#D64diskutiert: Digital, gerecht und solidarisch – Wie kann zeitgemäße Bildung verwirklicht werden?

Die Corona-Krise hat gezeigt: Seit den Schließungen von Bildungsinstitutionen gibt es Bemühungen, das Lernen von Zuhause aus digital fortzusetzen. Dabei spielen neben der technischen Infrastruktur, den Kompetenzen und Haltungen hinsichtlich einer Kultur der Digitalität, auch viele weitere Aspekte, wie beispielsweise die häuslichen Gegebenheiten und Lebensumstände von Lernenden, eine wesentliche Rolle. In den letzten Wochen ist immer deutlicher geworden, dass in der aktuellen Situation die Bildungsungerechtigkeit verstärkt und besonders sichtbar wird. Schulen müssen nicht nur für das kommende Jahr digital besser aufgestellt werden, sondern auch langfristige Konzepte entwickelt werden. Deshalb gilt es nun, die Lehren daraus zu ziehen und konkrete Maßnahmen für eine zeitgemäße Bildung zu ergreifen

Welche Grundvoraussetzungen müssen verwirklicht werden, um allen kulturelle Teilhabe zu ermöglichen? Sind zeitliche Ressourcen für die Entwicklung, Umsetzung und Reflexionen schulischer Konzepte und zeitgemäßer Unterrichtsformen notwendig? Welche Hürden und Hindernisse bahnen sich bei der Umsetzung an?

Über diese Fragen diskutieren auf Einladung von D64 am 16. Juli 2020 um 19 Uhr per Webkonferenz auf d-64.org:

  • Saskia Esken (MdB, SPD Parteivorsitzende)
  • Marina Weisband (Diplompsychologin, Autorin und Expertin für digitale Bildung und Beteiligung)
  • Maike Schubert (Schulleiterin Winterhuder Reformschule, Hamburg)
  • Uwe Klemm (Fachberater Medienkunde, Medienzentrum Jena; Studienrat Angergymnasium Jena)

Der Link zum Stream wird auch auf unserem Twitterkanal (@D64eV) zu finden sein.

D64 stellt 10 Forderungen für eine bessere Startup-Förderung vor

Startups sind ein zentraler Bestandteil, wenn es darum geht digitale Innovation und ein zukunftsfähiges ökonomisches Umfeld zu gestalten. In Deutschland gibt es allerdings noch erheblichen Aufholbedarf, wenn es darum geht, Startups nachhaltig und angemessen zu fördern. Dies war Anlass für uns, in einem internen Prozess Forderungen an die Politik zu entwickeln, die helfen sollen, Startup-Förderung in Zukunft effizient und ertragreich zu gestalten.

Grundsätzlich für eine progressive Gründungskultur sind aus unserer Sicht die Prinzipien Inklusivität, Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Verantwortung. Aus diesen ergeben sich die zehn Forderungen und Maßnahmen, die wir in unserem Papier zu Startup-Förderung vorstellen möchten. Diese umfassen:

  1. Bürokratieabbau: Reduzierung des Verwaltungsaufwandes
  2. Innovationsförderung: Niedrigschwellige Startup-Förderung
  3. Bessere Förderung für Gründungen durch Nichtakademikerinnen und Nichtakademiker
  4. Mehr Gründerinnen braucht das Land
  5. Konkrete und ergebnisorientierte Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel
  6. Effizienter Rahmen für moderne Mitarbeitendenbeteiligung
  7. Chancenkonto schaffen, das Gründerinnen und Gründer auf Zeit von Sozialabgaben befreit
  8. Gründungsökosysteme flächendeckend ausbauen
  9. Moderne Arbeitszeitgesetzgebung für Startup-Unternehmerinnen und -Unternehmer
  10. Offensive für mehr Kapital in der Wachstumsphase

Mit Hilfe dieser Maßnahmen kann der Raum für eine zukunftsgewandte und produktive Startup-Kultur geschaffen werden. Wir möchten den Gesetzgeber dazu ermutigen, der Startup-Förderung einen höheren Stellenwert einzuräumen und das Potenzial von Unternehmensgründungen für das Vorantreiben der Digitalisierung nicht zu verkennen.

