Narr

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Narr auf einer Kneipentür in Brüggen

Als Narr oder als Tor (davon hergeleitet töricht als Eigenschaft) wurde im Mittelalter jene Person genannt, die als Spaßmacher für Unterhaltung und Belustigung sorgen sollte und dabei meist auffällig gekleidet war. Als Tor oder Narr werden auch Personen bezeichnet, die sich sehr unreif, dumm, tollpatschig, voreingenommen, vorurteilsbehaftet und ignorant verhalten und die sich auf Basis ihrer Unwissenheit als Gelehrte aufplustern, ohne ihre Unwissenheit zu erkennen, weil sie denken, ihre Unwissenheit sei großes Wissen.

Außer Gebrauch gekommen ist die allgemeine Bedeutung eines „Narren“, der „närrische“, verdrehte, einfältige Dinge tut, halb mutwillig, halb wahnsinnig. Der Ausdruck wurde verunglimpfend gebraucht; allenfalls die Bezeichnung „Närrchen“, für ein Kind oder einen Jugendlichen, drückte gemischte Sympathie aus.

Etymologie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Herkunft des nur deutschen Wortes Narr (mhd. narre, ahd. narro) ist nicht sicher geklärt. Der Romanist Friedrich Christian Diez hat eine Ableitung vom spätlat. Wort nārio in der Bedeutung von Nasenrümpfer, Spötter empfohlen.[1][2] Zum Beispiel gibt es in der Narrenzunft Rolli-Dolli der Gemeinde Grenzach-Wyhlen die Figur Nasenrümpfer.

Wortbildungen sind Narretei im Sinne einer Posse,[3] das Narrenmatt im Schachspiel. Ein ernsthafteres Element wird sichtbar, wenn man – wie die Europäische Ethnologie es tut – die Querverbindungen zum Trickster und Schelm miteinbezieht.

Mittelalterliche Narrenfiguren[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Schalcksnarr aus Jost Ammans Ständebuch (1568)

Aus dem 12. Jahrhundert stammen Psalterillustrationen, die bei Psalm 53 (nach der früheren griechischen und lateinischen Zählung: Psalm 52) meist eine Figur zeigen, die einem König gegenübersteht. Diese Figur ist oft nackt, schwingt eine Keule oder isst ein Brot. Im weiteren Verlauf des Mittelalters veränderte sich diese Figur. Sie trug ein meist farbiges Kleid, oft ein Mi-Parti, das mit Schellen behängt war. Die Keule hatte sich zur Marotte oder zum Spiegel weiterentwickelt, ein Zeichen, dass der Narr in sich selbst verliebt war und Gott nicht erkannte. Oftmals wird die Figur mit einer Gugel, einer zipfeligen Mütze oder Kappe dargestellt, die ebenso mit Schellen behangen ist.

Narrenspiegel am Rathaus von Nördlingen

Diese Figur soll einen Narren, einen Unweisen (lat. insipiens) darstellen, der den weisen König David verhöhnt, der für Glauben steht und als Vorläufer Christi gilt. Der Anfang des Psalmes lautet: „Dixit insipiens in corde suo: Non est Deus“ („Es spricht der Narr in seinem Herzen: Es gibt keinen Gott“). Der Narr war also keineswegs eine Figur, die nur Späße machte, sondern eine negative Gestalt. In vielen Bildern wird der Narr häufig jenseits der Ständeordnung oder an allerletzter Stelle neben den Räubern, Blinden und anderen zwielichtigen Gestalten dargestellt. Eben bei jenen Figuren, die als sozial und geographisch heimatlos gelten und in der Welt umherirren, ohne von jemandem Anerkennung zu erhalten; noch in irgendeine gemeinschaftliche Gruppe aufgenommen werden. Da Gott aber den Menschen – laut Gen 1,27 – nach seinem Bild geschaffen haben soll, konnten solche unvollkommenen, nutzlosen, verkehrten Wesen in keiner Weise Ebenbilder desselben sein. Dadurch sagte man dem Narr eine Verwandtschaft mit dem Teufel nach, der für den Ursprung aller Narrheit stand.

