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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

12. 6. 2014 - 15:30

Sicherheit von Vorratsdaten wurde nie überprüft

Die große Überraschung der heutigen VfGH-Verhandlung war, dass es seit 2012 keine einzige Sicherheitsüberprüfung dieser Sammlung sensibler Daten bei den Providern gab.

Am Verfassungsgerichtshof (VfGH) wurde heute eine Klage verhandelt, deren Bedeutung weit über Österreich hinausgeht. Der VfGH ist nämlich das erste nationale Höchstgericht, das nach der Annullierung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung über die Verfassungsmäßigkeit dieser Maßnahme entscheiden wird.

Letztes Update 20:09

Nach der Verhandlung, die als einzige wirkliche Überraschung ergeben hatte, dass die Sicherheit der auf Vorrat gespeicherten Daten kein einziges Mal überprüft worden war, zeigten sich die Vertreter der klagenden Parteien vorsichtig bis durchwegs optimistisch. Anhand des Verhandlungsverlaufs habe sich gezeigt, dass "die Richter sehr detailliert und technikspezifisch nachgefragt" hätten, sagte Gerald Otto, der den Privatkläger Michael Seitlinger vertritt, zu ORF.at.

Vorsicht und Optimismus

Vor allem die genauen Fragen, welche Internetdienste von der Vorratsspeicherung nicht erfasst würden - etwa WhatsApp oder Skype - ließen bei ihm den Eindruck aufkommen, dass die Richter an der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme zweifelten, so Otto abschließend.

Genau davor hatte die "Initiative für Netzfreiheit" 2012 gewarnt: die für Sicherheitschecks gesetzlich als zuständig erklärte Datenschutzkommission sei keinesfalls "mit Ressourcen, Personalstand, Technikern oder Sanktionsmöglichkeiten ausgestattet, die einer solchen Aufgabe entsprechen würden"

"Ich bin auch vorsichtig optimistisch, allerdings mit starker Betonung auf dem Wort 'optimistisch'", sagte Kläger Christof Tschohl vom Boltzmann-Institut für Menschenrechte. Als Techniker und Jurist hatte Tschohl seinen großen Auftritt im letzten Drittel der Verhandlung, als die Vertreter der Bundesregierung von den Richtern sehr detailliert befragt wurden und bei komplexeren technischen Zusammenhängen auf Tschohl verweisen mussten.

"Der AKVorrat beurteilt die gesamte Dynamik der heutigen Verhandlung sehr positiv. Ähnlich wie schon vor dem EuGH in Luxemburg, lag die Rechtfertigungslast bei der Bundesregierung, so Thomas Lohninger, Sprecher des AKVorrat. "Wir gehen nun mit begründetem Optimismus davon aus, dass die Vorratsdatenspeicherung demnächst auch innerstaatlich aufgehoben wird."

Rechtsanwalt Ewald Scheucher bedauerte allerdings, dass die "Fokussierung auf die durch den Gerichtshof selbst formulierten konkreten Punkte keinen Raum gelassen hat, den durch die anlasslose Überwachung vollzogenen Paradigmenwechsel vom Freiheits- zum Sicherheitsstaat über das schriftliche Vorbringen hinaus zum Thema zu machen".

Rechtsanwalt Gerald Scheucher (links) und Christof Tschohl nach Ende der Verhandlung.

Christof Tschohl und sein Anwalt Gerald Scheucher nach der Verhandlung

CC-BY-2.0 Andreas Demmelbauer

CC-BY-2.0 Andreas Demmelbauer

Keine Überprüfung auf Datensicherheit

"Die Ausführungen der Bundesregierung haben in puncto Datensicherheit unsere schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Seitens der zuständigen Datenschutzbehörde wurde kein einziges Mal die Sicherheit der gespeicherten Vorratsdaten überprüft", sagte Andreas Krisch vom Arbeitskreis Vorratsdaten. Der AK Vorrat hatte sich mit mehr als 11.000 Rechtsvollmachten der Klage Tschohls angeschlossen.

