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Kluge Mitglieder

Vorgestern fand die 15. Mitgliederversammlung von Wikimedia Deutschland statt. Sie wird aus vielen Gründen als außergewöhnlich in die Geschichte des Vereins eingehen:

  • Sie war mit Abstand die längste. Erst gegen 23 Uhr war die Auszählung der Beisitzer beendet. Die Zählkommission und etwa 40 Mitglieder sind bis zum bitteren Ende geblieben, um das Ergebnis zu erfahren. Die eigentliche Debatte zu Anträgen etc. war „schon“ gegen 19 Uhr vorbei. Unendlicher Dank gebührt daher den Mitgliedern der Zählkommission, die mit aller gebotenen Vorsicht und Geschwindigkeit weit über 6000 Stimmzettel sortiert und ausgezählt haben.
  • Sie hatte mit Abstand die meisten Kandidaten und die größte Auswahl: 35 Kandidaten (wenn ich mich nicht verzählt habe) standen für insgesamt 14 Positionen zur Verfügung.
  • Sie zeigte den deutlichsten Willen für eine personellen Veränderung: von den 35 Kandidaten traten 10 Amtsinhaber an (8 aus dem Präsidium und 2 Kassenprüfer). Von diesen 10 wurden nur 4 wiedergewählt (Tim Moritz Hector, Anja Ebersbach und Jürgen Friedrich ins Präsidium und Daniel Baur als Kassenprüfer). Steffen Prößdorf (3. Platz von 3 Kandidaten), Sebastian Wallroth (4/7), Jens Best (19/22), Ralf Bösch (15/22), Markus Glaser (11/22) und Olaf Kosinsky (5/6) wurden hingegen nicht wiedergewählt. Das letzte Mal, dass solche Kampfkandidaturen bei Wikimedia Deutschland erfolgreich ausgegangen sind, war 2011, als Delphine Ménard erfolgreich gegen den amtierenden Schatzmeister Olaf Kosinsky und Sebastian Wallroth und Ralf Liebau gegen den amtierenden Schriftführer Attila Albert antraten.
  • Sie hatte den schnellsten Rücktritt bzw. die kürzeste Amtszeit im Präsidium zur Folge: Anja Ebersbach hat am Abend direkt nach Ende der Auszählung inoffiziell erklärt, sie würde vom Amt zurücktreten. Gestern früh hat sie das auch offiziell getan.

Die Ergebnisse

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Wo ist das Geld nur geblieben…

Im letzten Beitrag habe ich etwas zur Bewertung des Wirtschaftsplans 2015 von Wikimedia Deutschland durch die Mitarbeiter der Wikimedia Foundation geschrieben. Nun geht es weiter in diesem Prozess, der am Ende darüber entscheidet, wieviel Geld der Verein von der Foundation für seine Programme erhält, denn die Empfehlung des FDC ist da. Wer nicht mehr durchblickt, hier der grobe Ablauf:

  1. Der Verein beantragt beim FDC Mittel für seine Programme des nächsten Jahres. Den Antrag für 2015 kann jeder öffentlich einsehen.
  2. Mitglieder der Community sowie Fachexperten kommentieren und bewerten den Antrag öffentlich.
  3. Mitarbeiter der Wikimedia Foundation geben ebenfalls eine Bewertung ab.
  4. Das FDC berät sich und verfasst eine Empfehlung an die Foundation, welche Organisation wieviel Geld erhalten sollte. Diese Empfehlung wurde am 19. November 2014 veröffentlicht.
  5. Das Kuratorium der Wikimedia Foundation fasst dann auf Basis dieser Empfehlungen einen Beschluss zur Mittelverteilung.

Was das FDC empfiehlt

Der Empfehlung des FDCs kommt in diesem Prozess wesentliche Bedeutung zu, und die hat es für Wikimedia Deutschland in sich:

  • Statt der beantragten 1,2 Mio Euro empfiehlt das FDC eine Bewilligung von nur 840.000 Euro, eine Reduzierung um genau 30 %. Gegenüber den geplanten Einnahmen des Vereins für 2015 fehlen also 360.000 Euro, die entweder anders erwirtschaftet oder durch Kostensenkungen gegenfinanziert werden müssen.
  • Das Fehlen von Details zum Haushalt und den Programmen im Projektantrag wird insbesondere im Verhältnis zur Größe des Vereins und zu den Anträgen anderer Organisationen scharf kritisiert.
  • Ebenfalls scharf kritisiert wird die Abberufung des Vorstands mit besonderem Augenmerk auf die damit verbundenen zusätzlichen Kosten. Es ist aus Sicht des FDCs nicht verständlich, wieso der plötzliche Wechsel notwendig war, wenn der Vorstand anschließend weiter als bezahlter Berater für den Verein tätig ist und sich auch aus dem Antrag keine Änderung in der strategischen Ausrichtung der Organisation erkennen lässt. Das FDC mahnt dringend strukturelle Reformen an, die sicherstellen, dass es im Präsidium die nötige fachliche Expertise gibt, um solche Vorstandswechsel zukünftig zu vermeiden.
  • Die Bedeutung von Wikidata für die Wikimedia-Bewegung wird vom FDC besonders geschätzt. Aus Sicht des FDCs sollte für dieses Projekt in Zukunft eine separate mehrjährige Finanzierung eingerichtet werden. Einen entsprechenden Vorschlag wir das FDC beiden Organisationen (WMDE und Foundation) unterbreiten.
  • Angesichts der unklaren Führungssituation und der mangelhaften Qualität des Projektantrags hat das FDC auch überlegt, nur eine Brückenfinanzierung für sechs Monate zu empfehlen, um dann über einen neuen Antrag zu beraten. Diese Überlegungen wurden jedoch zugunsten einer nachhaltigen Unterstützung von Wikidata zurückgestellt.
  • Das FDC drängt beharrlich auf eine stärkere Fokusierung in den Projektanträgen. Obwohl der Antrag von WMDE etwa ein Viertel des gesamten zur Verteilung stehenden Geldtopfs darstellt, ist gerade hier nicht erkennbar, auf welche Weise und für welche Programme diese Mittel konkret verwendet werden sollen.
  • Die im Antrag aufgezeigten Verwaltungskosten werden als viel zu hoch eingestuft. Das Präsidiumsbudget (140.000 Euro) erhält in dem Zusammenhang eine besondere Erwähnung.
  • Analog zur Mitarbeiterbewertung wird die Effektivität der Programme, insbesondere im Bereich der Community-Unterstützung, im Verhältnis zu den hohen Kosten bemängelt.

