Der Digital Services Act – das neue europäische Plattform-Grundgesetz?

Ein Walkthrough mit Einordnungen – Teil I

Die Europäische Kommission hat im Dezember 2020 mit ihrem Vorschlag des Digital Services Acts (DSA) ein ambitioniertes Gesetzespaket vorgelegt, das – in Verbindung mit dem Digital Markets Act (DMA) – die Regulierung digitaler Dienste und Märkte in der Europäischen Union grundsätzlich neu organisieren soll. Obwohl in den letzten Jahren mehrere Vorhaben zur Regulierung des digitalen Binnenmarkts umgesetzt wurden – wie etwa die Platform-to-Business-Verordnung, die umstrittene Urheberrecht-Richtlinie oder die Richtlinie zu Audiovisuellen Medien – galt bis jetzt die über 20 Jahre alte E-Commerce-Richtlinie als das Herzstück der europäischen Internetregulierung.

Der DSA soll jetzt die grundlegenden Regeln für Anbieter:innen digitaler Dienste modernisieren und in diesem Zuge eine Reihe neuer Sorgfaltspflichten für bestimmte Dienste einführen. Der DSA lässt sich demnach grob in drei Kategorien unterteilen: 1) allgemeine Regeln für alle “Anbieter von Vermittlungsdiensten”, seien es Content Delivery Networks, Webhoster oder soziale Netzwerke, 2) zusätzliche Sorgfaltspflichten für Online-Plattformen, und 3) weitere zusätzliche Sorgfaltspflichten für sehr große Online-Plattformen (VLOPS, “very large online platforms”). Unsere Stellungnahme zum DSA wird dieser Unterteilung folgen, dementsprechend nehmen wir in diesem ersten Beitrag das Grundgerüst des DSA, die allgemeinen Regeln für alle “Vermittlungsdienste”, genauer unter die Lupe.

Bei Vermittlungsdiensten wird unterschieden zwischen reiner Durchleitung, Caching und Hosting. Reine Durchleitung erfolgt beispielsweise durch Telekommunikationsprovider, die Inhalte nur weiterleiten, ohne sie zu speichern. Caching-Dienstleister wie Content-Delivery-Networks speichern den Inhalt temporär, um die Übermittlung an die empfangende Person effektiver zu gestalten. Hosting liegt vor, wenn Inhalte dauerhaft für eine andere Person gespeichert werden, also bspw. bei sozialen Netzwerken oder Cloud-Anbieterinnen. Die genauen rechtlichen Definitionen findest du in Artikel 2 f) des Entwurfs für einen Digital Service Act.

Grundsätzlich begrüßt D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt den Vorschlag der Europäischen Kommission ausdrücklich. In den vergangenen Jahren haben einige Mitgliedstaaten der EU nationale Gesetzgebung auf den Weg gebracht, um den digitalen öffentlichen Raum zu regulieren. Viele dieser Gesetze, wie etwa das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) oder das französische Avia-Gesetz, schießen dabei jedoch über ihr Ziel – die Verbreitung illegaler Inhalte im Netz einzudämmen – hinaus. Durch knappe Fristen für die Prüfung und Entfernung potenziell illegaler Inhalte schaffen diese Gesetze einseitige Anreize für soziale Netzwerken, Inhalte so schnell wie möglich zu entfernen, und können dadurch Grundrechte wie die Meinungsfreiheit unterminieren. Zudem macht das Internet nicht an nationalen Grenzen halt. Die Initiativen einzelner Mitgliedstaaten zur Regulierung des Netzes tragen zu einem wachsenden Flickenteppich an Gesetzgebung bei, die im Internet gelten soll. Das hilft weder Nutzer:innen, sich in dem Dschungel von Regeln zurechtzufinden, noch trägt es zu einer flächendeckenden Durchsetzung der Regeln gegenüber den betroffenen Unternehmen bei. Deshalb unterstützen wir den Ansatz der Europäischen Kommission, einheitliche Regeln in Europa für die digitale Öffentlichkeit zu schaffen. Nichtsdestotrotz enthält der DSA auch einige Aspekte, die derzeit noch unklar formuliert oder unserer Meinung nach kritikwürdig sind. Diese stellen wir im Folgenden vor:

Für wen soll der DSA gelten?

In der derzeitigen Debatte dreht sich vieles um die “klassischen” sozialen Netzwerke. Im Detail bleibt aber leider unklar, welche Dienste von dem Gesetzgebungsvorhaben alles erfasst werden sollen. Während es zum Beispiel in Erwägungsgrund 14 explizit heißt, dass Dienste im Sinne des European Electronic Communications Code (EECC), wie E-Mail- oder Instant-Messaging-Anbieterinnen, nicht erfasst sind, findet sich eine entsprechende Regelung nicht im eigentlichen Gesetzestext. Auch in den Mitgliedsstaaten scheint dies derzeit noch unklar zu sein. So geht das Bundesjustizministerium bspw. davon aus, dass auch Messenger wie Telegram durch den DSA reguliert werden.

Praktisch ist das von entscheidender Bedeutung: Gerade die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie sich der digitale öffentliche Austausch von Twitter und Facebook zu halböffentlichen Foren wie Whatsapp-Gruppen oder Telegram-Channels mit teilweise Tausenden von Mitgliedern verschiebt. Diese Orte sind entscheidend für die Verbreitung von Desinformation, Verschwörungserzählungen und Hass gegen Politiker:innen oder Wissenschaftler:innen und müssen deshalb bei einer umfassenden Regelung des digitalen öffentlichen Raumes, wie sie der DSA sein soll, beachtet werden. Hier ist es Aufgabe des europäischen Gesetzgebers, klar zu definieren, was Teil des digitalen öffentlichen Raumes und was zur privaten Kommunikation gehört.

Welche Anbieter:innen sind wann für welche Inhalte haftbar?

Bei der Frage nach der Haftung verschiedener Anbieter:innen übernimmt der DSA in den Artikeln 3 bis 5 das gestufte System der E-Commerce-Richtlinie. Demnach sind Dienste, die auf der reinen Durchleitung, bzw. dem Caching von Inhalten basieren, in weiten Teilen von der Haftung für illegale Inhalte, die von ihren Nutzer:innen über sie verbreitet werden, ausgeschlossen. Auch bei Diensten, die auf der Speicherung der von Nutzer:innen bereitgestellten Informationen basieren, haften Anbieter:innen erst nachdem sie “tatsächliche Kenntnis” von einem illegalen Inhalt haben. Wir begrüßen die Beibehaltung der etablierten Haftungsregeln, auch wenn einige Probleme, die auch schon im Kontext der E-Commerce-Richtlinie aufgetreten sind und auf die wir im Folgenden eingehen, bestehen bleiben.

Und was ist mit Upload-Filtern?

Mit dem neu eingeführten Artikel 6 schlägt die Kommission grundsätzlich weitere Sicherheiten für Anbieter:innen vor, die freiwillig gegen illegale Inhalte auf ihren Diensten vorgehen wollen. Diese können nicht alleine deswegen für die Inhalte auf ihren Plattformen haftbar gemacht werden, weil sie Monitoring-Maßnahmen betreiben. Man spricht deshalb von einer “Good Samaritan Clause”, weil Anbieter:innen, die selbstständig nach illegalen Inhalten suchen (“Good Samaritans”), vor einer Haftung aufgrund dieser Maßnahmen geschützt werden. Sie schafft daher einen Anreiz für Anbieter:innen, illegale Inhalte eigeninitiativ zu ermitteln und den Zugang zu ihnen zu erschweren bzw. zu verhindern. Umstritten ist jedoch, wie weit der Haftungsausschluss geht. Zwar muss kein Dienst aufgrund der Maßnahmen selbst haften, erhält er aber durch die Maßnahmen Kenntnis von rechtswidrigen Inhalten, muss er wohl unverzüglich den Zugriff auf die Inhalte sperren, um sich auf die Haftungsprivilegierung der Artikel 3 bis (insbesondere) 5 berufen zu können. Tut er das nicht, haftet der Dienst also – mittelbar – doch aufgrund seines eigentlich geschützten Verhaltens.