Die Stellungnahme der Bundesregierung geht mit keinem Wort auf den Grundrechtseingriff durch anlasslose Speicherung ein, sondern beschäftigt sich ausschließlich auf die Restriktion des Zugriffs darauf. Grund- oder Menschenrechte werden überhaupt kein einziges Mal erwähnt.

"Die Sicherheit unserer sensiblen Kommunikationsdaten hing in den letzten beiden Jahren also völlig vom Goodwill der Provider ab. Angesichts des schweren Eingriffs der VDS in unsere Freiheit ist das ein unhaltbarer Zustand", sagte Krisch.

Keine Zahlen aus Europa

Das Publikumsinteresse war schon im Vorfeld so groß, dass der VfGH einen zweiten Saal zur Verfügung stellte, in den live übertragen wurde. Nach der Zusammenfassung der Sachlage durch die Richter war als erste klagende Partei der Rechtsvertreter der Kärntner Landesregierung am Wort. Der stellte, wie auch die anderen Anwälte der Kläger danach, die Sinnhaftigkeit der Maßnahme als solche in Frage und bezog sich dabei auf die mehrfachen Versuche seitens der Kommission, eine EU-weite Evaluierung der Umsetzung in das jeweilige nationale Recht durchzuführen.

Die dabei erhobenen Daten waren praktisch ohne Aussagekraft, da eine ganze Reihe von Staaten überhaupt keine Zahlen gekommen waren, aus anderen wiederum enorm viele. Polen hatte etwa für 2010 eine Million Zugriffe auf Vorratsdaten an die EU-Kommіssion gemeldet, Großbritannien nannte für 2011 in 500.000 Zugriffe auf Verkehrsdatensätze aus dem Mobilfunkbereich. Rückschlüsse auf die Effizienz der Maßnahme, alle Verkehrsdaten aus Telefonienetzen bei ihrem Entstehen "auf Vorrat" zwischen sechs Monaten und zwei Jahren zu speichern, ließen sich in keinem Fall treffen.

Am 8. April hatte der EuGH die seit Beginn umstrittene EU-Richtlinie annulliert und rückwirkend außer Kraft gesetzt. Dieses Urteil ist ein absolutes Novum der Rechtsgeschichte der Union, denn der EuGH hatte davor noch nie ein so vernichtendes Urteil über eine EU-Richtlinie gefällt.

Weitere Kläger, Bundesregierung

Nach dem Einzelkläger Michael Seitlinger, einem Angestellten der Telekombranche, war der Rechtsvertreter von Christof Tschohl (Ludwig-Boltzmann-Institut) am Wort. Die übrigen, mehr als 11.000 Unterzeichner, die sich der Klage Tschohls über schriftliche Rechtsvollmachten angeschlossen hatten, waren im Vorfeld aus formalen Gründen ausgeschlossen worden. Anders als im Falle Tschohl sei "die jeweilige aktuelle Betroffenheit der über 11.000 Antragsteller von der Vorratsdatenspeicherung nicht ausreichend dargestellt" worden.

Anschließend waren die Vertreter der österreichischen Bundesregierung am Wort, namentlich Christian Pilnacek, Sektionsschef im Justizministerium. Pilnacek war nicht nur seit jeher als bedingungsloser Unterstützer der umstrittenen Maßnahme aufgefallen, aus seiner Abteilung waren 2010 auch Vorschläge gekommen, um gegen Tauschbörsennutzer strafrechtlich vorzugehen.

Strategie des Ignorierens

Wie in der vergangenen Woche hier bereits ausführlich berichtet wurde, verfolgt die Bundesregierung in Sachen Vorratsdatenspeicherung eine Art Strategie des Ignorierens. Die Tatsache, dass der EuGH gerade wegen der anlasslosen Speicherung die gesamte EU-Richtlinie, auf der das österreichische Gesetz von 2012 basiert, rückwirkend annulliert hatte, wurde schlichtweg als "nicht relevant" erklärt.