Was machen wir jetzt damit

Klar ist, dass es bis zur finalen Entscheidung durch die Wikimedia Foundation noch ein Fenster gibt, diese durch eine kluge Reaktion zu beeinflussen. Das Kuratorium folgt in der Regel den Empfehlungen des FDC, ist an diese aber natürlich nicht rechtlich gebunden. Für Wikimedia Deutschland sehe ich drei Schritte, die jetzt gemacht werden müssen:

  • Wir müssen die Kritik des FDC aufgreifen und bewerten.
    Wo sie berechtigt ist, muss sie Einfluss in unsere Arbeit finden. Wo sie unberechtigt ist, müssen wir besser darstellen, welche positiven Auswirkungen die Arbeit des Vereins tatsächlich hat. Das scheint uns beim FDC bisher nicht gelungen zu sein. Hier müssen Vorstand, Präsidium und Mitarbeiter an einem Strang ziehen und konsequent kommunizieren.
  • Wir müssen uns deutlich fragen, welche Ziele wir mit der Community-Unterstützung tatsächlich verfolgen.
    Geht es primär darum, Ideen aus der Community egal welcher Art zu unterstützen? Oder geht es darum, mit Hilfe der Community-Unterstützung konkrete Ziele beispielsweise zur Verbesserung der Inhalte, zur Anwerbung neuer Autoren oder zur Durchführung innovativer Retention-Ansätze zu verfolgen? Persönlich würde ich das Zweite befürworten und Community-Unterstützung gerade nicht als Selbstzweck betrachten.
  • Wir müssen die Struktur des Präsidiums und den Ablauf von Vorstandswechseln verändern.
    Den Hinweis des FDC auf mehr fachliche Expertise im Präsidium unterstütze ich ausdrücklich. Die verlängerte Amtszeit wird einen Teil zur Kontinuität beitragen. Aber nur wenn die Präsidiumsmitglieder auch fachlich in der Lage sind, ihre Aufgabe zu erfüllen, können solch kostspielige und vertrauensauflösende Vorgänge wie dieses Jahr zukünftig verhindert werden. Für die Neubesetzung des Vorstandspostens sowie dem damit verbundenen Übergang müssen wir klare Regeln, Zeiträume und Abläufe festlegen.

An diesem Samstag findet die 15. Mitgliederversammlung von Wikimedia Deutschland statt, wo neben der Wahl eines neuen Präsidiums auch die Verabschiedung des Wirtschaftsplans für das nächste Jahr auf dem Programm steht. Ich denke, wenn im Ergebnis dieser Versammlung herauskommt, dass wir diese drei Schritte unternehmen werden, besteht am ehesten die Chance, dass der Verein die für 2015 benötigten Mittel von der Foundation bekommt.

Die bereits herumschwirrenden Gegenvorschläge, insbesondere auch vom aktuellen Schatzmeister, nun gerade bei Wikidata weniger Geld auszugeben oder Gelder dort zurückzuhalten, sind dagegen genau das falsche Signal: Wikidata ist einer der Hauptgründe, warum der Verein nächstes Jahr überhaupt so viel Geld bekommt. Wenn wir jetzt vor der Entscheidung der Foundation demonstrieren, dass wir gerade dort sparen werden, ist eher noch damit zu rechnen, dass der Verein am Ende weitaus weniger als die empfohlenen 840,000 Euro erhält. Das Vertrauen in die professionelle Handlungsfähigkeit des Vereins dürfte sich dann auch restlos in Luft aufgelöst haben.

2- von der Foundation

Seitens der Mitarbeiter der Wikimedia Foundation liegt seit dem 8. November 2014 eine Evaluation des Wirtschaftsplans 2015 von Wikimedia Deutschland vor. Das ist Teil des jährlichen globalen Haushaltsprozesses, aus welchem der Verein einen beachtlichen Teil seines Budgets finanziert. Für 2015 geht es hier um etwa 1.200.000 Euro. Die Entscheidung, wie viel Geld der Verein erhält, trifft das ehrenamtliche Kuratorium der Wikimedia Foundation. Dessen Entscheidung ist maßgeblich von der Empfehlung des ebenfalls ehrenamtlichen FDCs beeinflusst. Die Empfehlung wird nach umfassender Konsultation mit der Community, Bewertung durch sachverständigen Experten und eben der Evaluation durch die Mitarbeiter der Foundation erstellt und veröffentlicht. In diesem Blogbeitrag geht es um diese Evaluation durch die Mitarbeiter.

Das Ergebnis

Die Evaluation gliedert sich in drei Bereiche mit insgesamt 16 separaten Kriterien. Der Einfachheit halber übertrage und übersetze ich hier nur die Darstellung, die man auch unter meta.wikimedia.org findet. Es gibt für jeden Punkt eine Art Schulnote, gefolgt von einer Begründung. Die Schulnoten verteilen sich wie folgt in absteigender Rangfolge:

  • besondere Stärke (major strength)
  • Stärke (strength)
  • Unbestimmt (neither)
  • Bedenken (concern)
  • schwere Bedenken (major concern)

Und nun das Ergebnis:

Kriterium Bewertung Begründung
Programmaufbau und strategische Ausrichtung
Strategie und Ausrichtung besondere Stärke Programmatische Ziele für Wikidata und die politische Arbeit sind besonders stark an den globalen Prioritäten der Wikimedia-Bewegung ausgerichtet. Wikimedia Deutschland hat einen detaillierten strategischen Plan. Dieser Förderantrag passt gut zu diesem Plan.
Ziele und logische Modelle Bedenken Der Förderantrag enthält für die meisten Programme keine SMARTen Ziele. Bei dieser Antragshöhe sollte sich WMDE klare Ziele rund um Inhalte und die Erhaltung von Autoren setzen.
Bedarfsanalyse Unbestimmt Obwohl WMDE Bedarfsanalysen durchführt, hat das Programm zur Community-Unterstützung die tatsächlichen Bedürfnisse der Community bisher nicht erfolgreich bedient.
Potenzial für skalierbare Effekte Stärke Programme wie Wikidata und die politische Arbeit können beachtliche Wirkung zeigen. Die Unterstützung der Community ist hingegen sehr ressourcenintensiv und wahrscheinlich nicht skalierbar.
Bewertungsmethoden Unbestimmt Die Evaluationsabteilung von WMDE zeigt starkes Potenzial, Programm zu entwickeln, zu planen und zu bewerten. Wir schätzen die dort geleistete Arbeit, sehen aber bisher weder die Wirkung noch die Anwendung des Gelernten auf Programme.
Neue Ideen und Ansätze oder sorhfältige Adaptionen Stärke Wikidata ist eines der innovativsten Projekte der Wikimedia-Bewegung.
Vielfalt Stärke WMDE ist in der Bewegung führend darin, die Geschlechterthematik zu adressieren. Trotz dessen würden wir in Zukunft gern deutlich berichtete Ergebnisse dieser Anstrengungen sehen, um deren tatsächlichen Auswirkungen zu verstehen.
Leistungsfähigkeit und Effektivität der Organisation
Historische Ergebnisse Bedenken Während WMDE mit Initiativen wie Wikidata sehr erfolgreich war und die politische Arbeit großes Potenzial für langfristige Auswirkungen zeigt, hat das Programm zur Community-Unterstützung bisher trotz vieler Jahre beachtlicher finanzieller Förderung keine Ergebnisse gezeigt.
Stabilität und Führung Bedenken WMDE befindet sich gerade in Mitten beachtlicher Übergangsprozesse (Mitarbeiter, Präsidium), die wahrscheinlich einen beträchtlichen Einfluss auf die programmatische Aktivität und die Effektivität der Organisation haben werden.
Lernvermögen Stärke WMDE hat sowohl die Ressourcen als auch die Organisationsstrukturen, um aus den Erfahrungen vergangener Programme zu lernen, und schätzt diese Fähigkeit auch. Dennoch verfolgt WMDE weiterhin Strategien zur Community-Unterstützung, deren Ineffektivität bereits bewiesen ist.
Verbesserung von Handlungsweisen in der Bewegung besondere Stärke WMDE ist führend in einigen kollaborativen Projekten wie beispielsweise der politische Arbeit, auch wenn die Berührungspunkte kollaborativer Arbeit über Wikimedia-Organisationen hinweig deutlicher dargestellt werden müssen. WMDE bietet anderen Wikimedia-Organisationen proaktiv Ressourcen und Expertise an und untersucht selbstständig die besonderen Herausforderungen, die sich der Bewegung stellen (z.B. Chapters Dialogue).
Dialog mit der Community Bedenken WMDE sieht sich im Dialog mit der Community Herausforderungen gestellt und überarbeitet seine Strategie, um die Ergebnisse der Community-Arbeit zu verbessern.
Leistungsfähigkeit Stärke WMDE hat solide Expertise und beachtliche personelle Ressourcen, um seine Programme effektiv auszuführen. Dieser Antrag passt zur Größe der Organisation.
Haushalt
Historische Haushaltsplanung Bedenken Für WMDE stellt eine genaue Finanzplanung eine größere Herausforderung dar. Die Organisation hat in der Vergangenheit Budgets wiederholt nicht ausgeschöpft. WMDE hat weiterhin kein System zur buchhalterischen Erfassung von Großzuwendungen und deren Nutzung etabliert.
Haushaltsvorschlag ist realistisch Bedenken Es fällt schwer, den Haushaltsplan von WMDE zu bewerten, da er nicht sehr ausführlich gefasst ist. Es gibt Bedenken hinsichtlich des personellen Wachstums bei gleichzeitiger Verringerung sowohl des Gesamthaushalts als auch der Förderung durch das FDC (bevor andere Finanzierungsquellen gesichert werden konnten).
Fokus des Haushalts auf programmatische Wirkung Bedenken Der Haushalt von WMDE ist unverhältnismäßig stark auf das Programm zur Community-Unterstützung ausgerichtet, welches keine angemessene Wirkung zeigt.

Wenn man sich dieses Ergebnis etwas ansieht, dann sticht besonders das Thema Community-Unterstützung hervor. Es wird immerhin sechs Mal erwähnt, dass Erfolge hier trotz beachtlicher finanzieller Unterstützung bisher ausbleiben. Leider wird in der Bewertung nicht näher dargelegt, wie die Mitarbeiter zu dieser Einschätzung kommen, da angesichts der Vielzahl an Aktivitäten des Vereins zur Unterstützung der Community kaum davon gesprochen werden kann, Wikimedia Deutschland wäre hier nicht hinreichend aktiv. Sie widerspricht auch meinen Erfahrungen der letzten Zeit, wo eigentlich durchweg seitens Community-Mitgliedern von einer beachtlichen Verbesserung in der Förderpraxis des Vereins die Rede ist. Es wäre schön gewesen, wenn die Mitarbeiter hier konkrete Anknüpfungspunkte für ihre Bewertung mitgegeben hätten.

Mein persönlicher Eindruck nach Betrachtung der Evaluation ist, dass es dem Verein schlicht nicht gelungen ist, die Erfolge der Community-Unterstützung ausreichend sichtbar zu machen. Hier wird man wohl nicht umhin kommen, zukünftig mehr Aufwand in die Darstellung der eigenen Arbeit zu stecken.

Die Bewertung durch die Mitarbeiter ist nur ein Teil des Puzzles, der letztlich in die Entscheidung der Foundation fließt, wieviel Geld der Verein nächstes Jahr für seine Programme bekommt. Als nächster Schritt steht die eigentliche Empfehlung des FDCs an, die ich im nächsten Beitrag betrachten werde.

Satzungsänderungen in Hülle und Fülle

Zur 15. Mitgliederversammlung in zwei Wochen stehen insgesamt vier Satzungsänderungen sowie eine Genehmigung der Wahlordnung zur Entscheidung an. In diesem Beitrag möchte ich die vier Anträge kurz vorstellen, meine Interpretation dazu abgeben und darüber Auskunft geben, wie ich warum abstimmen werde. Satzungsänderungen sind einerseits auf Grund ihres technischen Inhalts und Aufbaus meist recht dröge, spielen aber auch durch ihre weitreichende und oft langjährige Wirkung eine entscheidene Rolle in der Entwicklung von Wikimedia Deutschland. Ich hoffe, dieser Blogbeitrag hilft dem Leser dabei, eine informierte Entscheidung zu treffen.

Überblick

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Warum ich (wieder) als Schatzmeister kandidiere

Bei Wikimedia Deutschland läuft vieles nicht mehr rund. Das Präsidium beschließt eine neue Strategie, die eigentlich nur die alte Strategie in neuen Schläuchen ist. Auf den Sitzungen geht es so hitzig zu (kostenlose Registrierung notwendig), dass sie manchmal „auf Grund intensiver verbaler Angriffe von Jens für 15 Minuten unterbrochen“ werden müssen. Mit Verweisen auf die angeblich neue Strategie wird der hauptamtliche Vorstand unzeremoniell vor die Tür gesetzt. Die Kosten dafür, immerhin 183.000 Euro, müssen die Spender und Mitglieder aufbringen. Im hektisch zusammengeschriebenen Wirtschaftsplan 2015, der letztlich auch aufgrund des abrupten Vorstandswechsels nicht die eigentlich nötige Vorbereitungszeit genossen hat, wird ohne nachvollziehbare Begründung ein Schwerpunkt von der bisherigen Community-Begleitung hin zur Software-Entwicklung verlagert. Wie unrund der Plan auch sonst ist, zeigt Ireas in seiner sehr treffenen Analyse (samt Follow-up). Damit einher gehen umfangreiche Umstrukturierungsmaßnahmen in der Geschäftsstelle, obwohl ein neuer permanenter Vorstand, der oder die das operative Tagesgeschäft des Vereins maßgeblich gestalten soll, noch gar nicht gefunden wurde. Gleichzeitig läuft der Fundraising-Vertrag mit der Wikimedia Foundation aus, der für einen erheblichen Teil der Finanzierung von Wikimedia Deutschland verantwortlich ist. Bemühungen, die Einnahmen zu diversifizieren und damit Abhängigkeiten von einzelnen Institutionen wie der Foundation zu redzuieren, sind im nur überschaubaren Umfang erfolgreich.