Zudem steht Artikel 6 in einer spannenden – und spannungsgeladenen – Beziehung mit Artikel 7, in dem der DSA einen weiteren Grundpfeiler der E-Commerce-Richtlinie übernimmt: Das Verbot, Anbieter:innen zu einer generellen Überwachung der Inhalte ihrer Nutzer:innen zu verpflichten, also Uploadfilter gesetzlich vorzuschreiben. Während Artikel 7 also eine – staatlich angeordnete – (automatisierte) Überwachung von Inhalten, die Nutzer:innen hochladen, verbietet, ermuntert Artikel 6 durch seine Haftungsprivilegierung die Dienste dazu, solche Mechanismen auf freiwilliger Basis einzusetzen. Automatische Filtermechanismen bergen jedoch stets die Gefahr, dass sie die faktische Meinungsfreiheit übermäßig einschränken, weil sie bspw. die zulässige künstlerische Verwertung von urheberrechtlich geschützten Material, Satire oder den Kontext von Meinungsäußerungen nicht richtig erkennen.

Löschaufforderungen nationaler Behörden

Artikel 8 und 9 legen fest, wie Anbieter:innen von Vermittlungsdiensten auf staatliche Anordnungen zum Umgang mit illegalen Inhalten und Auskunftsverlangen reagieren müssen. Insbesondere werden sie verpflichtet, auf Anordnung von Justiz- und Verwaltungsbehörden gegen Inhalte vorzugehen, die nach nationalem oder Unionsrecht illegal sind. Ebenso müssen sie der anordnenden Behörde umgehend mitteilen, welche Maßnahmen in diesem Zusammenhang ergriffen wurden. Die staatlichen Anordnungen müssen dabei eine Reihe verschiedener Anforderungen erfüllen. Insbesondere müssen sie enthalten, aus welchem Grund die betroffenen Inhalte illegal sind sowie Informationen zum räumlichen Geltungsbereich der Anordnung. Eine ähnliche Regelung gilt für Auskunftsanordnungen, mittels derer Behörden Informationen zu einzelnen oder mehreren Nutzer:innen anfordern. Komplementiert werden diese Regelungen durch ein Melde- und Abhilfeverfahren für andere Nutzer:innen und Einrichtungen (Artikel 14 und 15).

Eine solche Regelung ist grundsätzlich zu begrüßen, da sie die Interaktion staatlicher Stellen und der Anbieter:innen klarer regelt und auf eine europaweit einheitliche Grundlage stellt. Eindeutig illegale Inhalte – wie etwa terroristische Inhalte oder Darstellungen sexualisierter Gewalt gegen Kinder – werden so leichter gelöscht. Allerdings eröffnen sich hierdurch auch einige Probleme. Zum einen birgt die Möglichkeit für Verwaltungsbehörden, solche Anordnungen zu erlassen, ein erhebliches Potenzial für Willkür und Missbrauch. Im Gegensatz zu richterlichen Anordnungen verfügen etwa Polizei- und Sicherheitsbehörden (und spezifisch für diesen Zweck eingerichtete “Internet Referral Units”) keine rechtliche Deutungshoheit darüber, welche Inhalte illegal sind und welche nicht. Zwar mag eine solche Feststellung in einigen Fällen gänzlich unstrittig sein, kann in anderen Fällen aber zum Beispiel zu einer Beschränkung der Meinungsfreiheit führen.

Beispielsweise sperrte Twitter in Indien im Februar auf ministerielle Anordnung eine Reihe von Accounts, unter anderem von regierungskritischen Journalist:innen, Politiker:innen, Aktivist:innen und Prominenten – und nahm einige dieser Sperrungen kurz darauf zurück. Die Begründung: Twitter halte die Anordnung nicht für vereinbar mit indischem Recht. Auch in Europa ist ein solcher Missbrauch der entsprechenden im DSA vorgeschlagenen Regelungen vorstellbar – etwa durch EU-Mitgliedstaaten, in denen gezielt die Rechtsstaatlichkeit und die Rechte von Minderheiten untergraben werde. Gegen illegale Inhalte gerichtete Anordnungen sollten deshalb grundsätzlich Gerichten vorbehalten sein. Wenn überhaupt sollten Anordnungen durch Verwaltungsbehörden nur in wenigen, eindeutigen Ausnahmefällen möglich sein.

Darüber hinaus bleiben Artikel 8 und 9 in vielerlei Hinsicht sehr vage. Zum einen wird zum räumlichen Geltungsbereich von Anordnungen in Artikel 8 lediglich vorgeschrieben, dass dieser “nicht über das zur Erreichung ihres Ziels unbedingt erforderliche Maß hinausgehen” darf. Dies kann jedoch sehr weit ausgelegt werden. Zum anderen bleiben beide Artikel unkonkret in der Frage, wie mit grenzübergreifenden Anordnungen umgegangen werden soll.

Transparenzverpflichtungen

Artikel 13 verpflichtet Anbieter:innen von Vermittlungsdiensten einmal im Jahr klare, leicht verständliche und ausführliche Berichte über die Moderation von Inhalten zu veröffentlichen. Diese müssen, sofern zutreffend, die Anzahl der von Behörden gemachten Anordnungen, die nach Artikel 14 (notice and take down) vorgenommenen Meldungen, die auf Eigeninitiative der Anbieter:innen durchgeführte Moderation von Inhalten und die über das in Artikel 17 interne Beschwerdemanagementsystem eingegangenen Beschwerden aufführen. Zudem müssen die Moderationsmaßnahmen nach Art des illegalen Inhalts aufgeschlüsselt werden.

Auch mit Blick auf die Santa Clara Principles, die als Leitlinien für Transparenz und Verantwortlichkeit bei der Moderation von Inhalten gelten, begrüßt D64 die Transparenzpflichten des Artikel 13. Positiv zu bewerten ist insbesondere die Pflicht zur Offenlegung der konkreten Anzahl an Beschwerden und Löschungen, dass Klein- und Kleinstunternehmen von den Transparenzpflichten ausgenommen sind, dass die Dauer bis zur Ergreifung von Maßnahmen in die Berichte aufgenommen wird und dass zwischen Maßnahmen auf gesetzlicher Grundlage und aufgrund der Hausregeln unterschieden wird. Hierbei muss sich in der Praxis aber noch zeigen, wie Maßnahmen gegen Inhalte dargestellt werden, die sowohl einen Verstoß gegen Nutzungsbedingungen wie auch gegen Gesetze darstellen.

Meldeverfahren

Zu begrüßen ist aus unserer Sicht auch, dass der DSA das Melde- und Abhilfeverfahren (notice and take down) europaweit harmonisiert. Auf dieser Grundlage haben Nutzer:innen das Recht, (vermeintlich) illegale Inhalte den Plattformen zu melden. Diese erhalten durch die Meldung Kenntnis im Sinne von Artikel 5 DSA, können sich also nicht auf ihre Haftungsprivilegierung berufen, sofern sie in Reaktion auf die Meldung nicht aktiv werden. Entscheidet ein Dienst nach einer Meldung, den entsprechenden Inhalt zu sperren oder zu löschen, ist er der betroffenen Person, um deren Inhalt es sich handelt, gegenüber zur Begründung, insbesondere auch mit dem Verweis auf mögliche Rechtsbehelfe, verpflichtet.

Wie geht es weiter?