Das gesamte Positionspapier kann hier heruntergeladen werden: 10 Maßnahmen für eine progressive Gründungskultur

Die Ansprüche an die Corona-Warn-App müssen der neue Maßstab sein

D64 hat den Prozess rund um die Entstehung und Entwicklung der Corona-Warn-App in den letzten Wochen intensiv verfolgt und begleitet. Mit einem offenen Brief gemeinsam mit weiteren Akteuren aus der digitalen Zivilgesellschaft an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und Kanzleramtsminister Helge Braun, äußerte der Verein datenschutzrechtliche Bedenken. Diese wurden akzeptiert und damit Abstand von dem zunächst von der Bundesregierung verfolgten zentralen Ansatz genommen.

Die Corona-Warn-App zeigt, dass große, digitale, öffentliche Projekte unter Einbindung von Wissenschaft und Zivilgesellschaft in Rekordtempo möglich sind – und das unter Wahrung von Datenschutz und Datensicherheit. „Wir sind uns sicher: Datenschutz, Datensicherheit und Open Source ist der einzige erfolgsversprechende Weg. Der letztliche Prozess zur Corona-Warn-App muss in Zukunft der Maßstab für weitere ähnliche Projekte sein“, fordert die D64-Co-Vorsitzende Laura-Kristine Krause.

D64 stellt daher im Zusammenhang mit der Entwicklung von Software durch die öffentliche Hand folgende Mindestanforderungen auf:

1. Expertise einholen: bei der Umsetzung großer Projekte müssen sich Bund, Länder und Kommunen von verschiedenen Akteuren beraten zu lassen. Im Fall der Corona-App hätten sich durch die frühzeitige Einbindung externer Expertinnen und Experten viele Kommunikations- und Umsetzungsprobleme im Frühling vermeiden lassen können. Vielfältige Perspektiven und Expertise helfen den Aufwand für technische Herausforderungen richtig einschätzen zu können und viele gesellschaftliche Gruppen am Diskurs zu beteiligen.

2. Datenschutz und Datensicherheit: Es hätte kein Vertrauen in eine Anwendung gegeben, die sensibelste Daten zentral auf einem Server anhäuft und damit begehrtes Ziel von Angriffen wird. Die Europäische Union ist bei Software, anders als das Silicon Valley oder China, vielleicht nicht die Schnellste und Erste. Sie kann aber einen enormen Vorteil bieten, wenn Datenschutz und Datensicherheit strikt eingehalten werden. Dabei zeigt sich, dass diese beiden Eigenschaften der Corona-Warn-App einen enormen Schub gegeben und die Akzeptanz erhöht haben. Datenschutz und Datensicherheit sind keine Bremsen, sondern Antreiber.

3. Public Money, Public Code: Neben dem Plus an Datenschutz und Datensicherheit ist Transparenz elementar. Die Corona-Warn-App ist vollständig Open Source, d. h. jede und jeder kann den Quellcode lesen, bewerten und auch Verbesserungsvorschläge einreichen. Das muss fortan Standard sein. Wird Software aus öffentlichen Geldern bezahlt, muss sie auch öffentlich einsehbar sein. Public Money, Public Code!

„Die Kernbausteine für große Softwareprojekte sind damit klar: Datenschutz, Datensicherheit und Open Source.“, sagt der D64 Co-Vorsitzende Henning Tillmann. Weitere Lehren aus dem Arbeitsprozess hat er schon vor der Fertigstellung der App in einem Artikel für t3n zusammengefasst.

Freiheits- und Persönlichkeitsrechte durch starke e-Privacy-Verordnung gewährleisten – Do-Not-Track verpflichtend einführen

D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt e.V. setzt sich für die umfassende Gewährleistung der Freiheits- und Persönlichkeitsrechte ein. Wir begrüßen das jüngste Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH), nach dem das Setzen von Cookies einer informierten und freiwilligen Einwilligung bedarf. Von Website-Betreibern voreingestellte Häkchen genügen diesen Anforderungen nicht.

