjam Meinhardt)
Die Moderatorin Mirjam Meinhardt (“Mittagsmagazin” im ZDF) findet, dass Besserwisserei bei der Analyse des Ukrainekrieges gerade wenig hilfreich ist: “Ich bin bekennender Politik-Fan und schaue gerne Gesprächsrunden. Momentan aber finde ich es oft schwierig, wie viele selbst ernannte Putin-Expertinnen, Militärexperten, Politikerinnen und Journalisten immer schon ALLES vorher wussten. Keiner hat eine Glaskugel.”

5. Ableismus tötet
(ableismus.de)
#AbleismusTötet versteht sich als ein journalistisches Rechercheprojekt zu Gewalt an Menschen mit Behinderungen. Hinter der Initiative steckt ein großes, interdisziplinäres Team aus Haupt- und Ehrenamtlichen, das sich im Sommer 2021 konstituierte: “Mehr als die Hälfte des Kernteams sind Menschen mit Behinderungen und die Frauenquote liegt bei mehr als zwei Drittel.”

6. Für eine Handvoll Euro
(sueddeutsche.de, Willi Winkler)
Im Jahr 2009 bekam die Reporterin Nina Grunenberg den Theodor-Wolff-Preis für ihr Lebenswerk verliehen. 2017 verstarb die hochangesehene Journalistin, die Plakette gelangte auf den Trödelmarkt. Willi Winkler kommentiert: “Zehn Euro kostete der Preis auf dem Flohmarkt, zehn Euro für ein Lebenswerk. Vielleicht sollten wir Journalisten doch mehr für Geld schreiben.”

KW 17/22: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

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1. Joyce Ilg, Kawusi & Mockrigde – Was muss Satire?
(zdf.de, Sarah Bosetti, Video: 9:14 Minuten)
Die Komiker Joyce Ilg und Faisal Kawusi haben auf Instagram Witze über K.o.-Tropfen gemacht, und Sarah Bosetti erklärt, warum das nicht lustig ist: “Wenn die beiden öffentlich Vergewaltigungs- oder Morddrohungs-Witze machen, dann vermitteln sie dadurch sehr vielen Menschen, dass das OK ist, und sehr vielen Betroffenen sexualisierter Gewalt vermitteln sie, dass ihr Leid lustig ist. Darunter sind sehr viele junge Menschen, darunter sind traumatisierte Menschen. Und drum herum ist eine Gesellschaft, die noch immer viel zu dicke ist mit ihrer guten Freundin Rape Culture.”

2. Influencer – Warum wir uns von ihnen beeinflussen lassen
(planet-wissen.de, Andrea Grießmann, Video: 58:14 Minuten)
“Planet Wissen” beschäftigt sich in der aktuellen Ausgabe mit Influencerinnen und Influencern: Wie beeinflussen sie unser Leben? Und was bedeutet es für sie selbst, permanent “auf Sendung” sein zu müssen? Dabei kommt auch das fragwürdige Geschäftsmodell mit “Kinder-Influencern” zur Sprache.

3. Verlieren wir den Kampf gegen Hate Speech?
(youtube.com, Walulis Story, Video: 10:42 Minuten)
Seit Jahren gibt es die verschiedensten Bemühungen gegen Hate Speech, auch von Seiten des Gesetzgebers. Doch hat sich die Lage verbessert? Das Walulis-Team wirft einen kritisch-satirischen Blick auf die Entwicklung bei den Sozialen Medien.

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4. Rechtspopulismus & die Verantwortung der Medien – im Gespräch
(grimme-lab.de)
Georg Restle hat sich in getrennten, je etwa fünfzehnminütigen Gesprächen mit drei Abgeordneten des nordrhein-westfälischen Landtags über “Rechtspopulismus und die Verantwortung der Medien” unterhalten: mit Stefan Engstfeld, Sprecher für Rechtspolitik der Grünen Landtagsfraktion, mit Andrea Stullich, medienpolitische Sprecherin der CDU, und mit Alexander Vogt, medienpolitischer Sprecher der SPD. Ein viertes Interview führte Restle mit Martin Rabanus, dem Vorsitzenden des Deutschen Volkshochschul-Verbands.

5. turi2clubraum: Isabell Beer
(youtube.com, turi2tv, Annkathrin Weis & Markus Trantow, Audio: 42:34 Minuten)
Markus Trantow und Annkathrin Weis haben sich die Investigativjournalistin Isabell Beer in den Podcast eingeladen: “Ähnlich wie ihr Vorbild Günter Wallraff recherchiert sie undercover, aber nicht in Fabrikhallen, sondern im Netz”. Unter falschem Profil begegne Beer bei ihren Recherchen unter anderem Voyeuristen und bekennenden Vergewaltigern – “und ist auch schon bedroht worden.”

6. Konzertveranstalter wollte Naidoo-Comeback
(zdf.de, Nina Behlendorf & Salwa Houmsi & Milan Panek & Nicolas Wildschutz, Video: 31:29 Minuten)
Der Sänger Xavier Naidoo hat vor wenigen Tagen ein dreiminütiges Entschuldigungsvideo veröffentlicht, in dem er sich von seinem eigenen Verhalten distanziert: “Ich habe mich Theorien, Sichtweisen und teilweise auch Gruppierungen geöffnet, von denen ich mich ohne Wenn und Aber distanziere und lossage. Ich war von Verschwörungserzählungen geblendet und habe sie nicht genug hinterfragt.” Wie glaubhaft ist seine Stellungnahme, und meint er es wirklich ernst? Nach Betrachten der “ZDFzoom”-Reportage kann man daran durchaus Zweifel haben.

König der Trolle, Kleinmütiges Ablenken, Lebendiger Spieleberater

1. König der Trolle: Was der Twitter-Kauf von Elon Musk bedeutet
(freitag.de, Aditya Chakrabortty)
“Elon Musk ist der König der Trolle im Zeitalter der Troll-Politik. Es ist an der Zeit, ihn nicht mehr zu füttern”, lautet der Appell von Aditya Chakrabortty, dessen “Guardian”-Kolumne beim “Freitag” in deutscher Übersetzung vorliegt: “Das Wichtigste, was man über Musk wissen muss, ist, dass er ein Troll ist. Wie alle Trolle legt er es darauf an, zu kränken und aus der Fassung zu bringen, allein mit dem Ziel, die Aufmerksamkeit der Welt zu bekommen. Dabei ist Musk im Trollen nicht nur besser als jeder andere. Es ist auch Teil seines Geschäftsmodells und der Art und Weise, wie er mit der Welt umgeht. Das aber macht seinen Twitter-Erwerb so gefährlich.”

2. “Ist die Lage wirklich so dramatisch?”
(journalist.de, Jürgen Overkott)
“Ich habe gelernt: Mit Vereinsberichterstattung ist kein Blumentopf zu gewinnen. Aber ohne sie kann ich den ganzen Garten verlieren.” Im “Journalist” erzählt Jürgen Overkott, Redakteur bei der “Westfalenpost”, warum er seinen Job als Alleinredakteur im sauerländischen Balve gerne macht, und dass Storytelling auch im Lokalen möglich ist. Ein überaus angenehmes, da sehr persönlich und authentisch klingendes Plädoyer für den Lokaljournalismus.

3. #gutgemeint
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
In der “Süddeutschen Zeitung” forderte Leonhard Dobusch eine Art öffentlich-rechtliches Twitter (nur mit Abo lesbar). Dem entgegnet nun Joachim Huber im “Tagesspiegel”: “Twitter & Co. wollen ihre Nutzer nicht ändern, sondern von ihnen gewinnbringend profitieren, indem sie Emotionen pushen, Vorurteile eskalieren lassen. Ein anderes, ein öffentlich-rechtliches Twitter wäre von alldem purifiziert. Mir fehlen Überzeugung und Fantasie, einen Erfolg zu prognostizieren, wenn der Programmauftrag auch im Netz als Erziehungsauftrag missverstanden wird.”

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4. Kleinmütiges Ablenken von eigenen Fehlern
(verdi.de, Jasper Prigge)
Jasper Prigge kritisiert den Umgang der Polizei mit Medienschaffenden auf einer Demonstration am vergangenen Wochenende in Berlin: “Von einer Behörde ist zu erwarten, dass sie sich für die Pressefreiheit einsetzt. Mahnende Worte gegenüber der Versammlungsleitung, die Berichterstattung zu gewährleisten oder sich zu mäßigen, sind auf den im Internet kursierenden Videos nicht zu sehen. Es ist kleinmütig, die Verantwortung im Nachhinein auf das Gesetz zu schieben, statt sich kritisch mit den eigenen Fehlern auseinanderzusetzen.”