Der DSA macht vieles richtig, trotz allem stellen die allgemeinen Regeln, die wir in diesem Blogpost behandelt haben, mit Sicherheit noch nicht den “großen Wurf” dar, sondern sind gegenüber der existierenden Rechtslage primär auf Vereinheitlichung und Klarstellung ausgerichtet. Dennoch ist die Bedeutung des DSA für die Gestaltung der digitalen Öffentlichkeit – beziehungsweise der großen Plattformen, die für so viele Nutzer:innen synonym mit dem Internet geworden sind – nicht zu unterschätzen. Um seinen Spitznamen des “Grundgesetzes” des Internet gerecht zu werden, muss der DSA an den Grundprinzipien der E-Commerce-Richtlinie festhalten, Nutzer:innenrechte priorisieren und Plattformen sinnvolle Sorgfaltspflichten auferlegen.

Letztendlich wird sich der Erfolg des DSA daran messen lassen müssen, ob es diesem Grundsatz-Regelwerk gelingt, ein diverseres, nutzer:innenfreundlicheres, offeneres Netz zu fördern. Ausschlaggebend dafür werden die neuen spezifischen Vorschriften für (sehr große) Online-Plattformen sein, die wir im nächsten Blogpost behandeln werden.

Stay tuned!

Resümee D64diskutiert: Digitale Souveränität durch Innovation – Startups in Europa

Am Gründonnerstag ging “D64diskutiert” in die nächste Runde. Thema dieses Mal: “Digitale Souveränität durch Innovation – Startups in Europa”. Begrüßen durften wir zum einen Saskia Esken, SPD-Vorsitzende und langjährige Digital-Politikerin, und Janina Mütze, Gründerin und CEO von Civey, einem Startup, das die Meinungsforschung revolutioniert.

DIE DISKUSSION ZUM NACHSCHAUEN GIBT ES HIER

Konrad Krämer führte in die Thematik ein und stellte die Teilnehmer:innen kurz vor. Diese konnten sich dann auch selbst noch einmal vorstellen.

Der erste Aufschlag erfolgte von Malte Behrmann (Co-Vorsitzender der AG Startups), konkret ging es um derzeitige Monopole digitaler Konzerne wie Google und Facebook. Dabei war die Ausgangsüberlegung, dass derlei Monopole nicht für die Ewigkeit bestimmt seien. Immerhin seien sie selbst noch vor einigen Jahren als Startups gestartet. Saskia Esken stellte hier heraus, dass diese Monopolisten zwar die Handlungsfähigkeit des Staates bedrohten, aber in ihrem Wachstum auch an Schnelligkeit in der Marktanpassung eingebüßt hätten. Startups im Gegensatz dazu verfügten noch über diese Anpassungsfähigkeit.

Gründerin Janina Mütze berichtete, dass sie nie geplant hatte, Unternehmerin zu werden und bemerkte anschließend, wie wichtig die Ausbildung in Fragen des unternehmerischen Denkens sei. Saskia nahm den Punkt der digitalen Bildung sofort auf. Letzten Endes gehe es um die Individuen. Diese müssen verstehen, wie das Netz funktioniere. Nutzer:innen müssen sich über ihre digitalen Rechten bewusst werden, digitales Home-Schooling reiche hier nicht aus. Schüler:innen müssen beigebracht werden, sich Skills selber beibringen zu können. Dass diese digitale Bildung im Berufsleben existenziell ist, bestätigte Janina aus ihrem Alltag. Malte Behrmann meinte dazu, dass sich Bildungskonzepte von der Anwendungskompetenz zur Gestaltungskompetenz weiterentwickeln müssten.

Anschließend kam Malte wieder zur Ursprungsfrage zurück. Wie kann in Deutschland wieder mehr Zukunftsoptimismus geschaffen werden? Saskia rief insoweit zu “mehr Mut” auf. Die Verantwortung des Staates bestehe überdies auch als Kunde und Auftraggeber. Hier könne der Staat die Wertschöpfung zurück in das Land der Ideen holen. Ergänzt wurde hier von Janina, dass der Staat die Aufgabe habe Rahmenbedingungen zu setzen und der Bevölkerung die Angst vor dem digitalen Raum zu nehmen.

Malte machte anschließend auf gewisse Problematiken innerhalb Europas aufmerksam. Viele Startups wie Mojang Studios (mit dem Spiel Minecraft) oder Skype werden in Europa gegründet und wandern anschließend ins EU-Ausland ab. Von Janina wurde hier vor allem die Problematik der Scaleups benannt: Unternehmen, die sich über die DACH-Region hinaus entwickeln wollen, würden für diesen Schritt der Internationalisierung noch einmal deutlich mehr Kapital benötigen. Bei Civey hätten Sie diese Erfahrungen auch gemacht. Es sei schwierig dieses Kapital in Europa zu mobilisieren. Hier seien Chancen auf Geld aus dem Ausland oft deutlich größer. Bei dieser Gelegenheit hob Saskia die Attraktivität des deutschen Marktes hervor. Gleichzeitig mahnte die SPD-Vorsitzende mehr Mittel bereitzustellen, um zu verhindern, dass erfolgreiche Firmen ins Ausland übersiedeln müssen, um ausreichend Kapital zu mobilisieren. Widersprochen wurde Saskia hier von Janina. Ihr zufolge ist der Staat kein besserer Einkäufer als Investmentfonds oder Unternehmen. Eine gewisse Infrastruktur in den Händen der Unternehmen zu lassen sei sinnvoll.

Zum Ende wurde es nochmal hitzig, Konrad bot Janina die Chance Kritik an der SPD zu üben. Gerade die Vermittlung von Angst vor der Zukunft aus der SPD habe sie oft enttäuscht, erwiderte die Gründerin. Zukunftsoptimismus sei zentral und eine Digitalisierung sei alternativlos. “Bin ich bei!”, erwiderte Saskia: “Wir müssen entscheiden, welche Zukunft kommt! Hier haben wir die Wahl und können uns entscheiden. Hier muss eine Grundlage an sozialer Sicherheit geschaffen werden.”

Wir bedanken uns herzlichst für die spannende Debatte! Danke an Janina und Saskia und unser Moderationsduo aus der AG Startup-Förderung Malte und Konrad.

D64 Covidbot informiert über aktuelle Corona-Zahlen und -Regeln nun auch im Facebook Messenger

Vor zwei Monaten hat D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt den Covidbot veröffentlicht. Mit Hilfe des Bots können aktuelle Zahlen mit Coronabezug, wie Infektions- und Todeszahlen oder auch die aktuelle Impfquote, für ausgewählte Orte auf verschiedenen Messengern abonniert werden. So erhalten Nutzer:innen schnell und gesammelt über einen Dienst alle relevanten Informationen. In den letzten Wochen haben Mitglieder von D64 den Bot kontinuierlich weiterentwickelt, sodass er nun zusätzlich über den Facebook Messenger zur Verfügung steht. 

Mehr Visualisierungen, Impf- und Intensivdaten

Die neueste Version des Covidbots bietet daher Daten über den Fortschritt der Impfkampagne, der Inzidenzen und der Infektionszahlen sowie über die Auslastung der Intensivbetten. Auch regionenspezifische Werte werden nun visualisiert. Darüber hinaus liefert der Covidbot den Interessierten einen Überblick über die aktuell geltenden Corona-Maßnahmen in ihrer Region. Somit bleiben den Nutzer:innen lange Recherchen mit potentiell veralteten Suchergebnissen erspart, wenn sie sich über die geltenden Regeln informieren möchten. Die vom Covidbot genutzten Informationen stammen vom Kompetenzzentrum Tourismus des Bundes, die Nutzer:innen transparent über die integrierten Links einsehen können.  

Unterstützung weiterer Plattformen

Seit Anfang Februar ist der Covidbot auf Threema, Telegram und Signal verfügbar. Außerdem freuen wir uns ab dieser Woche den Covidbot auch über den Facebook Messenger allen Interessierten zur Verfügung stellen zu können und somit noch mehr Menschen zu informieren. Neben eines Abos bei Messengerdiensten können Nutzer:innen dem Covidbot auch auf Twitter, Mastodon, Instagram und Facebook folgen und so mehrfach täglich Informationen über die aktuellen COVID-19-Daten auf Bundesebene erhalten. 