Der rechtliche Rahmen in der digitalen Welt muss es ermöglichen, eine wirklich freie Entscheidung treffen zu können, ob Nutzungsverhalten gespeichert und analysiert werden darf oder nicht. Nur dann ist ein selbstbestimmtes digitales Leben möglich.

Die 2018 wirksam gewordene Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) hat die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger auf Achtung des Privatlebens und den Schutz personenbezogener Daten gestärkt und europaweit vereinheitlicht. Die seit 2002 geltende e-Privacy-Richtlinie sollte zur Verordnung weiterentwickelt werden und zeitgleich in Kraft treten. Die Verordnung ist notwendig, um die allgemeinen Regelungen der DSGVO mit speziell auf die digitale Kommunikation zugeschnittenen zu ergänzen. Stattdessen werden sich die Mitgliedstaaten jedoch bis heute nicht einig.

Ziel der Modernisierung der e-Privacy-Richtlinie muss ein hohes Schutzniveau für die Privatsphäre sein. Einwilligungen in Tracking dürfen nicht auf (auch unbewusst) manipulativem Design beruhen. Stattdessen müssen Webseiten und Apps so gestaltet sein, dass die gewünschten Privatsphäre-Einstellungen leicht verständlich sind und ohne unterschwellige Beeinflussung ausgewählt werden können. Dies muss ergänzt werden durch Werkzeuge, in denen Nutzerinnen und Nutzer in Betriebssystemen, Browsern und Apps ihre Entscheidung, ob sie in Tracking einwilligen oder dies verweigern, allgemein hinterlegen. Unternehmen sollten verpflichtet sein, diese Entscheidung zu akzeptieren und sie nicht über Cookie-Banner auf jeder Seite erneut zu hinterfragen. Der technische Standard hierfür existiert bereits: Do-Not-Track.

D64 fordert die Bundesregierung auf, die e-Privacy-Verordnung während der anstehenden deutschen Ratspräsidentschaft voranzubringen und sich für eine Sicherung der Rechte der Nutzerinnen und Nutzer stark zu machen. Am Ende muss eine Verordnung stehen, die die informierte, freiwillige und somit aktive Einwilligung in Tracking-Cookies voraussetzt. Es darf keine Abschwächung dieser Rechte zu Gunsten von überkommenen Geschäftsmodellen geben, die zu einem großen Teil nur funktionieren, wenn die Nutzerinnen und Nutzer nicht frei entscheiden. Der technische Do-Not-Track-Standard muss auch rechtlicher Standard werden.

Zeitgemäße Bildung braucht Ressourcen

In den letzten Monaten hat Covid-19 die Missstände in deutschen Schulen verdeutlicht und durch Erfahrungen in der Gesamtbevölkerung zur allgemeinen Erkenntnis geführt, dass Schulen sich nicht nur für das kommende Schuljahr digital besser aufstellen müssen. Unabhängig davon, wie Unterricht nach den Sommerferien aussehen sollte und welche Rahmenbedingungen von Bildungsministerien aufgestellt sein werden, ist völlig klar, dass konkrete Maßnahmen ergriffen werden müssen. Das gilt sowohl für die zeitnahe als auch langfristige Entwicklung.

Vor kurzem haben wir als D64 gefordert, dass digitale Endgeräte als Grundversorgung gedacht werden müssen, so wie ein Internetzugang und Datenvolumen keine Hürde darstellen dürfen. Das sind Grundvoraussetzungen, um allen die kulturelle Teilhabe jederzeit zu ermöglichen. Das allein reicht aber nicht aus, um Schulen bei den notwendigen Veränderungen in der Digitalen Transformation zu unterstützen. Für D64 umfasst eine solche Route mehrere Meilensteine, die schnellstmöglich in Angriff genommen werden sollten:

Lehrer:innen sollten sich ihren pädagogischen Aufgaben widmen und nicht der Bereitstellung und Pflege digitaler Infrastrukturen. Es kann nicht sein, dass Lehrkräfte nur gesagt bekommen, was alles nicht geht und dann daraus selbständig Lösungen entwickeln sollen. Ihnen müssen attraktive und zuverlässige Systeme zur Verfügung gestellt werden. Digitale Infrastrukturen dürfen nicht von zufällig verfügbaren Einzelpersonen und Ressourcen abhängen, sondern brauchen professionelle Dienstleistungen.