5. Viele Podcasts für Grimme Online Award nominiert
(faz.net)
Unter den 27 für den Grimme Online Award nominierten Online-Angebote sind gleich acht Podcasts. In der Kategorie “Information” dominieren sie gar das Feld: “Nominiert für die Preise wurden dort die Audio-Produktionen ‘Cui Bono: WTF happened to Ken Jebsen?’ (Studio Bummens, NDR, RBB, K2H), ‘Breitscheidplatz’ (RBB, SWR), ‘Narcoland – Das Meth-Kartell im Dreiländereck’ (Aachener Zeitung, Aachener Nachrichten) und ‘Slahi – 14 Jahre Guantánamo’ (NDR).”

6. Medien können Tod von Mino Raiola nicht abwarten
(uebermedien.de, Frederik von Castell)
Viele Medien meldeten gestern den Tod von Mino Raiola, einem prominenten Spielerberater im internationalen Fußballzirkus. Doch Raiola ist gar nicht tot und kommentiert auf Twitter sarkastisch: “Aktueller Gesundheitszustand für alle, die sich wundern: Ich bin angepisst, weil sie mich zum zweiten Mal innerhalb von 4 Monaten umgebracht haben. Anscheinend kann ich mich wiederbeleben.” Frederik von Castell hat sich die Ausbreitungswege der Falschmeldung angeschaut und zeigt, wie (schlecht) die betroffenen Redaktionen mit ihrem Fehler umgehen.

Ohrfeige für SLAPPs, Mehr Frauen in Topjobs, Krawallmoderator

1. EU-Kommission will gegen Einschüchterung von Medienschaffenden vorgehen
(deutschlandfunk.de, Pia Behme & Sebastian Wellendorf)
“SLAPP” ist die englische Abkürzung für strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung (Strategic Lawsuits Against Public Participation). Sie dienen dazu, Medienschaffende sowie Aktivistinnen und Aktivisiten einzuschüchtern und von ihrer Arbeit abzuhalten. Nun hat die EU-Kommission einen Gesetzentwurf vorgelegt, der missbräuchliche Verfahren verhindert: “Wir haben versprochen, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten besser gegen diejenigen zu verteidigen, die versuchen, sie zum Schweigen zu bringen”, so Věra Jourová, die Vizepräsidentin der Kommission.
Weiterer Lesetipp: Neues EU-Gesetz soll Journalist:innen schützen (netzpolitik.org, Alexander Fanta).

2. When in Doubt, Show Haut: Die sexistischen Bilder von OE24
(kobuk.at, Astrid Pozarek)
Astrid Pozarek hat sich für das Medienwatchblog “Kobuk” vier Monate lang jedes abgedruckte Foto der Boulevardzeitung “Österreich” angesehen. Es zeige sich, dass “Österreich” ein Problem mit sexistischen Bildern habe: “Symbolbilder von Frauen kommen in der Boulevardzeitung um ein Vielfaches öfter vor als von Männern – allerdings sind Frauen in diesen Bildern oft zum Objekt degradiert.”

3. Elon Musk muss Tweets über Tesla auch künftig absegnen lassen
(zeit.de)
Tech-Milliardär Elon Musk will den Kurznachrichtendienst Twitter übernehmen und zu einer “globalen Plattform für Redefreiheit” machen. Das ermöglicht ihm jedoch nicht jede Äußerung, wie ein New Yorker Gericht bestätigte. So muss sich Musk gemäß einer Vereinbarung mit der US-Börsenaufsicht SEC Tweets, die Einfluss auf Teslas Aktienkurs haben könnten, erst vom Unternehmen freigeben lassen. Für einen manipulierenden Tesla-Tweet war Musk von der SEC schon mit einer Strafe von 20 Millionen US-Dollar belegt worden.

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4. Mehr Frauen in Topjobs beim Rundfunk
(spiegel.de)
Die Initiative Pro Quote hat eine neue Studie zur Geschlechterverteilung in journalistischen Führungspositionen vorgelegt (PDF). Demnach können zwei Sender die Pro-Quote-Forderung von 50 Prozent Frauen in Führungspositionen erfüllen: der RBB und die Deutsche Welle. Bis auf den Hessischen Rundfunk und den Saarländischen Rundfunk hätten alle öffentlich-rechtlichen Sender einen “Frauenmachtanteil” von mindestens 40 Prozent erreicht.

5. Der Erklärer
(arminwolf.at)
Der österreichische Publizist und Moderator Paul Lendvai hat den renommierten Concordia-Preis für sein Lebenswerk erhalten. Armin Wolf hat die Laudatio auf Lendvai gehalten, der auch mit seinen 92 Jahren immer noch alle paar Wochen im österreichischen Fernsehen die Diskussionssendung “Europastudio” leitet.

6. Der Krawallmoderator ist zurück
(faz.net, Gina Thomas)
Großbritannien-Kennerin Gina Thomas erzählt von der Rückkehr des “Krawallmoderators” Piers Morgan ins britische Privatfernsehen. Medienmogul Rupert Murdoch habe Morgan bereits 1994 als Leiter eines Sensationsblatts installiert und nun für seinen Sender “TalkTV” zurückgeholt. Morgans selbsterklärte Mission sei es, die “Cancelkultur zu canceln, bevor sie unsere Kultur cancelt”. Da passt es ins Bild, dass er sich als prominenten Gesprächspartner für seine mediale Wiederauferstehung den US-amerikanischen Ex-Präsidenten Donald Trump ausgesucht hat.

Musk und die Folgen, Klimakrise, Clickbait mit Asteroiden

1. Elon Musk überschätzt Twitter – und unterschätzt dessen Nutzer
(spiegel.de, Patrick Beuth)
Beim “Spiegel” kommentiert Patrick Beuth das selbstbewusste bis breitbeinige Auftreten des wahrscheinlich neuen Twitter-Eigentümers Elon Musk: “Wer Twitter verändern will und dabei mit ‘ich’ anfängt, wird scheitern. Es war noch nie das Management, das Twitters Potenzial freigesetzt hat. Es waren immer die Nutzerinnen und Nutzer. Im Guten wie im Schlechten, im Brillanten wie im Bösartigen.”
Weitere Lesehinweise: Torsten Kleinz erklärt, ebenfalls beim “Spiegel”, wie die Twitter-Alternative Mastodon funktioniert, und Alexander Fanta führt bei netzpolitik.org aus, warum ein neues “Mega-Gesetz” der EU für Elon Musk zum Stolperstein werden könnte: Der EU droht die Kraftprobe mit Elon Musks Twitter.

2. “Kommt die Klimakrise nicht in der Tagesschau, kann es nicht so schlimm sein”
(tagesspiegel.de, Ruth Ciesinger)
Die Journalistin Sara Schurmann ist Mitbegründerin des Netzwerks Klimajournalismus Deutschland, das unlängst eine Klima-Charta veröffentlicht hat. Im Gespräch mit dem “Tagesspiegel” erklärt Schurmann, warum sie den Schritt für notwendig hält und wie guter Klimajournalismus aussieht.

3. Der Geschichtenerzähler
(journalist.de, Celine Schäfer)
“Kennt ihr das, euch fehl am Platz zu fühlen in einer Welt, in der alle klüger, gebildeter, besser und sowieso einfach krasser sind als ihr? Trotz Journalismus-Preisen und Job bei ‘Zeit Online’: Ganz aufgehört hat die Angst noch nicht.” Mit diesen Worten weist Manuel Stark bei Twitter auf einen Text im “journalist” hin, in dem er und seine Geschichte im Mittelpunkt stehen. Lesenswert, nicht nur für Menschen, die gelegentlich (oder fortwährend) unter dem Impostor-Syndrom leiden.

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4. Foto-Fail: Tamedia zahlt 8000 Euro für unerlaubte Bildveröffentlichung
(medienwoche.ch, Benjamin von Wyl)
Benjamin von Wyl berichtet von dem beschwerlichen Weg eines dänischen Fotografen, an das ihm zustehende Bildhonorar zu gelangen. Der Schweizer Medienkonzern Tamedia hatte Bilder des Fotografen ohne dessen Einverständnis veröffentlicht und lenkte erst ein, als der Fotograf nach unzähligen Versuchen der direkten Kontaktaufnahme den Vorgang publik machte.

5. Die beliebtesten Genres im Streaming
(blog.medientage.de, Petra Schwegler)
Das Berliner Unternehmen “JustWatch” ist eine internationale Film- und Seriendatenbank, die über die Online-Verfügbarkeit von Serien und Filmen Buch führt. Anhand der “JustWatch”-Daten reportiert Petra Schwegler die wichtigsten Erkenntnisse über die Sehgewohnheiten der letzten Zeit und fasst die Aussagen eines Experten-Talks zusammen.

6. “Riesiger Asteroid rast auf Erdumlaufbahn zu”
(scienceblogs.de/astrodicticum-simplex, Florian Freistetter)
Der Astronom und Wissenschaftsblogger Florian Freistetter ist über eine Schlagzeile des österreichischen Boulevardmedius “oe24” gestolpert, nach der ein “riesiger Asteroid” auf uns “zurase”. Freistetter kommentiert: “Korrekt wäre die Überschrift: ‘Typischer Asteroid fliegt mit typischer Geschwindigkeit durchs Weltall’. Aber damit kriegt man natürlich keine Clicks und kann keine Diskussionen in den sozialen Medien auslösen.”