Stellungnahme des VfGHs

Screenshot Bundeskanzleramt

Die Frage nach der grundsätzlichen Rechtmäßigkeit der Speicherungsmaßnahme sei in Österreich deswegen nicht relevant, weil das nationale Recht so spezifische und restriktive Zugangsregelungen zu den gespeicherten Daten enthalte, dass sie per se schon ausgewogen sei. Auf diese Art und Weise argumentierte der Sektionsschef sowohl in der schriftlichen Stellungnahme der Regierung, wie auch in der heutigen Befragung durch die VfGH-Richter.

"Nur Metadaten"

Die Vorratsdatenspeicherung sei "nicht so schlimm" weil ja ohnehin "nur Metadaten und keine Gesprächsinhalte" betroffen seien, sagte Pilnacek. Dies ist ein "Argument", das in den letzten Jahren zunehmend seltener von Strafverfolgern benutzt wird, da es in einer mittlerweile aufgeklärten Öffentlichkeit zunehmend mit Erheiterung quittiert wird.

Es ist seit mehr als einem Jahrzehnt öffentlich bekannt, dass gerade die Metadaten - wer mit wem wann wo telefoniert - auschlaggebend sind. Die Metadaten eines Anschlusses über ein halbes Jahr verraten um Vielfaches mehr über den Inhaber, als ein Abhören sämtlicher dabei anfallender Gespräche verraten hätte. Nur mit den Metadaten können Strafverfolger Personen- und Zeit/Weg-Profile erstellen, Gruppen und ihre Hierarchien identifizieren.

Terroristen, organisierte Kriminelle

Die vorgelegten Zahlen zur Bilanz der Vorratsdatenspeicherung in Österreich von 2013 zeigten zwar, dass die Maßnahme nicht allzu breit eingesetzt wird. Überzeugend waren sie jedoch nicht. Von 354 Fällen, in denen auf Vorratsdaten 2013 zugegriffen wurde, wurden 227 abgeschlossen, in mehr als der Hälfte davon lieferten die Vorratsdaten überhaupt keinen Beitrag zur Aufklärung.

In keinem einzigen Fall einer Anforderung von Vorratsdaten ging es um jene beiden Delikte, für die diese Maßnahme dezidiert eingeführt worden war, nämlich Terrorismus und organisierte Kriminalität. Die Anforderungen betrafen vielmehr Diebstahl, Drogendelikte, Raub, Betrug und Stalking, denn die Schwelle für den Zugriff wurde mit einem Jahr Strafandrohung in Österreich an der untersten möglichen Grenze angesetzt. Auf die Frage der Richter, wie man auf diese Grenze von einem Jahr gekommen sei, antwortete Pilnacek wie oben zitiert. Man habe sich deshalb zu dieser Gewichtung entschlossen, weil es ja ohnehin "nur Metadaten" seien.

VfGH-Erklärung

Screenshot Bundeskanzleramt

Vorratsdaten gegen Handydiebe

Von welcher Delikthöhe seitens der Strafverfolger in Österreich ausgegangen wird, zeigte der weitere Verlauf der Fragerunde, in der es um Aufklärung von Verbrechen wie Betrug bei eBay ging. Die Vertreter der Bundesregierung zauberten zwar noch zwei Mordfälle, bei denen Vorratsdaten "einen Beitrag zur Aufklärung geleistet" hatten, aus dem Hut. Welcher Art dieser Beitrag war, mochte man jedoch nicht nicht näher spezifizieren.

Unter den 113 Fällen von Diebstahl und den 52 Raubdelikten muss jeweils ein beträchtlicher Anteil an rein jugendspezifischen Fällen sein. Diebstahl und Raub von Smartphones weisen mithin die höchsten Anteile bei Delikten von Jugendlichen auf.

Allein die Tatsache, dass in etwa zehn Prozent aller Zugriffsfälle der Rechtsschutzbeauftragte des Innenministeriums erfolgreich Einspruch gegen den Zugriff auf die Vorratsdaten erhoben hatte, zeigt eine deutliche Tendenz. Dass nämlich seitens der Strafverfolger versucht wurde, eine Maßnahme gegen Terroristen und Schwerkriminelle schon wegen Delikten an der Bagatellgrenze zur Anwendung zu bringen.