Alle an einer Schule Beteiligten müssen sich im Rahmen der Digitalen Transformation fortbilden, austauschen und vernetzen können. Dazu sind ausreichende zeitliche Ressourcen für die Entwicklung, Umsetzung und wiederholende Reflexionen schulischer Konzepte und zeitgemäßer Unterrichtsformen notwendig. Das erfordert im regulären Schulalltag genügend Freiräume und Unterstützung. Wirksame und nachhaltige Schulentwicklung kann nicht on top stattfinden.

Deshalb fordern wir:

  • die verlässliche Bereitstellung und Pflege der digitalen Infrastruktur sowie Support durch professionelles Personal
  • ausreichend Zeit für Fortbildungen und Schulentwicklung im Rahmen des Schulalltags einzuräumen

In den alten Bildungsplänen vor 20 Jahren standen schon Ziele für eine Kultur der Digitalität, die nie erreicht wurden, weil die Voraussetzungen für die erfolgreiche Umsetzung nicht gegeben waren. Unser Bildungssystem benötigt deshalb einen grundlegenden Neustart. Gerade mit den Erfahrungen und Erkenntnissen der jetzigen Krise brauchen die Schulen bei den Herausforderungen des Paradigmenwechsels eine echte Chance, sich auf den Weg machen zu können. Dafür sind sowohl personelle als auch zeitliche Ressourcen notwendig.

Was ist D64?

D64 ist die Denkfabrik des digitalen Wandels. Unsere Mitglieder sind von der gesamtgesellschaftlichen Auswirkung der digitalen Transformation auf sämtliche Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens überzeugt und wollen diese progressiv und inklusiv gestalten. Dabei liefern wir Impulse um die digitale Transformation zum positiven Gelingen zu bringen. Wir sind uns einig, dass man eine Politik der Zukunft nicht mit Konzepten von gestern machen kann. D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt e.V. wurde 2011 gegründet und ist gemeinnützig, überparteilich und unabhängig. Wir haben über 500 Mitglieder bundesweit, die sich allesamt ehrenamtlich engagieren und über das vereinseigene „digitale Vereinsheim“ organisieren. D64 bringt Expertinnen und Expertise aus Wissenschaft, Wirtschaft, Kultur, Zivilgesellschaft, Bildung und Politik zusammen und bringt diese Expertise in die politische Debatte ein.

Die erste Ausgabe #D64diskutiert: Immunität, Gesundheit und Freiheit

Vergangenen Mittwoch haben wir ein neues Format gestartet: #D64diskutiert. Über eine Stunde lang hat unser Moderationsteam Vera Weidmann und Erik Tuchtfeld mit Peter Dabrock, Stephan Noller, Lorena Jaume-Palasi, Karl Lauterbach und Lea Beckmann über den Gesetzesentwurf des Bundesgesundheitsministeriums diskutiert, welcher Lockerungen der Freiheitsbeschränkungen für ehemals COVID 19-Erkrankte vorsah. Klar war: Voraussetzung für so eine Diskussion muss sein, dass die Immunität infolge einer Erkrankung wissenschaftlich überhaupt bestätigt ist.

Selbst dann – hier wurde sich die Runde schnell einig – ist Immunität jedoch der falsche Ansatzpunkt. Mehr Freiheit für Immune würde ein fatales und falsches Signal senden. Wenn zukünftig überhaupt Lockerungen vom Gesundheitsstatus abhängig gemacht werden sollen, was beispielsweise bei Besuchsregelungen in Alten- und Pflegeheimen notwendig sein könnte, müssen diese darauf basieren, dass man negativ bzgl. COVID-19 ist, also das Virus nicht in sich trägt. Dafür müssen ausreichend Aktivtests zur Verfügung gestellt werden, die es ermöglichen, eine Infektion mit dem Virus festzustellen. Die Testergebnisse behalten dann aber natürlich auch nur einen sehr kurzen Zeitraum Gültigkeit. Möglich wäre es dann zum Beispiel, Immune in einem solchen System insoweit zu privilegieren, dass bei ihnen die Notwendigkeit regelmäßiger Tests entfällt.