Musk kauft Twitter, Bizeps statt Biontech, Frankreich

1. Elon Musk übernimmt Twitter
(spiegel.de)
Der Tech-Unternehmer und reichste Mann der Erde Elon Musk kauft den Kurznachrichtendienst Twitter für rund 44 Milliarden US-Dollar, dem Deal müssen jedoch formal noch die Aktionäre zustimmen. Musk wolle Twitter zu einer “globalen Plattform für Redefreiheit” machen.
Weiterer Lesehinweis: Das “Social Media Watchblog” ordnet den Vorgang in einer kostenlosen Ausgabe seines regelmäßig erscheinenden Briefings ein und fasst zusammen, warum Musks Pläne gefährlich sind (socialmediawatchblog.de, Simon Hurtz & Martin Fehrensen).

2. “Medien tragen große Verantwortung für diesen Wahlkampf”
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers & Mirjam Kid, Audio: 6:51 Minuten)
Bei den Stichwahlen in Frankreich hat Amtsinhaber Emmanuel Macron seine Konkurrentin Marine Le Pen geschlagen. Daran hätten auch die Medien einen Anteil, die sich am Tag vor der Wahl ausdrücklich für Macron ausgesprochen hatten. Dies sei nach Ansicht von Frankreich-Kenner Ulrich Wickert bemerkenswert, da Le Pen in den Monaten zuvor durch die Medien erst stark gemacht worden war. Die rechtsextreme Politikerin sei von konservativen Medien unterstützt worden, öffentlich-rechtliche Medien hätten den rassistischen Positionen wenig entgegengesetzt, kritisiert der Journalist Nils Minkmar.

3. Digital-Abos stabilisieren “BamS”, doch “Bild” tief im Minus
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Die harte Auflage der “Bild”-Zeitung ist weiter abgesackt. Der Springer-Verlag kann sich jedoch mit einer positiven Entwicklung bei der “Bild am Sonntag” trösten, deren verkaufte Auflage leicht um 1,2 Prozent auf 636.000 angestiegen sei. Uwe Mantel fasst bei “DWDL” die wichtigsten Auflagen-Entwicklungen auf dem Zeitungs- und Magazin-Markt zusammen.

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4. Ferngespräche: Portugal
(ardaudiothek.de, Holger Klein, Audio: 47:35 Minuten)
“Das radioeins Korrespondenteninterview mit Holger Klein” führt dieses Mal nach Madrid. Von dort aus berichtet Auslandskorrespondentin Franka Welz neuerdings über Spanien, Andorra, Gibraltar und über das Land der aktuellen Interviewausgabe: Portugal. Wie immer bei den “Ferngesprächen” erfährt man dabei viel über Land und Leute, aber auch viel über die persönlichen Lebens- und Arbeitsumstände der jeweiligen Person.

5. Im Namen der Ruhe
(sueddeutsche.de, Christoph Gurk)
Nach Ansicht von Lateinamerika-Korrespondent Christoph Gurk hat El Salvadors Präsident Nayib Bukele bei dessen Kampf gegen Bandenkriminalität einen neuen Feind gefunden: Journalistinnen und Journalisten. Wer kritisch berichtet, dem drohe nun Haft: “Im Rahmen des Ausnahmezustands verschärfte das Parlament Anfang April das Strafgesetzbuch: Zehn bis 15 Jahre Haft drohen nun jedem, der Nachrichten von Banden weiterverbreitet, welche zu ‘Aufregung und Panik’ führen könnten. Offiziell will man damit die Gangs davon abhalten, die Bevölkerung einzuschüchtern. Inoffiziell aber, befürchten Beobachter und Berichterstatter, könnte die Gesetzesänderung vor allem dazu dienen, unbequeme Reporter mundtot zu machen.”

6. Bizeps statt Biontech
(jungle.world, Valentin Goldbach und Ralf Fischer)
In der “jungle.world” geht es um den lautstarken Widerstand einiger Deutschrapper gegen die Corona-Impfung: “Die größte Angst dieser Personen ist der Verlust eines Gefühls männlicher Souveränität und Wehrhaftigkeit. Wird dieses im kapitalistischen Normalvollzug durch die Abhängigkeit der individuellen Bedürfnisbefriedigung vom Warentausch ohnehin schon erschüttert, so hat es sich in der Pandemie zu dem Wahn gesteigert, den eigenen Körper mittels Impfverweigerung vor einer Schwächung zu schützen.”

Vergessene News, Europas Augen und Ohren, Flugzeugabsturz für Klicks?

1. Wir sind Europas Augen und Ohren
(taz.de, Katerina Sergatskova)
Die ukrainische Journalistin Katerina Sergatskova macht darauf aufmerksam, wie unterschiedlich die Arbeitsbedingungen für einheimische und ausländische Medienschaffende in der Ukraine seien. Nach der Invasion Russlands hätten sich lokale Journalistinnen und Journalisten in einer noch prekäreren Lage als sowieso schon befunden: “Schutzwesten und Helme besaßen die wenigsten, es fehlte an Erfahrung mit Sicherheitstrainings oder an grundlegenden Dingen wie einer Krankenversicherung. Mehr als 70 Medienhäuser mussten bereits aufgrund der militärischen Aus­einandersetzungen mit Russland oder aus wirtschaftlichen Gründen schließen.” Sergatskova wünscht sich mehr Sichtbarkeit für die ukrainische Perspektive, was konkret bedeute, mehr ukrainischen Berichterstattern und Berichterstatterinnen zuzuhören.

2. Samstags frei
(sueddeutsche.de, Lisa Oppermann)
Die Corona-Pandemie hat die gesamte Medienbranche getroffen, besonders schwer erwischt habe es jedoch die freiberuflichen Sport- und Kulturreporter, schreibt Lisa Oppermann. Sie hat sich bei Betroffenen umgehört, die sich mehr schlecht als recht durch die schweren Zeiten schlagen und teilweise auf Nebenjobs angewiesen sind.

3. Blick auf die Top Ten der vergessenen News
(verdi.de)
Alljährlich veröffentlicht die Initiative Nachrichtenaufklärung die “Top Ten der Vergessenen Nachrichten”. Dabei handele es sich um “Sachverhalte, die für die deutsche Öffentlichkeit relevant sind, über die aber bislang in Presse, Funk, Fernsehen und Internet kaum Debatten geführt werden”. Der Blick auf die aktuelle Themenliste lohnt – auch für alle außerhalb der Medienbranche.

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4. “Ich kann den sogenannten Juden nichts mehr glauben”
(tagesspiegel.de, Sebastian Leber)
Xavier Naidoo bittet um Entschuldigung. Aber wofür eigentlich? Und ist er jetzt rehabilitiert? Sebastian Leber ordnet Naidoos Entschuldigungsvideo ein und setzt es in Zusammenhang mit dessen zahlreichen Tabubrüchen und sonstigen Abscheulichkeiten.

5. Newsletter Netzwerk Recherche, Nr. 208, 22.04.2022
(netzwerkrecherche.org, Frederik Richter & Albrecht Ude)
Wie immer eine Empfehlung wert, nicht nur für Journalistinnen und Journalisten aus dem Investigativbereich: der Newsletter des Netzwerk Recherche (nr). Die neueste Ausgabe liefert einen aktuellen Überblick über Nachrichten, Veranstaltungen, Seminare, Stipendien und Preise. Außerdem gibt es Informationen zur alljährlichen nr-Jahreskonferenz, die am 30. September und 1. Oktober dieses Jahres in Hamburg stattfindet. Im Pressespiegel gibt es zudem wertvolle Lesetipps zu ausgesuchten Themen.

6. US-Behörde wirft YouTuber absichtlichen Flugzeugabsturz vor
(spiegel.de)
Im Januar wiesen wir in den “6 vor 9” bereits auf einen bemerkenswerten Fall hin: Seinerzeit deutete vieles darauf hin, dass ein Youtuber aus den USA Ende November 2021 absichtlich einen Flugzeugabsturz herbeigeführt hatte, den er für ein spektakuläres Video wie einen Unfall aussehen lassen wollte (US-Behörden ermitteln nach Flugzeugabsturz von YouTuber, spiegel.de, Jörg Breithut). Nun hat die US-amerikanische Luftfahrtbehörde dem Youtuber offenbar mit sofortiger Wirkung seine Privatpilotenlizenz entzogen.

KW 16/22: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

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1. Wie geht investigativer Journalismus? – mit Daniel Drepper
(omrmedia.podigee.io, Pia Frey, Audio: 45:34 Minuten)
Der Investigativjournalist Daniel Drepper ist seit April 2022 stellvertretender Leiter der Recherchekooperation von NDR, WDR und “Süddeutscher Zeitung” und zu Gast im “OMR”-Media-Podcast. Dort geht es um die Frage, “wann Journalismus ‘investigativ’ ist, was eine gute Recherche kostet, welche Strahlkraft Veröffentlichungen wie die ‘Panama Papers’ für die recherchierenden Journalist:innen haben und wie man für gute Arbeitsbedingungen in diesem intensiven Umfeld sorgen kann.”