Insgesamt benutzen bereits über 6000 Personen den Bot. Alle Infos zur Einrichtung des Bots gibt es auf der eigens hierfür eingerichteten Webseite covidbot.d-64.org

Weitere Hintergrundinformationen zum Covidbot, der quelloffen unter Verwendung von Open Data programmiert wird, sind in unserem ersten Blogpost zu finden.

Das Freiwillige Digitale Jahr – Wann, wenn nicht jetzt?

Das Freiwillige Digitale Jahr ist seit langer Zeit eine Forderung von D64. In einem solchen Freiwilligendienst können junge Menschen mit ihren technischen Fähigkeiten einen Beitrag für die Digitalisierung der Gesellschaft leisten.

Gründe für einen weiteren Freiwilligendienst
Es gibt bereits vier Arten des Freiwilligendienstes: das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ), das Freiwillige Ökologische Jahr (FÖJ) , der Bundesfreiwilligendienst (BFD) und der Internationale Jugendfreiwillligendienst (IJFD).
Eine Ergänzung um das Freiwillige Digitale Jahr (FSJ digital) wäre aus mehreren Gründen sinnvoll:

1. Digitale Abstände schließen

Während die Mehrheit unserer Gesellschaft immer mehr und intensiver von digitalen Angeboten Gebrauch macht, gibt es einen Teil der Gesellschaft, der droht, digital und damit auch gesellschaftlich abgehängt zu werden. Freiwilligendienstleistende könnten bei der Schließung dieser Lücke einen großen Beitrag leisten – und die Alten von den Kenntnissen der Jungen profitieren.

2. Digitale Bildung unterstützen

Offiziell ist die Digitalisierung zwar Teil der Lehrpläne, praktisch sieht das aber anders aus: viele Lehrenden sind mit dem Lehrstoff und den diversen Ansprüchen, die inzwischen an sie gestellt werden, überfordert. Freiwilligendienstleistende könnten die Lehrenden bspw. direkt im Unterricht, oder auch indirekt mit außerschulischen Angeboten (bspw. AGs) unterstützen. Sie können als digitale Hausmeister*innen Schulen bei der IT-Administration helfen. Vor allem können sie in der Lehrer*innenfortbildung eine nachhaltige Wirkung entfalten.

Es ist nicht erst seit Beginnder Pandemie bekannt, dass es im Bildungsbereich bundesweit an allen Stellen an Ressourcen und Know-how rund um das Thema Digitalität fehlt. Hier könnten diverse Expertisen im Rahmen des Freiwilliendienstes passgenau eingesetzt werden. Junge Menschen könnten so einen wichtigen Beitrag leisten, um Bildungsinstitutionen aller Art zu unterstützen. Das wäre nicht nur ein wirksamer, sondern auch ein nachhaltiger Ansatz für die Entwicklung der Bildungsstandorte und Kommunen in einer Kultur der Digitalität.

3. Digitale Berufszweige fördern

Der Freiwilligendienst bietet eine hervorragende Gelegenheit, ein Berufsfeld besser kennenzulernen, Wissen und praktische Fähigkeiten zu erwerben und das eigene Selbstbewusstsein zu stärken. Das FSJ digital kann dabei helfen, mehr Menschen für digitale und technologische Berufe zu begeistern und damit langfristig zur Attraktivität Deutschlands als Wirtschaftsstandort beizutragen. Das kann gerade junge Frauen ermutigen, ein solches Tätigkeitsfeld auszuprobieren.

Einsatzbereiche für Freiwilligendienstleistende gibt es zu Genügend. Sie könnten beispielsweise Websiten oder Apps für gemeinnützige Projekte entwickeln, unerfahreneren Computernutzer*innen technische Hilfstellung geben, Projekte im Bereich digitale Bildung unterstützen oder eine Netzkampagne in den Sozialen Medien organisieren.

Bisherige Pilotprojekte erfreuen sich hoher Nachfrage
Bisher wird das FSJ digital nur in Modellprojekten in einzelnen Bundesländern und Verbänden ausprobiert. 2015 sind Pilotprojekte in Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt gestartet.

In Rheinland-Pfalz ist das Modell trägeröffen und spricht alle interessierten Freiwilligendienstleistende an. Sie können sich mit einer Projektidee bewerben, nehmen an einer ergänzenden fünftägigen Weiterbildung teil und können mit bis zu 1000 € für ihr Projekt unterstützt werden.

In Sachsen-Anhalt wurde das FSJ digital im Landesverband des Deutschen Roten Kreuz ausprobiert. Dort organisieren Freiwillige „Digitale Cafés“, bei denen insbesondere ältere Menschen lernen, wie sie Online-Banking benutzen oder sicher im Internet unterwegs sein können.

Die bisherigen Pilotprojekte wurden gut angenommen. Auch in anderen Bundesländern gibt es inzwischen ähnliche Bestrebungen.

Wir fordern das Freiwillige Digitale Jahr als bundesweites Angebot
Damit solche Initiativen kein Tropfen auf dem heißen Stein sind, braucht es eine übergreifende Koordinierungshilfe, die Freiwillige und Einsatzstellen zur Seite stehen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Servicestelle netzwärts für Medienbildung im Freiwilligendienst des Kulturbüro Rheinland-Pfalz.

D64 fordert, das FSJ digital flächendeckend anzubieten und die bundesweiten Koordinierungstellen auszubauen. Wann, wenn nicht jetzt, sollte das Potential von technikaffinen jungen Menschen mit dem Digitalisierungsbedarf von gemeinnützigen und sozialen Einrichtungen verbunden werden? Wir schließen uns zudem der Forderung einer Vielzahl von Verbänden an, Freiwilligendienstleistenden kostenlose ÖPNV-Tickets zur Verfügung zu stellen.

Breaking the News? Wie die großen Plattformen sich auf politische Öffentlichkeit auswirken – und wie wir sie regulieren können

Fünf Mitglieder der AG Künstliche Intelligenz von D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt haben für die Friedrich-Ebert-Stiftung in einer Publikation die Wirkung von Onlineplattformen und deren Empfehlungsalgorithmen auf demokratische Meinungsbildung untersucht. Sowohl in Deutschland als auch auf EU-Ebene gibt es erste Initiativen, die den damit einhergehenden Risiken entgegenwirken sollen. Das Fazit von Maximilian Gahntz, Katja Neumann, Philipp Otte, Bendix Sältz und Kathrin Steinbach: Die Richtung stimmt, doch wir brauchen mehr Forschung.

Australischen Facebook-Nutzer:innen, die Mitte Februar einen Blick auf ihren Facebook-Feed warfen, präsentierte sich ein ungewohntes Bild: ein Feed ohne Nachrichten. Denn im Machtkampf um ein Gesetzesvorhaben der australischen Regierung, das Plattformen wie Facebook oder Google dazu zwingen sollte, Medienhäuser für nachrichtliche Inhalte zu vergüten, ließ Facebook seine Muskeln spielen – und nahm Nutzer:innen die Möglichkeit, solche Inhalte auf der Plattform zu sehen und zu teilen. Zwar konnte sich Facebook nach wenigen Tagen mit der australischen Regierung auf einen Kompromiss einigen, doch zeigt das Manöver, welch große Rolle Plattformen heutzutage in unserer politischen Öffentlichkeit spielen.