Durch seine Gottesferne und seine Nähe zum Teufel stand der Narr später (14., 15. und 16. Jahrhundert) für vanitas (lat. Vergänglichkeit), also für den Tod. Der Narr hatte durch diese Allegorien den Einzug in die mittelalterliche Fastnacht gefunden, in der er heute noch eine große Rolle spielt. Hier sollte er ebenfalls als negative Gestalt in der negativen Zeit (die Fastnacht vor der österlichen, positiven Fastenzeit) seine Rolle als Gottesleugner, Teufel und Tod spielen.

Zu den Narren zählten aber nicht nur die geistig zurückgeblieben und körperlich Fehlgebildeten, sondern auch eine Gruppe von Leuten, die aus anderen Gründen mit Misstrauen betrachtet wurden. Denn auch die Juden hatten keinen Platz innerhalb der gesellschaftlichen Gemeinschaft. Durch die Weigerung, dem Christentum beizutreten, ordneten sie sich selbst der Gruppe der Außenseiter zu. In der Fastnacht wurden Juden nicht als Vorbilder für die Kostümierung benutzt, sondern wurden zum Spottobjekt umfunktioniert. Auch die „Mohren“ gehören als typische Angehörige des Heidentums zu dieser Gruppe von Menschen. Eine gewisse Nähe zum Narren hat auch der Bauer, der sich aufgrund des Mangels an Manieren und Bildung von der höheren Gesellschaft absondert und deshalb als unvollkommen dargestellt wird.

In GoethesFaust II“ tritt der Teufel als Hofnarr auf.

Die verhältnismäßig späten Illustrationen in Psalterhandschriften können jedoch nicht dafür stehen, dass es die Figur des Narren bzw. Hofnarren nicht schon viel früher gegeben hat. Bereits Karl der Große verbot 789 dem Klerus in seinem Reich, sich neben Jagdhunden, Falken und Adlern auch „Spaßmacher“ zu halten. Auch sind Spaßmacher aus der Antike bekannt, wobei hier im Zweifel ist, inwiefern sie tatsächlich als Narr oder Hofnarr fungierten.

Hofnarren im Mittelalter und früher Neuzeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Narrenschiff, Gemälde von Hieronymus Bosch

Narren fanden sich sowohl im ritterlichen Gesinde als auch an Fürstenhöfen. Im französischen Schachspiel hat der Narr („Fou“) gar die Rolle des Läufers im deutschen Schach. Für die dort tätigen Hofnarren galt die Narrenfreiheit, die es ihnen ermöglichte, ungestraft Kritik an den bestehenden Verhältnissen zu üben. Auch die Parodierung von Adeligen war den Hofnarren erlaubt.

Das Hofnarrentum war eine ideengeschichtlich klar begründete Institution, die fast immer ein fester Bestandteil des Hofstaates war. Die Hofnarren als „Offizianten“ (in einem festen höfischen Amt) sollten ursprünglich ihren Herrn nicht belustigen, sondern ihn als ernste Figur ständig daran erinnern, dass auch er der Sünde verfallen könne, und in religiöser Deutung seinem Herrn als Erinnerer an die Vergänglichkeit seines menschlichen Daseins dienen. Sie waren also eine soziale Institution zulässiger Kritik. Ihre gesonderte Stellung mit der fehlenden Bindung an gesellschaftliche Normen ermöglichte dem Narren einen besonders großen Handlungsfreiraum – da alles, was er sagte, aufgrund seiner „Narrheit“ als nicht ernst betrachtet werden konnte. Darauf begründet sich der heute noch viel verwendete Begriff der „Narrenfreiheit“.