2. Frankreichs Medien und der Aufstieg der Rechtsextremen
(sueddeutsche.de, Nadia Zaboura & Nils Minkmar, Audio: 34:52 Minuten)
Nadia Zaboura und Nils Minkmar sprechen über den Einfluss französischer Medien auf die Politik sowie über deren Mitverantwortung für das Erstarken der extrem Rechten im Land.

3. Mit Deep Throat in der Tiefgarage
(deutschlandfunk.de, Annika Schneider & Stefan Fries, Audio: 47:42 Minuten)
Eine unterhaltsame “Mediasres”-Sonderausgabe über die Darstellung von Journalistinnen und Journalisten im Film: “Sie sehen überdurchschnittlich gut aus, werden für ihre Recherchen fürstlich entlohnt und brechen auch schon mal das Gesetz, um an Informationen zu kommen: So werden Journalistinnen und Journalisten in Filmen und Serien gerne dargestellt. Sechs ‘echte’ Kolleginnen und Kollegen haben sich sechs Filme angesehen und erzählen, was sie aufregt und zum Lachen bringt.”

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4. Taiwancast Folge 23: China-Korrespondent Fabian Kretschmer
(intaiwan.net, Klaus Bardenhagen, Audio: 1:03:15 Stunden)
Beim “Taiwancast” ist Fabian Kretschmer zu Gast, der seit 2019 als China-Korrespondent in Peking arbeitet. Wie blickt jemand auf Taiwan, der es vor allem aus der Perspektive Chinas erlebt? Wie reden Chinesen über Taiwan? Und was würde er tun, falls er bei den Behörden in Ungnade fallen sollte?

5. Ab ins Ausland?
(hinterdenzeilen.de, Tobias Hausdorf & Niklas Münch, Audio: 1:13:36 Stunden)
Bei “Hinter den Zeilen” sind gleich drei spannende Personen zu hören, die aus dem Ausland berichten: Julian Hilgers hospitiert momentan in Nairobi beim ZDF. Giorgia Grimaldi ist freie Korrespondentin in Marseille. Und Denis Trubetskoy berichtet aus der Ukraine.

6. Übergewicht durch Influencer-Werbung?
(ardmediathek.de, Felix Edeha, Video: 15:35 Minuten)
Viele Influencer und Influencerinnen werben auf ihren Kanälen für Süßigkeiten, Softdrinks und Fast Food und erreichen damit vor allem Kinder und Jugendliche. Felix Edeha ist der bedenklichen Entwicklung nachgegangen und hat Experten und Betroffene dazu befragt.

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BILDblog-Klassiker

Journalismus? Am Arsch

Falls Sie sich die Zeit bis zum WM-Anpfiff noch damit vertreiben wollen, Ihren Mitmenschen mit belanglosem Fußballhalbwissen auf den Keks zu gehen, bietet die “Bild”-Zeitung von heute eine hervorragende Grundlage.

“Auf dieser Seite werden Sie garantiert klüger”, vespricht das Blatt und kann neben jenen Fakten, die von “Bild”-Lesern vermutlich eher mit Enttäuschung zur Kenntnis genommen werden (Fakt 40: “Busenblitzer sind im Stadion nicht gerne gesehen”), vor allem mit Kuriösitäten aufwarten, zum Beispiel:

Andere deutsche Journalisten haben diese “Namenspanne” auch schon entdeckt, und weil sie sie nicht nur “kurios” finden, sondern auch “peinlich” und “dumm”, können sie gar nicht mehr aufhören, sich in selbstgefälligen Hihi- und Höhö-Passagen darüber auszulassen:

Uncool ist aber die Tatsache, dass Fuleco in der brasilianischen Umgangssprache Arsch bedeutet. Daran hat die FIFA bei der Namensgebung nicht gedacht. Ganz schön blöd.

(Kurier.at)

Dumm nur, dass „Fuleco“ in der Umgangssprache „Arsch“ heißt.

(Express.de)

Was bei der Namenswahl allerdings nicht bedacht wurde, ist die Tatsache, dass „Fuleco“ in der brasilianischen Umgangssprache „Arsch“ bedeutet.

(Orf.at)

In Brasilien klingt Fuleco umgangssprachlich allerdings ähnlich wie „Anus“ und wird angewendet wie das deutsche „Arsch“.

(Donaukurier.de)

Vielmehr sorgte die Tatsache für bleibende Schlagzeilen, dass Fuleco in Brasilien umgangssprachlich nichts anderes bedeutet als – man mag es kaum aussprechen – Arsch.

(Mainpost.de)

“Fuleco” gibt es als brasilianisches Slangwort längst, nachzulesen auch in Wörterbüchern, wenn man danach sucht, was man als Biologe natürlich nicht tut – es heißt jedenfalls: Anus oder, ja, genau, schlicht und einfach Arsch.

(“Darmstädter Echo”)

In Brasilien klingt Fuleco umgangssprachlich allerdings ähnlich wie “Anus” und wird angewendet wie das deutsche “Arsch”.

(“Neue Westfälische”)

Das erste Eigentor ist schon gefallen, da ist die Weltmeisterschaft in Brasilien noch gar nicht angepfiffen: Denn Anstoß nimmt die Fußballwelt am offiziellen Maskottchen des Turniers, dem eigentlich recht putzigen Gürteltierchen Fuleco. Dessen Name – dieses leicht holprige Zusammenspiel der portugiesischen Vokabeln “futebol” und “ecologica”, ein Kopfball der Kreativen, der mit Wucht auf die tolle Umweltverträglichkeit der WM abzielen soll – ist ja gut gemeint. Aber schlecht gemacht.

Denn leider haben die Kreativen während ihres monatelangen Brain-storming-Exzesses in diversen Arbeitsgruppen eine klitzekleine Kleinigkeit übersehen: Fuleco heißt “Arsch”. Im Slang der Jugend. Man kann also durchaus sagen, dass dieser erste Auftritt des Gastgeberlandes nach hinten losgegangen ist.

(Abendblatt.de)

Doch leider haben die Journalisten während ihres monatelangen Wir-befüllen-unsere-Seiten-mit-irgendeinem-WM-Quark-Exzesses eine klitzekleine Kleinigkeit übersehen: “Fuleco” heißt nicht Arsch.

Wenn Sie also “noch einen interessanten Fakt zum Angeben beim Eröffnungsspiel brauchen” (Bild.de) — nehmen Sie doch den.

Mit Dank auch an Holger A.

Die 19 Jahre alte Hetzvorlage



Das haben Sie vielleicht mitbekommen, es war ja überall zu lesen; bei „Focus Online“, stern.de, web.de, news.de, berliner-kurier.de, welt.de, rtl.de, heute.at und vielen anderen.

Gestreut wurde die Story hierzulande von der Nachrichtenagentur AFP, die sie im Portal “Emirates 24/7” gefunden hatte.

Eine junge Frau ist laut Medienberichten in Dubai ertrunken, weil ihr Vater die Rettungsschwimmer zurückhielt, damit diese nicht seine Tochter anfassen und so ihre Ehre “beschmutzen”. Der asiatische Mann, dessen Identität nicht bekanntgegeben wurde, wurde von der Polizei festgenommen, wie das Internet-Nachrichtenportal Emirates 24/7 am Montag berichtete.

Wann das Ganze passiert sein soll, schreiben weder AFP noch die deutschen Medien, und wenn sie sich (wie etwa der “Guardian”) die Mühe gemacht hätten, den Zeitpunkt des Vorfalls zu recherchieren, hätten sie die Geschichte wohl gar nicht erst angepackt. Denn die Sache liegt nicht bloß ein paar Tage zurück — sondern 19 Jahre.

Das hat die Polizei in Dubai am Mittwoch bestätigt:

Unter dem “Emirates 24/7”-Artikel, den die AFP abgeschrieben hatte, steht inzwischen:

The incident happened many years ago.

Auch die AFP stellte am Mittwoch klar:

Polizei von Dubai: Fall von Ertrinkenlassen der Tochter ist alt

“Das ist eine alte Geschichte”, teilte am Mittwoch die Polizei des Emirats über den Kurznachrichtendienst Twitter auf Anfrage mit. Das Internet-Portal Emirates 24/7 hatte am Montag über den Fall berichtet. Die Meldung wurde von verschiedenen Medien aufgegriffen, auch von AFP. In den sozialen Netzwerken sorgte der Fall für scharfe Kritik.

„Scharfe Kritik“.

Wie hier auf “buzz.at”:

Oder auf „Focus Online“:


Wobei das mit dem “umfassend” ja auch im Internet so eine Sache ist. Bisher hat es nur eine Handvoll Medien geschafft, die Sache klarzustellen. Krone.at, Blick.ch und n24.de haben ihre Artikel ganz gelöscht.