Die Querelen der letzten sechs Monate haben den Verein gelähmt und viel Aufmerksamkeit auf interne Themen und Prozesse gelenkt. Es wird nun Zeit, mit Sachverstand und Kompetenz wieder die wichtigen Sachthemen des Vereins in den Vordergrund zu stellen. Mit eurer Unterstützung werde ich mich dafür einsetzen, dass Wikimedia Deutschland wieder als vertrauenswürdiger, professioneller Verein zur Förderung Freien Wissens wahrgenommen wird.

Ich kandidiere dieses Jahr, weil es nie reicht, sich nur darüber aufzuregen, was einem nicht passt. Meine Mutter hat immer gesagt: mach es besser oder halt die Klappe. Also, mit eurer Unterstützung, verspreche ich, dass wir es besser machen werden. Ganz konkret:

  • Wir müssen Vertrauen zurückgewinnen:
    Mit den Aktionen der letzten Monate hat das aktuelle Präsidium viel vom Vertrauen in den Verein verspielt. Wikimedia Deutschland galt immer als leuchtendes Vorbild dafür, wie eine aus der Wikimedia-Community gegründete Organisation Großartiges bewerkstelligen kann. Diese Vorbildfunktion für Freies Wissen werden wir im nächsten Präsidium erneut aufbauen müssen, nachdem sie durch die völlig unerwartete Absetzung des Vorstands, das komplette Ignorieren des genehmigten Wirtschaftsplans und der dilettantischen Gestaltung der Übergangssituation weitestgehend verschwunden ist.
  • Wir müssen einen kompetenten und engagierten Vorstand finden:
    Mit Pavel Richter als nun ehemaligen hauptamtlichen Vorstand verlässt uns ein Wikipedianer, der wie kein anderer seit 2009 den Erfolg des Vereins in den letzten Jahren geprägt hat. Nun gilt es, den Posten des Vorstands so neu zu besetzen, dass Wikimedia Deutschland sich auch in den kommenden Jahren weiter entwickelt, sein Profil schärft, die großen Themen angeht und Freies Wissen in der Gesellschaft verankert. Die Wikimedia Foundation hat mit ihrem Wechsel in der Geschäftsführung vorgemacht, wie so ein Übergangsprozess erfolgreich ablaufen kann. Nun gilt es zu zeigen, dass wir das auch können.
  • Wir müssen im Verein ein sicheres, produktives Umfeld schaffen:
    Wikimedia Deutschland hat die besten Mitarbeiter der Welt, die sich für Freies Wissen, Wikimedia und alles, was dazu gehört, weit über das Maß hinaus engagieren, was üblicherweise zu erwarten ist. Im Austausch dafür bieten wir ihnen aktuell einen Scherbenhaufen der Unsicherheit. Dem nächsten Schatzmeister als Verantwortlicher für das Ressort Personal wird die Aufgabe zuteil, mittels Taten, nicht nur Worten und Ankündigungen, zu zeigen, dass Wikimedia Deutschland das besser kann.
  • Der Verein muss wieder als professioneller Partner wahrgenommen werden:
    Innerhalb der internationalen Wikimedia-Gemeinschaft haben die vielen nicht nachvollziehbaren Geschehnisse in unserem Verein für Entsetzen gesorgt. Wir werden nun beweisen müssen, dass wir diese Krise überwunden haben, dass Selbstverständlichkeiten wie die Einhaltung von Verträgen und etablierten Prozessen nicht in Zweifel stehen. Dazu gehört, dass die Beteiligung von Mitgliedern und Mitarbeitern nicht mehr Lippenbekenntnis bleibt, sondern wieder aktiv gelebt wird. Dazu gehört, dass wir ein solides finanzielles Fundament schaffen, damit die vielen guten Ideen aus der Wikipedia und ihren Schwesterprojekten umgesetzt werden und nachhaltig Wirkung zeigen können. Und dazu gehört insbesondere, der Wikimedia Foundation, die noch über 70 % des Vereinshaushalts finanziert, zu zeigen, dass wir die gemeinsam gesteckten Ziele auch erreichen können.

Was in unserem Verein in diesem Jahr vorgefallen ist, kann sich eine Organisation unserer Größenordnung nicht leisten. Im nächsten Jahr sollen laut Plan etwa 14 Mio. Euro durch den Verein und die Fördergesellschaft fließen, gestützt von fast 70 Mitarbeitern. Das verlangt nach einem verlässlichen, vertrauenswürdigen, professionell geführten und vor allem handlungsfähigen Verein. Es verlangt nach einer Vereinsführung und -aufsicht, die das meiste aus dem herausholen kann, was so viele Spender, Mitglieder, Mitarbeiter und weitere Unterstützer bereit sind zu geben.

Durch mein Engagement bei Wikimedia Deutschland möchte ich dazu beitragen, dass wir wieder dieser Verein werden. In der Rolle des Schatzmeisters und in meiner Verantwortung für das Ressort Personal & Finanzen kann ich mit meiner Fähigkeiten und Erfahrungen in den nächsten zwei Jahren am besten dazu beitragen.

Ich bin zuversichtlich, dass es dem neugewählten Präsidium trotz aller Widrigkeiten gelingen wird, gemeinsam mit dem neuen Vorstand, den Mitarbeitern und insbesondere mit den Mitgliedern und der Community eine solide Zukunft für den Verein aufzubauen. Mit eurer Stimme bei dieser Wahl werde ich meinen Beitrag dazu leisten.

WMDE governance & accountability

In a recent blog post, Stu West detailed the governance and accountability practices established in the Wikimedia Foundation. He’s also asked other organizations to add their practices, which I want to do with this post.

Overview

„Wikimedia Deutschland – association for the promotion of free knowledge“ is a Germany-based non-profit, charitable membership association created in 2004. It has received charity status in the same year and has kept it since then. Its primary governing document is the charter (English and German version) found at. Its mission is the creation, collection, and distribution of Open Content in order to support equal opportunity to access to knowledge and education. Main focus of the organization lies on the Wikimedia projects.