Der klassische Hofnarr begann sich jedoch spätestens seit dem 14. Jahrhundert von der allgemeinen „Narrenfigur“ zu unterscheiden. Während Ersterer eine Stellung bei Hofe, die eines Unterhalters, eines Spaßmachers und Zeitvertreibers hatte, hatte der allgemeine Narr eine religiöse, philosophische Funktion, nach der er (spätestens seit dem 12. Jahrhundert) für Gottesferne, sündhaftes Leben und Vergänglichkeit stand. Ursprünge für diese Funktion finden sich bereits im Römischen Reich, als beim Einzug des römischen Kaisers in Rom nach einem erfolgreichen Kriegszug ein – meist besonders hässlicher – Sklave direkt hinter ihm mitgeführt wurde, um ihn an die Vergänglichkeit seines Ruhmes zu erinnern (Memento mori).

Der Narr entstand als eine Figur, die keinen festen Platz in der ständischen Ordnung und somit in der Gesellschaft hat, die sich keinerlei Normen verpflichtet fühlt und in ihrer menschlichen Gegebenheit aus dem System fällt.

Im Mittelalter unterschied man zwei Arten von Narren, die natürlichen und die künstlichen Narren. Als natürliche Narren galten Geisteskranke, geistig Behinderte und Missgestaltete. Die künstlichen Narren waren Menschen, die sich dumm oder tölpelhaft stellten, absichtlich Scherze trieben. Diese Menschen mussten ein gewisses Maß Intelligenz besitzen, um glaubwürdig in die Rolle des Narren schlüpfen zu können. Man erfreute sich ihrer Unterhaltung und entwickelte eine gewisse Sympathie und Bewunderung ihnen gegenüber. Zu den „natürlichen Narren“ dagegen wahrte man lieber Distanz; diesen Menschen drohte je nach Ausmaß ihrer Missbildung die Isolierung von der Gesellschaft.

Der Hofnarr Sebastián de Morra, Ölgemälde von Velázquez, 1636

Im frühen Hochmittelalter waren es vor allem körperlich Behinderte oder Kleinwüchsige, Hofzwerge, die wie Raritäten zum Teil in Käfigen gehalten wurden, aus denen man auch (wie im Sprichwort) einen Narren machte. Die Herrscher wetteiferten darin, wer den spektakulärsten Narren in seiner Sammlung hatte.

Im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit waren es zunehmend Menschen, die sich nur dumm stellten oder über besonderes künstlerisches oder humoristisches Talent verfügten, die als Unterhalter engagiert wurden. Teilweise gab es an Höfen Narrenausbilder, die auffällige Kinder aus der Umgebung zusammensuchten und sie zu Hofnarren ausbildeten.

In der frühen Neuzeit waren es nicht selten durchaus intelligente und intrigante Strippenzieher, die ihren Posten als Hofnarr ausnutzten, um sich ein schönes Leben bei Hofe zu machen, zum Beispiel die französische Närrin Mathurine, die sich zusätzliches Geld damit verdiente, dass sie Hofklatsch drucken ließ und eigenhändig auf dem Pont Neuf in Paris ans gemeine Volk verkaufte.

Manche Städte unterhielten sogenannte Stadtnarren, die zur allgemeinen Belustigung Späße treiben durften. Ihre Entlohnung bestand meist aus erbettelten Gaben.

Hofnarr im 15. Jahrhundert

Im 14. Jahrhundert kam jedoch mehr und mehr in Mode, sich neben den „natürlichen Narren“ auch Spaßmacher zu halten. Ein Beispiel hierfür ist der Lieblingshofnarr Kaiser Maximilians I. (1459–1519), Kunz von der Rosen, ein intelligenter Mann, der es verstand, durch seine Späße und seine Anmerkungen nicht selten zum Nachdenken anzuregen. So wurde er einmal vom Rat des Kaisers befragt, was er von einem Friedensangebot halte. Von der Rosen antwortete darauf mit der Frage, wie alt er geschätzt werde. Nach einigen Versuchen sagte er, dass er schon über 200 Jahre alt sei, da er schon mindestens zwei Friedensangebote in Kraft treten gesehen habe, die beide über jeweils 100 Jahre abgeschlossen wurden.