Alle anderen, darunter stern.de, “Focus Online” und der “Berliner Kurier”, haben gar nichts geändert und sorgen damit weiterhin für “scharfe Kritik” von besorgten Bürgern. Dabei könnten gerade die ein bisschen Aufklärung doch wirklich gut gebrauchen.

Mit Dank an Eva R.!

Nachtrag, 17. August: stern.de und berliner-kurier.de weisen jetzt darauf hin, dass der Vorfall lange her ist. “Focus Online” und web.de haben ihre Artikel gelöscht.

Kriegspropaganda, Buchblogs, Pokémon Leave

1. Nach Tony Blair auch die Medien hinterfragen
(infosperber.ch, Urs P. Gasche)
Der Schweizer Journalist Urs P. Gasche geht mit dem Westen und den westlichen Medien ins Gericht. Blair und Bush hätten mit Lügen den Krieg gegen Irak entfacht und auch Schweizer Medien hätten die US-Propaganda als Tatsachen verbreitet. “In Konfliktsituationen versuchen alle Parteien, die Öffentlichkeit mit einseitigen, irreführenden und sogar gefälschten Informationen zu manipulieren. Die USA und ihre Verbündeten sind darin keinen Deut besser als etwa das Regime Baschar al-Assads oder Putins Russland.” Erhebliche Skepsis sei angebracht, so Gasche in seinem ausführlichen, mit Beispielen gespickten Artikel. Eine Skepsis, die sich im letzten Satz des Beitrags widerspiegelt: “Welche Medien haben aus der Vergangenheit gelernt?”

2. Interviewarten: Gut zu wissen, bevor man fragt
(abzv.de, Mario Müller-Dofel)
Weil manchen, vor allem jungen Journalisten die Unterschiede zwischen den Interviewarten nicht klar seien, hat Mario Müller-Dofel eine Übersicht zusammengestellt, die auch nach sachlicher und emotionaler Kommunikation der wichtigsten Arten unterscheidet. Denn ehe Interviewer sich ihre Interviewziele klarmachen, solle ihnen klar sein, welche Interviewart zum Thema und Gesprächspartner passe. Müller-Dofel macht den angehenden Journalisten zum Schluss Mut: “Augenhöhe hat nichts mit dem Alter, sondern mit Akzeptanz beim Gesprächspartner zu tun. Die können sich junge Journalisten durch eine vorausschauende, professionelle Kommunikation erarbeiten.”

3. Charta für mehr Qualität
(horizont.net, Ulrike Simon)
Auf der Jahreskonferenz des Netzwerks Recherche am vergangenen Wochenende in Hamburg haben mehrere Journalistenschulen eine gemeinsame Charta vorgestellt, mit der sie sich erstmals freiwillig auf einige Mindeststandards verpflichten. Ulrike Simon fasst in einem Kurzbeitrag die begleitende Diskussion zusammen.

4. Was lesen Buchblogger: Eine neue Analyse mit Visualisierungen und Statistiken
(lesestunden.de, Tobias Zeising)
Buchblogger Tobias Zeising hat die Rezensionsschwerpunkte von 500 Literatur- und Schmöker-Blogs ausgewertet. Als Grundlage dienten ihm von “Lovelybooks” und “Goodreads” abgeleitete Daten. Rund 65.000 Bücher flossen in die Auswertung ein. Bei den Genres lagen auf den ersten drei Plätzen Jugendbuch, Roman und Fantasy, gefolgt von Krimis und Thrillern. Zeising hat aber noch unzählige weitere interessante Dinge aus den Daten abgeleitet wie die Geschlechterverteilung, eine Hitliste der zehn von Buchbloggern meistgelesenen Büchern und viele weitere Detailfakten.

5. Was fließt hier eigentlich?
(meta-magazin.org, Axel Bojanowski)
“Spiegel Online”-Wissenschaftsredakteur Axel Bojanowski hat vor einiger Zeit einen Leserbrief erhalten, in dem es im weitesten Sinne darum ging, welche Formulierungen zur Beschreibung von wissenschaftlichen Sachverhalten angemessen sind und ob die Verwendung unscharfer Metaphern erlaubt sei. Bojanowski hat den Leserbrief ausführlich beantwortet und unter anderem festgestellt: “Ich glaube, man muss unterscheiden, ob man Wissenschaft erzählen oder darstellen will. Bei der exakten Darstellung können Metaphern hinderlich, ja destruktiv sein. Beim Erzählen müssen jedoch die Regeln guter Geschichten gelten, also Poesie, Spannung, Sprache, Assoziationen aus der Welt des Lesers, Verknüpfungen mit der Alltagswelt. Ansonsten scheitert das Erzählen, es wäre vergeblich.”

6. Datenschutzerklärung von „Pokémon Go“: Großzügige Erlaubnis zur Datenweitergabe an staatliche Stellen
(netzpolitik.org, Ingo Dachwitz)
Obwohl Nintendos Handy-Spiel “Pokémon Go” in Europa noch nicht offiziell in den App-Stores verfügbar ist, gibt es im Netz bereits unzählige Berichte und Screenshots des gefeierten Augmented-Reality-Games. “Netzpolitik.org” gibt zu bedenken, dass sich die Betreiber weitreichende Rechte zur Datenübertragung einräumen lassen. Auch Heise-Security-Autor weist in seinem Beitrag Pokémon Go greift sich alle Google-Rechte darauf hin, dass die App alle Mails lesen, auf Daten im Google Drive zugreifen und selbst Mails im Namen des Nutzers verschicken kann.

Lob im Tarnanzug

Seit Anfang des Monats läuft die Youtube-Serie “Die Rekruten”, mit der die Bundeswehr versucht, junge Leute für sich und die Grundausbildung zu begeistern. Und das scheint ganz gut zu klappen — jedenfalls hat der zugehörige Kanal inzwischen mehr als 200.000 Abonnenten, einzelne Videos wurden bereits hunderttausendfach angeschaut. Ob sich die Youtube-Nutzer alle direkt bei der Bundeswehr bewerben, ist freilich eine andere Sache.

Und auch von Seiten der Medien gibt es positive Rückmeldungen. Also, von zwei Medien zumindest. Die hat die Bundeswehr jedenfalls auf ihre “Rekruten”-Webseite gestellt:

“Bild am Sonntag” — geschenkt.
Aber die “ARD”?

Es gibt dieses Zitat (“Geheimnis, Spannung, Abenteuer”) tatsächlich. Der Text, in dem man es nach kurzer Suche findet, ist im Blog des “ARD”-Hauptstadtstudios erschienen:

Interessanter als die drei Schlagworte, die die Bundeswehr als Lobpreisung daraus übernommen hat, ist allerdings das, was danach kommt:

Geheimnis, Spannung, Abenteuer — das ist der Sound der neuen Reality-Doku “Die Rekruten”. Wie der Vorspann einer angesagten amerikanischen Serie. Dabei geht es um etwas, was eigentlich so spannend gar nicht klingt: die Grundausbildung bei der Bundeswehr.

Und etwas weiter hinten im Beitrag heißt es:

Betten machen, früh aufstehen, Ausrüstung schleppen — natürlich wirkt das angesichts der knalligen Aufarbeitung in den Filmchen deutlich spannender als es in Wahrheit ist.

Und noch mal etwas weiter hinten:

Die Bundeswehr hat sich diese Reality-Doku übrigens einiges kosten lassen, nämlich 1,7 Millionen Euro. Dafür gab es schon Kritik.

Von all dem ist auf der Seite der Bundeswehr nichts zu lesen. Sie reißt ein paar Schlagworte aus dem Zusammenhang, wirft so den Tarnanzug über einen durchaus kritischen Beitrag des “ARD”-Hauptstadtstudio-Blogs und schmückt sich mit dem Endprodukt.

Mit Dank an Ole für den Hinweis!

ZDF  

“ZDF” erklärt AfD-Anhänger zu Abschiebegegnern

In den vergangenen Tagen muss es dramatische Umwälzungen bei den Anhängern der politischen Parteien hier in Deutschland gegeben haben. Und fast kein Medium hat es gemerkt. Einzig das “ZDF” hat ordentlich aufgepasst und die neue politische Landschaft publik gemacht.

Im “Politbarometer” von heute zeigt der Sender unter anderem, welcher Anteil der jeweiligen Parteianhänger für beziehungsweise gegen die “vermehrte Abschiebung abgelehnter Asylbewerber auch in unsichere Länder” ist. Es geht dabei zum Beispiel um die aktuelle Abschiebung von Afghanen. Die große Überraschung: Die Anhänger der Grünen sollen neuerdings die stärksten Abschiebeunterstützer sein. Dahinter gleichauf die Anhänger der SPD und die der Linken. AfD-Anhänger sollen hingegen die stärksten Abschiebegegner sein:

Diese Werte hätten wir bei diesem Thema nun nicht unbedingt erwartet. In der zum “Politbarometer” stets veröffentlichten Pressemitteilung schreibt das “ZDF”:

Aktuell wird darüber gestritten, ob abgelehnte Asylbewerber unter anderem nach Afghanistan abgeschoben werden sollen. Eine knappe Mehrheit von 49 Prozent ist dagegen, dass ausreisepflichtige Asylbewerber vermehrt auch in ihre Heimatländer abgeschoben werden, wenn es umstritten ist, dass sie dort sicher sind, 44 Prozent sprechen sich dafür aus. Eine so verschärfte Abschiebepraxis wird von Mehrheiten der SPD-, Linken- und Grünen-Anhänger abgelehnt, die Anhänger der CDU/CSU und der FDP sind eher geteilter Auffassung und nur die der AfD sprechen sich mit deutlicher Mehrheit dafür aus.