Der Konsum von Nachrichten verschiebt sich zunehmend in digitale Räume. So ergab eine Umfrage des Reuters Institute for the Study of Journalism der Universität Oxford aus dem vergangenen Jahr, dass 37 Prozent der Befragten in Deutschland soziale Medien als Nachrichtenquelle nutzen, mit steigender Tendenz. Zum Vergleich: Bei traditionellen Printnachrichten liegt dieser Anteil nur noch bei einem Drittel der Befragten. Große Plattformen – oder auch “Medienintermediäre” – wie Facebook, Twitter oder Google setzen dabei nicht nur Verlage und andere Medienunternehmen wirtschaftlich unter Druck. Sie verändern auch, wie Nachrichten präsentiert werden, wie wir mit Inhalten umgehen und wie gesellschaftliche Debatten geführt werden. Doch wie genau zeigen sich diese Verschiebungen in der Medienlandschaft? Welche Auswirkungen haben sie auf politische Öffentlichkeit? Und wie kann die Politik dem begegnen, um sicherzustellen, dass diese Umwälzungen unsere Demokratie nicht untergraben?

Tausche Pressekodex gegen Werbeerlöse

Wer welche Inhalte im Facebook-Feed, in YouTube-Empfehlungen oder in Google-Suchergebnissen vorfindet, entscheidet keine Chefredaktion. Stattdessen sind hier die Algorithmen der Medienintermediäre am Werk. Diese bestimmen auf Basis von früheren Interaktionen und Nutzer:innendaten, welche Inhalte in welcher Reihenfolge angezeigt werden – wer also besonders häufig Videos anschaut und Tweets von D64 retweetet, bekommt in Zukunft mehr Videos und D64-Tweets angezeigt. Ziel ist dabei in der Regel, Nutzer:innen möglichst lange auf der Plattform zu halten. Denn die bedeutendsten Intermediäre sind nicht nur soziale Netzwerke oder Suchmaschinen, sondern auch die größten Werbekonzerne der Welt. Eine längere Nutzungsdauer bedeutet für diese also vor allem auch: höhere Werbeerlöse. Wie genau ihre Algorithmen funktionieren und nach welchen Kriterien Inhalte sortiert werden, geben die Intermediäre kaum preis. Klar scheint jedoch, dass journalistische Qualität und nachrichtliche Relevanz dabei nachrangig sind.

Dieser Grundlogik entspringt eine ganze Reihe von Problemen. So bleibt etwa die algorithmische Kuratierung für Nutzer:innen intransparent und wird häufig sogar als vermeintlich “objektiv” wahrgenommen. Auch versprechen “Clickbaiting” und emotionalisierende Inhalte höhere Reichweiten für Onlinemedien. Nicht zuletzt wird häufig darauf verwiesen, dass Intermediäre durch ihre Algorithmen dazu beitragen, dass sogenannte Filterblasen und Echokammern entstehen – (digitale) Räume, in denen vorhandene Meinungen und Haltungen nicht nur reproduziert, sondern auch verstärkt werden. Zwar ist das Konzept plausibel, jedoch nicht zweifelsfrei erwiesen. Die Forschung legt vielmehr nahe, dass sich verschiedene Funktionen und Designentscheidungen der Plattformen sehr unterschiedlich auf Nachrichtenkonsum und politische Meinungsbildung auswirken können. So wird auch klar: Wir haben noch lange kein umfassendes, tiefgehendes Verständnis vom Umgang mit und den Auswirkungen von Onlineplattformen.

Das Ende des Wild Wild Web?

Diese Probleme haben auch längst die Aufmerksamkeit der Politik geweckt. Nachdem die Intermediäre jahrzehntelang weitestgehend unbehelligt ihre Geschäftsmodelle ausbauen konnten, wollen Gesetzgeber nun neue regulatorische Leitplanken setzen. Den Anfang machten dabei in Deutschland die Bundesländer mit dem im November 2020 in Kraft getretenen Medienstaatsvertrag (MStV). Seitdem dürfen Intermediäre bestimmte Anbieter:innen von Medieninhalten nicht systematisch bevorzugen oder benachteiligen, beispielsweise Inhalte einer bestimmten Partei stets besonders prominent darstellen. Hiergegen können sich Landesmedienanstalten oder Anbieter:innen von Medieninhalten künftig wehren – wobei der Nachweis vor Gericht nicht einfach werden dürfte.

Damit Nutzer:innen künftig bewusster mit den ihnen angezeigten Medieninhalten umgehen können, müssen Intermediäre zudem transparent machen, nach welchen Kriterien sie Inhalte auf ihren Seiten platzieren und wie ihre Algorithmen funktionieren. Das könnte insbesondere dabei helfen, Nutzer:innen die der Inhaltsauswahl zugrunde liegenden Wertentscheidungen deutlich zu machen. Noch wirkmächtiger könnte die Regelung werden, wenn Nutzer:innen etwa auch eine rein chronologische Sortierung auswählen könnten.

Die EU will große Plattformen in die Pflicht nehmen

Auf europäischer Ebene könnten Intermediäre in naher Zukunft durch den Digital Services Act (DSA) reguliert werden: Der im Dezember 2020 veröffentlichte Verordnungsentwurf der Europäischen Kommission stellt spezielle Anforderungen an besonders große Plattformen, die monatlich im Durchschnitt mindestens 45 Millionen EU-Nutzer:innen haben. Im Hinblick auf die Transparenz von Empfehlungsalgorithmen müssten sie die Hauptkriterien der Algorithmen in klarer, zugänglicher und leicht verständlicher Weise in ihren Nutzungsbedingungen offenlegen. Zudem sollen Nutzer:innen die Wahl zwischen personalisierten und nicht-personalisierten Empfehlungen haben.

Gleichzeitig möchte die Europäische Kommission den Datenzugang sowohl für Aufsichtsbehörden als auch für Forscher:innen stärken: So könnten nationale Aufsichtsbehörden und die Kommission von großen Plattformen auf Antrag die nötigen Daten erhalten, um Compliance-Prüfungen durchzuführen. Zudem sollen unabhängige Forscher:innen mit entsprechender Expertise Zugang zu Daten bekommen, wenn sie Forschungsprojekte zu „systemischen Risiken“ dieser Unternehmen umsetzen. Der DSA-Entwurf verpflichtet somit insbesondere große Plattformen zu mehr Transparenz und stärkt die Autonomie der Nutzer:innen. Der DSA würde so in mancher Hinsicht noch weiter gehen als der MStV und zugleich zu einer Harmonisierung der Regeln auf europäischer Ebene beitragen – bis er jedoch beschlossen und rechtskräftig ist, werden wohl noch mehrere Jahre ins Land ziehen.

“Mit Geduld und Vorstellungskraft können wir demokratische Werte auch in einem drastisch veränderten Mediensystem verankern.”

Wohin führt der Weg?

Über das Zusammenspiel von Intermediären und politischer Öffentlichkeit wissen wir immer noch wenig. Der Stand der Forschung liefert erste Einblicke, doch ein tiefgehendes Verständnis der verschiedenen Wirkmechanismen und Probleme fehlt. Es sollten deshalb keine überstürzten Lösungen für Probleme vorangetrieben werden, die in vielerlei Hinsicht noch nicht verstanden sind. Doch nicht alle Initiativen kommen zu früh. Bereits heute werden die Grundlagen dafür geschaffen, die beschriebenen Herausforderungen langfristig zu überwinden. Der Medienstaatsvertrag und der DSA-Entwurf sind dabei Schritte in die richtige Richtung, doch greifen teils zu kurz.

Um Forschung zu Intermediären und ihre demokratische Kontrolle zu fördern, braucht es vor allem Transparenz. Ein umfassender Datenzugriff für Aufsichtsbehörden, Forscher:innen und die Zivilgesellschaft ist dabei essenziell. Damit sich Bürger:innen in unserer Demokratie frei und unabhängig informieren und eine Meinung bilden können, gilt es zudem, ihre Autonomie im Umgang mit Intermediären zu stärken. Das umfasst in einem ersten Schritt stärkere Transparenz im Hinblick auf die Funktionsweise von Empfehlungsalgorithmen. Darüber hinaus sollten Nutzer:innen aber auch aktiv in die Personalisierung einwilligen und, falls sie dies tun, mehr Einfluss auf die der Personalisierung zugrunde liegenden Kriterien ausüben können.