Wikimedia Deutschland has a wholly-owned tax-exempt subsidiary set up in 2009 for the sole purpose of collecting donations in Germany and transferring a portion to the Wikimedia Foundation and a portion to Wikimedia Deutschland. This is purely a legal construct to satisfy German tax regulations regarding sending donations into foreign countries. Formally, Wikimedia Deutschland’s CEO is also CEO of this subsidiary. The Supervisory Board of Wikimedia Deutschland also serves as the Supervisory Board of the subsidiary. All the disclosure and accountability standards we adhere to for Wikimedia Deutschland also apply to the subsidiary, including publication of the financial and annual reports, setting up and discussing an annual plan, etc.

Governance

Members Assembly

The governance structure of Wikimedia Deutschland is defined in parts by the German civil code (BGB) which requires that each membership association have a written charter, regular meetings of the Members Assembly, an Executive Board, and some minimum rights for each member that cannot be abrogated. Beyond those basics, membership associations are free to structure themselves according to their own needs, which we have used to adapt to the evolving nature of the organization.

Wikimedia Deutschland has three „governing bodies“: the Members Assembly, the Supervisory Board, and the Executive Board. The Members Assembly currently meets twice a year. Among its responsibilities are electing the Supervisory Board, electing the auditors, appriving the annual plan, receiving and deliberating on the annual report, approving the actions of and discharging the members of the Supervisory and the Executive Board, approving rules of procedure, determining membership fees (currently €24 per year minimum), and approving liabilities in excess of a certain minimum.

We have currently 1272 members, 927 of which are „active members“ and 345 of which are „supporting members“. Active members are entitled to attend, speak, file motions, and vote at the Members Assembly. Supporting members may attend, speak, and file motions but do not have a vote.

Supervisory Board

Since November 2011, there’s a Supervisory Board consisting of 10 members elected for one year. Four of those members are also officers of the organization, specifically the President (currently yours truly), two Vice Presidents (currently Ralf Liebau and Sebastian Wallroth), and the Treasurer (currently Delphine Ménard). The Members Assembly elects each of the officers as well as six at-large board members. All board members are unpaid volunteers and are not liable for the organization’s actions.

The primary role of the Supervisory Board is to provide guidance and oversight. Among its responsibilities are appointing and removing members of the Executive Board as well as setting terms of their employment contracts, setting targets and objectives for the Executive Board, revising the organization’s strategic plan, overseeing/controlling the Executive’s activities, granting or denying approval for certain significant transactions, amending the annual plan, and serving as legal representatives of the organization in subsidiaries.

We meet about three times a year for a full weekend as well as twice a year for one-day sessions to prepare the Members Assembly. To better distribute our work, the Supervisory Board is divided into 11 departments with two or three board members each serving in one. As a result, every board member is usally part of two or three departments. In addition, there is one permanent committee (the Executive Committee) and currently two ad-hoc committees (Members Assembly and Strategic Plan).

The Executive Committee is charged with conducting the annual executive review. Over the past three years, we’ve designed an elaborate review process that takes into account day-to-day activities, strategic target achievement, and employee surveys. The review is typically conducted after the first Members Assembly and directly influences the variable component of the Executive’s pay as well as contract renewal, if applicable.

Most of our work is one on our board wiki and irregular phone conferences. Access to the wiki is limited to the Executive and our shared assistant. Time commitment for board members varies.

The Supervisory Board does not engage in the day-to-day activities of the organization. Members of the Supervisory Board may not be employed by the organization, nor can they accept any sort of paid contract.

Executive Board

As of November 2011, there’s an Executive Board which is tasked with managing the actual operations. It currently consists of one person, Pavel Richter, who serves as the organization’s CEO. The members of the Executive Board are paid professionals with fixed-term contracts not exceeding five years. Pavel’s current contract runs until the end of 2015 with renewal negotiations likely to start a year in advance. Having two separate and distinct boards implements what is customarily called a two-tier system, which is very common in Germany.

The CEO is the legal representative of the organization in and out of court. He signs all contracts, hires and fires employees, and is in general responsible for making sure the annual plan is carried out. All employees report to him, whether directly or indirectly. Within the framework of the annual plan and the organization’s rules, the CEO is free to choose what projects to undertake, what resources to use, and in general how to conduct the activities of the organization. He also prepares the annual report and financial statements and reports to the Supervisory Board and the Members Assembly.

Auditors

Each year, the Members Assembly elects two volunteer auditors. Auditors must independent of the Supervisory and the Executive Board and must not be employed by the organization either. They are charged with reviewing the financial accounts of the organization after the close of the fiscal year, in preparation of the upcoming Members Assembly. The CEO and the Treasurer typically attend the audit. The auditors may call for a special Members Assembly if they discover irregularities that warrant it. Starting in 2012, we will also hire an external auditor to review our books.

Our fiscal year is the calendar year, with all the disadvantages that brings from an operations perspective.. German non-profit tax law requires that annual reports for charitable organizations must be presented according to the calendar year, regardless of whether the organization chooses a different tax law. Charity status is also bestowed for three calendar years at a time. As a result, German non-profit organizations tend not to have fiscal years deviating from the calendar year.

Community projects budget

In March 2011, the Members Assembly approved a board proposal to create a new fund to support community-driven programs, the Community projects budget. The fund has a volume of 250,000 Euro for 2012. Allocation of funds is steered by a special budget committee consisting of three chapter members, three community members, and the Treasurer. There are two rounds per year where community members can submit project proposals for funding. The budget committee collects all proposals, invites some for personal presentations, and finally recommends a set of projects for funding to the CEO. The funding guidelines are determined by the budget committee in consultation with the community, the CEO, and the Supervisory Board. The CEO typically approves the committee’s recommendation without changes.

The budget committee is tasked with evaluating its work as well as the effectiveness of the fund itself and reporting to the Members Assembly. The fund has already been a great succcess in that over 100 project ideas have been submitted already with about 15 of them being supported financially by the organization. Please check out the Meta page for additional information.

Government regulations

Germany is a federal republic consisting of sixteen states. As a tax-exempt organization incorporated in the State of Berlin, Wikimedia Deutschland is subject to the laws and regulations of Berlin, the federal government, and the European Union. Non-profit tax law is determined by the federal government, as interpreted by the tax office in Berlin. There are extensive laws and regulations covering tax-exempt organizations which are mostly led by the principle that tax-exempt organizations must not use their tax advantages to compete with for-profit organizations and that tax-exemption is only granted for activities that benefit society as a whole, or at least large parts of society.

There are no German laws requiring disclosure of financial accounts for non-profit organizations, regardless of size. The tax office requires annual reports, but those are covered by the same privacy regulations applying to individual tax returns and are therefore not available to the general public. There are, however, a number of non-government institutions that have created codes of conduct for fundraising organizations which we voluntarily abide by. As a result, we make a number of disclosures on our website including annual financial statements, annual reports, legal representatives, staff, and major donors.