Die Vorteile digitaler Lösungen liegen auf der Hand. Auf diese Art und Weise können Testergebnisse schnell und kurzfristig aktualisiert werden. Mit der richtigen Architektur sind die hinterlegten Gesundheitsdaten zudem besser geschützt als auf einer analogen Dokumentation. Dabei ist es jedoch absolut notwendig, dass hohe Anforderungen an Datenschutz und -sicherheit erfüllt werden. Jede digitale Umsetzung einer Gesundheitsdokumentation muss deshalb quelloffen sein.

Die Offenlegung der Gesundheitsdaten an Private muss außerdem grundsätzlich verhindert werden. Das Teilen solch persönlicher Informationen darf nicht zur Voraussetzung für Supermarkt- oder Restaurantbesuche werden. Um dies effektiv zu verhindern, sollte jede staatliche Regelung, die die Dokumentation des COVID 19-Status etablieren möchte, eine Nutzung dieser Information durch Private bestrafen.

Die erste Ausgabe von #D64diskutiert konnte verschiedene Perspektiven aufzeigen, welche berücksichtigt werden müssen, wenn ein digitales Gesundheitszertifikat in Betracht gezogen wird. Es war uns eine Freude, eine Plattform für einen so konstruktiven Austausch bieten zu können. Wir bedanken uns an dieser Stelle noch einmal ganz ausdrücklich bei den Panelistinnen und Panelisten, unserem technischen Partner ContentFlow sowie allen interessierten Zuschauerinnen und Zuschauern. Auch in Zukunft wollen wir mit #D64diskutiert wertvolle Impulse zu digitalpolitischen Themen liefern!

#D64diskutiert: Mit dem Gesundheitszertifikat zu mehr Freiheit? Diskussion zu Chancen, Risiken und Nebenwirkungen

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat vor wenigen Wochen einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der die Einführung eines Immunitätsausweises für ehemals COVID 19-Erkrankte vorsieht. Nach starker Kritik von vielen Seiten wurde die umstrittene Passage zwar entfernt, die Diskussion dauert aber an. Zudem arbeitet ein Konsortium, unter anderem bestehend aus der Bundesdruckerei, der Universitätsklinik Köln und privaten Organisationen, bereits an einem “Digitalen Corona Gesundheitszertifikat”. Auch im Bereich Tourismus könnte ein digitaler Immunitätsausweis eine Rolle spielen. So überlegen etwa die Kanarischen Inseln nur Urlauberinnen und Urlauber einreisen zu lassen, die sich in Ihrem Heimatland einem Test unterzogen haben und ihre Immunität, etwa per App, nachweisen können.

Hier klicken, um zu den Livestreams zu gelangen.

Doch was würde solch ein Immunitätsausweis für uns als Gesellschaft bedeuten? Sollen Freiheitsbeschränkungen zukünftig nicht mehr für Immune gelten? Führt dies nicht zu einem Anreizsystem, sich besonders schnell mit Corona zu infizieren und konterkariert damit die aktuellen Bestrebungen zur Eindämmung der Pandemie? Aber könnten nicht auf der anderen Seite auch insbesondere Immune risikobehafteten Tätigkeiten, bspw. in Pflegeheimen und Krankenhäusern, übernehmen?
Gäbe es darüber hinaus andere digitale Hilfsmittel, um Menschen, die nachweislich negativ sind – oder immun sind – wieder mehr Freiheiten einräumen zu können?