Nichtsdestoweniger hielten sich die Fürsten auch weiterhin natürliche Narren, zum Beispiel den Narren namens Claus Narr von Ranstedt, einen stiernackigen, verwirrten Mann, der an verschiedenen Höfen in der Gegend des heutigen Sachsens mehr oder weniger „herumgereicht“ wurde.

Als Narren engagierte Menschen konnten gelegentlich auch Karriere machen. Beispiel hierfür ist der Zwerg Perkeo, der als kleinwüchsiger Spaßmacher am Heidelberger Schloss begann und aufgrund seiner Intelligenz, seiner Kenntnisse und Einsatzfreude Haushofmeister des Kurfürsten wurde.

Am Hofe Augusts des Starken war ebenfalls ein berühmter Hofnarr angestellt, der den passenden Namen Joseph Fröhlich trug.

Narren hatten zu Teilen an Fürstenhöfen auch die politische Funktion, zu Zeiten absolutistischer Herrschaft die einzigen zu sein, die dem Fürsten noch die Wahrheit übermittelten, ihn an das Geschehen in seinem Herrschaftsbereich ankoppelten. Sei es, dass sie selbst als Spaßmacher oder Künstler scharfe Beobachter des Zeitgeschehens waren oder aber sich von Ratgebern und Hofleuten zur Übermittlung von Informationen oder Meinungen instrumentieren ließen und Wahres und Nachdenkenswertes dem Fürsten übermittelten. Dinge, die ein „normaler Mensch“ wegen des Zornesrisikos sich nicht vor Publikum oder Zeugen zu sagen getraut hätte, weshalb man eben noch den Narren vorschicken konnte. Wenn die Meinungen und Mitteilungen ungefällig waren, dann tat man es eben als „Narretei“ ab.

Narren außerhalb Europas[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Vidushaka im südindischen Sanskrittheater Kutiyattam

Bei vielen Theaterstilen in Indien sorgt ein Narr oder eine komische Figur für den Kontakt der Schauspieler mit dem Publikum. Während die Hauptdarsteller innerhalb einer streng reglementierten Formensprache agieren, besteht die Komik des Narren darin, bewusst alle Normen der Theaterbühne und der Gesellschaft zu missachten. Vermutlich wurde die Figur des Narren (sanskrit Vidushaka) im altindischen klassischen Sanskrittheater im 1. Jahrtausend v. Chr. aus einem bereits vorhandenen Volkstheater übernommen. Dieses Theater lebt heute noch im südindischen Kutiyattam fort. Im Natyashastra,[4] dem um die Zeitenwende entstandenen grundlegenden Werk über Tanz, Theater und Musik, wird der Vidushaka als zwergenhafte Kreatur beschrieben. Möglicherweise wurden um diese Zeit wie im Alten Ägypten Kleinwüchsige zur Unterhaltung vorgeführt.[5] Narren sind heute in Indien ein unverzichtbarer Handlungsbestandteil vom volkstümlichen Unterhaltungstheater Nautanki über das religiöse Tanztheater Ras lila bis zum Besessenheitsritual Mutiyettu.

Faszination des Narren[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Faszination, die vom Narren ausgeht, begründet sich wohl hauptsächlich darin, dass er ein Attribut verkörpert oder lebt, dem jeder Mensch durch eine Lappalie verfallen könnte. Die Verkörperung der Dummheit, verwerfliche moralische oder ethische Handlungen, gesellschaftliches Fehlverhalten oder einfach Auffälligkeit, sind Eigenschaften, die irgendwo jedem Menschen anhaften, Eigenschaften, denen man in einem Moment der Unachtsamkeit verfallen kann und sich somit zur Gruppe der Außenseiter gesellt.