Soziale Medien und Suchmaschinen werden auf absehbare Zeit nicht verschwinden – aus gutem Grund. Sie schaffen neue Möglichkeiten für Austausch und Partizipation und können dabei helfen, Informationen auffindbar und sortierbar zu machen. Die Uhr zurückzudrehen ist keine Lösung. Denn sicherlich möchten sich nicht alle Australier:innen über Facebook informieren, aber viele eben doch. Die diskutierten Risiken, die damit einhergehen, können im Zaum gehalten werden – sofern Intermediäre an klare Regeln gebunden sind. Das ist keine einfache Aufgabe. Doch mit Geduld und Vorstellungskraft können wir demokratische Werte auch in einem drastisch veränderten Mediensystem verankern.

D64diskutiert: Digitale Souveränität durch Innovation – Startups in Europa

Google wurde 1998 als Startup gegründet, Facebook 2004. Heute sind sie mächtige globale Player und keine klassischen Startups mehr. Aber muss das für immer gelten? Nein, natürlich nicht.
89% der Fortune 500 Unternehmen von 1955 waren 2014 nicht mehr auf der Liste. Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit sind Nokia, IBM und zu einem gewissen Maß auch Microsoft.
Unsere Industrie sieht dagegen eher alt aus in der Plattformökonomie. Ist der Zug für uns – das Land der Ingenieure – abgefahren oder können wir mit deutschen Startups dafür sorgen, dass die Karten neu gemischt werden? Kann es so etwas wie einen digitalen deutschen Mittelstand geben?

Wie können wir als Deutsche in Europa in der Gigabit Gesellschaft wieder stärker von der Anwender:in zur Gestalter:in werden? Welche Kompetenzen benötigen wir, damit uns die Fähigkeit, Innovationen zu gestalten, nicht entgleitet? Es muss Alternativen zu den großen Plattformen geben – mit echten Chancen für lokale Anbieter:innen. Welche Rolle spielen dabei Fragen wie Interoperabilität, öffentliche Beschaffung und Open Data – denn Daten sind nicht das Öl, sondern eher das Grundwasser unserer digitalen Gesellschaft.

Diese Themen besprechen wir bei #D64diskutiert am 1. April um 20 Uhr mit:

  • Saskia Esken, Vorsitzende der SPD und langjährige Digitalpolitikerin
  • Janina Mütze, Gründerin und CEO von Civey

Der Stream wird hier auf d-64.org, auf Twitter und unserem YouTube-Kanal zu finden sein.

Open-Data-Pflicht & zentrales Open-Data-Portal einführen.

Kurz vor Weihnachten 2020 haben Bundeswirtschafts- und Bundesinnenministerium gemeinsam einen Referentenentwurf zur Änderung von § 12a des E-Government-Gesetzes (EGovG) und zur Einführung eines Datennutzungsgesetzes vorgelegt. Leider bleiben beide Gesetzentwürfe hinter dem selbstgesteckten Ziel zurück, zum „Vorreiter und Treiber einer verstärkten Datenbereitstellung und Datennutzung“ zu werden.

D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt e.V. hat eine Stellungnahme eingereicht, um die Sichtweisen der Zivilgesellschaft in die parlamentarischen Beratungen einzubringen.
In dieser erläutern unsere Mitglieder David Wagner und Bendix Sältz die Kritikpunkte von D64.

Für den Scheinwerfer, dem Magazin gegen Korruption von Transparency International Deutschland, haben beide gemeinsam mit Anne Schwarz aus dem Vorstand von D64 in einem Gastbeitrag unsere Position erläutert. Nachfolgend der Artikel im Wortlaut:

Status quo der Open Data-Gesetzgebung
Seit Juli 2017 verpflichtet § 12a des E-Government-Gesetzes (EGovG) Teile der Bundesverwaltung dazu, sogenannte Rohdaten als Open Data bereitzustellen.
Die Überarbeitung des Paragraphen ist unter anderem im Koalitionsvertrag vereinbart. Die EU-Richtlinie zur Weiterverwendung von Informationen
des öffentlichen Sektors von 2019 will Deutschland bis zum 16. Juli 2021 mit dem Datennutzungsgesetz umsetzen.
Dieses soll das bestehende Informationsweiterverwendungsgesetz ablösen.

 

Zu wenig Fortschritte bei der Open Data-Gesetzgebung

Die Überarbeitung des § 12a EGovG bietet aus Sicht von NGOs und Zivilgesellschaft viel Raum für Kritik. Auch künftig soll es keinen einklagbaren Anspruch gegen die Verwaltung geben, ihre Daten als Open Data bereitzustellen. Damit adressiert der Referentenentwurf den Hauptkritikpunkt am bestehenden § 12a EGovG nicht. Die Rüge richtet sich nicht nur an den Bund: Auch auf Länderebene gibt es keinen allgemeinen einklagbaren Rechtsanspruch auf Open Data.

Zum Teil bedeutet der Entwurf sogar einen Rückschritt: Aktuell ist die Verwaltung verpflichtet, Daten in maschinenlesbare Formate zu überführen, solange dies keinen unverhältnismäßigen Aufwand bedeutet. Diese Pflicht fällt weg: Künftig müssen Verwaltungen nur die Daten als Open Data bereitstellen, die bereits in maschinenlesbarer Form vorliegen. Statt die Formatierungspflicht abzuschaffen, sollte der Gesetzgeber besser das Ausschlusskriterium der Unverhältnismäßigkeit konkretisieren.

Erfreulich ist, dass künftig auch die mittelbare Bundesverwaltung – wie die Bundesanstalt für Arbeit und die Deutsche Bibliothek – und Forschungsdaten in den Anwendungsbereich von § 12a EGovG fallen.

Weiterhin fehlen ausreichende Ressourcen

Neu ist die Verankerung von Open Data-Koordinatoren in den Bundesbehörden. Das klingt gut – leider regelt der Entwurf aber weder die Zuweisung von Kompetenzen noch die Zuteilung finanzieller Mittel. Dass es daran fehlt, ist seit dem Open Data-Fortschrittsbericht der Bundesregierung von 2019 bekannt: 70 Prozent der befragten Behörden haben einen entsprechenden Posten bereits geschaffen, zugleich beklagen 57 Prozent der Befragten mangelnde finanzielle und personelle Ressourcen.

Dass Kosten nicht ausreichend berücksichtigt wurden, zeigt sich auch bei der Gesetzesfolgenabschätzung: Der Entwurf unterschätzt die Kosten für die Bereitstellung offener Daten und ignoriert Kosten für den laufenden Betrieb gänzlich. Insbesondere die für dynamische (Echtzeit-)Daten vorgesehenen Programmierschnittstellen (APIs) müssen individuell entwickelt und kontinuierlich aufrechterhalten werden.

Auch der Entwurf für das Datennutzungsgesetz bleibt hinter den Zielen zurück. Im Wesentlichen erfüllt er lediglich die von der EU-Richtlinie gesetzten Mindeststandards.

Zentrales Open Data-Portal

Aus Sicht der Zivilgesellschaft und Bürger:innen wäre es generell wünschenswert, wenn sich alle Verwaltungsebenen in Deutschland verpflichten, ihre Daten auf dem Metadatenportal govdata.de bereitzustellen – und govdata.de zu einem echten nationalen Open Data-Portal auszubauen. Dies würde den Zugang zu den Daten stark erleichtern. Zudem führt der parallele Betrieb mehrerer Plattformen zu erhöhten Kosten.

Spannend bleibt, wie Bundeswirtschafts- und Bundesinnenministerium die Kritik der Stellungnahmen einarbeiten. Im März will das Bundeskabinett entscheiden, bis zum 16. Juli muss das Gesetz durch den Bundestag.