Über diese Fragen diskutieren auf Einladung von D64 am 27. Mai 2020 um 19 Uhr per Webkonferenz auf d-64.org:

Peter Dabrock, ehem. Vorsitzender des Ethikrates und Theologe
Stephan Noller, Ubirch, Mithersteller des “Digitalen Corona Gesundheitszertifikats”
Lorena Jaume-Palasi, Gründerin The Ethical Tech Society
Karl Lauterbach, MdB und Epidemiologe
Lea Beckmann, Juristin bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte

Der Link zum Stream wird auch auf unserem Twitterkanal (@D64eV) zu finden sein.

Offener Brief: Geplante Corona-App ist höchst problematisch

D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt e.V. fordert gemeinsam mit weiteren Unterstützerinnen und Unterstützern in einem offenen Brief den Bundesgesundheitsminister und an den Kanzleramtsminister dazu auf, keine Corona-Tracing-App auf Basis des PEPP-PT-Ansatzes zu verfolgen und die Forderungen aus der Wissenschaft und die Bedenken der IT-Expertinnen und -Experten ernstzunehmen. 

Sehr geehrter Herr Bundesminister Spahn,
sehr geehrter Herr Kanzleramtsminister Braun,

wie Medienberichten zu entnehmen ist, plant das Bundesgesundheitsministerium nun mit einer Corona-Tracing-App auf Basis des Softwaregerüsts der Initiative PEPP-PT (Pan-European Privacy-Preserving Proximity Tracing) mit zentralem Matching. Diese Entscheidung stößt bei uns zwischenzeitlich auf großes Unverständnis, da gerade dies der problematischste unter den vorliegenden Entwürfen ist. Nachdem PEPP-PT nicht in der Lage war, schnell eine halbwegs funktionierende und datenschutzfreundliche Lösung zu liefern, sollte nun den technisch ausgereiften und datenschutzrechtlich gebotenen Ansätzen unbedingt der Vorzug gegeben werden. In der derzeitigen politischen Diskussion werden Erwartungen für eine Corona-Tracing-App geschürt, die möglicherweise nicht eingehalten werden können. Inwiefern sie die Pandemie-Bekämpfung unterstützen kann, wird erst in Monaten zu beurteilen sein. Wir bitten aus diesen Gründen darum, eine Neubewertung der verschiedenen Optionen zu vollziehen und dabei die Argumente und Vorbehalte vieler Expertinnen und Experten stärker zu berücksichtigen sowie ausschließlich auf Lösungen zu setzen, die – im Gegensatz zu dem vorliegenden Vorschlag – technisch von den Betriebssystem-Anbietern auch umsetzbar sind.

Eine Corona-Tracing-App sollte, wenn überhaupt, nur auf Basis eines dezentralen Ansatzes – wie beispielsweise das Konzept DP-3T (Decentralized Privacy Preserving Proximity Tracing) – aufgebaut und programmiert werden. Andernfalls steht zu befürchten, dass der geringe Datenschutz eines zentralen Ansatzes und das Fehlen technischer Beschränkungen gegen Zweckentfremdung dazu führen wird, das Vertrauen in die Verwendung einer solchen App auszuhöhlen und damit die Akzeptanz für spätere digitale Lösungen leichtfertig zu unterminieren.

In der Tat können digitale Lösungen in vielen Fällen maßgeblich dabei helfen, Probleme zu identifizieren und zu lösen – auch bei der Bekämpfung der Pandemie haben digitale Lösungen durchaus ihren Platz. Das haben zivilgesellschaftliche Projekte wie der #WirVsVirus-Hackathon gezeigt. Doch die am Mittwoch veröffentlichten Pläne des Bundesgesundheitsministeriums sind nur eine scheinbar sinnvolle Verwendung digitaler Lösungen im Kampf gegen die Ausbreitung des Corona-Virus. In Wahrheit sind sie für unsere freiheitlich-demokratische Gesellschaft hochproblematisch und ignorieren die Fachdebatte.

Rund 300 internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben diese Woche einen offenen Brief unterzeichnet, in dem sie das Datenschutzkonzept von PEPP-PT aufgrund des zentralen Datenspeicherungsansatzes deutlich kritisieren und davon abraten. Zwar wird die zentrale Speicherung unter Datenschutzaspekten damit verteidigt, dass die Daten pseudonymisiert werden. Eine Zurückverfolgung und De-Anonymisierung etwa von infizierten Personen ist bei der Datenerhebung jedoch mit deutlich geringerem Aufwand als bei einem dezentralen Ansatz möglich, wenn die versendeten IDs auf Personen zurückführbar sind. Jedem Ansatz eines möglichen Missbrauchs von Gesundheitsdaten muss entschieden entgegengetreten werden.