Trotz seiner Abgeschiedenheit und besonderen Behandlung besteht also eine relativ hohe Identifikation mit der Figur des Narren. Denn die Tatsache, dass jeder narrenhafte Züge trägt und egal, welcher ständischen Kategorie er angehört, in diese gesellschaftliche Gruppe absinken könnte, macht den Narren anziehend und in gleicher Weise zu einem Symbol der menschlichen Ängste des triebhaften Fehlverhaltens. Der Narr als Phänomen, das jeden in jedem Augenblick ereilen kann, das einen zum Lachen und Ängstigen bringt; eine Figur, die zu viele Rätsel mit sich bringt, als dass man sie nicht in irgendeiner Weise, zwar mit gewisser Distanz, aber trotzdem mit Interesse, betrachtet.

Narr heute[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Heute wird das Wort Narr nur noch selten als abwertende Bezeichnung für Menschen verwendet, die sich unvernünftig verhalten. Erhalten hat sich allerdings der Volksmund-Spruch „Narrenhände beschmieren Tisch und Wände“. In einigen Dialekten, so z. B. im Österreichischen und Bayrischen, werden Konnotationen zum Narren weiterhin in der Umgangssprache gebraucht (z. B. „narrisch werden“ für verrückt werden, oder „Narrenhaus“ für Irrenhaus bzw. psychiatrische Anstalt, oder „ins Narrnkastl schaun“ für geistesabwesend ins Leere starren). Ebenso sind sprichwörtliche Redensarten zuweilen gebräuchlich, wie: "Ein Narr und sein Gold sind bald getrennt". Geblieben ist auch die Formulierung "vernarrt sein" für "total verliebt sein", wobei Fehler und Schwächen der geliebten Person bzw. des geliebten Gegenstandes vom Verliebten ignoriert werden; auch hier wiegt die negative Bedeutung schwer.

Insbesondere in der Zeit vor Aschermittwoch, also der Fastnacht oder dem Karneval, tritt die Figur des Narren heute noch häufig auf. So werden Karnevalsteilnehmer heute auch Narren genannt.

Die Stadt Conwy in Wales besitzt seit 2015 (nach über 700 Jahren) mit Russel Erwood wieder einen offiziellen Stadt-Narren.[6]

Narrenattribute[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Narren erhielten im Laufe der Jahrhunderte vielfältige Attribute. Zwar waren die Narren auf den ersten Blick nicht als solche zu erkennen, doch über ihre Attribute konnten sie schließlich identifiziert werden. Die Vorstellung davon, woran ein Narr normalerweise zu erkennen ist, entwickelte sich im europäischen Mittelalter zwischen dem 12. und dem 15. Jahrhundert – bis etwa 1500 hatte der Narr eine ganze Vielfalt an Attributen.

Rezeption[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Narrenliteratur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Narrenliteratur wird eine volkstümliche, satirische Literatur genannt, die eine Beschreibung der menschlichen Schwächen durch Karikierung und Übertreibung zum Inhalt hat und darin eine Belehrung des Lesers, sowie eine Kritik des Zeitgeistes beabsichtigt. Oftmals wurde hierbei die Figur des Narren benutzt, um die Gesellschaft als solchen zu karikieren. Besonders im ausgehenden Mittelalter hatte die Narrenliteratur Hochkonjunktur, was sich neben dem bekannten Werk Sebastian Brants Narrenschiff (1494) auch im Lob der Torheit (1509) von Erasmus von Rotterdam, sowie den Schildbürgern und Till Eulenspiegel (1515) niederschlug. Auch Aus dem Leben eines Taugenichts von Joseph von Eichendorff und Der abenteuerliche Simplicissimus von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen können als Narrenromane gelten. Daneben findet sich auch die Erzählung "Hopp-Frosch" von Edgar Allan Poe mit dem Hofnarren gleichen Spitznamens als Titelfigur.