Finance & legal

The organization’s finances are governed by the laws of Germany, rules of procedure approved by the Members Assembly, the annual plan, and the operations plans. We currently have one full-time staff responsible for managing day-to-day financial activities. Most of our accounting, payroll, and tax return preparation work is done by an external accounting/tax advisor firm that specializes in non-profit organizations.

We have no legal staff of our own but rather rely almost entirely on JBB, a Berlin-based law firm specializing in copyright, personality rights, labor, and other areas of commercial law. They have been our representatives in all our cases where Wikimedia Deutschland was sued for Wikipedia content issues. JBB has also assisted or represented the Foundation in a number of cases originating in Germany.

Transparency

Main vehicle for transparency is our website. The staff publishes monthly reports as well as irregular progress reports on individual projects. All our financial and annual reports can be accessed on our website as well. We also employ Meta to publish drafts for our annual plan as well as our strategic plan.

In addition, Wikimedia Deutschland maintains a wiki (open to everyone, one-time registration is required) called the Forum aimed mostly at our members and the community for discussions on the Members Assembly and other current topics. The Forum also contains agendas and minutes of Supervisory Board meetings, motions filed for the Members Assembly, and minutes from the Assembly.

Mission oversight & strategy development

In 2009, Wikimedia Deutschland started a strategy development process culminating in a ten year vision and five year strategic goals. The strategic plan is subject to periodic review and updates based on the results of past activities. The responsibility to update as well as oversee implementation of the strategic plan lies with the Supervisory Board.

Based on these strategic goals, our staff prepare an annual plan to be presented to the Supervisory Board by the CEO in early September. The annual plan is fairly high-level and mostly names the top priorities for the next year and what parts of the budget to spend on it (2012 annual plan). Based on conversations and deliberations by the Supervisory Board, the CEO revises the plan and publishes it in the Forum for our members and the community to see and comment. In parallel, the CEO and members of the Supervisory Board conduct a tour through Germany where we present the plan and solicit feedback on it in five different cities. The tour is a direct consequence of the fact that, so far, we have rarely received much feedback online.

Taking into account all the feedback collected, the CEO publishes another revision of the plan in October, presents it to the Supervisory Board for final approval, and finally presents it to the Members Assembly to vote on in November.

Following the Members Assembly, our staff creates a specific project plan for the year outlining which activities and programs specifically to engage in, what resources are to be used, and how to measure success. The project plan is submitted to the Supervisory Board for approval and serves as the blueprint for the organization’s activities throughout the year.

Wrap-up

I know that was a lot, even though I’ve left out much of the detail.

One thing I want to add is that it took some years to come up with the governance structure we have today. The two-tier system was created just last year, for example. 2011 was also the first year that the annual plan was submitted to the Members Assembly for approval. 2010 was the first year an annual plan was created based on strategic objectives. We’ve only started publishing our financial statements in 2009. In the early years, our board was very hands-on, similarly to the Foundation prior to Sue becoming ED. I expect our governance structure to continue to evolve in the future, just as the organization continues to change and develop. There will be, for example, a push to regionalize our activities more starting in 2012, which may lead to actual sub-sections being started in two larger German cities. Having external auditors reviewing our books is also likely have an impact on how we understand and live governance and accountability. To make it short: this is all very much a work in progress that won’t likely ever come to an end as long Wikimedia Deutschland keeps evolving.

Alright, now I’m done. I hope this was helpful to you. If you have any questions, please feel free to leave a comment or contact me personally.

Eurobonds oder EU-Bonds?

Der Begriff „Eurobonds“ ist mehrdeutig. Historisch waren damit Anleihen zur Stützung des EU-Haushalts gemeint, in Form von Projektbonds gab es sie auch tatsächlich schon: die Europäische Union gibt Anleihen aus und haftet als Institution mit ihrem Haushalt für deren Einlösung. Eine sinnvolle Sache, die man gemeinsam mit einer originären EU-Steuer durchaus ausbauen könnte. Zum Beispiel könnte man überlegen, ob die EU selbst konjunkturpolitische Maßnahem einleitet, die dann aus Steuern und Bonds finanziert werden. Das alles ordentlich durch das Europäische Parlament legitimiert wäre allemal besser, als das unüberschaubare und in der Verantwortung nicht mehr nachvollziehbare Chaos der jetztigen Rettungsaktionen. Ich nenne dieses zur Unterscheidung mal „EU-Bonds“.

Wenn heute von „Eurobonds“ die Rede ist, dann ist etwas ganz anderes gemeint: ein Instrument zur Stützung der Haushalte in den Mitgliedsstaaten. Das Konzept geht so: eine zu schaffende Institution gibt Anleihen heraus. Für die Einlösung dieser Anleihen haften die Mitgliedsstaaten (nicht die Europäische Union!), bedienen darf sich an den Erlösen jeder Mitgliedsstaat bis zu einer gewissen Höchstgrenze seines BIPs. Um mal einen Vergleich zu bemühen: das wäre in etwa so, als wenn sich New York, Texas, Kalifornien, Massachusetts, Mississippi und Alabama zusammentun, eine Anleiheagentur eröffnen, Anleihen ausgeben und alle gemeinsam für diese Anleihen haften würden – und das alles an Präsident und Kongress in Washington D.C. vorbei.

Welchen Vorteil hätte das? Primär die Mitgliedsstaaten, die auf dem Finanzmarkt nicht mehr sinnvoll neue Schulden aufnehmen können, weil große Zweifel an ihrer zukünftigen Zahlungsfähigkeit besteht, würden damit eine neue Finanzquelle erhalten. Technisch betrachtet sinkt für sie einfach der Zinssatz, den sie mit der Schuldenaufnahme zahlen müssen. Direkte Gewinner der Eurobonds sind ganz klar diese Staaten.

Ein sehr großer Nachteil dieses Konstrukts ist jedoch, dass die anderen Mitgliedsstaaten, insbesondere diejenigen mit hervorragender Zahlungsfähigkeit, zukünftig höhere Zinsen zahlen werden müssen. Das liegt schon allein daran, dass sie jetzt auch für die Schulden anderer Mitgliedsstaaten haften, was notwendigerweise die erwartete Zahlungsfähigkeit reduziert.

Das viel größere Problem jedoch, und das ist auch der Grund, warum CDU und FDP auf die Barrikaden gehen, ist moral hazard. Darunter versteht man allgemein, dass derjenige, der eine Versicherung kauft, danach diesem Risiko offener gegenüber steht und zu riskanterem Verhalten neigt. Ein einfaches Beispiel: wer ohne Sicherheitsgurt Auto fährt, tut dies in der Regel vorsichtiger, als derjenige, der mit einem fährt. Übertragen auf die Eurobonds bedeutet das die Gefahr, dass Mitgliedsstaaten sich zukünftig stärker verschulden, als sie es ohne Eurobonds täten, weil sie wissen, dass die anderen Mitgliedsstaten sie im Notfall schon unterstützen würden.