Ausblick

Die 2010 geplante Änderung in der Strafprozessordnung hätte nach Meinung von Rechtsexperten dazu gefführt, dass auch geringfügige Urheberrechtsvergehen in Online-Tauschbörsen unter das Strafrecht fallen.

Wäre es nach den Plänen des Justizministeriums von 2010 gegangen, dann hätte man in dieser heutigen Verhandlung am VfGH auch über Fälle von Tauschbenutzern diskutiert. Was das Urteil betrifft, so ließ man es seitens der Richter offen, ob dies nun schriftlich oder mündlich ergehen werde.

Offiziellerweise hieß es zwar nur, dass mit einem Urteil spätens im Herbst zu rechnen sei. Angesichts des hohen Tempos, das der VfGH in diesem Verfahren bisher an den Tag gelegt hatte, gehen die meisten Prozessbeobachter jedoch davon aus, dass der Richterspruch schon weit früher erfolgen wird.

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  • springen | vor 1132 Tagen, 10 Stunden, 14 Minuten

    aha

    einerseits behauptet man also, die VDS sei so strikt geregelt, dass sie per se verhältnismäßig sei, andererseits setzt man die Schwelle aber so niedrig an, dass man damit hauptsächlich Stalker und Handydiebe verfolgt.

    Auf dieses Posting antworten
    • tantejutta | vor 1132 Tagen, 10 Stunden, 5 Minuten

      Korrekt. Und man beruft sich darauf

      dass es so viele Zugriffsbeschränkungen von juristischer Seite gibt. Deswegen sei die AT-Version automatisch ausgewogen. Ob diese Restriktionen aber auf technischer Ebene eingehalten werden, ist offenbar ebenso irrelevant wie das EuGH-Urteil...

  • tantejutta | vor 1132 Tagen, 10 Stunden, 36 Minuten

    Update 20:10 ist oben drin

    Auf dieses Posting antworten
  • phoneuser | vor 1132 Tagen, 13 Stunden, 8 Minuten

    Über Pilnaceks "Argumente"

    bin ich regelrecht entsetzt.
    Die "Erfolgs-Statistik" der Vorratsdatenspeicherung lässt schon aufs erste Hinschauen tief blicken und löst bei näherer Betrachtung ja nur mehr Kopfschütteln aus.
    Um den Preis der flächendeckenden Aufzeichnung der (Meta-)Daten von uns allen - und dem immanenten Risiko eines zufälligen oder bewussten Leak dieser Daten (kein Security Audit !) bekommen wir als "Gegenwert"die Unterstützung bei der Aufklärung von ein paar Smartphone-Diebstählen !
    (Wobei anzumerken wäre, dass so ein Smartphone-Diebstahl wohl rascher durch das Abhören eines einzigen Gespräches geklärt werden könnte, weil Metadaten dafür mühsamer sind.)
    Und das beste: Laut dieser Statistik gibt es offenbar bei uns gar keine Schwerverbrechen, keine Geldwäsche, keine organisierte Kriminalität.
    Oder die verfolgenden Behörden sind peinlich darum bemüht, gerade für diese Art der Verbrechen, die VDS nicht in Anspruch zu nehmen.
    Etwa, weil sie meinen, dass diese Kriminellen eh solche Vorkehrungen treffen, dass sie durch die VDS gar nicht erfasst werden können ?
    In so einem Fall wäre die Verhältnismäßigkeit der VDS noch weniger gegeben !
    Ich hoffe, das Gericht berücksichtigt auch diesen schwerwiegenden Einwand und hinterfragt, warum diese Verbrechensarten konsequent fehlen in der "Erfolgs-Statistik" !

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    • tantejutta | vor 1132 Tagen, 12 Stunden, 21 Minuten

      Diese völlige Absenz von Schwerverbrechen

      ist in der Tat schwer zu erklären. Die Aufklärungsquote bei Straftaten im Zusammenhang mit dem Internet ist übrigens seit Einführung der VDS gefallen. Das war auch in DE so, wo von 2007-2010 auf Vorrat gespeichert wurde. Positiver Einfluss auf die Kriminalstatistik ist nirgendwo zu bemerkbar...