Narrenfiguren in der bildenden und darstellenden Kunst[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Narren, insbesondere Hofnarren, wurden mit ihren Attributen immer wieder bildlich oder figürlich dargestellt, so in Bildern von Diego Velasquez und in den Büsten bzw. Figurinen von Joseph Fröhlich, des Hofnarren Augusts des Starken. Der polnische Maler Jan Matejko (1838–1893) stellte in mehreren Gemälden den Hofnarren Stańczyk († um 1560) dar, wie er trotz glänzenden Erfolgen des polnischen Staats zu seinen Lebzeiten pessimistisch in die Zukunft schaut, in der – zu Matejkos Lebzeiten – Polen als Staat nicht existierte.

Trotz ihres geringen Ansehens in der Gesellschaft fand die Figur des Narren immer wieder auch Eingang in die klassische Musik, sogar als Protagonist.[7] Berühmte Beispiele hierfür sind Rigoletto von Giuseppe Verdi und Der Bajazzo von Ruggero Leoncavallo.

Eine heute noch verbreitete Darstellung des Hofnarren findet sich im Joker aus den Kartenspielen Canasta, Rommé und anderen, mit den typischen Attributen: ein lachender Mann in kunterbunter Kleidung mit schellenbehangener Narrenkappe, oft gedoppelt durch eine Marotte mit seinem Konterfei, gelegentlich auch mit einem Musikinstrument.

Schachvariante Jester’s Game[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In dieser Variante (deutsch: Spiel des Narren) operiert der Narr als Spielfigur mit den Zugmöglichkeiten von Turm, Läufer und Springer, ohne jedoch schlagen zu können. Zugleich kann er nur geschlagen werden, wenn er von zwei Parteien gleichzeitig bedroht wird, und die Figur, die ihn schlägt, verlässt mit ihm zusammen das Brett. Der Bezug zwischen Spiel und realem Hofnarren ergibt sich wie folgt: Wer einen Hofnarren schlug, vergriff sich an einer wehrlosen Person und schlug sich dadurch selbst.

Narr in Christo[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ausgehend von einer tragischen Interpretation des Lebens Jesu Christi hat sich eine breite von dieser inspirierte Narrenliteratur besonders in Russland (siehe Jurodiwy) entwickelt. Der Narr in Christo ist im Osten bereits im 6. Jahrhundert durch Symeon von Emesa belegt. Später wurde er besonders in der russisch-orthodoxen Kirche durch den Heiligentypus der beim Volk hoch angesehenen Gottesnarren verkörpert. Außer in vielen russischen Legenden findet sich die Figur des Narren in Christo etwa bei Nikolai Leskow in seiner Erzählung Der Gaukler Pamphalon (1887). In der Westkirche zählt z. B. Franz von Assisi zu den Vorbildern dieser Figur in Literatur und Film. In Deutschland hat sie Gerhart Hauptmann in seinem Roman Der Narr in Christo Emanuel Quint aufgenommen.

Die Tradition des Narren in Christo geht auf einige Zeilen des Apostels Paulus zurück: Einerseits mimt Paulus selbst einmal rhetorisch den Narren (2 Kor 11,1.16 EU und 2 Kor 12,10f EU), andererseits stellt er die christliche Weisheit als Narretei vor der Welt dar (1 Kor 3,18 EU).