D64 fordert das Bundesinnenministerium auf, keine verfassungswidrigen Gesetze vorzuschlagen!

Die derzeit anstehende Novelle des Telekommunikationsgesetzes scheint von Seiten des Ministeriums des Inneren, für Bau und Heimat (BMI) zur Durchsetzung einer verfassungsrechtlich mehr als zweifelhaften Wunschliste für massive und unverhältnismäßige Überwachung zweckentfremdet zu werden. Ein durch den E-Mail-Anbieter Posteo geleaktes Papier gibt Einblick in 15 Forderungen des Innenministeriums, die im Kabinett bereits gescheitert waren. D64 – Zentrum für Digitalen Fortschritt widerspricht diesen Vorhaben vehement.

Identifizierungspflicht für Messengerdienste

Besonders problematisch ist die geplante Identifizierungspflicht für „nummernunabhängige Telekommunikationsdienste“. Demnach müssten E-Mail- oder Messengerdienste generell eine anonyme Nutzung ihrer Dienste unterbinden und die angegebenen Daten, wie Name, Anschrift und Geburtsdatum, sogar unter Vorlage eines entsprechenden Ausweises verifizieren. Dieser Vorschlag stellt einen massiven Eingriff in die Grundrechte der Nutzer:innen dar, die ihre persönlichen Daten fortan zwingend Facebook, Whatsapp und Google zur Verfügung stellen müssten, und ist zudem ungeeignet, die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden zu erleichtern.

Die Möglichkeit, auch anonym an gesellschaftlichen und politischen Debatten teilnehmen zu können, ist darum essenziell für die freie Entfaltung der Meinungsfreiheit und des demokratischen Diskurses. 

Personen, denen es gezielt auf die Begehung von Straftaten im Internet ankommt, können ohne Weiteres auf ausländische Dienste umsteigen, die keine Identifizierung durchführen. Während Strafverfolgungsbehörden also kaum Erfolg dabei haben werden, Personen in E-Mail- und Messengergruppen zu identifizieren, die planmäßig kriminell tätig sind, werden gleichzeitig die persönlichen Daten von Millionen von unbescholtenen Bürger:innen bei privaten Akteuren gespeichert.

D64 erneuert aus diesen Gründen seine Forderung, dass die notwendige Identifizierung von Straftäter:innen im Internet nicht über anlasslose, massenhafte Speicherung persönlicher Daten erfolgt, sondern durch gezielte Maßnahmen gegen Verdächtige, bspw. die anlassbezogene Speicherung von IP-Adressen in Einzelfällen nach richterlicher Anordnung.

Der Vorschlag birgt zudem ernstzunehmende Sicherheitsrisiken. Diensteanbieter zu verpflichten, verifizierte Personendaten wie Geburtsdatum, Name und Anschrift zu speichern, macht die Anbieter zu attraktiven Zielen für Hack-Angriffen. Im Fallen eines Datenlecks oder Angriffes könnten diese persönlichen Daten zudem zu Zwecken des Identitätsdiebstahls missbraucht werden.

Mithilfe für Staatstrojaner

Der Vorschlag des BMI beinhaltet außerdem, bestimmte Dienste zur Mithilfe bei der Implementierung von Staatstrojanern (Quellen-Telekommunikationsüberwachung) zu verpflichten. D64 lehnt den Einsatz von Staatstrojanern im Allgemeinen ab, weil sie notwendigerweise voraussetzen, dass die Sicherheitsbehörden Sicherheitslücken in den Geräten der Bürger:innen verheimlichen anstatt sie zu schließen. Die Umleitung von Datenströmen durch die Telekommunikationsanbieter wird das Vertrauen der Bürger:innen in IT-Infrastruktur massiv beschädigen und im schlimmsten Fall unbeteiligte Dritte treffen.

Datenminimierung als Prinzip aufheben

Das Innenministerium möchte zudem durch diverse, vermeintlich kleine Änderungen an Definitionen das Prinzip der Datenminimierung, wie es in der Datenschutzgrundverordnung vorgeschrieben ist, aufweichen. Derzeit dürfen Telekommunikationsanbieter grundsätzlich nur die Daten verarbeiten, die für die Vertragsdurchführung erforderlich sind. Nach dem Positionspapier soll dies grundsätzlich ausgeweitet werden auf anderen Daten, die nur zu dem erhoben werden, dass sie Sicherheitsbehörden später zur Verfügung gestellt werden können.

Innenministerium verhindert Einschätzung durch Expert:innnen

Neben der Ablehnung in der Sache protestiert D64 auch gegen die Art und Weise der Einbringungen in den Gesetzgebungsprozess. Es handelt sich um kontroverse Vorschläge, die gesellschaftlich diskutiert werden müssen. Dazu gehören unter anderem auch die Sachverständigenanhörungen im Bundestag und die Möglichkeit Stellungnahmen einzureichen. Dass das Innenmininsterium versucht die Vorschläge durch die Hintertür in den Gesetzgebungsprozess einzubringen – jenseits von Sachverständigeangehörungen  – ist ein Verstoß gegen die demokratischen Spielregeln. Auch die Beteiligung zivilgesellschaftlicher Gruppen, die im Übrigen schon unter normalen Voraussetzungen stark verbesserungswürdig ist wird so effektiv verhindert. Um eine angemessene Auseinandersetzung mit den Vorschlägen zu ermöglichen, fordern wir eine zusätzliche Expert:innenanhörung zu den innen- und sicherheitspolitischen Aspekten des TKGs.

Sicherheit braucht keine Massenüberwachung

Auch im Kontext vergangener Gesetzgebungsprojekte, die immer wieder – auch von den entsprechenden Gerichten – als verfassungs- und europarechtswidrig beurteilt wurden, wie die Vorratsdatenspeicherung oder die Einführung von Staatstrojanern fordert D64 das Bundesinnenministerium auf, keine verfassungswidrigen Gesetze mehr vorzuschlagen.

Erik Tuchtfeld, Mitglied des Vorstandes fasst zusammen:

Wir verschreiben uns der Sicherheit im Netz und stellen uns gegen Hass und Ausgrenzung. Dazu bedarf es nicht der Überwachung aller Bürger:innen!“

Fünf Forderungen an eine bundesweite Check-In-App zur Kontaktnachverfolgung

In der Diskussion um die Wiedereröffnung des Einzelhandels, der Restaurants, Bars, Museen und anderer Orte, an denen Menschen zusammenkommen, werden von der Politik und Öffentlichkeit auch flankierende Apps ins Spiel gebracht. Diese Apps sollen durch QR-Codes einerseits eine zettellose Registrierung, andererseits im Infektionsfall die schnelle Kontakt-Nachverfolgung sicherstellen. Beispiele für diese Dienste sind luca oder darfichrein.de.

Wir als D64 begrüßen im Allgemeinen Alternativen zur Erfassung von Kontaktdaten auf Zetteln, so wie es bisher während der Corona-Pandemie gängige Praxis ist. Digitale Dienste können datensparsamer sein, Daten vor dem Zugriff Dritter schützen, Stalking verhindern, sowie schnellere Reaktionen auf das Infektionsgeschehen ermöglichen und Cluster sichtbar machen.

Sollten sich die Bundesländer auf eine einheitliche Einführung eines digitalen Dienstes einigen, so muss dieser zwingend folgenden Anforderungen genügen:

  1. Whitepaper: Vollständige Dokumentation und Transparenz des Dienstes und seiner Schnittstellen, sowie der zu verarbeitenden Daten mit Erläuterung der kryptografischen Verfahren.
  2. Open Source: Die Veröffentlichung des Quellcodes aller Komponenten des Dienstes, von den Smartphone-Apps bis zu Backend-Services.
  3. Datensparsamkeit: Es dürfen nur Daten erhoben werden, die zum Betrieb des Dienstes zwingend notwendig sind. Zugriff auf personenbezogene Daten dürfen nur die Gesundheitsämter in einem Infektionsfall erhalten. Einen „Generalschlüssel“ zum Zugriff auf alle Daten darf es nicht geben.
  4. Barrierefreiheit: Der Dienst muss von allen Menschen mit unterschiedlichen mobilen Endgeräten bedient werden können.
  5. Serverstandort: Alle Daten dürfen nur auf Servern der EU verarbeitet werden.