Tatsächlich ist diese Gefahr gar nicht so weit hergeholt, wenn man berücksichtigt, dass die strauchelnden Länder in den Jahren bis zur globalen Finanzkrise erheblich vom starken Euro profitiert haben, der ihnen Zugang zu billigen Importen und billigen Schuldzinsen verschafft hat. Warum genau sollte die erneute Bereitstellung einer billigen Finanzierungsquelle zukünftig nicht dafür sorgen, dass genau dasselbe passiert?

Dass der alte Ansatz der EU-Bonds derzeit nicht weiterverfolgt wird, ist ärgerlich. Noch ärgerlicher ist, dass die Mitgliedsstaaten abseits von den EU-Institutionen (und damit auch abseits ihrer Kontrolle) weitere Institutionen schaffen wollen, um Dinge zu regeln, die inhaltlich betrachtet durchaus in den Kompetenzbereich der Union fällt. Statt einer offensichtlichen demokratischen Legitimation, bei der man vom Europäischen Parlament noch sprechen kann, verhandeln die Regierungschefs und Finanzminister unter sich und basteln sich etwas zusammen.

Hier rächt sich, dass der europäische Integrationsprozess an der Stelle bestenfalls die Hälfte der Strecke erreicht hat. Eine solche gemeinsame, unabhängig durch die Bundesstaaten gestaltete Anleiheagentur, würde die amerikanische Verfassung glasklar in die Schranken weisen – vermutlich wäre sie schlich politisch im Kongress gar nicht durchsetzbar. Bei der EU hat man aber spätestens mit dem Lissabon-Vertrag versäumt, die Freiheit der Mitgliedsstaaten untereinander nach Belieben Verträge abzuschließen, zugunsten der EU-Institutionen zu beschränken. Das ist deshalb so fatal, weil die Akzeptanz der Europäischen Union und ihrer Institutionen in der Bevölkerung eh schon ausbaufähig ist. Wenn zunehmend mehr fundamentale Europa-relevante Entscheidungen an den EU-Institutionen vorbei getroffen und durch eigene Institutionen auch noch gefestigt werden, wird diese Akzeptanz eher noch abnehmen – und dann fragt sich erst recht, warum er eigentlich zur Europawahl gehen soll oder warum dieser Barroso wichtig sein soll.

„Warum ich für den Wikipedia-Filter bin“

Eine Gegenposition zu meinem gestrigen Post schreibt heute der geschätzte Vorstandskollege Attila Albert.

Übrigens: auf der WikiCon dieses Wochenende in Nürnberg wird es eine Diskussionsrunde dazu geben. Eingeladen ist auch Ting Chen, seines Zeichens Vorsitzender des Kuratoriums der Foundation und Befürworter des Bildfilters. Auch aus diesem Grund kann ich die Teilnahme an der WikiCon nur empfehlen.

Was ich von einem Bildfilter in der Wikipedia halte

Derzeit läuft innerhalb des Wikimedia-Universums die Diskussion, ob die Foundation ein Stück Software entwickeln soll, dass es Lesern erlaubt, nach eigenem Wunsch bestimmte Gruppen von Bildern auszublenden (vulgo „Bildfilter“). Hintergrund der ganzen Angelegenheit sind eine Reihe von Einzelereignissen rund um Mohammed-Karrikaturen, Inhalte mit sexuellem Bezug, und das eine oder andere aus anderen Gründen kontroverse Bild. Den Auftrag, diese Software zu entwickeln, hat das Kuratorium der Foundation im Juni 2011 erteilt. Relevant ist das Thema heute, weil in den letzten Wochen eine globale Abstimmung zu Details dieses Bildfilters statffand sowie derzeit ein Meinungsbild in der deutschen Wikipedia läuft. Wer mehr zu den Hintergründen erfahren möchte, kann sich auf den verlinkten Seiten informieren. Das Thema wurde ebenfalls von einigen Medien aufgenommen, darunter in Deutschland der taz, telepolis und heise

Soviel zum Hintergrund. Nachdem ich ein paar Mal gefragt wurde, was ich denn nun von diesem Bildfilter halte, möchte ich die Gelegenheit nutzen, meine Position zum Thema darzustellen:

  1. Ich bin der Meinung, dass jeder das Recht haben sollte, umfassend nach eigenem Interesse am Wissen der Menschheit teilzuhaben. Das schließt auch benutzerdefinierte Filtermechanismen grundsätzlich nicht aus. Ich denke nicht, dass irgendjemand gegen seinen erklärten Willen gezwungen werden darf, Informationen ausgesetzt zu werden.
  2. Die Wikimedia-Projekte, allen vorand Wikipedia, haben es sich zur Aufgabe gemacht, Wissen zu sammeln und zu verbreiten. Grundsätze wie Neutralität, keine eigene Forschung und Belegbarkeit sowie der universale Anspruch der Projekte drücken für mich klar aus, dass es grundsätzlich keine Einschränkungen bei dieser Aufgabe geben darf. Daraus folgt, dass Ausnahmen gut begründete Einzelfälle bleiben müssen, die stets erneut auf den Prüfstand zu stellen sind.
  3. Gelder von Spendern, die uns und unsere Mission des Wissen sammeln und verbreiten unterstützen, gehören meiner Meinung nach nicht für die Erstellung eines irgendwie gearteten Bildfilters verwendet. Das gilt umso mehr, so lange es eine Unmenge ungelöster Probleme in unseren Projekten gibt, angefangen von der völlig schiefen demographischen Verteilung, über die schrumpfende Community, hin zu den vielen Millionen Menschen, die wir bisher kaum oder gar nicht erreichen. Das sind echte Probleme, die meiner Meinung nach unsere ungeteilte Aufmerksamkeit erfordern. Der Bildfilter ist eine unnütze Ablenkung von dem, was eigentlich wichtig ist.
  4. Wenn es einen tatsächlichen Bedarf an einem persönlichen Bildfilter gibt, so steht es Dritten frei, einen solchen zu entwickeln und beispielsweise als Browser-AddOn unter das Volk zu bringen. Es ist aber völlig unangemessen, diese Entwicklung mit Wikimedia-Ressourcen, ob nun mit Geld oder Arbeit, zu unterstützen.
  5. Schließlich sollte uns allen bewusst sein, dass Wikipedia gerade wegen ihrer Offenheit, ihrer Neutralität, ihrer Aktualität und dem Fehlen jeglicher Zensur geschätzt und geachtet wird. Ich sehe überhaupt gar keine Veranlassung, für soetwas Unwesentliches wie den Bildfilter diesen Ruf aufs Spiel zu setzen. In Projekten, die sich primär aus ihren Ideen und Grundsätzen speisen, ist die Identifikation der Beteiligten mit diesem Projekt einer der größten Werte. Die Entwicklung eines Bildfilters durch die Foundation führt, wie insbesondere das Meinungsbild in der deutschen Wikipedia zeigt, zu einer völlig unnötigen Entfremdung zwischen der Freiwilligencommunity und dem Betreiber.