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Primäre Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Abraham a Sancta Clara: Hundert Ausbündige Narren. Nach der Ausgabe von 1709. Mit einem Nachwort von Wilfried Deufert und 101 Tafeln von Johann Christoph Weigel. Harenberg, Dortmund (= Die bibliophilen Taschenbücher. Band 51).
  • Friedrich Nick: Die Hof- und Volksnarren sammt ihrer närrischen Lustbarkeiten. J. Scheible, Stuttgart 1861;
    • Band 1: Die Hofnarren, Lustigmacher, Possenreißer und Volksnarren älterer und neuerer Zeiten. Ihre Spässe, komischen Einfälle, lustigen Streiche und Schwänke.
    • Band 2: Das Komische und Groteskkomische in Schaudarstellungen verschiedener Zeiten und Nationen, Narren- und Esels-Feste, närrische Lustbarkeiten und lustige Possen, Gecken und Narren-Orden. Auch andere komische, weltliche und kirchliche Belustigungen, Curiositäten usw.
  • Erasmus von Rotterdam: Moriae Encomium Declamatio. Schürer, Straßburg 1511 (als: Das Lob der Narrheit. Aus dem Lateinischen des Erasmus. Von Wilhelm Gottlieb Becker. Mit Kupfern von Chodowiecky. bei Georg Jacob Decker, Berlin/ Leipzig 1781; als: Das Lob der Narrheit. Mit vielen Kupfern nach den Illustrationen von Hans Holbein und einem Nachwort von Stefan Zweig. Diogenes, Zürich 1987, ISBN 3-257-21495-2).
  • Sebastian Brant: Das Narrenschyff. (PDF; 75,6 MB). Johann Bergmann, Basel 1494.
  • Sebastian Brant: Das Narrenschiff. Nach der Erstausgabe (Basel 1494) mit den Zusätzen der Ausgaben von 1495 und 1499 sowie den Holzschnitten der deutschen Originalausgaben (= Neudrucke deutscher Literaturwerke. NF Band 5). Herausgegeben mit einer Einleitung von Manfred Lemmer. 3., erweiterte Auflage. Niemeyer, Tübingen 1986, ISBN 3-484-17005-0.