Diese Anforderungen müssen zum bundesweiten (oder großflächigen) Start des Dienstes erfüllt werden. Nur so kann, ähnlich wie beim Start der Corona-Warn-App, durch Offenheit und Transparenz Vertrauen bei den Bürgerinnen und Bürgern erzeugt werden. Die aktuell in der Debatte gehandelten Dienste wie luca oder darfichrein.de erfüllen diese Anforderungen nicht oder nur teilweise.

„Einige Funktionen, wie ein anonymer Check-In und eine Clustererkennung, hätte die Corona-Warn-App schon im Herbst anbieten können. Im Vereinigten Königreich kann die vergleichbare Corona-App genau dies und ist ein Element der Öffnungsstrategie“, betont der D64 Co-Vorsitzende Henning Tillmann. „Dass jetzt Drittanbieter einspringen müssen, ist ärgerlich und zeigt die Planlosigkeit beim Projektmanagement der Corona-Warn-App“. Die Gefahr besteht nun, dass eine weitere App Verwirrung bei den Menschen erzeugt. Insbesondere dann, wenn nach Ostern auch die Corona-Warn-App, wie angekündigt, einen Check-In per QR-Code ermöglichen wird. „Für das anonyme – auf Einzelkontakten basierende – Contact-Tracing ist die Corona-Warn-App allerdings weiterhin erforderlich“, stellt Tillmann klar.

Dennoch kann die Corona-Warn-App auch an einer Stelle als Vorbild dienen, beschreibt die D64 Co-Vorsitzende Marina Weisband: „Ähnlich wie vor einem Jahr muss auch jetzt alles transparent und quelloffen gemacht werden, denn nur so kann Vertrauen in eine digitale Lösung geschaffen werden.“

Die Bundesregierung hat sich im vergangenen Jahr nach heftigen Diskussionen für eine dezentrale und auch transparente Lösung entschieden, die in vielen Punkten beispielgebend ist. D64 hat dazu im Vorfeld einen offenen Brief an die Bundesregierung geschrieben.

Photo by David Dvořáček on Unsplash

#D64diskutiert Mitarbeitendenbeteiligung: Warum “blühende Startupszenen” ein wenig Pflege erfordern

Eine “blühende Startupszene” versprach SPD Kanzlerkandidat Olaf Scholz durch das neue Fond-Standort-Gesetz. Ein zentraler Baustein in diesem Gesetzesentwurf ist die Möglichkeit für Unternehmen Mitarbeitende einfacher zu beteiligen. Wir haben bei #D64diskutiert mit Verena Hubertz und Claudia Nagel darüber gesprochen.

Wie funktionieren MItarbeitendenbeteiligungen?

Im Wesentlichen funktioniert das so: Das Startup wird aufgeteilt und jeder Mitarbeitende erhält einen Anteil am Betrieb. Sollte das Startup eines Tages sehr viel Wert sein oder verkauft werden, erhält die entsprechende Person ein ihren Anteilen entsprechendes Stück vom Kuchen.
Derzeit wird dieses Verfahren bereits angewandt. Problem: Ein Unternehmen “aufzuteilen” ist unfassbar kompliziert und ohne externe Hilfe von Notaren nicht durchführbar.
Das Fond-Standort-Gesetz soll diesen Missstand beheben. Darüber haben wir mit Dr. Claudia Nagel, Investorin bei High Rise Ventures und Gründerin, sowie mit Verena Hubertz, Gründerin der App Kitchen Stories und D64 Mitglied und designierte SPD Bundestagskandidatin aus Trier, gesprochen.

Wie von Verena Hubertz gut beschrieben, ist eines der größten Probleme des Gesetzesentwurfs das sogenannte “dry income”. Hier fordert das Finanzamt oft schon eine Besteuerung der Unternehmensanteile ab dem ersten Tag – egal ob diese bereits eingelöst wurden oder nicht.
Dabei werden schnell sehr hohe Steuern fällig, bevor man überhaupt weiß, wie viel Wert der Anteil überhaupt werden wird.

Welche Formen von Mitarbeitendenbeteiligungen gibt es aktuell?

  1. Echte Anteile: Aufgrund der deutschen Rechtslage, machen diesen Mitarbeitenden direkt zum Gesellschafter, was konkret oft gar sehr aufwändig ist und nach der Durchführung zu extrem vielen Gesellschafter*innen in der Firma und so zu komplizierten Unternehmenskonstruktionen führt.
  2. ESOPS: (emplyee stock option plans). Dies berechtigt die mitarbeitende Person dazu, einen Unternehmensanteil zu erhalten, sind aber keine “echten” Anteile sondern lediglich die Option auf einen Anteil. Auch das ist steuerlich schwierig, da diese oft sofort nach Erhalt besteuert werden werden, also noch bevor der Mitarbeitende überhaupt davon profitiert.
  3. VSOPS: Als dritte und häufigste Option werden daher sogenannte VSOPS (virtual stock options) genutzt. Im Falle eines Verkaufs, eines Exits oder einer Rendite erhält die Mitarbeitende Person dann Anteile als ob diese Anteile hätte.Auch dies geht jedoch mit einigen Problemen einher. Für Mitarbeiter*innen aus dem Ausland ist dies oft schwer nachvollziehbar und “echte” Beteiligungen sind dies ebenfalls nicht.

Wie in verschiedenen Studien erwiesen, würde ein erheblicher Prozentsatz derer, die von Mitarbeitendenbeteiligungen profitieren würden, das Geld zurück in die Startuplandschaft investieren indem sie ihr Unternehmen weiter ausbauen oder völlig neu gründen.
Hierzu hatte auch Dr. Claudia Nagel eine klare Meinung: “Wir alle haben ein Interesse daran, das Kapital, welches in diesem Bereich verdient wurde auch wieder in den Bereich zurückzuführen, dies treibt die Innovationen!”

Was fehlt im neuen Gesetzentwurf, dem Fond-Standort Gesetz noch?

Mit dem neuen Gesetzentwurf wurden nun erstmals Regeln festgelegt, mit denen Mitarbeitendenbeteiligungen unbürokratischer durchgeführt werden können. Hier hakt es derzeit jedoch an verschieden Punkten.

Laut Gesetz ist beispielsweise eine Besteuerung der Anteile nach 10 Jahren oder nach einem Arbeitgeberwechsel vorgesehen. Beides ist äußerst unattraktiv für Mitarbeitende, da Startups wie z.B. Biontech Jahrzehnte in die Forschung investieren, bevor sie überhaupt profitabel werden. Auch Scale-Ups sind vom Gesetzesentwurf noch nicht erfasst und der Bürokratieabbau durch das neue Gesetz wäre auch nur minimal.

Was zeigen all diese Hürden? Vor allem dass “blühende Startupszenen” ein wenig Pflege bedürfen. Diese entwickeln sich nicht von alleine, sondern müssen durch eine gute Lenkung der Politik bestmögliche Voraussetzungen vorfinden.

Was wir fordern!

Wir fordern daher optimale Chancen, dazu gehört eine Änderung des vorliegenden Fond-Standort Gesetzes. Zum einen muss es Startups ermöglicht werden länger Forschung zu betreiben, zum anderen muss die Beteiligung von Mitarbeitenden so unbürokratisch wie nur möglich vonstatten gehen.

Leider ist Deutschland keine einsame Insel. Gründer*innen überlegen sich sehr genau, in welchem Land sie gründen und für Talente aus aller Welt ist Deutschland meist nur eine Option unter vielen.