Dass Text und Grafik nicht so recht zusammenpassen, hat im Laufe des Tages wohl auch jemand beim “ZDF” gemerkt. Einmal kurz das “gut” durch ein “nein” ersetzt — und schon befinden sich alle Anhänger der politischen Parteien wieder auf ihren angestammten Positionen:

Mit Dank an @Montanis für den Hinweis!

6-vor-9-Spezial: G20-Gipfel in Hamburg

1. BKA entzieht Journalisten G20-Zulassung – Presseverbände verlangen Klärung
(stern.de, Petra Gasslitter)
Während des G20-Gipfels entzogen Beamte des Bundeskriminalamtes mehreren Journalisten die Akkreditierung. Und zwar ohne Begründung und wiederholt. Beim Mediensekretär der Gewerkschaft Verdi hätten sich verschiedene Journalisten gemeldet, denen man die Akkreditierung abgenommen hätte. Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes, Frank Überall, hat sich beim BKA beschwert. Dort heißt es in einer Stellungnahme: “Im Rahmen der Akkreditierung für den G20-Gipfel wird eine Sicherheitsprüfung durchgeführt.” Und weiter: “Das Bundespresseamt entscheidet gemeinsam mit den Sicherheitsbehörden über einen möglichen Entzug der Akkreditierung. Das war in einigen Fällen gegeben.”
Auch der ARD-“Faktenfinder” berichtet über die Vorfälle: Keine Auskunft zum Ausschluss von Journalisten

2. Die Presse ist beim G20-Gipfel in Hamburg nicht mehr sicher
(huffingtonpost.de, Flo Smith)
Der Fotojournalist Flo Smith hat nach eigenen Angaben bereits an zahlreichen Brennpunkten der Welt als Reporter gearbeitet, unter anderem drei Jahre im Irak und in der Türkei bei den Gezi-Protesten. Und doch empfand er seine bisherigen Einsätze als “Ponyhof” im Vergleich zu dem, was er in Hamburg erlebt hätte: Ihm und seinem Kameramann sei von einer Polizistin mit voller Absicht und dem Kommentar “”Fuck the press, fuck, fuck!” Pfefferspray ins Gesicht gesprüht worden.

3. Kampf gegen “Online-Hetzjagd”
(faktenfinder.tagesschau.de, Wolfgang Wichmann)
Im Zuge der Auseinandersetzungen um den G20-Gipfel kam es in den sozialen Medien mehrfach zu Falschmeldungen und Gerüchten. In Hamburg wurden zum G20-Gipfel beispielsweise keine Panzer eingesetzt, es gab keinen Angriff auf ein Krankenhaus, die “Rote Flora” wurde nicht gestürmt und Tote gab es bei den Krawallen auch nicht. Doch derartige Falschmeldungen wieder einzufangen ist nicht einfach. Die Hamburger Polizei habe es durch Richtigstellungen auf Twitter versucht, während die “Deutsche Polizei-Gewerkschaft” (DPolG) und “Bild” dafür gesorgt hätten, dass sich die Falschmeldungen munter weiter verbreiten.

4. Journalisten in Demos – wie funktioniert das?
(ennolenze.de)
Enno Lenze erzählt von seinen persönlichen Erfahrungen als Journalist auf politischen Demonstrationen, ob links oder rechts. Von der Polizei sei er fast immer ordentlich behandelt worden und sogar mehrfach am Rande von Demos eskortiert worden, wenn er aus der Menge bedroht wurde. Sein Fazit: “Insofern bin ich mit dem System zufrieden – es müssen aber alle Beteiligten ihre jeweiligen und wenigen Kriminellen outen und der Strafverfolgung zuführen.”

5. Selfie vor Krawallkulisse
(spiegel.de)
Das Bild des jungen Manns, der sich mit seinem iPhone vor dem Lagerfeuer der Kapitalismusgegner fotografiert, verbreitete sich rasend schnell im Netz. Viele bezweifelten die Echtheit des Bildes und unterstellten eine Photoshop-Montage. Doch dem sei nicht so: “Eine Prüfung der Metadaten des Bildes deckt sich mit den Angaben des Fotografen zum Entstehungszeitpunkt und Aufnahmeort. Eine einfache fotoforensische Analyse unserer Bildredaktion liefert keine Anhaltspunkte für eine Manipulation. Bei Twitter melden sich Personen zu Wort, die die Szene mit eigenen Augen gesehen haben wollen.” Mittlerweile hat sich das Bild des “Riothipsters von der Schanze” zu einer Art Meme entwickelt.

6. Mein Abend mit Ivanka
(abendblatt.de, Ulrich Gassdorf)
Zum Abschluss die Einladung zu einer Runde Fremdschämen: Der Chefreporter des “Hamburger Abendblatts” berichtet in einer Sternstunde des Journalismus über seine Begegnung mit Ivanka Trump in einem Hamburger Restaurant.

Buchmessen-Tumulte, Bundeswehr-Filmchen, Dystopie-Geschwafel

1. Dialog unmöglich
(spiegel.de, Eva Thöne)
Auf „Spiegel Online“ gibt es einen aktualisierten Beitrag über die Tumulte auf der Frankfurter Buchmesse. Hintergrund: Der Veranstalter hatte Verlage zugelassen, die man dezidiert dem rechten bis rechtsextremen Spektrum zuordnen kann, was zu Protesten geführt hatte. Im Beitrag geht es um Provokation auf beiden Seiten, gewalttätige Angriffe von rechts und einen hilflosen Veranstalter.
Weiterer Lesetipp: Auch Gerald Hensel schreibt über die Vorgänge: “Chaostage auf der Buchmesse”. Er verurteile Protestaktionen, welche das Recht verletzen, wünsche sich aber von der Buchmesse mehr Haltung: “Eine Buchmesse hat Hausrecht und nicht die Aufgabe, alle Meinungen der Welt gleichberechtigt abzubilden — speziell dann, wenn sie dedizierte Gegner einer offenen Demokratie sind.”
Und zur Vervollständigung: Auf Twitter verbreiteten sich Meldungen, dass ein Frankfurter Stadtverordneter (“Die Partei”) auf der Buchmesse zusammengeschlagen worden sei, weil er gegen Nazis demonstriert hatte. Nun hat ein Fotograf ein Video veröffentlicht, das einen anderen Eindruck vermittelt. Mehr darüber bei “BuzzFeed News” unter “Dieses Video zeigt, dass der DIE PARTEI-Politiker auf der Buchmesse nicht zusammengeschlagen wurde”.

2. Feindbild Algorithmus
(zeit.de, Patrick Beuth)
In einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags ist von einem „Bedarf an weiterführenden Regelungen im Bereich der Algorithmenkontrolle” die Rede. Der scheidende Bundesjustizminister Heiko Maas forderte in der Vergangenheit bereits ein „Transparenzgebot für Algorithmen“. Patrick Beuth betrachtet auf „Zeit Online“ die verschiedenen Aspekte dieser Vorhaben. Die Sache ist nicht einfach. Schließlich betrifft es auch schwer zu kontrollierende, sich verändernde Algorithmen und selbstlernende Systeme.

3. Gesprächsaufklärung mit Drohnen
(taz.de, Lisa Ecke)
Auf die Bundeswehr-Serie „Die Rekruten“ auf YouTube folgt nun die Serie „Mali“. Allein die Werbung für die unterhaltsamen Propagandafilmchen lässt sich die Bundeswehr 4,4 Millionen Euro kosten. Bereits der Trailer der Serie stoße auf kritische Resonanz. So kritisiert die Vorstandsleiterin des Bereichs Schule der “Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft” die “verklärte Darstellung als Heldenstory und die fehlende Objektivität”.

4. Wer redet, riskiert einen teuren Prozess
(sueddeutsche.de, Carolin Gasteiger)
Die „SZ“ hat sich mit Paul Farhi, dem Medienexperte der “Washington Post“, über das Machtverhältnis zwischen dem Filmboss Harvey Weinstein und Journalisten unterhalten. Es geht um die mutmaßlichen sexuellen Übergriffe des mächtigen “Miramax”-Mitgründers Weinstein und die Frage, ob Journalisten Weinstein indirekt geholfen hätten, die Übergriffe zu vertuschen. Farhi kritisiert insbesondere den TV-Sender NBC, der im vergangenen Jahr schon einmal im Verdacht gestanden hätte, prekäre Informationen zurückzuhalten. Damals ging es um das Video, in dem Donald Trump damit angegeben hatte, Frauen belästigt zu haben.