Sekundäre Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Clemens Amelunxen: Zur Rechtsgeschichte der Hofnarren. de Gruyter, Berlin/ New York 1991, ISBN 3-11-013217-6. (ausschnittsweise bei Google Books)
  • Edgar Barwig, Ralf Schmitz: Narren. Geisteskranke und Hofleute. In: Bernd-Ulrich Hergemöller (Hrsg.): Randgruppen der spätmittelalterlichen Gesellschaft. Neu bearbeitete Ausgabe. Fahlbusch, Warendorf 2001, ISBN 3-925522-20-4, S. 220–252.
  • Peter Burke: Helden, Schurken und Narren. Europäische Volkskultur in der frühen Neuzeit. Herausgegeben und mit einem Vorwort versehen von Rudolf Schenda. Klett-Cotta, Stuttgart 1981, ISBN 3-12-930630-7.
  • Karl Friedrich Flögel: Geschichte der Hofnarren. Liegnitz/ Leipzig 1789. (Nachdruck: Olms, Hildesheim/ New York 1977)
  • Peter Fuchs: Hofnarren und Organisationsberater. Zur Funktion der Narretei, des Hofnarrentums und der Organisationsberatung. In: Marie-Christin Fuchs (Hrsg.): Konturen der Modernität. Systemtheoretische Essays II. transcript, Bielefeld 2005, ISBN 3-8394-0335-9, S. 17–35. (online auf: books.google.de)
  • Hadumoth Hanckel: Narrendarstellungen im Spätmittelalter. Freiburg (Breisgau) 1952. (Maschinenschriftlich; Freiburg (Breisgau), phil. Dissertation vom 29. Mai 1952)
  • Barbara Könneker: Wesen und Wandlung der Narrenidee im Zeitalter des Humanismus. Brant, Murner, Erasmus. F. Steiner Verlag, Wiesbaden 1966. (Zugleich: Universität, Frankfurt am Main, Habilitations-Schrift)
  • Maurice Lever: Zepter und Schellenkappe. Zur Geschichte des Hofnarren. (= Fischer. 10502). Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 1992, ISBN 3-596-10502-1. (fr. Originalausgabe: Le Sceptre et la Marotte. Historie des Fous de Cour, Paris 1983)
  • Lutz S. Malke (Hrsg.): „La Folie“. Wahnsinn und Narrheit im spätmittelalterlichen Text und Bild. Heidelberg 1990.
  • Lutz S. Malke: Narren. Porträts, Feste, Sinnbilder, Schwankbücher und Spielkarten aus dem 15.–17. Jahrhundert. Berlin 2001.
  • Hadumoth Meier: Die Figur des Narren in der christlichen Ikonographie des Mittelalters. In: Das Münster. Jg. 8, Heft 2, 1955, ISSN 0027-299X, S. 1–11.
  • Katharina Meiser, Sikander Singh (Hrsg.): Narren, Clowns, Spaßmacher. Studien zu einer Sozialfigur zwischen Mittelalter und Gegenwart. Wehrhahn, Hannover 2020, ISBN 9783865257543.
  • Dietz-Rüdiger Moser: Fastnacht, Fasching, Karneval. Das Fest der „verkehrten Welt“. Edition Kaleidoskop, Graz u. a. 1986, ISBN 3-222-11595-8.
  • Heiner Meininghaus: Narrenzepter oder Marotten. In: Weltkunst. 72. Jg., Nr. 13, November 2002, ISSN 0043-261X, S. 2031–2033.
  • Werner Mezger, Irene Götz: Narren, Schellen und Marotten. Elf Beiträge zur Narrenidee. (= Kulturgeschichtliche Forschungen. Band 3). 2., verbesserteAuflage. Kierdorf, Remscheid 1984, ISBN 3-922055-98-2.
  • Werner Mezger: Hofnarren im Mittelalter. Vom tieferen Sinn eines seltsamen Amts. Universitätsverlag, Konstanz 1981, ISBN 3-87940-186-1.
  • Werner Mezger: Narrenidee und Fastnachtsbrauch. Studien zum Fortleben des Mittelalters in der europäischen Festkultur. (= Konstanzer Bibliothek. Band 15). Universitätsverlag, Konstanz 1991, ISBN 3-87940-374-0. (Zugleich: Freiburg (Breisgau), Universität, Habilitations-Schrift, 1990)
  • Friedrich Nick: Die Hof- und Volksnarren, sammt den närrischen Lustbarkeiten der verschiedenen Stände aller Völker und Zeiten. 2 Bände. Stuttgart 1861.
  • Walter Nigg: Der christliche Narr. Artemis, Zürich 1956.
  • Beatrice K. Otto: Fools are everywhere. The Court Jester Around the World. University of Chicago Press, 2001, ISBN 0-226-64091-4.
  • Wolfgang Promies: Der Bürger und der Narr oder das Risiko der Phantasie. Hanser, München 1966.
  • Heinz-Günter Schmitz: Das Hofnarrenwesen der frühen Neuzeit. Claus Narr von Torgau und seine Geschichten. Münster Westf. 2004, ISBN 3-8258-4644-X.
  • John Southworth: Fools and Jesters at the English Court. Sutton, Stroud 1998, ISBN 0-7509-3477-8.
  • Erica Tietze-Conrat: Dwarfs and Jesters in Art. London 1957.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wiktionary: Narr – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Commons: Narr – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikiquote: Narr – Zitate

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. de Gruyter, Berlin/ New York 1975, Lemma Narr.
  2. Duden: Das Herkunftswörterbuch. Etymologie der deutschen Sprache. Mannheim 2007, Lemma Naar.
  3. Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. de Gruyter, Berlin/ New York 1975, Lemma Narretei.
  4. Sreenath Nair: The Natyasastra and the Body in Performance: Essays on the Ancient Text. McFarland, Jefferson 2014.
  5. Manohar Laxman Varadpande: History of Indian Theatre. Band: Classical Theatre. Abhinav Publications, Neu-Delhi 2005, ISBN 81-7017-430-9, S. 34.
  6. Benjamin Schulz: Hofnarr in Wales: Die Witzfigur von Conwy. In: Spiegel online. 24. August 2015.
  7. Jasmine Rudolph: Der Narr in der Oper. Eine kulturwissenschaftliche Annäherung. Dissertation. Universität Bayreuth 2015. (Volltext)