Kurz gefasst: ich halte nichts davon, dass die Foundation einen Bildfilter für Wikipedia entwickelt. Es wäre für alle besser gewesen, wenn das Kuratorium das Thema einfach ignoriert hätte, statt den kurzsichtigen Beschluss zu fassen, den es gefasst hat. Ich weiß aus meinen Gesprächen mit Foundation-Mitarbeitern und Board-Mitgliedern, dass es auch innerhalb der Organisation sehr unterschiedliche Meinungen und Ansichten zu dem Thema gibt. Daher bin ich auch überzeugt, dass das letzte Wort dazu mitnichten gesprochen ist.

P.S. Wie alles in diesem Blog stellt auch dieser Beitrag nur meine persönliche Ansicht dar. Sie ist weder vom Vorstand des Vereins noch von irgendjemanden sonst autorisiert oder gar begutachtet worden.

Eine europäische Wirtschaftsregierung

Wer sich die Muße macht, mit mir über die Europäische Union und die Finanzkrise zu sprechen, wird schnell feststellen, dass ich großer Freund einer wesentlich durchdachteren und verantwortungsvolleren europäischen Integration bin. Eurobonds, eigene Steuern, eigener Haushalt – alles sehr gern, aber bitte nur im Zusammenhang mit einer klaren Aufgabentrennung zwischen Union und Mitgliedsstaaten.

Insofern könnten mich, auf den ersten Blick betrachtet, die heutigen Meldungen zur „europäischen Wirtschaftsregierung“, zum Beispiel wie diese von Spiegel Online, freudig stimmen. Allerdings, das tun sie nicht, denn das, was da zwischen deutscher Kanzlerin und französichem Präsidenten ausgehandelt wurde, ist letztlich nur ein weiterer Versuch, die strukturellen Fehler der Europäischen Union und die damit verbundenen Anreize zu kaschieren, statt sie zu beheben.

Einer der größsten strukturellen Fehler der Union liegt darin, dass dieses Konstrukt in vielen Bereichen immer noch als Staatenbund wahrgenommen und auch so behandelt wird. Der Normsetzungsprozess funktioniert beispielsweise so, dass die Regierungen der Mitgliedsstaaten sich auf irgendetwas einigen, das dann von den Mitgliedsstaaten umgesetzt werden muss, gegebenenfalls mit Überwachung durch europäische Institutionen. Diese Herangehensweise war zu Beginn der Europäischen Gemeinschaften, als es noch um zweckbeschränkte Zusammenschlüsse ging, durchaus die richtige. Sie ist es aber spätestens dann nicht mehr, wenn aus der Union ein föderaler Staat werden soll. Genau das wollen aber viele nicht (mehr), also wird kaschiert. Es werden zahnlose Institutionen geschaffen, die versuchen sollen, mittels politischen Drucks, denn mehr hat die Europäische Union ja nicht zur Auswahl, systembedingte Anreize zu übertrumpfen. Eine Europäische Wirtschaftsregierung, die zwei Mal im Jahr tagen und in der dann über die Koordinierung der nationalstaatlichen Wirtschaftspolitik gesprochen werden soll, ist zahnlos, weil der Anreiz, zu Lasten der anderen Mitglieder Geschenke zu verteilen um nationale Wahlen zu gewinnen, damit nicht gebrochen werden kann.

Was noch nie funktioniert hat, ist der Versuch, volkswirtschaftlich Rosinen zu picken. Man will eine Währungsunion, aber keine Politikunion. Man möchte EU-weite Vorgaben, aber keine Institutionen, die sie auch durchsetzen können. Man möchte als ein großer, starker Wirtschaftsblock in der Welt wahrgenommen werden, weigert sich aber, die europäischen Institutionen entsprechend zu gestalten.

Das Verhalten von Mitgliedsstaaten wie Griechenland, Italien oder Portugal ist durch und durch rational. Wie schon bei Banken zuvor werden Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert, nur halt auf zwischenstaatlicher Ebene.

Teil des Merkel-Sarkozy-Deals ist auch die Verankerung der Schuldenbremse nach deutschem Vorbild in den nationalen Verfassungen der Eurozone. Mal abgesehen davon, dass die tatsächliche Wirkung dieser Schuldenbremse völlig unbekannt ist, schließlich gibt es generell keinen kausalen Zusammenhang zwischen Intention und Ergebnis, ist es so gut wie ausgeschlossen, dass die Eurostaaten alle auf deutsch-französischem Geheiß anfangen, ihre Verfassungen zu ändern. Hier hat man wohl vergessen, dass die Verfassung der grundlegende Vertrag zwischen Staat und Volk ist, den man im Regelfall nicht eben mal auf Zuruf bzw. aufgrund politischer Kompromisse ändert, auch wenn die Entwicklung des Grundgesetzes da etwas anderes vermuten lässt. Der Wunsch, das Ganze möge bitte bis Mitte 2012 geschehen, ist dann nur noch lachhaft.

Es stellt sich tatsächlich auch die Frage, was dieser Deal bezwecken sollte. Theoretisch könnte man als Intention ja annehmen, dass man eine Perspektive gepaart mit Entschlossenheit sie zu verwirklichen darstellen wollte, um letztlich die Märkte zu beruhigen. Wenn dem so ist, dann sind die gewählten Mittel dieser Darstellung gründlich misslungen. Wenn jeder vernünftig denkende Mensch weiß, dass es keine euroweite Schuldenbremse geben wird, und auch jeder vernünftig denkende Mensch angesichts der jüngsten „Erfolgsgeschichte“ neuester europäischer Institutionen weiß, dass diese Europäische Wirtschaftsregierung rein gar nichts ändern wird, wie genau soll dann so eine Darstellung eine Beruhigungsfunktion auslösen?

Wofür der Deal bestenfalls taugen könnte, wäre zur innenpolitischen Beruhigung. Sowohl die Kanzlerin als auch der Präsident können Einigkeit und gleichzeitig Beharrlichkeit bei den eigenen Grundsätzen demonstrieren, was angesichts aktueller Umfragewerte, den in Deutschland anstehenden Wahlen und insbesondere der Bundestagsabstimmung zum EU-Rettungsschirm vielleicht nützlich sein könnte. Ich habe da aber angesichts der inhaltlichen Leere dieses Deals meine Zweifel.