5. Sterne für 14,95 Euro
(faktenfinder.tagesschau.de, Kristin Becker)
Wie verlässlich sind Kundenbewertungen auf Onlineportalen? Wenn man Tests der Analyseseite „ReviewMeta“ Glauben schenkt, ist Vorsicht geboten: Bei einem untersuchten Fall hielt das Unternehmen nur 75 von mehr als 400 Bewertungen für glaubwürdig. Experten würden davon ausgehen, dass im großen Stil manipulierte beziehungsweise interessensgeleitete Bewertungen auf Online-Portalen kursieren. Diese stammen oft von kommerziellen Bewertungsverkäufern, die teilweise vom Ausland aus ihre zwielichtigen Dienste anbieten.

6. Narrativ intrinsische Dystopie: Die Welt der Modewörter
(dwdl.de, Hans Hoff)
Hans Hoff erzählt in seiner Kolumne von seinen drei Lieblings-Modewörtern. Auf Platz drei rangiert bei ihm das „Narrativ“. Der zweite Platz gehört dem Wort „intrinsisch“. Auf Platz eins steht bei ihm das in der deutschen Film- und Literaturkritik unentbehrliche, zukunftspessimistische Gesellschaftsszenario: „Sich ein Leben ohne Dystopie vorzustellen, ist für Rezensenten möglicherweise noch erahnbar, wird aber letztlich doch eher als weitgehend sinnlos eingeschätzt. Ohne Dystopie kriegt man das Bild auf seiner Schwafelei einfach nicht rund.“

Helene Fischer widerspricht “totalem Quatsch” von “Bild”

Helene Fischer kann nicht singen. Also, aktuell kann Helene Fischer nicht singen. Fünf Auftritte in Berlin musste ihr Management absagen und nun werden auch zwei geplante Konzerte in Wien nicht stattfinden. Die Sängerin ist krank und muss sich schonen.

Bei Facebook veröffentlichte Helene Fischer gestern eine Art Entschuldigung an all ihre Fans, vor allem an jene, die schon Hotels gebucht oder sich für die Konzerte extra freigenommen haben. Auch Bild.de berichtet über diesen Facebook-Post:

Screenshot Bild.de - Seit einer Woche ist sie krank - Helenes Entschuldigung an ihre Fans

Ganz am Ende des Artikels steht:

Und eins stellt sie zum Schluss noch einmal ganz klar: Sie ist nicht (!) schwanger.

Schwanger? Wer bringt denn sowas ins Spiel? Ach, hier — Bild.de in einem Text am Sonntag:

Screenshot Bild.de - Sie sagte ins gesamt fünf Konzerte ab - Was bedeutet die Hand auf Helenes Bauch?

Schon am 30. Januar beim Konzert in Stuttgart hielt sie sich beim Singen mehrfach die Hand auf den Bauch. Als würde sie etwas schützen wollen. Es gab schon häufiger Schwangerschaftsgerüchte um Fischer.

Helene Fischer widerspricht in dem Post an ihre Fans übrigens nicht nur den Schwangerschaftsgerüchten, sondern auch einer Geschichte über einen “Wunderheiler aus den USA” und den Spekulationen, sie werde nie wieder singen können:

PS.: ich kann es nicht oft genug sagen, lasst euch von den Medien nicht blenden, was jetzt zählt, ist nur mein geschriebenes Wort an EUCH! Ich bin weder schwanger und auch kein Wunderheiler aus den USA behandelt mich! Totaler Quatsch! Ich bin auch nicht todkrank, ich komme wieder!!!

Ein “Wunderheiler aus den USA”? Helene Fischer nie wieder auf der Bühne? Woher stammt das nur?

“Bild” gestern:

Ausriss Bild-Zeitung - Helene Fischer - Kann sie nie wieder singen? Wieder zwei Konzerte abgesagt - Wunderheiler aus USA soll ihre Stimme retten - Und ihr Flori schickt Fotos vom Karneval

Und Bild.de gestern (“Bild plus”-Inhalt):

Screenshot Bild.de - Helene Fischer immer noch krank - Wunderarzt aus USA eingeflogen

Außerdem ist ihre Stimme nach BILD-Informationen durch den Infekt so stark angegriffen, dass jetzt sogar ein Wunder-Arzt aus den USA eingeflogen wurde.

Der Amerikaner soll Helene heilen.

Eine Hand auf dem Bauch, die eine Schwangerschaft bestätigen soll, ausgedachte Wunderheiler und Fragezeichen in Überschriften, die jede noch so blödsinnige Spekulation erlauben — das ist alles nicht mehr weit entfernt von den Irrsinnsberichten im Stile von “Freizeit Revue”, “Die Aktuelle” und all den anderen bunten Knallblättern.

Mit Dank an Stefan T. für den Hinweis!

Nachtrag, 15. Februar: Die “Bild”-Zeitung berichtet in ihrer heutigen Ausgabe auch über den Facebook-/Instagram-Post von Helene Fischer. Zu einem Artikel, in dem Désirée Nick über den “Seelenzustand” der Sängerin schreiben darf, hat die Redaktion einen Screenshot gestellt:

Ausriss Bild-Zeitung - Dankt ihren Fans für die guten Wünsche: Gestern meldete sich Helene Fischer wieder bei Facebook zu Wort

Ärgerlich: Die Bildunterschrift, in die leider kein Hinweis mehr zu Fischers Medienkritik passte, sitzt exakt über der Stelle, in der Fischer “die Medien” (also, genau genommen: “Bild”) kritisiert.

Nachtrag, 19. Mai: Heute, nur drei Monaten, nachdem “Bild” den ganzen Quatsch mit dem “Wunderheiler aus den USA” verzapft hat, erfahren auch die “Bild”-Leser, welchen Quatsch “Bild” verzapft hat — durch diese Gegendarstellung von Helene Fischer, die die Redaktion auf der Titelseite abdrucken musste:

Ausriss der Bild-Titelseite mit der Gegendarstellung von Helene Fischer

Ausriss Bild-Zeitung - Gegendarstellung - Sie schreiben in der Bild-Zeitung vom 13. Februar 2018 auf der Titelseite unter der Überschrift Helene Fischer Kann sie nie wieder singen? Wunderheiler aus den USA soll ihre Stimme retten. Hierzu stelle ich fest: Ich habe keinen Wunderheiler aus den USA konsultiert. Wien, den 15. Februar 2018 - Anmerkung der Redaktion: Frau Fischer hat recht

Özil-Berichterstattung, Predatory Journals, Flämische Nacktpolizei

1. Hauptsache publiziert
(spektrum.de, Alexander Mäder)
Vielfach werden Wissenschaftler danach bewertet, wie viel sie publiziert haben. Das setzt die Wissenschaftler einerseits unter Druck und verleitet andererseits dazu, in Magazinen zu veröffentlichen, die kein wissenschaftliches Renommee haben. Ein eigener Industriezweig sogenannter “Predatory Journals” (Raubjournale/Pseudo-Magazine) hält mittlerweile für die ungeprüfte Veröffentlichung eines wissenschaftlichen Artikels in einer der zahlreichen Fake-Postillen die Hand auf. Der Philosoph Alexander Mäder überlegt, was man gegen die Veröffentlichung von ungeprüften Fachartikeln unternehmen kann.
Dazu zwei aktuelle TV-Tipps: Reporter haben sich als Wissenschaftler ausgegeben und dafür gezahlt, dass ihre sinnfreien Gaga-Inhalte einen wissenschaftlichen Anstrich bekommen haben. Sie durften sie sogar auf “Konferenzen” vorstellen:
Raubverlage: Dunkle Geschäfte mit dubiosen Studien (ORF, 5:36 Minuten) und Fake Science – Die Lügenmacher (Das Erste, 29 Minuten).

2. “Bild missbraucht ihre Machtposition”: Medienethikerin Jessica Heesen über die Berichterstattung im Fall Özil
(meedia.de, Felix Buske)
“Meedia” hat mit der Medienethikerin Jessica Heesen über die Berichterstattung im Fall Özil gesprochen. Dabei geht es auch um die Abgrenzung kritischer Berichterstattung von Hetze: “Eine “Hetz-Kampagne” fängt da an, wo die Medienberichterstattung einen Menschen persönlich herabwürdigt, einseitig berichterstattet, im privaten Umfeld recherchiert und eine Sprache benutzt, die unnötig skandalisiert und den Standards einer Sensationsberichterstattung entspricht — der wichtigste Punkt ist jedoch, dass hier ein Thema in den medialen Fokus gerückt wird, das aktiv insbesondere von der Bild-Zeitung “aufgebauscht” wurde, es also einen aktiven Willen der Redaktion gab, insbesondere Özil an den Pranger zu stellen und damit viele rassistische Ressentiments zu bedienen.”