Die Europäische Union hat derzeit weltweit ein Alleinstellungsmerkmal mit hohen Datenschutzanforderungen und der auch international wegweisenden Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Durch Forderungen – unter anderem der deutschen Regierung –, Datenschutzanliegen im Angesicht der Pandemie hintanzustellen, werden Glaubwürdigkeit und Gestaltungswirkung für die Zukunft verspielt. Zudem ist ein gemeinschaftlicher europäischer Ansatz bei der Bekämpfung des Virus und für die Kontaktnachverfolgung im gemeinsamen europäischen Binnenmarkt essentiell.

Uns besorgen zudem die immer lauter werdenden Rufe nach einer „Pflicht zur App“ für gewisse Bereiche des Lebens. Die gemeinsame Bekämpfung der Pandemie benötigt Vertrauen und die Kooperation aller. Die Bereitschaft dazu wird mit einer Pflicht ohne Not verspielt. Eine allgemeine Bürgerpflicht, die jede Bürgerin und jeden Bürger zur Preisgabe sensibler Informationen verpflichtet, ist mit einem freiheitlichen Staat nicht zu vereinbaren. Auch die Einführung einer indirekten App-Pflicht, die das Betreten bestimmter Orte von ihrer Verwendung abhängig machen würde, lehnen wir ausdrücklich ab.

Dass es auch anders geht, zeigen die Schweiz und Österreich. Dort wurden Empfehlungen von Expert*innengruppen berücksichtigt, und die Regierungen setzen auf dezentrale und transparente Konzepte. Dabei handelt es sich um exakt den Ansatz, für den sich die beiden Marktführer für Smartphone-Betriebssysteme, Google und Apple, bereits zur Kooperation bereit erklärt haben. Dies ist eine Bedingung, die für den Erfolg einer App immanent ist, denn ohne die Zusammenarbeit mit den beiden Unternehmen, die fast 100 Prozent des Smartphone-Marktes abdecken, ist ein Scheitern der Tracing-App vorhersehbar. Denn der hier gewünschte Einsatzzweck der Bluetooth-Technologie ist neu und in diesem Ausmaß gänzlich unerprobt. Ob die Technologie verlässliche Ergebnisse liefern kann, ist umstritten. Es ist daher unabdingbar, die Betriebssystemhersteller mit einzubeziehen, um eine realistische Chance für einen neuen Einsatzzweck der Technologie zu ermöglichen.

Eine App, die zumindest eine Aussicht auf Erfolg haben soll, muss ein transparentes Konzept verfolgen, quelloffen programmiert werden, auf zentrale Datenspeicherung verzichten und die Anonymität der Nutzerinnen und Nutzer so weitgehend wie möglich schützen. Diese Anforderungen erfüllt der nun eingeschlagene Weg nicht.

Sehr geehrter Herr Bundesminister Spahn, sehr geehrter Herr Kanzleramtsminister Braun, als Unterzeichnende bitten wir Sie deshalb, die Forderungen aus der Wissenschaft und die Bedenken der IT-Expertinnen und -Experten ernstzunehmen und nicht auf einen Weg zu bauen, der von vornherein absehbar zu deutlichen Akzeptanzproblemen führen wird. Das von Ihnen präferierte Konzept für die App ist nicht der richtige Weg. So wird der Gedanke einer digitalen Lösung zur Bruchlandung – und das kann sich in der Bekämpfung der Pandemie niemand leisten.

Unterzeichnende:

  • D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt e.V.
  • Chaos Computer Club e.V. (CCC)
  • LOAD e.V. – Verein für liberale Netzpolitik
  • Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung e. V.
  • Gesellschaft für Informatik (GI) e.V.
  • Stiftung Datenschutz