3. Özil – Von wegen #zsmmn
(deutschlandfunk.de, Ann-Kathrin Büüsker, Audio)
Das Format “Deutschlandfunk — Der Tag” hat am 23. Juli mal wieder eindrucksvoll Werbung für sich gemacht. Dort ging der Brüssel-Korrespondent Peter Kapern nicht nur mit den Medien allgemein, sondern auch dem eigenen Sender hart ins Gericht. Anlass waren Steve Bannons Europapläne, die von deutschen Medien, aber eben auch dem eigenen Haus geradezu hysterisch aufgegriffen worden seien (Beginn ab Minute 11:02). Eine substantiierte Selbstkritik mit Seltenheitswert und ein erneuter Beleg, warum die Sendung auf keinem Podcast-Player fehlen sollte.

4. Schauen Sie sich dieses Bild nicht an, zu Ihrer Sicherheit!
(faz.net, Andrea Diener)
Das Fremdenverkehrsbüro Visit Flanders hat sich zusammen mit verschiedenen Museen an Facebook-Chef Mark Zuckerberg gewandt: “Brüste, Hintern und Peter Paul Rubens’ Putten werden als anstößig eingeordnet. Nicht von uns, aber von Ihnen … Auch wenn wir uns insgeheim darüber amüsieren, so macht Ihre kulturelle Zensur uns das Leben ziemlich schwer.” Um der Sache einen gewissen viralen Nachdruck zu verleihen, haben die Flamen ein kurzes Video aus dem Rubenshaus gepostet. Dort greift die “Nude Police” ein, wenn sie der Meinung ist, Besucher müssten vor Nacktheit geschützt werden.

5. Weiß, männlich, Wikipedia
(zeit.de, Julia Jaki)
Wikipedia-Autoren sind ganz überwiegend weiß, männlich und stammen aus Europa und Nordamerika. Dies wird besonders auf der diesjährigen Wikimania-Konferenz in Kapstadt deutlich, wie Julia Jaki berichtet. Als sie mit den circa 600 Teilnehmern im Konferenzraum zusammensitzt, schätzt Jaki die anwesenden Frauen und People of Color auf maximal zehn Personen. In ihrem Artikel führt sie mit vielen Beispielen und Zahlen aus, welche nachteiligen Folgen ein derartiges Ungleichgewicht für die Online-Enzyklopädie hat.

6. Der Hashtag #ITSchlager ist genau die Dosis Wortwitz, die du heute brauchst
(buzzfeed.com, Karsten Schmehl)
Auf Twitter machte gestern das Hashtag #ITSchlager die Runde. “Buzzfeed” hat eine Hitliste der IT-Schlager zusammengestellt: “Weine nicht, wenn die Leistung fällt — RAM, RAM — RAM, RAM.”

Wie “Bild” mit falschen Überschriften den Hass auf den Islam füttert

Das Wörtchen “statt” kann ein sehr vergiftetes sein. Zum Beispiel wenn man es so falsch einsetzt wie die “Bild”-Redaktion vorgestern in ihrer Bundesausgabe …

Ausriss Bild-Zeitung - An Berliner Grundschule - Nur noch Islam-Kunde statt evangelischer Religion

… und bei Bild.de:

Screenshot Bild.de - An Berliner Schule - Islam-Kunde statt evangelischer Religion

Das “statt” ist in diesem Zusammenhang Unsinn. Es lässt die Leserinnen und Leser glauben, dass an einer Berliner Grundschule Islam-Kunde an die Stelle des evangelische Religionsunterrichts gerückt ist. Oder eine Ebene höher: Der Islam verdrängt das Christentum. Doch das stimmt nicht.

Tatsächlich gab es an der Teltow-Grundschule in Berlin-Schöneberg, über die die “Bild”-Medien schreiben, schon länger parallel christlichen Religionsunterricht, Islam-Kunde und Lebenskunde, wo es um Ethik geht. Die Kinder konnten mit ihren Eltern auswählen, worüber sie in zwei Schulstunden pro Woche etwas lernen möchten.

Diese Fächer werden allerdings nicht von Lehrern der Schule unterrichtet, sondern von Vertretern der religiösen oder humanistischen Träger. An der Teltow-Grundschule ist für den christlichen Religionsunterricht die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz zuständig. Und die hat seit einiger Zeit nicht mehr genug Personal, um den Unterricht an allen Berliner Schulen anzubieten, so auch an der Teltow-Grundschule.

Das wäre eigentlich auch schon die ganze Geschichte: Die Evangelische Kirche hat Personalmangel, daher können die Kinder aktuell nur zwischen Islam- und Lebenskunde wählen. Wäre da nicht ein Vater, der sich in “Bild” aufregt, dass etwas schieflaufe “‘im christlichen Abendland'”, “‘wenn in einer normalen Grundschule nur noch Islam-Unterricht, aber kein evangelischer Religionsunterricht mehr angeboten wird'”.

Sein neunjähriger Sohn habe nun “statt Religionsunterricht jeweils eine Freistunde”, schreiben die “Bild”-Medien. Das stimme allerdings nicht, wie uns die Schulleitung auf Nachfrage sagt. Der Junge und seine Eltern könnten derzeit zwischen Lebenskunde und Islam-Unterricht wählen. Auf dem Stundenplan des Kindes, den “Bild” und Bild.de zeigen, sieht man auch zumindest am Dienstag in der fünften Stunde neben dem Kürzel “Isl”, das wohl für Islam-Kunde stehen soll, auch das Kürzel “Lk”, das für Lebenskunde stehen dürfte:

Screenshot Bild.de - Stundenplan des Jungen, mit den Kürzeln Lk und Isl in der fünften Stunde am Dienstag

So richtig neu sei der Ausfall des christlichen Religionsunterrichts laut Schulleitung übrigens nicht. Das sei auch schon im vergangenen Schuljahr so gewesen, aus demselben Grund. Und die Eltern seien auch bereits früh informiert worden, etwa über die Elternvertretung.

Die Schulleitung bedauert es ebenfalls, dass der christliche Religionsunterricht derzeit nicht wie gewohnt angeboten werden kann. Sie hat schon vor einiger Zeit Maßnahmen ergriffen, damit er nicht für die komplette Schule ausfällt: Mit der Evangelischen Kirchengemeinde Alt-Schöneberg habe man vereinbaren können, dass diese Pfarrer schickt, die den christlichen Religionsunterricht für die Jahrgangsstufen 1 und 2 übernehmen. Für die Klassen 3 bis 6, also auch für den Jungen, dessen Stundenplan “Bild” abdruckt, werde es Projekttage zum Thema “Kinder begegnen Religionen” geben, geplant von der Evangelischen Kirche. Außerdem werde wie immer eine Weihnachtsfeier stattfinden, man werde wie immer einen großen Weihnachtsbaum aufstellen. Dass der Islam an der Teltow-Grundschule das Christentum verdrängt, kann man nun wirklich nicht sagen.

Von all diesen Bemühungen liest man in dem “Bild”-Artikel: nichts.

Immerhin schreiben auch die “Bild”-Medien, dass der Grund für den Ausfall der Personalmangel bei der Evangelische Kirche ist. Bloß: Bei Bild.de erfahren das nur die knapp 400.000 Personen, die ein “Bild plus”-Abo haben. Die anderen Millionen, die Bild.de besuchen, sehen lediglich die falsche Schlagzeile und ziehen mehr oder weniger empört weiter.

Dass die “statt”-Überschrift für Wut sorgt, kann man im Kommentarbereich auf der Facebook-Seite von “BILD News” sehen:

Screenshot eines Facebook-Kommentars - Wir werden noch mal aus dem eigenen Land geschmissen, wenn das so weitergeht.
Screenshot eines Facebook-Kommentars - Die Deutschen schaffen sich und ihre eigenen Identität ab um lieber eine andere zu leben
Screenshot eines Facebook-Kommentars - Traurig aber wahr. Es gibt mehr Islamisten als Evangelisten und Katholiken. Der Islam will Deutschland besetzen! Und wenn es so weitergeht, dann schaffen die das.
Screenshot eines Facebook-Kommentars - Chemnitz war erst der Anfang
Screenshot eines Facebook-Kommentars - Gibt bald Bürgerkrieg
Screenshot eines Facebook-Kommentars - Bald sind wie Deutsche fremd im eigenen Land.
Screenshot eines Facebook-Kommentars - Verabschiedet euch schon mal von Deutschland. Merkel und Co treiben uns in den Abgrund. Fehlt eine bestimmte Person, die Deutschland wieder zu Deutschland macht.

Nach dem falschen Weihnachtsmarktverbot, der vermeintlichen Politiker-Forderung, im Weihnachtsgottesdienst muslimische Lieder zu singen, und der nächsten falschen verbotenen Weihnacht ist “Islam-Kunde statt evangelischer Religion” das nächste Kapitel in der langen “Bild”-Erzählung vom scheinbaren Einknicken Deutschlands vor dem Islam.